Kein kurzer Prozess. Die Skinheads Sächsische Schweiz bleiben aktiv
Jürgen Stuttgart (Gastbeitrag)Am 6. Februar sollte die erste Prozess-Staffel beendet sein hieß es Anfang August 2002. Nach der Flut, die einen Neustart des ersten Prozesses gegen die SSS notwendig machte, war von März 2003 die Rede. Kurz vor Jahreswechsel meinte die Staatsschutzkammer, es würde wohl Anfang September werden. Danach sollen drei weitere Staffeln folgen, die auf der Entscheidung beruhen, ob die SSS eine kriminelle Vereinigung nach § 129 waren. Herrschte an den ersten Prozesstagen noch Gedränge um Sitzplätze und große Medienpräsenz, ist seit Monaten kaum mehr ein Lokalblatt an einer eigenständigen Berichterstattung interessiert. Nur noch wenn es um etwas vermeintlich Spektakuläres geht, wie die dpa-Falschmeldung Mitte Januar 2003, wonach der Richter keine Beweise für eine kriminelle Vereinigung sehe, lassen sich JournalistInnen zu einigen Zeilen hinreißen.
Dabei haben es insbesondere die eingebrachten Sachbeweise, die aus den Hausdurchsuchungen im Jahr 2000 stammen, in sich. In den Aufzeichnungen spiegeln sich vom Gotcha über Konzerte, den obligaten Treffen der einzelnen Gruppen, der Rechtsschulung und der »Rassenkunde« bis hin zur Schnitzeljagd, die vielfältigen Aktivitäten der SSS und ihres Umfeldes wieder. Neben Märschen und Wanderungen fand sich unter dem Namen »Sport frei« eine insbesondere von Thomas Rackow aus Pirna voran getriebene Wehrsportgruppe (WSG): möglichst sollte jeder seinen Waffenberechtigungsschein machen und an Schießübungen teilnehmen. Das schloss neben dem Geländelauf in voller Montur das Observieren und Angreifen von Personen und das Schwimmen in voller Ausrüstung ein. Dabei sollte es gegen »linksextremistische Elemente«, aber auch gegen Hools gehen. Auch was die Ausstattung anbelangte, hatte Rackow detaillierte Vorstellungen: Tropen- und Winterausrüstung, Kampfmesser, Zwei-Mann-Zelte und Bundeswehr-Klappspaten. Die Truppe »unter dem Namen Wanderjugend« sollte auf ihren Koppeln das Symbol einer Wanderjugend aus dem »Dritten Reich« tragen.
»Antifa-Aktionen«, heißt es in den Unterlagen seien »im Keim zu erstikken«, wobei für eine WSG zu beachten sei: Die »Übergriffe müssen sorgfältig geplant sein«, um Ermittlungen zu entgehen. Rackows Anwalt Carsten Schrank dürfte einer der wenigen sein, die sich durch diese und andere Sachbeweise zu dem folgenden Satz verleiten lassen: »Ich halte vieles in hohem Maß für entlastend.« Entlastend gemeint waren auch die bislang gemachten Einlassungen von drei der Beschuldigten, zumindest waren sie so gedacht. Nachdem sich zu Beginn des Prozesses lediglich der Angeklagte Martin Dinse sehr ausführlich, aber unergiebig geäußert hatte, meldeten sich Ende Dezember in schriftlich vorbereiteter Form Rico D. und Andreas W. zu Wort. Außer Dinse und Rico D. sind alle Beschuldigten in dieser Staffel (ehemaliger) »Member SSS«.
Bereits zuvor hatte sich Andreas W.'s mitangeklagter Cousin André Vierig, der Kassenwart der SSS, eingelassen. Und hatte, so der Vorsitzende Richter, doch nur zugegeben, was ihm bereits nachgewiesen sei. Die Ende Dezember 2002 vorgetragenen Erklärungen waren dann der Gipfel der Verharmlosung. Es habe sich danach bei der SSS um einen Jugendverein gehandelt, in dem sich Leute gegenseitig beim Ausfüllen von Formularen halfen, sich zum Arbeitsamt brachten und einen Jugendclub ausbauten. Zugegeben, es sei reichlich getrunken worden, aber sonst war da gar nichts. Sollte es doch mal zu irgendeiner Auseinandersetzung gekommen sein, so war das eine alkoholbedingte Reiberei zwischen Einzelnen. Diese Aussagen seien eine Provokation der Kammer, so der Vorsitzende Richter, und fallen weit hinter die bereits bei der Polizei gemachten Aussagen zurück. Wer so rede, habe weder die Ermittlungen noch die Sachbeweise zur Kenntnis genommen.
Auf einem Nebenschauplatz vor dem Verwaltungsgericht Dresden – es ging um die Nennung von möglichen V-Leuten bei den SSS – erklärte ein Mitarbeiter des sächsischen Verfassungsschutzes, was schon bekannt war: Die Situation in der Sächsischen Schweiz machten weitere Ermittlungen seiner Behörde erforderlich, da man dort »ein erhebliches Aufklärungsinteresse« sehe. Immerhin handele es sich um eine »große und im Bereich Sächsische Schweiz flächendeckend aktive Organisation.« Durch die SSS bestand und bestehe eine Gefährdungslage. Dagegen erklärte der damalige sächsische Innenminister Klaus Hardraht (CDU) im Juni 2001: »Mit dem Verbot der ... Skinheads Sächsische Schweiz ... hat die Sächsische Staatsregierung erneut ein deutliches Signal gesetzt, dass rechtsextremistische Rattenfänger im Freistaat keine Entfaltungsmöglichkeiten haben.« Die Realität zeigte in den vergangenen Monaten, dass Angriffe auf nichtrechte Jugendliche wie am 1. Februar 2003, als ca. 20 Neonazis eine Geburtstagsfeier überfielen, weiterhin das Klima in der Region bestimmen.