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Endstation Hoffnung – Kirchenasyl in Dänemark 

Einleitung

89 Tage hatten 60 Menschen aus dem Irak, deren Asylantrag in Dänemark abgelehnt worden ist, in der Brorson Kirche im Stadtteil Nørrebro in Kopenhagen ausgeharrt. Im Mai diesen Jahres trat ein »Rücknahmeabkommen« zwischen der Regierung Dänemarks und der des Iraks in Kraft, welches die baldige Abschiebung der betroffenen IrakerInnen möglich machte. Als direkte Reaktion hierauf wurde ein Kirchenasyl ins Leben gerufen, welchem in der Nacht zum 13. August 2009 durch die gewaltsame Räumung der Polizei ein abruptes Ende gesetzt wurde. 

Dramatische Szenen spielten sich bei der Räumung in der Kirche wie auch auf den Straßen rundherum ab. Polizisten stürmten von verschiedenen Seiten in die Kirche und umzingelten die anwesenden IrakerInnen, welche sich vor dem Altar versammelt hatten. Ein Iraker kletterte auf die Orgel und drohte damit sich runterzustürzen. Währendessen versammelten sich mehr und mehr SympathisantInnen vor der Kirche und versuchten den Abtransport durch Sitzblockaden zu verhindern. Die Frauen und Kinder durften gehen und mussten so mit ansehen, wie ihre Männer in einen bereitstehenden Bus geführt wurden. Unter Einsatz von Knüppeln und Pfefferspray wurde dieser Bus dann mit ungeheurer Gewalt durch die mittlerweile 400 Menschen, welche sich auf die Strasse gesetzt hatten, geprügelt.  

Das Kirchenasyl...

...bildete sich im Mai, gleichzeitig mit dem Bekanntwerden des sogenannten Rücknahmeabkommens zwischen Dänemark und dem Irak. Politisch wurde sich auf die konkrete Forderung nach Asyl für die betroffenen 282 IrakerInnen beschränkt. Die rassistische Asylpolitik  Dänemarks im allgemeinen, wurde dann in politischen Debatten und Diskussionen auf die Agenda gesetzt. Neben der politischen Dimension musste aber auch der Alltag in der Kirche organisiert werden. Es dauerte einige Tage, bis das anfängliche Chaos einigermaßen Struktur annahm - aber das Resultat kann sich sehen lassen. Die ca. 200 Freiwilligen unterteilten sich in 14 Untergruppen, wie z.B. die Jura-, Alltags-, Kampagne-, Medizin- oder Schutzgruppe. Praktische Fragen und insbesondere Beschlüsse im Namen des Kirchenasyls wurden auf dem täglichen Treffen mit den IrakerInnen besprochen und verabschiedet. Der Aufwand war enorm und 24 Stunden am Tag waren mindestens vier Freiwillige in der Kirche zugegen. Darüberhinaus mussten sich die Iraker und die Pressegruppe einem enormen Medieninteresse stellen.

Als dieses Interesse auch nach mehreren Wochen nicht nachließ, zeichnete sich ab, dass dieses Thema für Aufruhr in Dänemark sorgt. Immer mehr Menschen mischten sich in die Debatte ein und forderten die Rückkehr zu einem »anständigen« Dänemark. Eine Ursache dafür ist die unmenschliche Behandlung der IrakerInnen, von denen die meisten seit vielen Jahren im ungesicherten Status in dänischen Asylzentren auf Asyl hoffen. Ein weiterer Faktor ist, dass in den vergangenen Jahren in Dänemark ein gewaltiger Rechtsruck stattgefunden hat, ohne dass es dagegen ein nennenswertes Aufbegehren gegeben hätte. Die dänische Volkspartei ist das deutlichste Beispiel dafür, dass der Rechtspopulismus in der Gesellschaft angekommen und vollständig als politische Kraft akzeptiert ist. Dies ist in mehreren Bereichen spürbar und ruft bei vielen Menschen eine ungeheure Frustration hervor, für die es kaum passende Ventile gibt. Genau in diese Zeit fällt das Kirchenasyl. Noch weiter angefacht hat die Situation die ungeheure und gut dokumentierte Polizeigewalt bei der Räumung der Kirche und dass erstmals in der Geschichte Dänemarks das stille Abkommen des Kirchenasyls gebrochen wurde.

