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Montags in Marzahn

Einleitung

Schon im Juli 2013 wurde deutlich, dass der Berliner Senat und das für die Unterbringung von Geflüchteten zuständige Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) die adäquate und menschenwürdige Unterbringung über mehrere Jahre stark vernachlässigt haben. Mit der daraufhin einsetzenden „Feuerwehrpolitik“, dem plötzlich verstärkten Aus- beziehungsweise Umbau von „Heimen und Containerdörfen“, konnten organisierte Neonazis ein in mehreren Berliner Stadtteilen anschlussfähiges Themenfeld besetzen.

„Montagsdemo“ in Berlin-Marzahn

Nach den Erfolgen mit der Agitation über offene Webplattformen gegen eine geplante Geflüchtetenunterkunft im Stadtteil Hellersdorf im Sommer 2013 warteten die Neonazis ungeduldig auf den Anlass für ihren nächsten Coup. Die Eröffnung einer entsprechenden Seite auf Facebook erfolgte unmittelbar, nachdem der Berliner Senat Ende Oktober 2014 seine Pläne für die Einrichtung mehrerer Containerlager, unter anderem in den Ortsteilen Marzahn, Buch und Köpenick, ankündigt hatte. Die inhaltlich und praktisch an das Format der „Bürgerbewegung Hellersdorf“ angegliederte Seite erschließt somit ein neues, sich betroffen wähnendes Klientel. Den anfänglichen Aufruf einer davon unabhängig agierenden Bürgerinitiative zu einer Montagsdemo am 3. November unterstützten die Neonazis auf ihren etablierten Seiten und über interne Verteiler. Der Aufzug wurde daraufhin wegen inhaltlicher Differenzen und Sicherheitsbedenken vom Anmelder abgesagt, was die Neonazis, offenbar mit Wohlwollen der Polizei, geschickt ausnutzten. Zum Startzeitpunkt ließ die Polizei eine angeblich spontane Demonstrationsanmeldung durch Uwe Dreisch (Die Rechte) zu, so dass etwa 150 bis 200 Personen mit rassistischen und nationalsozialistischen Parolen durch Marzahn zogen. Neu in Berlin waren jedoch die „Ahu“-Rufe aus dem rechten Hooligan-Milieu.

Mit der „Montagsdemo“ gegen das Containerlager in Marzahn und gegen vermeintlichen „Asylmissbrauch“ setzten organisierte Neonazis so eine gefährliche Dyna­mik in Gang. Zum vierten Termin brachten sie so bis zu 900 Personen auf die Straße. Die TeilnehmerInnen rekrutieren sich dabei aus „wieder erwachten“ älteren Neonazis, rechten Hooligans, denen ein Angebot wie die HoGeSa in Berlin bisher fehlte, und AnwohnerInnen ohne organisatorische oder subkulturelle Bindung.

In Abstimmung mit ähnlichen Initiativen in den Stadtteilen Buch und Köpenick hetzen und agitieren die Neonazis im Rahmen einer übergreifenden Kampagne unter dem Motto „Wache auf — Handeln statt Klagen“. Während sich ihre Kampagnen- und Anschlussfähigkeit in der früheren Hochburg Marzahn weiterhin erfolgreich entwickelt, scheint die Mobilisierungsfähigkeit im Stadtteil Buch zu schrumpfen und in Köpe­nick bei derzeit 400-450 regelmäßigen TeilnehmerInnen zu stagnieren.

Am 22. November, als eine überregiona­le Demonstration in Marzahn angekündigt war, die als impulsgebender Szene­event für die anderen Berliner Bürgerinitiativen, bisher nicht organisierte AnwohnerInnen sowie überregionale UnterstützerInnen dienen sollte, konnten Antifaschist_innen und Zivilgesellschaft dem Mob deutlich Paroli bieten. Doch zu diesem Zeitpunkt hatte sich mit den Montagsdemos bereits ein neues und erfolgreiches Aktionsformat etabliert, das weiterhin maßgeblich von Neonazis geprägt ist und weiteren Zulauf erhält. Fatal ist der Unwillen der Berliner Polizei, mögliche Sanktionen gegen TeilnehmerInnen umzusetzen und Pressevertreter_innen vor Angriffen zu schützen. So konnten seit Jahren bekannte Gewalttäter unter den Augen der Polizei handfeste Anti-Antifa-Arbeit betreiben. Da es sich bei den Betreibern der Facebook-Seite und der personellen Struktur hinter den Aufmärschen um keine Unbekannten handelt, verwundert die deutliche Zurückhaltung von Politiker_innen und Medien.

Doch nicht nur in Berlin, sondern auch in anderen Städten etabliert sich derzeit eine Mischszene aus bisher nicht organisierten BürgerInnen, rechten Hooligans und organisierten Neonazis unter dem Label „Montagsdemo“ mit stetig wachsenden TeilnehmerInnenzahlen. Die in Dresden seit mehreren Wochen durchgeführten Montagsdemos unter dem Label „Pegida“ (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) konnten am letzten Novembermontag etwa 5.500 Personen mobilisieren. Im Gegensatz zu HoGeSa versuchen sich die InitiatorInnen einen bürgerlichen Anstrich zu geben, scheinbar mit Erfolg: Der sächsische Innenminister Ulbig zeigte Verständnis für Pegida und kündigte an, spezielle Polizeieinheiten für „straffällige Asylbewerber“ gründen zu wollen. Inzwischen haben sich bundesweit verschiedenste Face­bookgruppen unter ähnlichen Labels wie Bagida, Dügida und Legida formiert.