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Graue Wölfe in der Regierung angekommen

Einleitung

»Danke Türkei« heißt es in Istanbul auf über den Straßen gespannten Transparenten. Darunter drei Halbmonde, das Zeichen der faschistischen Milliyetçi Hareket Partisi („Partei der Nationalistischen Bewegung“), das dieser Tage überall in den Straßen präsent ist. Die Milliyetçi Hareket Partisi (MHP)  bedankte sich für den überraschend großen Wahlerfolg bei den Parlamentswahlen vom 18. April 1999. 18,1 Prozent der WählerInnen stimmten an diesem Tag für die extrem nationalistische, antisemitische und rassistische MHP und machten sie damit zur zweitstärksten Partei nach der DSP von Regierungschef Bülent Ecevit, die auf 22,6 Prozent der Stimmen kam. Die Folge: Seit dem 28. Mai sind die türkischen Faschisten an der Regierung beteiligt. An diesem Tag unterzeichneten der amtierende Ministerpräsident Ecevit für die DSP und die Parteivorsitzenden von MHP und Anavatan Partisi ("Mutterlandspartei") das Koalitionsprotokoll der 57. türkischen Regierung.

Bild: wikimedia.org/Darwinek/CC BY-SA 3.0

Die Türkei nach dem Wahlerfolg und der Regierungsbeteiligung der faschistischen MHP

Mit einem Wahlerfolg der in Deutschland vor allem als Bozkurtlar ("Graue Wölfe") 1 bekannten MHP und ihres Traums vom großtürkischen Reich war zwar gerechnet worden.

Daß die Faschisten ihr Ergebnis von vor vier Jahren mehr als verdoppeln würden, hatte niemand wirklich erwartet. Auch die weiteren Ergebnisse der Wahl scheinen richtungsweisend: Die Demokratik Sol Parti (DSP) wurde in ihrem Kurs bestätigt, die traditionelle kemalistische Partei kam zum ersten Mal seit ihrem Bestehen nicht ins Parlament, die konservativen, aber pro-europäisch eingestellten Parteien der Ex-Premiers Tansu Çiller und Mesut Yılmaz verloren stark. Die linke, pro-kurdische  Halkın Demokrasi Partisi („Partei der Demokratie des Volkes“) erhielt zwar in Kurdistan viele Stimmen und gewann dort einige Bürgermeister-Posten, schaffte es türkeiweit aber nicht über die 10-Prozent-Hürde.

Die MHP: Der Wolf im Schafspelz

Bei ihrem Erfolg dürften die Faschisten vor allem von der derzeitigen Stimmung in der Türkei profitiert haben: Einhergehend mit der starken Forcierung einer militärischen »Lösung« des Krieges in Kurdistan hat sich die innenpolitische Situation in der Türkei seit 1997 verschärft. Nationalismus, Rassismus und der Druck auf die Linke durch Staat und Faschisten haben stark zugenommmen. Nach der Entrührung von PKK-Chef Abdullah Öcalan durch den türkischen Geheimdienst Anfang des Jahres ging eine Welle des Nationalismus durch das Land. Der MHP fiel es nicht schwer, diese Stimmung aufzufangen und in Wählerstimmen umzumünzen.

Besonders stark wurde die MHP in den ländlichen Regionen Zentral-Anatoliens, wo durch die Nähe zu Kurdistan die Stimmung bezüglich des Krieges besonders polarisiert ist. Gerade hier haben die Faschisten auch von den starken Verlusten der islamistischen Fazilet Partisi ("Tugendpartei") profitiert. Grund für die Einbußen der Islamisten bei dem Urnengang ist dabei vor allem der Druck der Armee, die bemüht ist, den im Aufwind befindlichen Fundamentalismus zurückzudrängen und die kemalistischen Prinzipien der Säkularisierung und Zuwendung nach Europa hochzuhalten.

