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Interview mit Adolf Burger

Einleitung

Wir veröffentlichen Teile aus einem Interview mit Adolf Burger, einem der letzten Überlebenden aus dem Kreis der Häftlinge, die von den Nazis zur Falschgeldproduktion gezwungen worden waren. Burger wurde wieder aktiv, als er ein Flugblatt der Neonazigruppe »Kampfbund Deutscher Soldaten« (KDS) von Erwin Schönborn las. Darin wurden 10.000 DM als Belohnung für denjenigen ausgesetzt, der den „einwandfreien Nachweis“ für Vergasungen in einem deutschen KZ bringen würde. Adolf Burger schrieb über seine Erlebnisse in deutschen KZ's ein Buch mit dem Titel »Des Teufels Werkstatt«, erschienen im Verlag Neues Leben, Berlin (DDR). Demnächst wird eine neue Broschüre von ihm erscheinen. Gegen den den SS-Unterscharführer und KZ-Aufseher Gottfried Weise („Wilhelm Tell von Auschwitz“) sagte er in Wuppertal als Zeuge Ende der 1980er Jahre aus, gegen den KZ-Aufseher und SS-Unterscharführer Heinrich-Johannes Kühnemann im Dezember 1991.

Foto: wikimedia.org; Thierry Caro; CC BY-SA 3.0

»Des Teufels Werkstatt«

Adolf Burger wurde 1917 in Veľká Lomnica in der Slowakei geboren. Nach seiner Schulzeit machte er eine Lehre als Typograph. Die Wahl dieses Handwerks erwies sich für ihn später als sehr hilfreich im Kampf gegen den Nationalsozialismus. 1937 wurde er zum Wehrdienst in die tschechoslowakische Armee einberufen und besuchte die Unteroffiziersschule des 3. Gebirgsinfanterieregiments. Nachdem die Hlinkapartei, also "Hlinkas Slowakische Volkspartei" ("Hlinkova slovenská ľudová strana" / HSĽS) mit Hilfe der deutschen Nationalsozialisten die gewaltsame Trennung der Slowakei von den böhmischen Ländern durchgeführt hatte, schied er aus der Armee aus und arbeitete in Bratislava in einer Buchdruckerei. Während seiner Tätigkeit als Drucker trat er in die illegale "Slowakische Kommunistische Partei" ("Komunistická strana Slovenska") ein und arbeitete 1939 in einer Widerstandszelle mit sechs Personen. Seine Aufgaben waren gefälschte Dokumente beglaubigen zu lassen und Taufscheine zu drucken. Diese Tätigkeit übte er über drei Jahre aus, bis eines Tages im Juni 1942 bei ihm eine Hausdurchsuchung von Hlinkgardisten und Gestapo stattfand und er daraufhin am 11. August auf seiner Arbeit festgenommen wurde. Bei einem kurzen Verhör wurde ihm klar, daß es um seinen politischen Widerstand ging. Er wurde in ein Sammellager gesteckt, wo er seine Frau wiedersah. Von dort ging es nach Auschwitz. An der Rampe wurde er von seiner Frau getrennt und der SS- Hauptsturmbannführer Dr. Josef Mengele stellte drei Fragen, die über Leben und Tod entschieden: 1. Alter, 2. Beruf, 3. Gesundheitszustand. Von Auschwitz führte in dann der Weg in das KZ- Sachsenhausen in Oranienburg bei Berlin, wo er dem Block 18/19 zugeteilt wurde.

Dort befand  sich die Geldfälscherwerkstatt, die der Idee von dem SS/SD-Funktionär Alfred Naujocks entsprang, der ein Untergebener von Reinhard Heydrich war. Naujocks war auch dabei, als der vorgetäuschte Überfall auf den deutschen Sender von Gleiwitz stattfand, um den Krieg gegen Polen vor der Weltöffentlichkeit zu rechtfertigen. Im September 1942 nahm das Kommando die Arbeit auf und im  Januar 1943 begann die Produktion des Falschgeldes, das die Währung der Kriegsgegner schwächen sollte. Aber auch Briefmarken und Dokumente wurden hergestellt. Bei Kriegsende waren über 40% der englischen Pfundnoten gefälscht. Mit dem Falschgeld sollten ausländische Waffengeschäfte, Rohstoffeinkäufe für die Rüstungsindustrie sowie das Nazi-Agentennetz im Ausland finanziert werden. Als sich die Rote Armee im Frühjahr 1944 Berlin näherte, wurde die Fälscherwerkstatt mitsamt den beteiligten Häftlingen in das KZ -Ebensee im österreichischen Salzkammergut gebracht.

