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"Hammerskins" in der Schweiz (1998)

Antifa Bern
Einleitung

Im vergangenen halben Jahr entwickelte die Westschweizer Sektion der "Hammerskins" einen Aktionismus, der bis dahin von dieser Neonazi-Skinheadfraktion wenig bekannt war oder kaum wahrgenommen wurde. Das Neonazi-Rockkonzert Anfang März 1998, bei dem etwa 800 TeilnehmerInnen aus ganz Europa gezählt wurden (siehe AIB Nr. 43), und die anschließende Medienberichterstattung markierten den Beginn eines breiteren öffentlichen Interesses für die rassistischen Skinheads in der Schweiz. Zudem verschaffte der Dokumentarfilm »Skin or die«, der mehrere westschweizer "Hammerskins" über einen Zeitraum von 20 Monaten begleitete und porträtiert, sowie der soeben erschienene Bericht der Bundespolizei »Skinheads in der Schweiz« einen weiteren Einblick in die auf rund 500 Boneheads geschätzte Szene. Die Debatte über den Umgang mit den Neofaschisten erhält eine weitere Dimension, da in der Schweiz am 7. Juni 1998 in einer Volksabstimmung über die Abschaffung der Politischen Polizei befunden wird.

Foto: Exif-Recherche/Archiv

Aktiv für die "Hammerskins": Mirko Hesse (links), Karolina Wisniewska (2.v.l.) und Olivier Kunz (rechts).

Schweizer RechtsRock Konzerte

Angefangen hatte alles mit einer Zeitungsnotiz in der unabhängigen linken "Wochenzeitung" (WoZ) vom 5. März 1998. Darin wurde äußerst knapp auf ein unmittelbar bevorstehendes Neonazi-Rockkonzert hingewiesen. Die Existenz einer militanten Neonazi-Szene in der Westschweiz war zwar bekannt. Die Neonazis wurden jedoch als kaum mehr handlungsfähig eingeschätzt, nachdem ihre wenigen exponierten Kader vor zwei Jahren aufgrund der Antirassismusgesetzgebung verurteilt worden waren. Die mit der Anwesenheit von Neonazi-Skinheads aus Frankreich, Deutschland, Italien, Liechtenstein, Polen und der Schweiz an den Tag gelegte Mobilisierungsfähigkeit der Neuenburger (Kanton in der Westschweiz) "Hammerskins" strafte diese Einschätzung Lügen.

Am 7. März 1998 fanden sich in Chézard-Saint-Martin rund 700 Boneheads für den Auftritt von „The Voice“ (USA), „Corona Ferrea“ (Italien) und „Noie Werte“ (BRD) zusammen. Zusätzlich war noch "Odins Law" aus Kanada angekündigt worden. Als Organisator fungierte "Mjölnir Diffusion" um den 24 Jahre alte ausgebildete Feinmechaniker Olivier Kunz , wohnhaft in der Stadt Neuchatel (Neuenburg). Kunz ist bereits seit einiger Zeit als "Hammerskin" bekannt, vor allem als ehemaliger Mitherausgeber des Skinzine "Mjölnir" (Hammer des germanischen Gottes Thor), das so lange es erschien offizielles Organ der Westschweizer Sektion der "Hammerskins" war. Aufgrund des rassistischen und antisemitischen Inhaltes des Skinzines wurde Kunz 1996 zu zwei Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Die «Romandie Hammerskins» um Olivier Kunz und Karolina Wisniewska/Kunz unterhalten in Sachen Konzert-Organisation auch organisatorische Kontakte zu Mirko Hesse von den "Hammerskins" in Sachsen.

Mit dem Medienrummel nach Bekanntwerden der neuen Qualität des Konzerts wurden praktisch täglich neue Meldungen über im letzten Jahr in der gleichen Region von Kunz und Konsorten organisierte Konzerte und Treffen bekannt. Das größte Ereignis war ein Konzert am 15. November 1997, bei dem die Bands "Celtic Warrior" um Billy Bartlett (England), "Excalibur" (Tschechien) und die in Frankreich indizierte "Fraction Hexagon" (Nizza) auftraten. Auch damals wurde unter einem Vorwand eine öffentliche Mehrzweckhalle angemietet. Doch damit nicht genug: Trotz der durch den Druck der Öffentlichkeit erfolgten Bemühungen der Justizdirektion von Neuenburg, die Kommunen für zweifelhafte Reservationsbegehren zu sensibilisieren und Neonazi-Rockkonzerte zu unterbinden, wußten sich Kunz & Co zu helfen. Wenn der eine Kanton Schwierigkeiten macht, weicht man eben in den ändern aus. So geschehen am Ostersamstag, als in unmittelbarer Grenznähe zu Neuenburg im Kanton Waadt wiederum ein Konzert stattfand, von dem bis jetzt noch keine genaueren Informationen vorliegen.1 Vor Ort hält sich das Gerücht, das Kunz der Sohn eines Neuenburger Kantonspolizisten sei und möglicherweise deswegen wenig Schwierigkeiten bei der Konzert-Organisation hätte.

