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@polizeiberlin – Instrument zur politischen Einflussnahme

Ralf Hutter
Einleitung

Wie sehr die Polizei, deren Handlungen bis dahin kaum öffentlich dokumentiert wurden, von den „neuen“ Medien herausgefordert wird, zeigte sich im Jahr 2015 in Spanien. Dort wurde im Zuge eines Gesetzes - das vor allem das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit einschränkte - auch verboten, Bilder von Polizeikräften ohne deren Einverständnis ins Internet zu stellen. Erstes Opfer der neuen Regelung wurde jemand, der ein Foto von einem Polizeiauto veröffentlichte, das auf einem Behindertenparkplatz abgestellt war. Obwohl auf dem Foto niemand im Auto zu sehen war, setzte es eine Strafe von 800 Euro.

Illustration: Stella (CC-BY-NC-SA 4.0)

Auch deutsche Polizeibehörden sind in Online-Netzwerken aktiv und arbeiten gezielt an ihrer Außendarstellung. Die Medienwissenschaftlerin Christine Horz von der Uni Bochum erklärte dazu im Deutschlandfunk: „Die Polizei versucht ja immer stärker, im Rahmen der Nutzung von sogenannten Sozialen Medien den öffentlichen Diskurs mitzubestimmen. Man hat das gesehen bei den Ereignissen am Hambacher Forst, oder auch bei „Ende Gelände“. Hier ist die Polizei sozusagen als zweiter Agendasetter (…) in Erscheinung getreten. (…) Hier sieht man ganz deutlich, wie diese Möglichkeiten der sogenannten Sozialen Medien dazu führen, dass bestimmte Institutionen nun quasi in den journalistischen Bereich reindrängen.“1

Ein transdisziplinäres Team aus zwei Dutzend Forschenden um das Berliner „Institut für Protest- und Bewegungsforschung“ veröffentlichte 2018 eine Studie zur Ergründung der „Dynamiken der Gewalt“ im Umfeld des G20-Gipfels in Hamburg und wertete dabei auch die Twitter-Arbeit der Polizei aus. Schon im sogenannten Rahmenbefehl für die Protest-Tage hatte die Polizei demnach die Devise ausgegeben, über Online-Plattformen „Bürgernähe zu erzeugen“. Der Bericht hält fest: „Mit der Nutzung von Twitter bringt die Polizei ihre Perspektive in Echtzeit in die Debatte über das sich entwickelnde Protestgeschehen ein. Sie vollzieht damit eine problematische Gratwanderung, sobald sie aktiv in die politische Deutung der Ereignisse eingreift, in denen sie zudem Konfliktbeteiligte ist.“ Nach der Auswertung von 700.000 Twitter-Meldungen hält das Forschungsteam fest, dass die Polizei Hamburg dort eine „zentrale Stellung“ hatte und „besonders in Phasen der Gewalteskalation zum wichtigsten Bezugspunkt für große Medienakteur*innen“ geworden sei.2

Die Berliner Polizei hat für ihre Einsätze ein eigenes Twitter-Profil „PolizeiBerlin_E“. Damit kann sie Informationen aus erster Hand bieten und dabei ein bestimmtes Bild von sich vermitteln. Damit schoss sie sich am 29. Juni 2017 ein historisches Eigentor. An diesem Tag wurde im Berliner Stadtteil Neukölln das selbstverwaltete Soziale Zentrum „Friedel 54“ von 770 Polizeibeamt_innen zu Gunsten einer luxemburgischen Briefkastenfirma geräumt, die das Haus zuvor gekauft hatte. Dagegen protestierten rund 150 Menschen mit einer Sitzblockade vor dem Haus und im Innenhof. Weitere hunderte solidarische Menschen standen an den Polizeiabsperrungen. Das zu räumende Ladenlokal war unter anderem mit einer Betonwand verbarrikadiert. Das öffentliche Interesse war groß, was während der Räumung auch im Internet seinen Ausdruck fand. In diese Diskussion wollte die Polizei intervenieren, um so vor allem der Darstellung der überzogenen und unnötigen Polizeigewalt entgegenzuwirken. In einem Tweet behauptete sie, ein Türknauf sei „unter Strom gesetzt“ worden, so dass „Lebensgefahr“ für die Beamt_innen bestanden habe. Obwohl vor Ort und online sofort Zweifel an dieser Meldung aufkamen und die Polizei nichts belegte, übernahmen viele Medien die Nachricht, der Protest habe zu einem lebens­gefährlichen Anschlagsversuch auf die Polizei geführt. Die Hintergründe der polizeilichen Fehlinformation, die durch die parlamentarische Aufarbeitung ans Licht gekommen sind, sind skandalös: Schon 70 Minuten nach der Veröffentlichung der Meldung wusste die Polizei, dass an keiner Tür des Hauses Strom anlag, gab aber diese Information nicht weiter. Erst nach über 24 Stunden nahm sie die Behauptung zurück.