Am Tag nach der Räumung zogen 25.000 Menschen in einer Spontandemonstration durch die Straßen Kopenhagens und nur zwei Tage später fand ein Solidaritätskonzert mit mehreren tausend Menschen auf dem Rathausmarkt statt, bei dem die Berühmtheiten Dänemarks Schlange standen, um ebenfalls ihre Solidarität und Empörung auszudrücken. Dies macht deutlich, was sich schon im Vorfeld angedeutet hatte. Die dramatische Situation der IrakerInnen bewegte, quer durch alle sozialen Schichten und politischen Fraktionen, viele Menschen im Land. Das Kirchenasyl ist die treibende Kraft, aber auch schon vor der Räumung beschränkte sich die Breite der UnterstützerInnen  keineswegs auf die dort aktiven Freiwilligen. Schnell bildete sich ein UnterstützerInnenkreis mit sehr bekannten MusikerInnen, KünstlerInnen und anderen Personen des öffentlichen Lebens. Webseiten wurden eingerichtet, viele tausend Unterschriften gesammelt, Sach- und Geldspenden in der Kirche vorbeigebracht, Leserbriefe und Kommentare geschrieben und vieles mehr. Die offen bekundete Solidarität war überwältigend.

Eine Debatte geschaffen!

Dass sich das Kirchenasyl als Erfolgskriterium immer an der konkreten Frage der erreichten Aufenthaltsgenehmigungen messen lassen muss, liegt auf der Hand. Hier ist zu befürchten, dass das Fazit schlecht ausfällt. Trotz alledem hat die Kampagne  etwas ereicht, was in Dänemark nicht so schnell vergessen werden wird. Das Kirchenasyl hat quer durchs Land und alle politischen Fraktionen polarisiert und eine ungeheure Aufmerksamkeit erlangt. Dies ist umso erfreulicher, da dem Thema Asylpolitik in Dänemark seit Jahren keinerlei Beachtung mehr geschenkt wurde. Und das, obwohl dieses Land eine der restriktivsten Asylgesetzgebungen überhaupt eingeführt hat. Es wurde eine Debatte geschaffen, zu der alle eine Meinung hatten und sich äussern wollten.

Die Zeitungen meldeten eine Rekordzahl an Leserbriefen zum Thema, die Blogs und Internetdiskussionsforen liefen über vor Beiträgen und Kommentaren. Die Medien berichteten täglich, je nach Standpunkt für oder wider humanitäres Asyl. Der öffentliche Druck wurde so enorm, dass sich keine der politischen Parteien einer Stellungnahme entziehen konnte oder wollte. Auch wenn sich die Gewichtung zu Gunsten des Kirchenasyls etwas verschoben hat, ist die Mehrheit der dänischen Bevölkerung, vor wie auch nach der Räumung, gegen eine Erteilung der humanitären Aufenthaltsgenehmigung. Aber das erste Mal seit geraumer Zeit ist ein Teil der dänischen Bevölkerung aus dieser Lethargie erwacht, die vor einigen Jahren um sich gegriffen hat. Rassistischen Kommentaren, Gesetzesverschärfungen, rechtspopulistischen Diskursen und Entwicklungen wurde wenig bis gar nichts entgegensetzt. Hier ist es den IrakerInnen und den Freiwilligen des Kirchenasyls gelungen eine Lücke auszufüllen.

Es wurde eine Stimmung geschaffen, in der skandalöse Kommentare von der Innenministerin Birthe Rønn Hornbech und schlecht verdeckte Lügen der Polizeiführung von der Öffentlichkeit nicht widerspruchslos hinge- oder gar übernommen werden. Angebliche Fakten werden hinterfragt, eigene Recherchen angestrengt und die politische Diskussion gesucht. Kurzum: Es wird sich wieder eingemischt, die Rückkehr zu humanitären Werten gefordert, Regierungspolitik in Frage gestellt und die ideologischen Auswüchse der dänischen Volkspartei argumentativ angegriffen.

Aber noch sind die Menschen im Land...

...und das ist auch der Grund warum die Räumung der Kirche und die damit verbundene Inhaftierung der betroffenen Iraker mitnichten das Ende der Kirchenasylkampagne bedeutet. Der Öffentlichkeit wurde deutlich gemacht, dass die Kampagne weiterhin versuchen wird den politischen Druck aufrecht zu erhalten. Der Kontakt zu den inhaftierten Irakern bleibt bestehen und darüber hinaus wird ihre Situation nach außen hin vermittelt und thematisiert. Die PolitikerInnen werden an ihre Verantwortung erinnert und die Forderung nach humanitärem Aufenthalt bekräftigt. Es hat sich eine Gruppe gegründet, die eine Sammelklage gegen das brutale Vorgehen der Polizei während der Räumung vorbereitet.

Aber auch praktisch wird weiterhin für einen Verbleib der IrakerInnen im Land gekämpft. Nur wenige Tage  nach der Räumung stand ein Aktionskonzept, das im Falle einer Ausweisung öffentlich zu einer friedlichen Blockade des zentralen Flughafens Kopenhagen-Kastrup aufruft.

Kontakt:
www.kirkeasyl.dk
www.modkraft.dk