Machwerk oder »Aufklärung«?

Der Gerichtsprozeß gegen Kunz und einen Mitbeteiligten wegen Verstoßes gegen die Antirassismusgesetzgebung war für den Filmemacher Daniel Schweizer der Ausgangspunkt, die "Hammerskins" dokumentarisch zu begleiten. Auf dem Dokumentarfilmfestival von Nyon sowie auf zwei Fernsehsendern (u.a. arte) wurde das Werk nun Anfang Mai ausgestrahlt.

Bereits im Vorfeld der Erstausstrahlung wurde über den Nutzen einer unkommentierten Darstellung der "Hammerskins" diskutiert. Verschiedentlich waren Stimmen zu hören, die eine Ausstrahlung verbieten wollten und gar von einem »Machwerk« sprachen, das letzten Endes nur der unzensierten Selbstdarstellung militanter Neonazis diene. Obwohl diese Argumentation nach Betrachten des Filmes durchaus verständlich ist, erfüllt der Film für Schweizerische Verhältnisse eine nicht zu unterschätzende Aufgabe: Indem auf die sozialen Umstände der Porträtierten eingegangen wird und nichts anderes - abgesehen von der Kurzhaarfrisur, den Tätowierungen und der Kleidung -, als ein Bild durchschnittlicher junger Schweizer Bürger erscheint, wird dem bis dahin in der Schweiz weit verbreiteten Bild der gescheiterten, arbeitslosen, alkoholisierten und in zerrütteten Familienverhältnissen aufgewachsenen »jugendlichen Gewalttäters« eine klare Absage erteilt. Auch stilistisch hat der Filmemacher gezielt diesen Aspekt der »Normalität« der Neonazi-Skinheads in den Vordergrund gerückt. So wird zum Beispiel gezeigt, wie Kunz mit seinem Mobiltelefon bei einem Kurierdienst eine Pizza bestellt. Die Szene hat eindeutig nichts mit Boneheads zu tun, sondern zeigt den »netten Jungen von nebenan« bei einer heutzutage alltäglichen Handlung. Mit der gleichen Harmlosigkeit sprechen die "Hammerskins" über ihre rassistischen und gewaltverherrlichenden Ideen und ihren positiven Bezug auf das »Dritte Reich«.

Daniel Schweizer geht mit seinem Konzept von einer weitgehend sensibilisierten Öffentlichkeit aus, die schockiert und empört reagiert und die Darstellungen zu kontextualisieren weiß. An diesem Punkt setzt denn auch die Kritik an. Außer im Vorspann, wo der Regisseur seine Ablehnung der Ideen der "Hammerskins" in zwei Sätzen kundtut, wird an keiner Stelle auch nur in irgendeiner Weise den Aussagen widersprochen. Mit so einfachen Mitteln, wie dem Einblenden von richtigstellenden Fakten zu den historischen Lügen, auf die sich die Neonazi-Skins beziehen, hätte die in ihrer rassistischen Logik stimmige Argumentation ad absurdum geführt werden können.

Auch die Bundespolizei beobachtet...

Der unerwartete Aktualitätsgehalt, der dem Film mit dem bereits mehrfach erwähnten Konzert verliehen wurde, erfuhr noch einen weiteren Schub. Die Bundespolizei veröffentlichte im Mai 1998 eine erweiterte Fassung ihres vor zwei Jahren produzierten Berichtes »Skinheads in der Schweiz«. Wie zu erwarten, stehen auch bei den staatlich besoldeten Schnüfflern die "Hammerskins" hoch im Kurs. Die 160 Seiten starke Dokumentation veröffentlicht, was sonst bei Staatsschutz-Publikationen eher unüblich ist, aktuelle Postfach-Anschriften und sogar einzelne Telefonnummern der Neonazis.