Im März 2019 Jahres reichten zwei Mitglieder des Vereins, der die Ladenräume gemietet hatte, Klage beim Verwaltungsgericht gegen den Polizei-Tweet ein, um neben der Löschung dessen Rechtswidrigkeit gerichtlich feststellen zu lassen. Sie sehen einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht sowie in die Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit, denn der Tweet habe Leute davon abgeschreckt, sich an dem Protest während und nach der Räumung zu beteiligen. Die Klageschrift führt aus, die Polizei habe auf illegitime Weise in die öffentliche Meinungsbildung eingegriffen und damit ihre „beamtenrechtliche Grundpflicht“, das Neutralitäts- und Sachlichkeitsgebot einzuhalten, verletzt. Die Berliner Polizei darf Ereignisse nicht kommentieren. Das hat der Berliner Senat schon 2015 im Landesparlament bekanntgegeben. Dennoch heißt es in einer Antwort der „Senatsverwaltung für Inneres“ auf eine parlamentarische Anfrage, die Polizei habe „zu jedem Zeitpunkt faktenbasiert auf Grundlage des aktuellen Sachstandes“ getwittert. Die Anwältin Anna Gilsbach, die die Klage der Friedel54 führt, sagt, solche Klagen seien sehr selten, da sich solche Falschbehauptungen normalerweise nicht gegen konkrete Personen richteten. Rechtsprechung zur polizeilichen Nutzung von Twitter gebe es deshalb kaum.

Einfacher ist es, wenn es um Fotos geht. So twitterte die Polizei Frankfurt 2015 Fotos von den Protesten gegen die Eröffnung der Europäischen Zentralbank, auf denen Gesichter erkennbar waren. „Das würden wir so nicht mehr machen“, sagte 2017 ein Sprecher dem ARD-Fernsehmagazin Kontraste. Es ist nämlich verboten. Das Oberverwaltungsgericht Münster bestätigte im September 2019 eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen aus dem Jahr 2018 und stellt fest, dass das Veröffentlichen von Fotos einer politischen Versammlung auf Twitter durch die Polizei unrechtmäßig ist, da einzelne Menschen erkannt werden könnten und die Gefahr bestehe, dass sich solche Aufnahmen einschüchternd oder abschreckend auf das Verhalten der Teilnehmer einer Versammlung auswirken können. Das Verwaltungsgericht Köln hatte vorher in einem solchen Fall ebenso entschieden.

Die erwähnten Proteste waren für die Frankfurter Polizei ansonsten ein Online-Erfolg, sagte damals ein verantwortlicher Polizist der Wochenzeitung „Zeit“ und fügte hinzu: „Bei Blockupy 2013 wurde nur über uns geredet. Nun konnten wir nicht nur mitlesen, sondern auch unsere Meinung und unser Handeln transparent machen.“ Damals schon bezeichnete der Rechtswissenschaftler Felix Hanschmann (Universität Frankfurt) die Polizei-Tweets nicht nur dann als rechtswidrig, wenn es sich um Falschmeldungen handelt, sondern auch, wenn Menschen durch das Veröffentlichen von Schreckensszenarien abgeschreckt werden, sich an einer Demonstration zu beteiligen. „Die Zeit“ hielt zum Stil der Tweets der Polizei Frankfurt fest: „Die Ansprache: jung und direkt. Als Demonstranten Mülleimer anzündeten, lautete die Ansage über Twitter: ‘Lasst das!‘“. Der Kontakt zur Ordnungsmacht ist durch die neuen Online-Kommunikationsmittel weniger formell.

Bei der Friedel54-Räumung war die Ansprache bizarr. Dort wurden die üblichen Aufforderungen an die Sitzblockade nicht anonym aus einem Auto heraus ausgesprochen, sondern von einem Beamten, der breitbeinig, mit schnurlosem Mikrofon mehrere Meter vor den Polizeiautos stand - in seinen Durchsagen duzte er die Anwesenden mehrfach.

Netzpolitik.org berichtete im November 2017 darüber, wie die Berliner Polizei gegen einen Minderjährigen vorging, der von zu Hause aus einen Polizeihubschrauber mit einem Laserpointer geblendet haben soll. Demnach veröffentlichte sie auf Twitter und Facebook ein Foto des Wohnhauses, das von der Kamera des Hubschraubers aufgenommen worden war. Darauf sei zu erkennen gewesen, wie der Laserstrahl aus einem Fenster im fünften Stock auf den Betrachter gerichtet war. Auch die Umgebung des Hauses war zum Teil sichtbar. Die Meldung war mit dem Hashtag „Neukölln“ versehen. Die Berliner Datenschutzbeauftragte kritisierte dieses Vorgehen, denn es habe die Möglichkeit bestanden, mit dem Bildmaterial und im Wissen des Stadtteils auf die Identität des Jugendlichen zu schließen. Besonders extrem war hierbei die Sprache. Das veröffentlichte Foto hatte die Polizei mit dem bedrohlichen Schriftzug „Jetzt wissen wir, wo du wohnst.“ versehen.