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Recht(s) vor Links im Internet?

Einleitung

Dienstag, 30. November 2004. Es ist kurz vor 7 Uhr, als es an der Tür des administrativen Ansprechpartners für die Internet-Gemeinschaft für Politik und Kultur (www.puk.de) in Göttingen klingelt. Vier Beamte des 4. Kommissariats (politische Polizei) der Göttinger Kripo begehren nachdrücklich um Einlass. In der Hand zwei Durchsuchungsbefehle auf Amtshilfegesuchen des Amtsgerichts Stuttgart. Was das Göttinger Internetprojekt puk mit dem Amtsgericht Stuttgart zu tun hat? Nichts, aber das Internet macht's möglich.

Puk bietet seit 1996 politisch, kulturell und sozial engagierten Initiativen unter der Internet-Adresse www.puk.de/gruppenname kostenlosen Webspace an, ist also nach Teledienstgesetz (TDG) ein sogenannter Service-Provider, ähnlich T-Online oder GMX, allerdings nichtkommerziell.  Auf dem Server befinden sich einige hundert Internet-Seiten verschiedener Gruppierungen, die von linksradikalen Kräften bis ins bürgerliche Lager reichen, von politischen Initiativen bis hin zu kulturell engagierten Gruppen. Unter anderem auch die »Revolutionäre Aktion Stuttgart« (RAS), die Auslöser für den Zugriff war. Ein Antifa Flugblatt und eine Presseerklärung zur Solidarität mit AntifaschistInnen weckten das Interesse der Beamten. Bezug genommen wird im Durchsuchungsbeschluß u.a. auf einen Text mit der Überschrift »Schluss mit der Kriminalisierung des antifaschistischen Widerstandes«, der angeblich über einen Link auf einer Internetseite erreicht werden konnte.

»Dienstleister« im Visier

Soweit nichts Neues. Dass konsequentes antifaschistisches Engagement von Staatsschutz und Justiz als »kriminell« gebrandmarkt und entsprechend verfolgt wird, dass wissen aktive AntifaschistInnen seit Jahren.  Neu ist hingegen, dass vermehrt gegen Dritte vorgegangen wird, die solchen legalen Gruppen Kommunikationsstrukturen wie E-Mailadresse und Internet-Webspace zur Verfügung stellen. Im Fall von puk reichte es aus, dass von der RAS Seite einzelne Dateien auf den puk-Server ausgelagert und unter www.puk.de/ras zu finden waren, so auch die inkriminierten Flugblätter. Dabei ist von besonderer Bedeutung, dass puk keine Kenntnis von den beanstandeten Dateien hatte und weder für die Inhalte noch für das Einstellen der Dateien auf den Server verantwortlich sein kann. Als Service-Provider stellt puk lediglich die Infrastruktur, also Webspace, E-Mailzugang und einen Account für den Datentransfer per FTP auf den Gruppenwebspace. Nichts anderes tut ein kommerzielle Provider wie T-Online, der unter home.t-online.de etliche tausend Unterverzeichnisse bereitstellt, die von seinen Kunden selbständig und eigenverantwortlich als Homepages verwaltet werden.

Da es angesichts der riesigen Datenmengen, die sich zudem jederzeit ändern können, illusorisch ist, eine kontinuierliche inhaltliche Überwachung zu gewährleisten, schließt § 8 TDG (Teledienstgesetz) ausdrücklich eine Haftung des Providers für die Inhalte Dritter aus. Erst wenn der Service-Provider Kenntnis von einem möglicherweise gegen geltendes Recht verstoßenden Inhalt einer bei ihm gehosteten Webseite hat, aber nicht reagiert, kann er haftbar gemacht werden.