Die Nazis hatten die »Alpenfestung« im schwer zugänglichen Ausseer Land als ihre letzte Rückzugsmöglichkeit vorgesehen. Bei Redlzipf in einem stillgelegten Bergstollen sollte die Produktion weiterlaufen. Das bereits gedruckte Geld war in 80 sargähnlichen Kisten mitgenommen worden. Die Häftlinge bekamen diese Kisten Ende April in Redlzipf beim Ausladen das letzte Mal zu sehen. Kurz darauf flüchteten die Wachmannschaften, darunter SS- Sturmbannführer Bernhard Krüger, der Leiter des Falschgeldprojektes, vor den anrückenden Amerikanern. Etliche Kisten des Falschgeldes sowie das gesamte Inventar der Fälscherwerkstatt ließ der SS-Offizier Wilhelm Höttl wenige Tage vor Kriegsende im Toplitzsee versenken. Für den Vertrieb der Blüten war SS-Sturmbannführer Friedrich Schwend (alias Dr. Fritz Wendig) zuständig gewesen. Von jeder in Umlauf gebrachten Pfundnote bekam er 33,3% - das bedeutete eine Milliardensumme. Darüber sollte er den Vertrieb finanzieren. Er kaufte für das internationale Vertriebsnetz Fahrzeuge, Schiffe, Häuser und baute ein umfangreiches Netz von Stützpunkten und Kurieren auf. Die bei Kriegsende übriggebliebenen Pfundnoten und das von Friedrich Schwend geschaffene Netz boten später ein solides Fundament für das gigantische Fluchtsystem der Nazis.

Es ist zu vermuten, daß in dem »Unternehmen Bernhard« - benannt nach dem Leiter Bernhard Krüger - schon frühzeitig die Weichen für diesen Zweck gestellt wurden. Ein Großteil des englischen Falschgeldes wurde im Toplitzsee versenkt ( neben wichtigen Geheimdokumenten aus der Nazi-Zeit), doch Blüten kursierten noch in den 1950er Jahren. Erst 1959 wurden diese Banknoten mit der identischen Seriennummer von der Bank für England für ungültig erklärt. Einen Teil des Profits aus der Falschgeldaktion soll Friedrich Schwend nach dem Krieg zusammen mit dem ehemaligen Gruppenleiter im Reichssicherheitshauptamt Walter Rauff, dem Verantwortlichen für die Vergasungswagen, zur Finanzierung der ODESSA (Organisation der ehemaligen/entlassenen SS-Angehörigen) eingesetzt haben.

Interview mit Adolf Burger

Wie haben Sie den Anfang des »3. Reiches« erlebt?

Burger: Als 1933 Hitler an die Macht kam, hatte ich noch gar kein Interesse an Politik. Das änderte sich aber im Jahr 1938, wo schon viele Flüchtlinge bei uns in der Tschechoslowakei waren. Flüchtlinge waren Österreicher, Deutsche, Sozialdemokraten und Kommunisten, und als die Klerofaschisten an die Macht kamen und ihre eigene SS aufstellten, die Hlinkagarde, wurde die Kommunistische Partei verboten, und so war es, daß ich seit 1939 illegal in der Partei war. Dort arbeitete ich als Drucker und fälschte Urkunden usw. Das habe ich bis 1942 gemacht, bis meine Frau und dann ich verhaftet wurden und wir ins KZ kamen. In dieser Zeit wurden auch die Ariergesetze in der Tschechoslowakei herausgebracht, genauso wie in Deutschland, und es wurden aus der kleinen Slowakei über 100.000 Juden in die KZ's Auschwitz und Birkenau gebracht. In dem Transport, mit dem ich weggebracht wurde, waren 1.000 Menschen, von denen nur 17 nach 1945 wieder kamen.

Wurden Sie von einem Gericht verurteilt, wenn ja mit welcher Begründung, und worauf stützte sich das Urteil?

Burger: Nein ich wurde überhaupt nicht verurteilt, man hat uns alle nach einen kurzen Verhör einfach in den Transport nach Auschwitz gesteckt.

In welchen KZ's waren Sie?

