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Europa auf dem Weg nach rechts

Carsten Hübner
Einleitung

Die extreme Rechte zählt zu den Gewinnern der Europawahl im Mai 2014. Künftig verfügt sie über rund 125 Mandate. Damit gehört fast jeder sechste der 766 Europaabgeordneten einer Partei des nationalistischen und rassistischen Lagers an. Zwei ausgewiesene Rechtsfraktionen haben sich bereits konstituiert. Das Wahlbündnis um den Front National und Geert Wilders ist hingegen noch auf der Suche nach politischen Partnern.

Foto: Pietro Naj-Oleari © European Union 2014 — European Parliament (CC)

Als das neugewählte Europaparlament am 1. Juli 2014 erstmals zusammentrat, war der Fraktionsbildungsprozess weitgehend abgeschlossen. Die Parteien des rechten Spektrums verteilen sich künftig auf drei Fraktionen. Weitere knapp fünfzig Abgeordnete des rechten Randes sind derzeit noch fraktionslos.

Ob das so bleibt, ist ungewiss. Das Quorum zur Gründung einer Fraktion liegt bei 25 Abgeordneten aus sieben EU-Ländern. Anders als in der vergangenen Wahlperiode mangelt es diesmal also weniger an einer hinreichenden Zahl von Mandatsträgern als am politischen Willen, Animositäten zu überwinden. Denn die Fraktionslosen kommen sowohl aus dem rechtspopulistischen als auch aus dem klassisch extrem rechten und neonazistischen Spektrum.

Extreme Rechte in Mittel- und Nordeuropa stark

Der Zuwachs von rund 50 Prozent (2009: 85 Abgeordnete) geht vor allem auf das starke Abschneiden der extremen Rechten in einer Handvoll EU-Staaten zurück. In Ungarn (Fidesz, 51,5 Prozent), Großbritannien (UKIP, 26,6 Prozent), Dänemark (Dänische Volkspartei, 26,6 Prozent) und Frankreich (FN, 24,9 Prozent) lagen Rechtsaußenparteien in der Wählergunst ganz vorne. In Polen ging die national-konservative Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) mit 31,8 Prozent nur knapp hinter der christdemokratischen „Zivilen Plattform“ von Premierminister Donald Tusk durchs Ziel. Diese fünf Parteien allein bringen es auf 83 Sitze.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die extreme Rechte in den am stärksten von der Euro-Krise und der Austeritätspolitik betroffenen Ländern kaum punkten konnte. Mit Ausnahme von Griechenland, wo die neofaschistische „Goldene Morgenröte“ auf 9,4 Prozent kam und damit die nationalistische Partei LAOS verdrängte, zogen weder aus Spanien, Portugal oder Irland noch aus Bulgarien und Rumänien Abgeordnete der extremen Rechten ins Europaparlament ein. Stark war sie hingegen im wirtschaftlich vergleichsweise stabilen Mittel- und Nordeuropa. Erstmals seit den Republikanern im Jahre 1989 entsendet auch die deutsche Rechte wieder Europaabgeordnete. Die AfD holte sieben Sitze, die NPD einen, den Ex-Parteichef Udo Voigt einnimmt.

Fidesz wieder EVP-Mitglied

Die zwölf Abgeordneten des völkisch-nationalistischen Fidesz von Ungarns Regierungschef Viktor Orbán haben sich, wie schon in den Wahlperioden zuvor, der christdemokratischen EVP-Fraktion angeschlossen. Fraktionsvorsitzender ist der deutsche CSU-Abgeordnete Manfred Weber.
Eine kritische Auseinandersetzung über die Aufnahme des Fidesz gab es auch diesmal nicht, obwohl die Ausgrenzung der Roma, die Einschränkung von Bürgerrechten und der Pressefreiheit sowie ein aggressiver Chauvinismus und Revisionismus gegenüber den Nachbarländern zum Kernbestand von Orbáns Politik gehören und international zu anhaltenden Protesten führen. Ebenfalls Mitglied der EVP-Fraktion sind Parteien, die bereits mit der extremen Rechten auf nationaler Ebene koaliert haben, darunter die „Österreichische Volkspartei“ (ÖVP) und Silvio Berlusconis „Forza Italia“ (FI).

Fraktion „Europäische Konservative und Reformisten“

Bereits deutlich rechts der EVP steht die national-konservative Fraktion „Europäische Konservative und Reformisten“ (EKR). Sie wurde nach der Europawahl 2009 von den britischen Konservativen zur Schärfung ihres anti-europäischen Profils aus der Taufe gehoben. Aktuell haben sich hier neben den Tories (19 Sitze) u.a. folgende Parteien zusammengeschlossen: PiS (19 Sitze), N-VA (Belgien) und Dänische Volkspartei mit je 4 Sitzen sowie die ODS (Tschechien), „Die Finnen“ und das evange­likale Wahlbündnis ChristenUnie/SGP aus den Niederlanden mit jeweils zwei Abgeordneten. Dazu kommen eine Reihe von Parteien mit nur einem Mandatsträger.

