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Hoch gepokert, flach gefragt

der Thüringer Antirepressionsgruppe (TARG) (Gastbeitrag)
Einleitung

Im Dezember 1999 warfen in Erfurt die »Autonomen DekorateurInnen« Farbbeutel auf das Innenministerium. Sie protestierten gegen die Festnahmen von Harald, Axel und Sabine aus Berlin und Frankfurt, denen Mitgliedschaft bei den Revolutionären Zellen vorgeworfen wird. Kurz darauf, im Januar 2000 meldeten die Medien einen Brandanschlag auf das Innenministerium, zu dem sich bis heute niemand bekannte. Bis auf einen Brandfleck vor dem Eingang entstand kein Sachschaden.

Die erfolglose Durchsuchung des Mehringhofes in Berlin wegen angeblichem RZ-Sprengstoff im Dezember 1999.

Mitte Oktober 2000 erhielten fünf Erfurterinnen Zeugenvorladungen. Der Hintergrund: Ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannt im Zusammenhang mit Sachbeschädigung (Sprühereien und Plakate) und versuchter Brandstiftung. Mehrere Monate beschäftigten die Vorladungen – zunächst beim LKA, dann bei der Staatsanwaltschaft – fünf StudentInnen aus dem Fachbereich Sozialwesen an der FH Erfurt und ihre FreundInnen und GenossInnen. Zwei Leute, die selbst nicht aus der Szenekommen, machten Aussagen vor dem Staatsanwalt, wurden aber nach eigenen Angaben kaum befragt.

Die drei, die auch vor dem eher uninteressiert erscheinenden Staatsanwalt jede Aussage verweigerten und dafür ein Bußgeld von je 300,- D-Mark kassierten, wurden nun im Mai 2001 vor das Amtsgericht geladen. Zwei Vernehmungen liefen bereits. Der vernehmende Richter ließ kein verschärftes Interesse am Verfahren erkennen. Er drängte die zur Aussageverweigerung entschlossenen ZeugInnen regelrecht zu der Aussage: »Ich weiß über den Sachverhalt nichts und werde deshalb keine Aussagen machen«, so dass ein weiteres Bußgeld oder die befürchtete Beugehaft von bis zu sechs Monaten nicht verhängt wurden. Eine dritte Vernehmung steht noch aus.

Von »kriminellen Vereinigungen« und linken Zeitungen

Zunächst war das Verfahren nach §129 StGB mit dem Vorwurf »Bildung einer kriminellen Vereinigung« geführt worden. Der §129 ermöglicht weit reichende grundrechtseinschränkende Ermittlungsbefugnisse wie vereinfachte Hausdurchsuchungen, Observationen, Abhören und Postkontrolle. Das verhieß für alle weiteren Maßnahmen der Staatsgewalt, z.B. Beugehaft bei der Aussageverweigerung, wenig Gutes. Der Generalbundesanwalt lehnte es aber Anfang 2001 ab, das Verfahren zu übernehmen, da kein Verdacht auf eine kriminelle Vereinigung bestünde. DasVerfahren wurde umgewandelt, der Hauptvorwurf lautet nun Brandstiftung.

Den einzigen Zusammenhang zwischen den »autonomen DekorateurInnen« und den vorgeladenen StudentInnen stellt offenbar die linke Zeitschrift »Spunk« aus Erfurt dar. Diese wird anonym hergestellt und hat ein Postfach beim Fachschaftsrat Sozialwesen. Die Fachschaft fungiert nicht als Herausgeberin der Zeitung, sondern stellt lediglich ihre Postadresse zur Verfügung. In der »Spunk« wurde im Januar 2000 das Bekennerschreiben abgedruckt.

Der § 129 sowie seine Verschärfung § 129a sind Ermittlungsparagrafen. Sie setzen fundamentale Grundrechte und die Unschuldsvermutung außer Kraft. Ein konkreter Einzeltatnachweis ist nicht mehr nötig. Sie dienen dazu, linke Strukturen zu diskreditieren, beschäftigen, einzuschüchtern, zu durchleuchten und zu kriminalisieren. Die Verurteilungsquote liegt bei unter 5 Prozent. Der Verfahrensverlauf hat in Erfurt viele Leute ziemlich viele Nerven gekostet. Wir glauben trotzdem, dass die hartnäckige Aussageverweigerung politisch richtig und wichtig war. Sie hat gezeigt, dass auch in jungen Strukturen und kleinen Städten wie Erfurt der Versuch, Strukturen auszuforschen und Leute zum Reden über GenossInnen, MitstudentInnen oder FreundInnen zu bringen, auf Granit beißen kann.

Noch steht eine dritte Vorladung aus. Sollte auch diese Vorladung ähnlich flach ausfallen wie die anderen beiden, hat die Thüringer Antirepressionsgruppe bald etwas zu feiern. Einen Ort hat sie auch: Seit Juni 2001 ist einHaus auf dem Gelände der ehemaligen Firma Topf & Söhne besetzt. Dort finden neben Konzerten auch viele antifaschistische Veranstaltungen statt: Auf dem Gelände wurden bis 1944 Krematorien für die Vernichtungslager Auschwitz und Buchenwald produziert. Aber: Noch ist das Verfahren nicht beendet, also haltet die Augen offen.