Ein weiterer Grund für den MHP-Erfolg dürfte bei den Faschisten selbst zu suchen sein. Seit dem Tod des Parteigründers und -führers Alparslan Türkeş vor zwei Jahren, versucht die Partei, in der Öffentlichkeit ein anderes Bild von sich zu installieren: Die Bozkurtlar ("Grauen Wölfe") wollen den Terror und die unzähligen Morde insbesondere der siebziger Jahre vergessen machen und sich als seriöse, wählbare Partei präsentieren. Das Image als Terrortruppe und die Kaderpartei MHP sollen - zumindest in der Öffentlichkeit - der Vergangenheit angehören, wenn es nach der Linie des Türkes-Nachfolgers Devlet Bahçeli geht. Dies mag den Faschisten noch nicht so ganz gelingen - die Taten der Grauen Wölfe sind bei vielen unvergessen -, an der Praxis insbesondere des jungen Parteivolks hat sich kaum etwas geändert: Überfälle auf Linke und Kurden gehören nach wie vor zum Alltag. Dem Erfolg der neuen Parteilinie scheint dies aber ebensowenig zu schaden wie die Tatsache, daß Parteichef Devlet Bahçeli ungeniert zugibt: »Wir haben uns nicht geändert, nur wie man uns betrachtet hat sich geändert

Unterstützung bekommt die MHP bei ihrem Imagewandel nun auch verstärkt durch die türkischen Medien und den Staat. Dort ist man bemüht, die zweitstärkste Partei zu integrieren, um die politische Stabilität nicht zu gefährden, und wird nicht müde zu bestätigen, daß sich die MHP geändert habe.

Aussichten

Die öffentliche Reinwaschung der türkischen Faschisten hat ihr Ziel offensichtlich erreicht: Aufschreie über die Regierungsbeteiligung der Grauen Wölfe seit dem 28. Mai blieben jedenfalls aus. Die Nationalisten sind nun für das Verteidigungs-, Industrie- und Handels-, Öffentliche Arbeiten, Gesundheits-, Verkehrs- und Landwirtschaftsministerium zuständig. Daß ihre Koalitionpartner sich rühmen, ihnen die »Schlüsselministerien« vorenthalten zu haben, mag wohl nur ein schwacher Trost sein. Ein Rechtsruck in den entscheidenderen Feldern der türkischen Politik wird sich auch ohne die direkte Führung der MHP vollziehen, denn an einem Koalitionspartner, der 18,1 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte, läßt sich schwerlich vorbeiregieren.

In der Türkei macht man sich deshalb auf eine nochmalige Verschärfung des innenpolitischen Klimas und der Stimmung in der Bevölkerung gefaßt. Nationalismus, Chauvinismus und die Angriffe auf die Linke, Gewerkschaften und Menschenrechtsgruppen werden stärker werden. Eine friedliche Lösung in Kurdistan rückt in weite Ferne. Außenpolitsch werden das Wahlergebnis und die neue Regierung voraussichtlich eine stärkere Abwendung von Europa und eine härtere Gangart gegen Länder wie Griechenland bedeuten. Noch nachhaltiger als der politische Stimmungsumschwung könnte sich die anstehende Verwebung zwischen staatlichen und faschistischen Strukturen auswirken. Diese existiert zwar vor allem auf der Ebene von Polizei, Gendarmerie und Miltär bereits, wird sich nun aber auf andere Ebenen ausweiten und muß nicht mehr so sehr kaschiert werden wie bislang.

Abzuwarten bleibt indes, wie sich die letztendlich am längsten Hebel sitzende türkische Armee zur neuen Rolle der MHP verhalten wird. Zwar sind die Generäle auf eine stabile politische Situation bedacht. Aber ein politischer Kurs, der eine Abwendung von Europa bedeutet, und auch die von der MHP postulierte Synthese von Staat und Islam dürften den Militärs kaum schmecken.

  • 1In den siebziger Jahren benannten sich insbesondere junge MHP-Anhänger nach dem grauen Wolf im MHP-Parteiabzeichen. In diesem Sinne galt der Begriff vor allem für die Bewegung und nicht für die MHP selbst. Heute wird er oft für türkische Rechtsradikale allgemein und dort insbesondere für die MHP verwandt.