Mitglied der EKR sind auch die sieben Abgeordneten der AfD. Deren Vorsitzender und frischgebackener EU-Parlamentarier Bernd Lucke hatte allerdings einen denkbar schlechten Einstand. Bei der Wahl zum stellvertretenden Vorsitzenden des einflussreichen Wirtschafts- und Währungsausschuss erhielt er keine Mehrheit. Die EKR-Fraktion musste seine Kandidatur daraufhin zurückziehen.  

Die EKR hat der­zeit 70 Mandate und ist damit nach der EVP und den Sozialdemokraten die drittstärkste Kraft im Europaparlament.

Fraktion „Europa der Freiheit und der direkten Demokratie“

Eine zweite Rechts­fraktion mit dem Namen „Europa der Freiheit und der direkten Demokra­tie“ (EFDD) hat sich unter Führung der britischen UKIP (24 Sitze) formiert. Sie bestand bereits unter ähnlichem Namen in der Wahlperiode 2009-2014 und war klar nationalistisch und anti-europäisch ausgerichtet. Ihr Frontmann, UKIP-Chef Nigel Farage, gilt als einer der profiliertesten Rechts­außen-Vertreter in Europa. Dennoch haben sich der EFDD überraschend auch die 17 Abgeordneten von Beppe Grillos populistischer Fünf-Sterne-Bewegung aus Italien angeschlossen.
Zur EFDD gehören zudem die Schwedendemokraten und die litauische „Ordnung und Gerechtigkeit“ mit jeweils zwei Sitzen, ein Abgeordneter der tschechischen Rechtspartei Svobodni, ein litauischer Parlamentarier sowie Joëlle Bergeron, die für den Front National (FN) ins Europaparlament einzog, von Parteichefin Marine Le Pen aber nicht von einem Übertritt zur EFDD abgehalten werden konnte. Die Fraktion besteht damit zur Zeit aus 48 Abgeordneten.

Wahlbündnis Wilders-Le Pen

Das von Geert Wilders und Marine Le Pen angeführte Wahlbündnis klassisch extrem rechter Parteien konnte bisher nicht das erforderliche Quorum für eine Fraktionsgründung erfüllen. Dabei fehlt es dank des starken Abschneidens des FN nicht an Mitgliedern, sondern an Mitgliedsstaaten, aus denen die Abgeordneten stammen. Statt sieben Herkunftsländer kommt die Gruppe, die unter dem Namen „Europäischen Allianz für die Freiheit“ (EAF) firmiert, derzeit nur auf fünf EU-Staaten: Frankreich (FN, 24 Sitze), Niederlande (PVV, 4 Sitze), Belgien (Vlaams Belang, 1 Sitz), Italien (Lega Nord, 5 Sitze) und Österreich (FPÖ, 4 Sitze).

Gespräche gab es zwischenzeitlich mit den Schwedendemokraten, die sich jedoch der EFDD anschlossen sowie dem „Kongress der Neuen Rechten“ (KNP) aus Polen (4 Sitze). Dessen offen neonazistisches Auftreten machte es jedoch insbesondere für die PVV von Geert Wilders unmöglich, künftig in einer Fraktion zusammenzuarbeiten.

Gleichwohl stehen die Chancen der EAF nicht schlecht, im Laufe der Wahlperiode doch noch eine Fraktion zustande zu bringen. Denn die geforderte Repräsentanz aus insgesamt sieben Mitgliedsstaaten kann auch über Einzelabgeordnete erbracht werden, die, aus welchen Gründen auch immer, ihre bisherige Partei bzw. Fraktion verlassen und sich einer anderen anschließen. Im Europaparlament ist dies, anders als in den nationalen Parlamenten, durchaus keine Seltenheit.

Dementsprechend optimistisch zeigte sich FPÖ-Delegationsleiter Harald Vilimsky gegenüber der rechtskonservativen ungarischen Zeitung Magyar Hírlap. Er rechne damit, „dass wir bis Herbst sieben, acht Mitgliedsparteien haben werden“, so Vilimsky.

Der braune Rand

Die Abgeordneten des polnischen KNP, der neofaschistischen Parteien Jobbik aus Ungarn und der Goldenen Morgenröte sowie Udo Voigt von der NPD werden mangels einer ausreichenden Zahl von Partnern aller Wahrscheinlichkeit nach fraktionslos bleiben. Sie kommen zusammen auf elf Mandate.

Fraktionen bringen Geld

Die Bildung von Fraktionen ist für die Parteien der extremen Rechten vor allem deshalb attraktiv, weil der Fraktionsstatus mit finanziellen Zuwendungen in Millionenhöhe verbunden ist, die wiederum vor allem in den jeweiligen Herkunftsländern für die politische Arbeit eingesetzt werden. Ein genuin europapolitisches Programm haben weder die EKR noch die EFDD vorzuweisen.