Burger: Ich kam am 17. November 1942 nach Auschwitz, dort war ich bis zum 15. Dezember. Dann kam ich nach Birkenau, und in Birkenau war ich bis März 1944. Von dort kam ich als Drucker nach Sachsenhausen in das Sicherheitskommando, wo wir u.a. Geld fälschen mussten. Im Januar 1945 wurde alles nach Mauthausen »evakuiert«, Maschinen und Menschen, weil die Rote Armee schon vor Berlin stand. Dort befanden wir uns isoliert von der SS und den anderen Gefangenen und hatten nur Kontakt mit dem Sicherheitsdienst. Von dort sollten wir in die Festung gebracht werden, wo die V-1 gebaut wurde, und die letzte Schlacht stattfinden sollte. Im Lager Mauthausen hat man uns nach Redlsiep gebracht, und wir mußten die ganzen Maschinen wieder aufbauen. Dann kam der 1. Mai, wo wir gelesen haben, daß Hitler an der Spitze seiner Armee den Heldentod gestorben sei und wir wussten, dass dies unser Tod sein sollte. Am 4. April wurden wir von Redlsiep zum KZ Ebensee gebracht, das letzte KZ, das noch nicht befreit worden war, dort sollten wir in den Stollen liquidiert werden. Doch Hauptsturmführer Werner hatte keine LKW's mehr, womit sie uns in den Stollen hätten bringen können. Zu der Zeit hörte die SS, dass die Alliierten nur 15 km von Ebensee entfernt waren und wir sahen, wie die Herrenmenschen in Zivil mit ihren Koffern wie die Hasen weg liefen. Da dachten wir, jetzt ist alles zu Ende, denn wir waren das größte Staatsgeheimnis des 3. Reiches. Denn nur Hitler, Himmler, Kaltenbrunner, Heydrich und ca. 20 Personen vom Sicherheitsdienst bzw. die Leute, die uns bewacht hatten, wussten von dem Projekt, an dem wir gearbeitet hatten. Doch das war für uns die Befreiung, denn wir kamen in ein »normales« Lager und wir konnten uns unter 16.000 Häftlinge mischen. Am 5. Mai waren wir schon befreit, denn die Häftlinge waren schon bewaffnet, als die Amerikaner am 7. Mai einmarschierten.

Haben Sie ungefähr einen Überblick, wieviel Falschgeld gedruckt worden ist?

Burger: Also schauen Sie, was das jugoslawische Geld betrifft, habe ich mehrere Hunderttausende gedruckt. Danach habe ich die Pfund-Sterling gedruckt und nach den Aufzeichnungen von Ingenieur Stein, der die Buchführung geleitet hatte, wissen wir genau, dass 1.003.400 Pfund Sterling gedruckt wurden. Das war so schrecklich viel. Nachdem wir den Engländern, Amerikanern und den Sowjets nach dem Krieg gesagt haben, was wir machen mussten, dass wir z.B. Pässe gefälscht haben, womit die Nazis auf ihrer Fluchtroute Spinne-Odessa flüchten konnten und, dass das ganze englische Geld so gut gefälscht war, dass sie es nicht erkennen konnten, so mussten sie bis auf die 5 Pfund-Noten alles für ungültig erklären und neu drucken. Dieses Geld läuft bis heute noch.

Wie haben sich die »normalen« Aufpasser den Gefangenen gegenüber verhalten?

Burger: Also, die SS hat sich nach den Bestimmungen, die gegeben waren, verhalten. In Birkenau, Auschwitz und Mauthausen in den Vernichtungslagern wurden täglich Menschen von der SS erschlagen. Aber in Sachsenhausen war eine ganz andere SS, denn Krüger und Werner hatten nur ein einziges Ziel, die 142 „Toten auf Urlaub“, die mussten in so einer guten Verfassung sein, dass sie arbeiten konnten. Deshalb wurden wir bevorzugt behandelt, weiße Bettwäsche, Zeitungen, Brot, Suppe soviel wir wollten und selbst eine Tischtennisplatte hatten wir, wo ich mit dem SS-Mann Werner selbst Tischtennis gespielt habe. Obwohl ich Jude bin. Krüger, der einmal in der Woche zu uns kam, um Geld abzuholen, verteilte sogar Zigaretten unter uns, obwohl er ein SD bzw. SS-Mann war, aber er hat auch gesagt, wenn das oder dies nicht gemacht wird, dann erschieße ich vier Leute, in ganz ruhigem Ton.

Haben Sie gesehen, wie Menschen vergast bzw. getötet wurden?

Burger: Ich habe bei meinem ersten Arbeitskommando gesehen, wie jemand von SS-Wärtern erschossen wurde, der sich bei der Arbeit eine Steckrübe zum Essen eingesteckt hatte.

Was halten Sie davon, dass es nach so langer Zeit noch NS-Verfahren gibt?

Burger: Ich möchte so sagen, man hat versucht zu erklären, auch sehr intensiv vor ein paar Jahren zu erklären, dass diese Morde in den KZ usw. verjährt sind, aber die Weltmeinung (internationaler Druck) war so groß, dass Deutschland das nicht machen konnte, und ich glaube es ist für jeden, der in einem Prozess sitzt und von einem authentischen Zeugen hört, wie es damals war, dass dieses das Beste ist, daraus zu lernen. Und wenn ein Richter in einen Prozess 30, 40, 50 Zeugen anhört, und die erzählen, wie es früher war, dann ist das für ihn die beste Schule, die dieser Richter bekommen  kann.

