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Europa in Theorie und Praxis

Einleitung

„Europa – Jugend – Revolution“ singt die Stuttgarter Band Carpe Diem. Das Lied ist gleich auf mehreren Schulhof-CDs der NPD zu finden und eines der populärsten und bekanntesten der Band. Die Konzerttour „European Revolution Tour“, bei welcher neben Carpe Diem noch Brigade M aus den Niederlanden, Fraction aus Frankreich und ZetaZeroAlfa aus Italien auf der Bühne standen, führte durch Italien, Frankreich, die Niederlande sowie Deutschland und war gesungene Werbung für „Europa“. Im RechtsRock existiert eine ideologische Vorstellung von „Europa“ und eine „gesamteuropäische“ Praxis. Gemeint ist hier jedoch eine ganz andere Idee von „Europa“ als die in großen Teilen der Gesellschaft gängige.

Transparent "Europa ist angetreten - für die Freiheit" beim neonazistischen "Fest der Völker".

Gerockte „Europakonzeptionen“ des Gestern

„Ich schließe meine Augen und lass die Gedanken ziehen und denk an das Erbe Europas und was uns davon blieb. Der Traum von Frieden und Einigkeit unter eine Fahne gebracht. Doch darauf die falschen Zeichen und dahinter die falsche Macht. Eine Macht, der das Geld gehört, seit viel zu langer Zeit. Eine Macht, die Konflikte schürt! Gemeinsam machen wir uns frei“, heißt es im Text von „Europa — Jugend — Revolution“. Europa wird hier mit der Euro­päischen Union gleichgesetzt, welche als ,Fremdherrschaft‘ abgelehnt wird. Die angeblich Herrschenden werden mit antisemitischen Chiffren wie „Geld“ und Macht „die Konflikte schürt“ gekennzeichnet. Trotzdem bezieht sich die Band positiv auf ein „Europa“. In der Ideologie des RechtsRock ist vor allem der „White Power“-Gedanke, also die Vorstellung einer „weißen Rasse“, vorherrschend. „Europa“ ist im RechtsRock in Form der EU präsent, die als volkszerstörende Zentralmacht abgelehnt wird. Andererseits wird auf Ordnungsvorstellungen aus dem Nationalsozialismus zurückgegriffen. So singt der Thüringer Liedermacher Torsten Hering alias Torstein: „Deutschl­and war dabei neu zu erblühen, das Sterben abzuwenden, das ihm zugedacht. Es begehrte auf gegen die tausend Lügen eines zum Tode verurteilten Euro­pas. Da kamen sie von den Fjorden, aus der Britanie, aus den Wäldern Finnlands, der Champagne und Okzidanien, von den Bergen der Schweiz, Lichtenstein und den baltischen Ländern. Selbst aus Ungarn, dem Kaukasus, Irland und Großbritannien. [...] Sie waren Europas Freiwillige“. Ein positiver Bezug auf Europa ist im RechtsRock fast durchgängig ein Bezug auf die Europakonzeption der SS (vgl. AIB Nr. 94). Thematisiert werden jene sogenannten „Germanischen Divisionen“, in denen Freiwillige aus ganz Europa kämpften. Hier ist es das Motiv der „Waffenbruderschaft“, also der vermeintlich gemeinsame Kampf der SS-Männer aus den verschiedenen Ländern. Dieses Motiv griffen schon die Neonazibands Kraftschlag (Itzehohe/Weißenfels) und Mistreat (Finnland) für ihre CD „Waffenbrüder“ auf.

