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Erinnerungen an Silvio Meier

Zeitung telegraph (Molti)
Einleitung

Erinnerungen eines langjährigen Freundes an den am 20. November von Neoazis ermordeten Silvio Meier. Der Artikel ist in gekürzter Form dem »telegraph« 12/92 entnommen.

Bild: Dokumentationsbroschüre zu Silvio Meier von A2B Berlin, CC BY-NC-SA 3.0 DE

Der Berliner Antifaschist Silvio Meier.

Kennengelernt habe ich Silvio 1986 bei einer Geburtstagsparty im Friedrichshain. Mir fiel seine mitreißende Art zu lachen auf. Irgendwann saß ich dann neben ihm und machte Witze, um mich von seiner Heiterkeit anstecken zu lassen. Ich bemerkte dabei, daß er auch über sich selbst lachen konnte, was ihn mir um so sympathischer machte, zumal ich so etwas bei vielen anderen vermißte. (...)

Silvio mußte immer irgendwie »unterwegs« sein und fand dabei schnell Kontakt zu anderen Menschen. Seine Wohnung wurde bald ein Anlaufpunkt für alle möglichen Leute, die dann immer jede Menge Neuigkeiten mitbrachten. Er kam irgendwann zur seinerzeit in unseren Wohnungen »überwinternden« Berliner »Offenen Arbeit«, mit der viele aus der Friedrichshainer Szene in Verbindung standen. Für das Projekt eines Hauses der »Offenen Arbeit«, einem Ort, wo wir uns mit unserer Art zu leben treffen konnten, außerhalb der staatlich instrumentalisierten Freizeitangebote der Jugendklubs, begann er sich zu engagieren.

Später dann beteiligte er sich maßgeblich an der Organisierung unser »Nachtpott«-Abende im Pro-Fi-Keller der Erlöser-Gemeinde und an der Herausgabe des Infoblättchens der Offenen Arbeit, dem »mOAning star«. Unsere Redaktionssitzungen fanden in seiner Wohnung statt. (...) Wie wir alle half Silvio neuen Leuten bei der Suche nach Wohnung und Arbeit oder bei für uns ganz normalen Geschichten, wie den Wehrdienstverweigerungen. (...) In dieser Zeit versuchte er auch Konzerte zu organisieren, wie das mit der »Firma« und »Element of Crime« am 17. Oktober 1987 in der Zionskirche, welches durch den Nazi-Überfall zur traurigen Berühmheit wurde.

Seine ungezwungen Art machte ihn da zu einem Organisationstalent. Auch half er den Köpenicker Punks bei der Vorbereitung ihrer genialen Frühlingsfeste. Es gab eigentlich kaum eine Aktion in Berlin, bei der Silvio nicht dabei war. So beispielsweise bei der Mahnwache in Zion im November 1987 oder die Demonstrationen gegen den IWF- Gipfel, der im September 1988 in Westberlin stattfand. Vorher veranstalteten wir zwei kleine Seminare in unseren Wohnungen, auf denen uns klar wurde, daß allein schon mit der Beherbergung einiger IWF-Bonzen in Ostberlin die DDR Mitverantwortung für die Ausbeutung der Dritten Welt trägt. Wir sammelten Zwanzig-Pfennig-Münzen, um damit die Telefonleitungen der Interhotels lahmzulegen. Vor dem Pergamonmuseum wurden dann einige der verdutzten IWF-Gipfelteilnehmer mit Kleingeld beworfen. Als sich der Demonstrationszug in Richtung Amerikanische Botschaft bewegte, wurde er von der Polizei »eingesammelt«. Wie die anderen konnte Silvio hinterher erzählen, daß sie die Vernehmer mit ihrer Argumentation lässig aufs Kreuz legten, indem sie ihre Aktion als Solidaritätsbekundung mit den vom Kapitalismus unterdrückten Völkern der Dritten Welt erklärten, was ja auch offizielle Staatspolitik war. (...)

