Fünf Tage im September 1991
Die rassistischen Pogrome in Hoyerswerda
Die Kapitulationserklärung vor dem rassistischen Mob und seinen Zuschauer_innen war kurz: »Es besteht einheitliche Auffassung dazu, dass eine endgültige Problemlösung nur durch Ausreise der Ausländer geschaffen werden kann,« so die »Lageeinschätzung« des Landratsamts Hoyerswerda am 20. September 1991 um 12 Uhr mittags. Nicht einmal 24 Stunden später werden 240 Asylsuchende aus einem Dutzend unterschiedlichster Herkunftsländer in den frühen Morgenstunden des 21. September 1991 in Busse verfrachtet – und unter dem johlenden Beifall der jugendlichen und älteren Zuschauer_innen mit SEK-Begleitfahrzeugen aus der einstigen sozialistischen Musterstadt gefahren. Einige Neonaziskinheads haben auch jetzt noch nicht genug und schmeißen Steine und Flaschen auf die abfahrenden Busse; dabei wird ein Flüchtling durch Glassplitter erheblich verletzt. Offen grölen Neonaziskinheads in die laufenden Kameras den sich rasend schnell übers ganze Land ausbreitenden Schlachtruf der Szene »Deutschland den Deutschen, Ausländer raus« und erklären, dass Hoyerswerda erst der Anfang sein werde.
In den Weg stellt sich ihnen niemand. Oder, in den Worten des Landratsamts vom 20. September 1991: »Die übergroße Mehrheit der Anwohner im unmittelbaren Umfeld des Ausländerwohnheims sieht in den Handlungen der Störer eine Unterstützung ihrer eigenen Ziele zur Erzwingung der Ausreise der Ausländer und erklärt sich folgerichtig mit ihren Gewalttätigkeiten sehr intensiv solidarisch. Die polizeilichen Handlungen werden dagegen strikt abgelehnt.«
Wie es zu dem Pogrom kam, ist schnell erzählt. Am 17. September 1991 griffen mindestens acht Neonazis auf dem Marktplatz von Hoyerswerda zunächst einige vietnamesische Händler_innen an. Die Betroffenen wehrten sich und flüchteten dann in ein Vertragsarbeiter_innenwohnheim in der Albert-Schweitzer-Straße, mitten im riesigen Plattenbauviertel WK X der damals noch über 50.000 EinwohnerInnen großen Stadt. Hier lebten auch noch rund 120 ehemalige Vertragsarbeiter_innen aus Mosambik und Vietnam. Sie waren mehrheitlich Mitte der 1980er Jahre in die DDR gekommen, hatten als junge Frauen und Männer Ausbildungen in Industrieberufen gemacht und wurden in den diversen Werkstätten sowie im Braunkohletagebaubetrieb VEB Schwarze Pumpe eingesetzt. Ihre Arbeitsverträge mit der Nachfolgegesellschaft LAUBAG AG waren zum Ende September bzw. Ende Dezember 1991 gekündigt worden.
Erst die Vertragsarbeiter_innen, dann die Flüchtlinge
Die Neonaziskins trauten sich zwar nicht in das Vertragsarbeiterwohnheim hinein, sie organisierten aber ziemlich schnell immer mehr »Kameraden«, so dass sich innerhalb weniger Stunden drei bis vier Dutzend junge Neonazis Parolen grölend und Steine schmeißend vor dem Wohnheim versammelten. Da es mindestens zwei Stunden dauern sollte, bis sich die ersten PolizeibeamtInnen vor Ort blicken ließen, begannen die Vertragsarbeiter_innen zu ihrem Schutz Müllcontainer auf die Straße zu schieben und gingen mit Knüppeln bewaffnet gegen die Neonazis vor.
Am nächsten Tag griffen ab den frühen Abendstunden schon mehrere Dutzend Neonazis, mit Molotow-Cocktails und Steinen das Wohnheim für die Vertragsarbeiter_innen an. Nun begannen die Bewohner_innen um ihr Leben zu fürchten, denn eine völlig überforderte Polizei ließ die Angreifer weitestgehend unbehelligt – während Anwohner_innen entweder teilnahmslos zusahen, wie sämtliche Fenster des Heims eingeworfen wurden oder Beifall klatschten. Versuche der Vertragsarbeiter_innen, die Angreifer durch das Werfen von Gegenständen zu vertreiben, führten nur zu kurzfristigen Rückzügen der Angreifer. Unter ihnen erkannten die Vertragsarbeiter_innen auch viele ihrer deutschen Kollegen – vor allem Vorarbeiter – aus dem Braunkohletagebau.
Am 20. September 1991 um 13.50 Uhr notieren PolizeibeamtInnen, offensichtlich erleichtert: »2 Kraftomnibusse mit 60 ausländischen Bürgern /AWH Albert-Schweitzer-Straße haben zwecks ordnungsgemäßer Rückführung Ort verlassen. Maßnahmen waren vom Ordnungsamt eingeleitet worden.« Ihr »Begleitschutz« von der sächsischen Polizei brachte sie mehrheitlich direkt nach Berlin und Frankfurt am Main, von wo aus sie nach Mosambik zurückkehrten.