Zwischen 2005 und 2009 war es das RechtsRock-Festival „Fest der Völker“ in Jena, welches versuchte, das Konzept des „Europas der Vaterländer“ der SS durch die Teilnahme internationaler Redner und Bands ein klein wenig in die Praxis umzusetzen und dessen Ideologie zu propa­gieren. Der österreichische Neonazi Gottfried Küssel erklärte dort 2007 das kulturell/rassische Verständnis dieses „Europa“. In seiner Rede formulierte er: „Die Akropolis und die Menhire von Carnac, das Kapitol und Stonehenge, die Runensteine im Norden Altamira Sengiel und nicht zuletzt die Sternenscheibe von Nebra, ganz hier in der Nähe, sind Zeichen einer durchgängigen Tradition der Hochkultur, die weltweit in dieser Konzentration einzigartig ist. Aus gemeinsamen Wurzeln haben sich durch lange Jahrhunderte verschiedene Gemeinschaften entwickelt, die, wenn auch in einem Urstamm sich treffend, eine liebenswerte ja nahezu familiäre Verschiedenheit entwickelt haben.“ Soweit die Theorie.

Europäische Praxis

Anfang der 1990er Jahre erschien mit „German-British-Friendship“ eine von der deutschen Band Noie Werte und der englischen Neonaziband Skrewdriver 1 eingespielte CD. Es war der erste Tonträger, der eine Kooperation europäischer RechtsRock-Bands darstellte. Heute finden sich gleich Dutzende solcher transnationaler Projekte. Das Cover der 2007 veröffentlichten CD „Nie wieder Bruderkrieg“ zeigt einen als Helden dargestellten Kämpfer, dessen Schild die Aufschrift „Europa“ trägt. Er kämpft gegen eine dunkler dargestellte Person, welche den „Kommunismus“ darstellen soll.
Jüngst erschien bei PC-Records in Chemnitz der Mitschnitt  eines Konzerts in der Ukraine aus dem Jahr 2013. Der Grund dafür, dass diese CD bei PC-Records erscheint, wird einerseits der Zugang zum deutschen Markt sein, geht es doch immerhin um viel Geld. Andererseits ist mit der Lunikoff-Verschwörung die bekannteste deutsche RechtsRock-Band auf diesem Konzert aufgetreten.

Über 40 Mal traten deutsche RechtsRocker 2013 im europäischen Ausland auf. Damit standen sie häufiger im Ausland auf der Bühne als die RechtsRocker anderer Länder. Interessant ist dabei, dass die Konzerte der Bands im Ausland von verschiedenen Faktoren abhängen. So traten deutsche Bands im Zeitraum zwischen 2008 und 2012 besonders oft in Italien und Ungarn auf. Der Grund hierfür dürfte in den jeweils sehr aktiven nationalen RechtsRock-Szenen zu suchen sein. Im Gegensatz dazu können Belgien, die Niederlande und bedingt auch die Tschechische Republik und Frankreich, in denen ebenfalls relativ viele Konzerte stattfanden, als „Ausweichorte“ für deutsche Konzerte gewertet werden. Hier können aufgrund einer anderen Gesetzeslage Konzerte in aller Ruhe stattfinden, die in Deutschland mit großer Wahrscheinlichkeit aufgelöst oder verhindert werden würden. Als Beispiel sei das Konzert vom 19. auf den 20. April 2014, also zu Adolf Hitlers Geburtstag, genannt, dass im französischen Oltingue nahe der deutsch-französischen Grenze stattfand. Angekündigt waren mit Kraftschlag, Devils Project, Tätervolk und Legion of Thor gleich vier deutsche Bands, darunter auch zwei nicht deutsche Bands. Berichten aus der Szene zufolge sollen der überwiegende Teil der circa 150 Anwesenden Deutsche gewesen sein. Aber nicht nur die Lage ist ein Einflussfaktor, auch historische Geschehnisse und nationaler Chauvinismus spielen eine Rolle. Anders ist es nicht zu erklären, dass deutsche Bands in kaum einem europäischen Land seltener auftraten als in Polen. Die antipolnischen Ressentiments drücken sich z.B. bei der Band Landser in Liedzeilen wie: „Polackenlümmel schreien „White Power“. Oh, wie ich dieses scheiß Volk hasse, seit wann gehör’n Polacken, zur arischen Rasse“ aus.

