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NSU – viele offene Fragen

Andreas Förster
Einleitung

Neben den bis heute ungeklärten Ereignissen rund um die Selbstenttarnung des NSU am 4. November 2011 gibt es noch eine ganze Reihe weiterer offener Fragen in der Affäre um die rechte Terrorgruppe. Sie deuten darauf hin, dass das Zwickauer Trio nicht abgeschottet agierte, wie es die Bundesanwaltschaft behauptet, sondern dass die Organisation und deren Unterstützerumfeld größer strukturiert sein dürfte.

Foto: Recherche Nord

Zschäpes Brieffreund Robin Schmiemann (links) und C18-Anführer William Browning (mitte) beim „Tag der deutschen Zukunft“ 2016 in Dortmund..

Eine Reihe von Indizien weisen in diese Richtung. So stellt sich etwa die Frage, ob es wirklich ausschließlich Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt waren, die alle zehn Morde des NSU begangen haben. Eindeutige Beweise dafür gibt es nicht. Zwar wurden unter anderem die Tatwaffen im Brandschutt der Zwickauer Wohnung sichergestellt. Auch die Dienstwaffen und Ausrüstungsgegenstände der überfallenen Polizisten fanden sich beim Trio. In der Zwickauer Wohnung lag zudem eine offenbar seit 2007 ungewaschene Trainingshose mit Blutflecken der getöteten Polizistin und einem Taschentuch, das DNA-Spuren von Uwe Mundlos aufwies. Nicht zuletzt fand sich dort eine Skizze mit den Räumlichkeiten des Kasseler Internetcafés, wo 2006 der letzte Mord begangen wurde. DNA-Spuren oder Fingerabdrücke von Mundlos und Böhnhardt konnten jedoch weder an den Tatwaffen noch an den Tatorten sichergestellt werden.

Bei dem ebenfalls dem NSU zugeschriebenen Bombenanschlag auf das von einer iranischen Familie betriebene Lebensmittelgeschäft in der Kölner Probs­teigasse im Januar 2001 haben die Zeugen auf den Fotos zudem weder Mundlos noch Böhnhardt identifizieren können. Dabei hatten die Familienangehörigen den Täter gesehen, der vor Weihnachten 2000 die Stollenbüchse mit dem Sprengsatz im Geschäft abgegeben hatte. Die Phantomzeichnung des Verdächtigen, die nach den Angaben der Betreiber des Geschäfts angefertigt wurde, weist dagegen eine auffällige Ähnlichkeit mit einem damals sehr aktiven Kölner Neonazi auf, der zur Tatzeit V-Mann des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes war. Der Mann bestreitet aber, etwas mit dem Attentat zu tun gehabt zu haben.

Mindestens 30 nicht identifizierte DNA-Spuren

Für die These, dass zumindest Mundlos und Böhnhardt über feste Kontakte in ein regional anderes Milieu verfügten, spricht auch der Umstand, dass die beiden häufig über einen längeren Zeitraum hinweg nicht in der gemeinsamen Wohnung mit Beate Zschäpe lebten. So sagten Anwohner aus der Zwickauer Polenzstraße aus, wo das Trio zwischen Mai 2001 und Anfang 2008 wohnte, dass Zschäpe mitunter wochenlang allein in der Wohnung war. Auch hätten sie den Eindruck gehabt, dass nur einer der beiden Männer – vermutlich Böhnhardt – mit der Frau in der Wohnung lebte, während der andere nur zeitweise zu Besuch war. Die häufige Abwesenheit von Mundlos und Böhnhardt hatten auch Nachbarn in der Frühlingsstraße beobachtet, wo das Trio zuletzt wohnte. Tatsächlich fanden sich in der ausgebrannten Wohnung nur auffallend wenige männliche Kleidungsstücke. Die meisten davon waren zudem in Böhnhardts Größe. Auch befanden sich im Badezimmer der Wohnung nur zwei Zahnbürsten. Schließlich entsprach auch der monatlich abgerechnete Wasserverbrauch der Wohnung eher einem Ein-Personen-Haushalt.

Auch die DNA-Spuren, die an diversen Gegenständen im Wohnmobil und in der Zwickauer Wohnung gesichert wurden, weisen auf weitere Helfer oder gar NSU-­Mitglieder hin. Nicht alle diese genetischen Fingerabdrücke konnten dem Trio oder bekannten Unterstützern zugeordnet werden. Insgesamt sind mindestens 30 DNA-­Spuren an Asservaten – darunter an Waffen­teilen, schriftlichen Unterlagen und Daten­trägern – noch nicht identifiziert worden. So wurde etwa eine unbekannte DNA-Spur an einer Plastikflasche isoliert, die im Kühl­schrank des bei Eisenach ausgebrannten Wohnmobils stand. Dieselbe DNA-Spur fanden die Ermittler an weiteren sieben Asservaten aus der Wohnung in der Frühlingsstraße – es handelt sich dabei um schriftliche Unterlagen, eine mit „PDS/SPD Liste“ beschriftete Diskette, ein Munitionsteil sowie einen Rucksack, der vermutlich für einen Bankraub in Chemnitz benutzt wurde. Als die Spur in der Analysedatei des BKA überprüft wurde, machten die Ermittler eine überraschende Entdeckung: Der genetische Code der unbekannten Person war im Juli 2012, also mehr als ein halbes Jahr nach dem Auffliegen des Trios, an einem Tatort in Berlin sichergestellt worden. Er fand sich an der Hülse einer Patrone, die auf zwei Mitglieder des Rockerclubs Bandidos abgefeuert worden war.