Ermutigt durch ihren Erfolg richteten die rassistischen Angreifer ab dem 19. September 1991 dann ihre Attacken gegen das Flüchtlingswohnheim in der Thomas-Münzer-Str., in dem seit dem Frühsommer 1991 rund 240 Flüchtlinge u.a. aus Vietnam, Rumänien, Ghana, Iran und Bangladesch wohnen mussten. Sie waren aus Sachsen zwangsumverteilt worden und schon in den Wochen zuvor immer wieder bei ihren wenigen Ausflügen in die Stadt von Neonazigruppen angegriffen worden. Sie wurden genau so wenig geschützt wie die Vertragsarbeiter_innen und am 21. September mit Bussen unter SEK-Begleitung in Barackenheime im Umland verteilt. Die meisten von ihnen flüchteten entweder in Gruppen oder individuell nach Berlin und Niedersachsen weiter.
Fatale Bilanz
Die Bilanz jener fünf Tage im September 1991: Der Staat bzw. seine Exekutivorgane hatten sich aus gleich mehreren Kernaufgaben – dem Schutz von schutzlosen Minderheiten sowie der Verfolgung von Straftaten – komplett zurückgezogen. Insgesamt gab es 82 vorläufige Festnahmen in diesen fünf Tagen, daraus resultierten ganze vier Verurteilungen. Die Signalwirkung von Hoyerswerda war fatal. Neonazis feierten Hoyerswerda öffentlich als »erste ausländerfreie Stadt« und schnell wetteiferten bundesweit Nachahmer/ Neonazis, rassistische GelegenheitstäterInnen und politisch rechte Jugendliche miteinander. Schon während der Pogromtage verbrannte in Saarlouis im Saarland der 27jährige ghanaische Flüchtling Samuel Yeboah bei einem Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft. Im sächsischen Thiendorf griffen Jugendliche ein Flüchtlingsheim an und verletzten acht Menschen. In Freital bei Dresden und in Bredenbeck bei Hannover schleuderten Neonazis Molotow-Cocktails auf Flüchtlingsheime. Im brandenburgischen Cottbus machte die Nationale Alternative gegen die dortige Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber_innen mobil; weitere Brandanschläge z.B. in Münster, in March (Südbaden) und Tambach-Dietharz (Thüringen) folgten.
1.483 extrem rechte Gewalttaten registrierte das Bundeskriminalamt am Ende des Jahres 1991. 1992 stieg die Zahl um mehr als das Doppelte auf 2.584. Angesichts der massiven Dunkelfelder bei rechten Gewalttaten in den frühen 1990er Jahren muss man davon ausgehen, dass diese Zahlen nur einen winzigen Ausschnitt der Realität widerspiegeln. Begleitet wurde diese rassistische Mobilisierung von schizophrenen Medienkampagnen: Einerseits kommentierten zumeist westdeutsche Journalist_innen den nackten rassistischen Hass als Zivilisationsbruch; andererseits sekundierten nicht nur Boulevardmedien, sondern auch bürgerliche Magazine wie u.a. der Spiegel am 9. September 1991 mit einem Bild eines schwarz-rot-gold angemalten Kahns voller Menschen unter dem Titel »Flüchtlinge, Aussiedler, Asylanten: Ansturm der Armen« die rassistischen Schläger.
Auch vor Ort: Tödliche Konsequenzen
Auch in Hoyerswerda selbst sorgte die Kapitulation von Polizei und Justiz für ein enormes Selbstbewusstsein in der Neonaziszene, das bis heute ungebrochen anhält. Neonazis überfielen regelmäßig linke Jugendliche und Punks, erpressten »Schutzgelder« in Bordellen und ließen kaum eine Gelegenheit aus, deutlich zu machen, dass sie jenseits der geltenden Gesetze handeln konnten. Wer Neonazis im Hoyerswerda der frühen 1990er Jahre treffen wollte, besuchte als allererstes den Jugendclub »N. Ostrowski« mitten im WKI, wo überforderte Sozialarbeiter_innen zusahen, wie ihr Klientel jedes Wochenende woanders zuschlug. Zum Beispiel am 23. Oktober 1992 im nahen Geierswalde, wo 15 Neonazis bei einem Angriff auf eine Diskothek die Aushilfskellnerin Waltraud Scheffler töteten. Zu den regelmäßigen BesucherInnen des »N. Ostrowski« gehörten auch die Rädelsführer des Pogroms und die zwölf Angeklagten im Alter zwischen 20 und 25 Jahren, die von hier aus in den späten Abendstunden am 19. Februar 1993 aufbrachen, »um Zecken zu klatschen« und dabei Maik Zerna, den 23jährigen Schlagzeuger der nicht-rechten Band Necromantics töteten und dessen Bruder sowie weitere linke Jugendliche schwer verletzten.
Literatur und Filme zum Nachlesen und -schauen:
• Antifaschistisches Infoblatt Nr. 41, November /Dezember 1997
• »Viele habe ich erkannt« (D 1992/ 25 Min.), Julia Oelkers/Lars Maibaum.
Dokumentarvideo mit einem ehemaligen Vertragsarbeiter aus Hoyerswerda zum Pogrom
Bestellbar über: autofocus videowerkstatt: www.videowerkstatt.de