Stark nachgelassen hat in den letzten Jahren die Bedeutung der britischen Bands. Der Kultstatus von Ian Stuart Donaldson, der als „Erfinder“ des RechtsRock bezeichnet werden kann, sorgte dafür, dass die englische Szene ab Mitte der 1980er Jahre eine Führungsrolle im internationalen RechtsRock einnahm. 2013 traten britische Bands nur etwa 17 Mal im Ausland auf, wenig im Vergleich zu den über 40 Auftritten deutscher Bands. Dabei sind viele der britischen Bands eng mit Blood & Honour, einer der beiden wichtigen Organisationen im Bereich des internationalen RechtsRock, verbunden. Hammerskins und Blood & Honour spielen eine wichtige Rolle bei der internationalen Koordinierung des RechtsRock.

Spinnen im Netz — Blood & Honour und Hammerskins

Gedenkkonzerte für Ian Stuart Donaldson (ISD) finden im August und September jeden Jahres in vielen Ländern statt. Donaldson war einer der maßgeblichen Gründer des neonazistischen Musiknetzwerkes  Blood & Honour; deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass ein Großteil dieser ISD-Konzerte von Blood & Honour organisiert werden. Auffällig ist jedoch, dass diese Konzerte zeitlich aufeinander abgestimmt zu sein scheinen. Wochenende auf Wochenende findet ein von Blood & Honour organisiertes Konzert in einem anderen Land statt. Das ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass innerhalb des Netzwerkes eine internationale Koordination stattfindet.

Eine solche existiert auch bei den Hammerskins. Hier finden regelmäßig Treffen auf europäischer Ebene, die  „Euro­pean Officers Meetings“ (EOM), statt. Oftmals werden diese am Rande eines „Hammerfest“ genannten Konzerts abgehalten. 2012  fand das Hammerfest im französischen Toul statt. Etwa 2000 TeilnehmerInnen waren für die Bands Blutzeugen, Division Germania, Moshpit, Wolfsfront und Sturmwehr aus Deutschland sowie für Verszerzödes aus Ungarn und Der Stürmer aus Griechenland angereist. International also, der Schwerpunkt lag aber wieder bei den deutschen Bands und  TeilnehmerInnen. Am 29. November 2014 soll das nächste Hammerfest im italienischen Mailand stattfinden.

Ein europaweit koordiniertes Vorgehen war auch bei Touren us-amerikanischer Bands zu erkennen. 2009 tourten die Bully Boys in nur acht Tagen durch fünf Länder. Sie spielten in Spanien, Frankreich, Ungarn, der Tschechischen Republik und in Italien. Waren es bei dieser Tour offensichtlich die Strukturen der Hammerskins, so spielte die Band im Juni 2013 an einem Freitag für Blood & Honour in Slowenien, am Samstag darauf für die Hammerskins in Italien. Kooperation findet vermutlich also auch über die Organisationsgrenzen hinweg statt.

In kaum einem Spektrum der extremen Rechten findet so viel europaweiter Austausch statt wie in der RechtsRock-Szene. Gegenseitige Besuche, welche zu einem Austausch an Ideologie und Praxiserfahrung führen, sind gängige Praxis. Ist der „White Power“-Gedanke auch omnipräsent in der RechtsRock-Szene, so wird von deren Kadern das Europa-Konzept der SS, eines völkischen Europas unter deutscher Führung, vertreten. 
 

  • 1Skrewdriver trat schon früh in Deutschland auf. Der Band-Sänger Ian Stuart Donaldson lebte zeitweilig in Stuttgart. Der Skrewdriver Kult basiert auch auf der  zeitweiligen Verhaftung von sechs englischen Neonazis in Deutschland ("Cottbus Six"). Im Zuge eines Konzertes zum Jahrestag der Wiedervereinigung 1991 stach in Cottbus (Brandenburg) der Band-Schlagzeuger John Bellany (»Burnley«) auf einen vermeintlichen Linken ein. Auch das Bandmitglieder Steve Calladine (»Stigger«) und der Bassist Jon Hickson (»Smiley / Icky«) wurden hier wegen Gewalttätigkeiten verhaftet.