Webhoster vor Gericht

Genau so musste puk bereits im Oktober vor dem Landgericht Göttingen argumentieren, als die mündliche Verhandlung wegen einer einstweiligen Verfügung gegen den Verein »Perspektive unabhängige Kommunikation (puk) e.V.« als Betreiber der Internet-Gemeinschaft stattfand, die vom Rechtsanwalt Klaus Kunze aus Uslar, Autor der rechten Wochenzeitung »Junge Freiheit« und bekannter juristischer Vertreter von Rechtsradikalen gegen puk erwirkt wurde. Hintergund der Verhandlung war eine einstweilige Verfügung die Kunze im Auftrag seiner Mandantin Mandy M. beantragte, in der unter Androhung eines Zwangsgeldes von 6000 EUR untersagt wurde: »1. (...) einen Link zu einer Webseite zu legen, auf welcher das mit den Worten »Timo S. mit Freundin Mandy, Sängerin bei Agitator« unterschriebene Foto der Antragstellerin zu erkennen ist« und »2. öffentlich, insbesondere im Internet, zu verbreiten, die auf vorgenanntem Lichtbild erkennbare Antragstellerin sei Sängerin der Musikgruppe Agitator«

Auch in diesem Fall handelte es nicht um eigene Inhalte von puk.de, sondern um Aussagen aus einem Flugblatt, das auf der Internet-Seite einer antifaschistischen Gruppe aus Göttingen veröffentlicht wurde, diese ist bei puk.de gehostet. Glücklicherweise konnte sich das Landgericht Göttingen weitgehend der Argumentation des puk e.V. anschließen, so dass Kunze den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung zurückzog und seine Mandantin auf den Verfahrenskosten sitzen blieb.

In einem anderen Verfahren von Mandy M. gegen ein antifaschistisches Projekt, das auf seiner Webseite einen Link auf die inkriminierte Homepage hatte, wurde in der Kostenentscheidung in Frage gestellt, ob das Projekt für den Link haftbar gemacht werden könne, da »... Dritte (...) nur bei Verletzung von zumutbaren Prüfungspflichten« für Inhalte verantwortlich gemacht werden könnten, die über von ihnen verlinkte Webseiten zu finden sind. Zur Unterlassung verpflichtet sei nur derjenige, der in irgendeiner Weise an der Herbeiführung »der rechtswidrigen Beeinträchtigung mitwirkt.«

In der Presseerklärung zum Erlaß der einstweiligen Verfügung schrieb der puk e.V.: »An die Göttinger antifaschistische Gruppe – sowohl postalisch als auch per E-Mail erreichbar - erging bis heute weder eine Abmahnung noch eine einstweilige Verfügung. Daher ist es nicht abwegig, dass mit dem puk e.V. gezielt ein in rechten Kreisen unliebsamer Webhoster getroffen werden sollte. Diese Vermutung wird dadurch bekräftigt, dass dem Vereinsvorsitzenden am 18.9. zusätzlich eine polizeiliche Vorladung wegen angeblichen Verstoßes gegen das Kunsturhebergesetz in gleicher Sache zugestellt wurde. Die Gegenseite hat also offenkundig auch Strafanzeige gegen den Vereinsvorsitzenden gestellt, was verdeutlicht, dass es ihr nicht um »die Sache an sich – Entfernen eines Links bzw. Bildes – geht, da dies längst geschehen war.«

Worum es bei solchen Verfahren im Eigentlichen geht, wurde bei einer telefonischen Anfrage eines Journalisten deutlich. Wie puk mitgeteilte wurde, äußerte Kunze hierbei sinngemäß, dass er erwarte, dass der Provider die eigentlich Verantwortlichen der Antifa benennen müsse. Dies verlangte er auch mehrmals während der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht.

Vorlage zur polizeilichen Datensuche

So lächerlich das auf den ersten Blick wirkt, ernst sollten solche Versuche dennoch genommen werden. An den geschilderten Vorgängen wird deutlich, dass staatliche Stellen Aussagen aus dem rechten Spektrum – unabhängig von deren Wahrheitsgehalt – gerne zum Anlass für eigene Ermittlungen verwenden. Die Göttinger Polizeibeamten zeigten sich bestens informiert über die einstweiligen Verfügung und den Kunsturhebergesetzverstoß – für den Staatsschutz eher untypische Betätigungsfelder.

Gerne entfalten solche Ermittlungen eine gewisse Eigendynamik und werden beliebig ausgeweitet. Der Durchsuchungsbeschluss war jedenfalls darauf ausgerichtet, E-Mails und Log-Dateien zu beschlagnahmen, welche die Identifizierung von natürlichen Personen ermöglichen, um diese gegebenenfalls der RAS oder einer anderen Gruppe zuordnen zu können. Letztlich geht es bei solchen Aktivitäten nicht nur darum Daten im konkreten Fall zu sammeln um Strukturen zu durchleuchten, sondern auch langfristig das Internet besser kontrollierbar zu machen.