Was haben Sie danach erlebt, konnten Sie sich ein »normales« Leben wieder aufbauen, wie haben Sie die Erlebnisse des »3. Reichs« verarbeitet bzw. verdrängt - geht das überhaupt?

Burger: Der Gedanke in mir, der mich getrieben hat auszuhalten und zu überleben schon in Auschwitz-Birkenau bei den Aufräumkommandos, war der, dass ich erzählen wollte, wozu diese Faschisten fähig waren. Man muss es so sehen: Wenn jemand, der noch nie politisch gearbeitet hatte, in ein KZ kam und keine eindeutige Einstellung hatte, der konnte dies alles nicht aushalten. Ich wusste, warum  ich dort bin und wusste, was ich will und ich glaube, der Wille ist in so einer Situation, wo man tagtäglich so grausame Sachen erleben musste, schrecklich wichtig.

Das war bis 1944, bis ich in das Sonderkommando kam, immer der wichtigste Grund. Nach der Befreiung holte ich mir auch direkt einen Fotoapparat und fotographierte das, was ich erlebt hatte. Nachdem ich wieder nach Prag gekommen war, ging ich direkt wieder in die Kommunistische Partei und danach zur Kriminalpolizei und sagte aus, was ich über die Geldfälschung wusste. Da ich nicht Tschechisch konnte, ging ich zu zwei Schriftstellern und habe denen meine Erlebnisse diktiert und im September 1945 kam schon die erste Broschüre heraus, die hieß »Der Häftling 64401 spricht«. Das war ein dünnes Heft, in dem ich über die Ereignisse in Auschwitz-Birkenau berichtete. Danach wollte ich mit keinen Menschen mehr darüber sprechen, auch mit meiner Frau nicht, bis zu diesem Jahr, wo das Flugblatt von den Nazis auftauchte, die 10.000 Mark Belohnung bezahlen wollten für jeden, der beweisen kann, dass Menschen in deutschen KZ's vergast wurden. Danach habe ich wieder angefangen zu recherchieren und habe mein erstes Buch herausgebracht, damit keiner auf die Neonazis hereinfallen kann, und ich sehe es jetzt als meine Aufgabe an, die Jugend zu warnen und werde 1992 ein Heft herausbringen, das für alle ist, wo drin steht wie es war.

Was können Sie zu der Entwicklung sagen, daß es heutzutage Menschen (Nazis) gibt, die leugnen, daß Menschen in KZ's vergast wurden?

Burger: Die Neonazis haben nicht nur dieses Flugblatt herausgebracht, sondern ganze Bücher über die »Auschwitzlüge«, und die glauben so wie früher Goebbels, wenn man dreimal lügt, dann wird es zur Wahrheit. Dagegen kann man nur kämpfen und das ist der einzige Weg.

Was halten Sie von dem neuen Nationalismus, der in vielen Ländern wieder »hochkommt«?

Burger: Ich erkläre mir die Sache ganz logisch und einfach. Ich bin heute 74 und ich wurde 1942 von einem 26 bis 27jährigen verhaftet. In Auschwitz hat mich ein 21jähriger geschlagen oder er hat die Leute in das Gas getrieben. Ich lebe und die leben auch. In der Tschechoslowakei und in der DDR war die Propaganda verboten und unter Gesetz gestellt und wurde auch bestraft. Heute im Rahmen der neuen Demokratie ist »alles» erlaubt. Das bedeutet: Die, die damals noch Angst hatten Propaganda zu machen, trauen sich heute wieder zu sprechen und kriechen jetzt wieder raus.

Sehen Sie eine Gefahr darin, daß die Neonazis durch die Demokratie wieder eine Chance bekommen?

Burger: Bestimmt ist es eine Gefahr, weil sie die Seele der jungen Menschen vergiften und es müsste in jeder  Demokratie unter Gesetz stehen, und wenn das nicht geschieht, wird ein großer Teil der Jugendlichen und Arbeitslosen darauf hereinfallen, wenn jemand sagt »Du bist arbeitslos, weil hier Zigeuner sind, Fremde hier arbeiten und Juden hier leben«, also diese Leute werden ein Nährboden dafür sein, dass sie unter diesen Parolen gegen die Regierung gehen werden. Das ist immer eine Gefahr, dass wo sie auftauchen, die Umgebung, das Leben und unsere Jugend vergiftet werden soll, und dagegen muß man kämpfen, das habe ich mir zur Aufgabe gestellt.

Vielen Dank für das Interview.