Was allerdings die Entstehungsgeschichte der Skinheadbewegung angeht, bleibt sie genauso mangelhaft wie auch der Film »Skin or die«. Auf die Existenz von nicht- oder antirassistischen Skinheads, Bewegungen wie SHARP oder Redskins wird mit keinem Wort eingegangen.

Trotz relativ genauer Kenntnisse der Nazi-Skinheadszene scheint sich die Arbeit der Bundespolizei im Schnüffeln und Dokumentieren zu erschöpfen. So kündigten die Organisatoren des oben erwähnten Konzerts (u.a. Oliver Kunz) der Politischen Polizei des Kantons Neuenburg die Veranstaltung bereits zwei Wochen im Voraus an. Die lokalen Polizeistellen taten nichts anderes, als die Kommune, in deren Saalbauten das Treffen stattgefunden hatte, vor einer Absage zu warnen, da dies zu Ausschreitungen führen könnte. Der Gemeindepräsident hatte sich nach Bekanntwerden des Hintergrundes der »Verlobungsfeier« zwar gegen eine solche Veranstaltung in seinen Lokalitäten ausgesprochen, fügte sich jedoch. Das Konzert war tatsächlich eine Verlobungsfeier. Oliver Kunz verlobte sichhier  mit der polnischen Neonazi-Renee Karolina Wisniewska (Warschau). Sie ist schon länger in neonazistischen Skinhead-Kreisen aktiv und gab in Polen das Neonazi-Fanzine "Walkiria" heraus.

Ähnlich »sehbehindert« oder gar blind auf dem rechten Auge war die Politische Polizei auch nach einem bewaffneten Überfall der Deutschschweizer "Hammerskins" auf das Festival für Völkerfreundschaft in der Zentralschweiz im November 1995. Ganze 48 Stunden hatten die Beteiligten Zeit, kompromittierendes Material verschwinden zu lassen, bevor die namentlich bekannten Rassisten von den zuständigen Behörden zur Verantwortung gezogen wurden.

Legitimierung des Staatsschutzes

Die bevorstehende Volksabstimmung zur Abschaffung der Politischen Polizei verleiht der Debatte eine weitere, nicht zu unterschätzende Dimension: Von Seiten der politischen Rechten und Verfechtern einer Politischen Polizei, die sich nun mit allen Mitteln gegen die Abschaffung der Schnüffelbehörden wenden, wird ausgerechnet die Überwachung und präventive Informationsbeschaffung im Bereich des Neofaschismus als Argument für die Beibehaltung der Schnüffelpolizei ins Feld geführt.

Gerade aber der Überfall auf das Festival für Völkerfreundschaft wurde weder durch die Politische Polizei verhindert, noch wurden die darauf folgenden Prozesse dank Staatsschutzerkenntnissen geführt, sondern schlicht und einfach aufgrund von strafrechtsrelevanten Tatbeständen. Auch wenn die Umstände der vermehrten Beachtung neonazistischer Umtriebe, wie auch das vermehrte Auftreten der "Hammerskins", durch zufällige Konstellationen zustande gekommen sind, so kann doch abschließend festgehalten werden, daß das lange gültige Bild von der Schweiz als ruhigem Hinter- bzw. Infrastrukturland endgültig überholt ist. Das vermehrte und selbstsichere Auftreten der Neonazi-Skinheads, sowie deren kontinuierliches Anwachsen hat weiten Kreisen der demokratischen Öffentlichkeit gegenüber dem zu lange mit tabuisierenden Stereotypen belegten Bereich die Augen geöffnet.

  • 1Nachtrag: Am 21. März 1998 fand in einer Scheune in Root eine "Hammerskin"-Feier statt. Am 11.April 1998 fand in Concise/Orbe ein von Kunz ("Mjölnir Diffusion") organisiertes Neonazi-Skinheadkonzert statt. Bis zu 300 TeilnehmerInnen aus Deutschland, Frankreich, Italien, Polen, Australien und der Schweiz nutzten hierfür den Gemeindesaal. Am 16. Mai 1998 fand in L'Abergement ein Neonazi-Skinhead-Konzert mit drei Bands aus Deutschland, Finnland und den USA statt. Organisiert wieder von "Mjölnir Diffusion" um Kunz. Rund 250 TeilnehmerInnen aus der Schweiz, Deutschland, Frankreich, Österreich, Ungarn, Fürstentum Liechtenstein, Italien und Belgien reisten an.