Bei fast allen Veranstaltungen in der KvU (Kirche von Unten - ein Zentrum der Offenen Arbeit in Ostberlin, d. Red.) war Silvio dabei. So organisierte er als einer unserer Vertreter die fast flächendeckende Auszählung der Wählerstimmen im Mai 1989 in Berlin mit. Verständlicherweise war auch er darüber empört, daß Pfarrer Eppelmann entgegen der Absprachen vorzeitig die Beweise der Wahlmanipulation den Westmedien präsentierte und sich damit auf Kosten anderer öffentlich produzierte.

Als im September 1989 ein Parteiengründungsfieber ausbrach, stellten wir diesem Phänomen verulkend unser »Positionspapier zur Bildung einer transradikalen linken Förderative« entgegen, welches wir mit »Fröhliche Friedrichshainer FriedensFreunde« unterzeichneten und dann obendrein die allgemeine Kürzelungsmanie mit »Fr. Fr. Fr. Fr.«karikierten. (...) Wir konnten stundenlang angestrengt über Tage und Wochen an solchen Geschichten arbeiten, ohne dabei den Faden zu verlieren.

Silvios Art, witzig zu sein, konnte viele angespannte Situationen entkrampfen. Oft provozierte er uns mit seiner typischen Anmache, auch wenn der Spaß dabei auf seine Kosten ging. Am 7. Oktober 1989 lief er unvorsichtigerweise in die Arme einer Polizeikette und mußte auf Grund des öffentlichen Druckes wie die anderen Festgenommenen eine Woche später freigelassen werden. Mit einem Freund war er der Einzigste, die den Sicherheitskräften gegenüber keinerlei Aussagen machten. (...)

Seit dem Frühjahr 1990 kam es immer häufiger zu Angriffen Rechtsradikaler aus besetzte Häuser. Nicht nur aus Gründen des Selbstschutzes (und dem der Kinder, die bei uns leben) sondern auch mit dem Bewußtsein für gesellschaftliche Verantwortung, daß wir über die Jahre entwickelt hatten, traten wir dem entgegen. Als sich die Rechten einem organisierten Widerstand seitens der Häuser gegenübersahen und sich dann feige auf die Schwächsten der Gesellschaft, die Nichtdeutschen, stürzten, gehörte Silvio zu denen, die das Problem nicht aus dem Auge verloren. Wir redeten über Ursachen und Symptome von Abgrenzung, Überheblichkeit und sozialer Hoffnungslosigkeit, über die latenten Formen des Faschismus in der bürgerlichen Gesellschaft und auf welche Weise sie benutzt und gefördert werden.

An einer nötigen Utopiediskussion wird sich Silvio nicht mehr beteiligen können. Silvio redete nicht nur, sondern handelte auch. Ich beneidete ihn um seine Art des couragiert gelebten Widerstandes, wie ich sie mir nie getraut habe. Es gehört zu unseren Erfahrungen, daß erlebte schreckliche Dinge niemals öffentliche aufgeklärt und die wahrhaft Schuldigen zur Verantwortung gezogen werden. Immer noch und wieder stehen wir ziemlich ohnmächtig den offi ziellen Verlautbarungen der Mächtigen und ihrer Medien, den verschleppenden Polizeiermittlungen und den uninteressierten und falsch informierten Bürgern gegenüber, einer ganz miesen Ignoranz, auch wenn wir mit unserer Gegenöffentlichkeit teilweise Richtigstellungen erreichten.

Um so schlimmer enpfinden wir die Bestrebungen von Leuten, die Silvio als einen Märtyrer für ihre politischen Zwecke mißbrauchen, um sich damit Öffentlichkeit zu verschaffen. Viele, die uns und Silvio kennenlernten, haben sich irgendwie gemeldet, ohne große Worte. Es tut gut zu wissen, daß wir nicht allein sind. Als man meinen Freund ermordete, bin ich auch gestorben. Weil ich noch lebe, lebt Silvio weiter.

(Molti)