Auffälligkeiten gibt es auch im Kommunikationsverkehr der Zwickauer NSU-Zelle. So ging auf einem der vom Trio bis zuletzt genutzten Handys zwischen Juni und November 2011 monatlich jeweils eine Kurznachricht von wechselnden Telefonnummern ein, die unter einer Scheinidentität angemeldet waren. Bemerkenswert ist dabei, dass außer dieser einen Kurznachricht keine weiteren Anrufe oder SMS von den betreffenden Nummern auf einem der Tele­fonanschlüsse des Trios registriert wurden. Auch kamen diese geheimnisvollen SMS – deren Inhalt unbekannt ist – jeweils im letzten Drittel jedes Monats an. Waren diese regelmäßigen Kurznachrichten vielleicht Aufforderungen zur konspirativen Kontaktaufnahme mit Vertrauenspersonen des Trios? Möglich ist es. Die Ermittler haben herausgefunden, dass die Drei für vertrauliche Telefonate stets öffentliche Telefonzellen im Stadtgebiet von Zwickau nutzten.

Kontakte nach Dortmund

Neben diesen Indizien gibt es weitere Spuren, die zu möglichen Unterstützern und Mittätern in Neonaziszenen außerhalb von Sachsen und Thüringen führen. So etwa nach Dortmund. Dort wurde bereits am 25. November und am 12. Dezember 2011, also kurz nach der Selbstenttarnung des NSU, Sebastian Seemann von der Polizei befragt. Seemann, ehemaliger V-Mann des nordrhein-­westfälischen Verfassungsschutzes, machte dabei eine bemerkenswerte Aussage, die zu diesem frühen Zeitpunkt von Insiderwissen zeugte: Er habe Hinweise darauf, dass zwei Waffen, die man im Zwickauer Brandschutt gefunden hatte, aus Belgien stammen können, aus der dortigen „Blood & Honour“-Szene. Und zwar die bei zwei Morden der Ceska-Serie verwandte Pistole Bruni und die Pistole vom Typ TOZ TT33, mit der in Heilbronn auf den Polizisten Michael A. geschossen wurde. Die Dortmunder Polizei nahm diesen Hinweis ernst und stufte die Angaben von Sebastian Seemann als realistisch ein. Der V-Mann war schließlich bis zu seiner Enttarnung 2007 einer der führenden Neonazis in Dortmund, er gehörte einer „Combat 18“-Gruppe an, organisierte „Blood & Honour“-Konzerte und war exponiertes Mitglied der „Oidoxie Streetfighting Crew“, die strategisch und politisch die gleichen Ansichten vertrat wie der NSU. Und er war ein guter Kumpel von Robin Schmiemann, mit dem sich später Beate Zschäpe aus der Haft heraus schrieb. Dennoch ging die Bundesanwaltschaft dieser Spur nie ernsthaft nach. Dabei kennen die Ermittler bis heute nicht die Herkunft der beiden Tatwaffen Bruni und TOZ.

In der Frühlingsstraße fand sich darüber hinaus ein Asservat, das ebenfalls in die Dortmunder Neonaziszene weist. Dabei handelt es sich um eine Verpackung für Patronen des Typs, die für die Ceska-Morde verwandt wurden. Auf diese Verpackung hat jemand "Siggi" geschrieben, wobei das Doppel-g mit SS-Runen geschrieben wurde. Das soll auch eine Art Erkennungszeichen von Siegfried B. sein, der seit vielen Jahren in der gesamten deutschen Neonaziszene als „SS-Siggi“ eine Größe ist. Und dieser Neonazi wohnte in der gleichen Straße, wo der Laden von Mehmet Kubaşık war, der am 4. April 2006 vom NSU erschossen wurde. Auffällig am Mordanschlag auf Mehmet Kubaşık ist, dass ein Ortsunkundiger dessen Kiosk wahrscheinlich gar nicht gefunden hätte. Tatsächlich ist der Kiosk auf den Ausspähnotizen zu Dortmund, die man in der Frühlingsstraße fand, auch gar nicht eingezeichnet. Und noch etwas ist merkwürdig: Im Verkaufsraum hing eine Videokamera. Das konnte jeder sehen, der den Laden betrat. Tatsächlich aber hat diese Kamera nicht funktioniert, was man aber nur hätte wissen können, wenn man den Kiosk vorher gründlich ausgespäht hat. Die Bundesanwaltschaft behauptete in ihrer Anklage hingegen, Mundlos und Böhnhardt hätten sich spontan vor Ort entschieden, den Mord in diesem Kiosk zu begehen. Viel wahrscheinlicher ist hingegen, sie haben von Gesinnungsfreunden vor Ort einen Tipp auf diesen Laden bekommen. Dann aber wäre es nicht mehr von der Hand zu weisen, dass die rechte Szene von der Existenz und den Taten des NSU wusste.