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Mobilisierung gegen Minderheiten

Rafal Pankowski
Einleitung

Am 10. April 2010 starb das polnische Präsidentenpaar Kaczynski und mit ihnen rund 100 Angehörige der politischen Elite Polens bei einem Flugzeugabsturz im russischen Smolensk. Das Unglück wühlte die politische Landschaft auf. In der extremen Rechten kamen wilde Verschwörungstheorien auf, unter anderem auch vom katholisch-fundamentalistischen, antisemitischen Radio Maryja (siehe AIB # 85), das enge Verbindungen zur rechtspopulistischen Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwosc, PiS) aufweist. Es besteht Grund zur Sorge, dass die Rechtspopulisten nach den Präsidentenwahlen vom Juli neuen Auftrieb erhalten. Lech Kaczynskis Zwillingsbruder Jaroslaw als etablierter Vertreter der Rechten verlor die Wahl knapp.

In der Partei PiS finden sich auch extreme Rechte wie der Abgeordnete Artur Gorski, der in einer Rede vor dem Parlament die Wahl Barack Obamas zum US-Präsidenten als »das Ende der Zivilisation des weißen Mannes« bezeichnet hatte. Ein anderer Exponent der extremen Rechten ist Michal Kaminski, Vorsitzender der europaskeptischen Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten im EU-Parlament. Unser antifaschistisches Schwestermagazin Searchlight hatte die britischen Konservativen bereits im Mai 2009 gewarnt, eine Parlamentsgruppe mit Kaminski als Führer zu bilden, doch die Tories gingen das Wagnis ein. Kaminski war Mitglied der faschistischen Partei Nationale Wiedergeburt Polens (Narodowe Odrodzenie Polski, NOP) und tat sich als Abgeordneter beim Kampf gegen das Gedenken an den Pogrom von Jedwabne hervor. In dem Städtchen Jedwabne waren 1941 mehrere hundert jüdische Einwohner von ihren polnischen Nachbarn ermordet worden. Kaminski erklärte öffentlich seinen Stolz auf das extrem rechte Erbe der nationalistischen und antisemitischen »Endek«-Bewegung der Vorkriegszeit und trug bis vor kurzem das »Chrobry-Schwert«, das Symbol dieser Bewegung. Hetze gegen Minderheiten war ein typisches Merkmal der PiS-geführten Regierung von 2005–2007.

Der belgische Politologe Peter Vermeersch beschrieb die Situation 2007 folgendermaßen: »Die Kluft zwischen den Bemühungen der EU, für die Akzeptanz ethnischer Vielfältigkeit, Chancengerechtigkeit, Antidiskriminierung und soziale Inklusion zu werben, und der Weise, in der Minderheitenrechte in Polen geschützt werden, zeigt die gegenwärtigen Grenzen des europäischen Einflusses auf die innerstaatliche Politik und die innerstaatlichen sozialen Verhältnisse in den neuen Mitgliedsstaaten auf.«

Populistische Mobilisierungen gegen Minderheiten sind in der polnischen Politik trotz der geringen Zahl von Minderheitsangehörigen an der Tagesordnung. Als Folge des Holocaust und des zweiten Weltkriegs, aber auch der Umsiedlungen der Nachkriegszeit und der Auswanderungswellen ist das einst multikulturelle Land heutzutage weitgehend homogen – nur drei Prozent der Bevölkerung gehören ethnischen Minderheiten an. Die neuen migrantischen Communities sind seit den frühen 1990er Jahren langsam aber stetig gewachsen. Sie sehen sich oft mit Vorurteilen und Diskriminierung konfrontiert.
Andere Gruppen, die von Gewalt und Ausgrenzung betroffen sind, sind religiöse Minderheiten und bestimmte Jugendsubkulturen. Die vorherrschende Auffassung in der Gesellschaft ist die, dass »alle Polen katholisch« sind und ethno-religiöse Minderheiten deshalb nicht »wirklich polnisch« sein können. Laut unabhängigen Berichten sind die am stärksten von rechter Gewalt betroffenen Gruppen ethnische Minderheiten, wie die Roma, aber auch Homosexuelle, alternative Jugendliche, Antirassist_innen und Aktivist_innen anderer fortschrittlicher Bewegungen.

Die Angreifer gehören häufig zu extrem rechten Organisationen und Neonazi-Skinhead-Cliquen. 2009 wurde eine Ortsgruppe des Vereins ONR (Oboz Narodowo-Radykalny, Nationalradikales Lager) verboten, andere Organisationen konnten hingegen ungehindert weiter operieren. Die NOP, frühere Schwesterpartei der NPD, ist besonders freimütig, was die Propagierung von Gewalt zum Erreichen ihrer ideologischen Ziele angeht. Insbesondere Fußballstadien bieten oft fruchtbaren Boden sowohl für die Verbreitung extrem rechter Propaganda als auch für rassistische Gewalt. Das »Braunbuch«, 2009 herausgegeben von Martin Kornak, Vorsitzender der antifaschistischen Organisation Never Again (Nigdy Wiecej), dokumentiert hunderte von Angriffen auf Minderheiten in den letzten Jahren.

Ein aktuelles trauriges Beispiel ist der Tod eines Nigerianers, der am 23. Mai dieses Jahres am hellichten Tag nahe des neugebauten Warschauer Nationalstadions von der Polizei erschossen wurde. Zeugenaussagen deuten auf einen Fall von grundloser Polizeibrutalität hin, dem rassistische Einstellungen zugrundelagen. Über 30 Schwarze wurden bei einem anschießenden Tumult am Tatort verhaftet. Rufe nach einer unabhängigen Untersuchung des Falls wurden laut, doch es bleibt abzuwarten, ob sie auf Gehör stoßen.

Zum Autor:
Rafal Pankowski ist Koordinator des East Europe Monitoring Centre in Warschau und Mitglied der antifaschistischen Organisation Never Again (Nigdy Wiecej). Von ihm erschien kürzlich ‘The Populist Radical Right in Poland: The Patriots’ (London: Routledge, 2010).