Verantwortung der NutzerInnen

Jede/r sollte sich im Klaren darüber sein, dass seine/ihre Aktivitäten im Internet nicht anonym sind. Spätestens durch die Auswertung von Daten der großen Access-Provider kann nachvollzogen werden, wer sich wann auf welchen Webseiten bewegt hat und welche Aktivitäten im Internet durchgeführt wurden. Wer über Dinge kommunizieren will, die nicht für Dritte bestimmt sind, tut dies besser bei ausgedehnten Spaziergängen. Prinzipiell tut man gut daran, unverschlüsselte E-Mails als »Postkarten« zu betrachten, die z.B. durch Postboten lesbar sind. Verschlüsselte Mails dagegen sind wie verschlossene »Briefumschläge« – nicht für alle lesbar, aber auch nicht davor sicher, geöffnet zu werden.

Für die Veröffentlichung von Flugblättern auf einer Internetseite – insbesondere auf de-Domains – halte man sich tunlichst an die geltende Rechtslage, das Veröffentlichen von kriminalisierten Texten hat juristische Folgen. Auch wenn das juristische Belangen einer Gruppe »abc« mit Sitz im x-beliebigen Infoladen schwierig ist – ein Projekt wie puk.de, dass der Gruppe abc Webspace zur Verfügung stellt, muss dafür mit realen Personen gerade stehen. Davor schützt auch nicht ein Hinweis wie »nachfolgend dokumentieren wir ein bei einer xyz-Aktion verteiltes Flugblatt...« – im Zweifel klingelt die Polizei wieder bei denjenigen, die sie am ehesten greifen können, dem Domaineigentümer. Gleiches gilt für Veröffentlichungen von Bildmaterial, Rechercheergebnissen etc. Hier gilt, dass wer recherchiert, Genauigkeit walten lassen sollte und Behauptungen belegen können muss. Wer der genauen rechtlichen Prüfung eine anonyme Veröffentlichung vorzieht, sollte bedenken, dass das Internet nicht anonym ist – in Deutschland schon gar nicht.

Wem dies alles zu restriktiv ist und sich seiner Möglichkeiten zur Medienarbeit ohne Selbstzensur beraubt sieht, der hat Recht. Zu ändern ist es trotzdem nicht, und eine Ignorierung dieser Tatsachen führt letztendlich nur zu Ärger für den unbeteiligten aber solidarischen Webhoster und teils ruinösen Wellen von Abmahnungen und einstweiligen Verfügungen.

Alternativen gibt es, allerdings erfordert deren Anwendung ein Mindestmaß an Auseinandersetzung mit Technik, den Strukturen des Internet sowie den nationalen und internationalen Bestimmungen. Um Möglichkeiten zu diskutieren, das Recht auf freie, unzensierte Kommunikation über das Internet zu erhalten und gemeinsames Vorgehen gegen Repressionsmaßnahmen abzustimmen, trafen sich auf Initiative von puk und linkeseite im November erstmals einige linke Webprojekte zu einem Erfahrungsaustausch. Diskutiert wurde u.a. die Schaffung einer »Cyberhilfe«, gegenseitige Rechtsberatung und Information. Für 2005 sind weitere Treffen geplant, wobei weitere UnterstützerInnen – auch ausserhalb von Internetprojekten – willkommen sind. Statt ausschließlicher Antirepressionsarbeit ist es für die beteiligten Projekte aber auch wichtig, ihre eigenen Vorstellungen von Medienarbeit zu diskutieren und die Vermittlung und Verbreitung fortschrittlicher politischer Inhalte über das Internet zu praktizieren. Auf dass «Rechts vor Links« weder zur neuen Vorfahrtsregel auf dem «Datenhighway« wird, noch als gesellschaftliche Norm dauerhaft Bestand hat.

Kontakt über den puk e.V.
E-Mail: Verein [at] puk.de

Finanzielle Unterstützung des puk e.V. (keine steuerlich absetzbare Spendenbescheinigung möglich) über:
Perspektive unabhängige Kommunikation e.V. (puk)
Verwendungszweck: »Solidarität«
Kontonummer: 50 58 73 77
Bankinstitut: Sparkasse Göttingen
Bankleitzahl: 260 500 01