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Populismus: Eine begriffliche Verharmlosung

Einleitung

Seit einigen Jahren kursiert der Begriff des Populismus verstärkt durch die politische Diskussion, wenn es darum geht, die AfD und andere, jüngst entstandene rechte Bewegungen einzuordnen. Als rechtspopulistisch werden z.B. Marine Le Pens „Front National“ aus Frankreich, Heinz-Christian Straches FPÖ aus Österreich, Viktor Orbáns „Fidesz“ aus Ungarn oder Geert Wilders „Partij voor de Vrijheid“ aus den Niederlanden bezeichnet.

Aus linker Perspektive ist die allgemeine Anwendung des Begriffs Rechtspopulismus auf (extrem) rechte Bewegungen oder Parteien aus drei Gründen zu problematisieren. Erstens leistet der Begriff des Populismus Links-Rechts-Gleichsetzungen Vorschub statt die Unterschiede zu konturieren. Zweitens werden die dort beschriebenen Phänomene verharmlost, indem die Diskurs- bzw. Rhetorikform statt die ideologische Formation ihrer Anhänger_innen bedeutungsvoll wird. Und drittens befördert dieser Begriff Querfrontpraxen unter dem Label vermeintlich gemeinsamer Systemkritik von links und rechts.

Links ist nicht gleich Rechts

Populismus ist zunächst einmal Teil jeder Politik, die den diskursiven Zugriff auf eine politische Masse erlaubt. Alle Parteien in einer Demokratie wenden sich an „das Volk“ und wollen dieses vertreten. So gesehen wären alle Parteien irgendwie problematisch oder irgendwie unproblematisch. Eine Bestimmung des Populismus allein als diskursive Form macht keine Unter­schiede zwischen populistischen Äuße­rungen linksliberaler, konservativer oder rechter Positionen. Eine solche Bestimmung tut so, als ginge es lediglich um Aufmerksamkeit, die schließlich alle aus dem politischen Geschäft bekommen wollen. Aber es macht einen Unterschied, ob jemand Aufmerksamkeit und Zuspruch für rassistische, völkische und nationalistische Äußerungen erhält oder für Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit, die vielleicht unterkomplex in einer populistischen Aussage formuliert sind, aber niemanden töten.

Ein solches Verständnis von Populismus, das ideologische Inhalte für unbedeutend hält oder die ideologischen Voraussetzungen seiner Anhänger_innen als Ängste und Sorgen herunterspielt, ist für eine antifaschistische Theorie und Praxis unbrauchbar. Es geht den Rechten nicht zuerst darum, ihre Argumente auf einen faktenbasierten Prüfstand zu stellen oder ihren (angeblichen) Ängsten Ausdruck zu verleihen, sondern darum, einen Affekt zu mobilisieren, Ressentiments zu verstärken und den Bereich zu vergrößern, in denen rechte Deutungen gesellschaftlicher Wirklichkeit präsent sind. Die weit verbreitete Verwendung des Populismusbegriffes arbeitet so dem viel kritisierten Extremismusparadigma zu. Gemäß dieser besonders beim Verfassungsschutz beliebten Theorie gibt es eine gute, demokratische Mitte und gleichermaßen gefährliche Links- und RechtsextremistInnen an den Rändern der Gesellschaft. Der Populismusbegriff folgt einem ähnlichen Schema, wenn Populismus als Oberbegriff verschiedener Ableitungen, wie linker, rechter oder liberaler Populismus gilt.

Die diskursive Form im Ideologischen

Wenn wir im Kontext der extrem Rechten von populistisch reden, dann in dem Sinne, dass populistisches Sprechen eine Form politischer Anrufung ist. Diese ruft das „Volk“ durch solche Kategorien wie Nation, Geschichte, Blut („Rasse“) und/oder Kultur als Gemeinschaft an. Allein unter diesem Blickwinkel als politische Anrufung wäre der Begriff Populismus für eine Analyse geeignet: sprich die Untersuchung der Wirkmächtigkeit populistischer Äußerungen als Agitation oder Propaganda gegenüber bspw. rechten Publikationen bei denjenigen, die bereits offen sind für rechte Positionen. Diese politische Anrufung garantiert vor allem eins: Sie bietet all denen die Möglichkeit endlich ihren Rassismus und Nationalismus zu artikulieren; verpackt als politische „Meinung“, veralltäglicht zum „gesunden Menschenverstand des kleinen Mannes“. Ihre „postfaktischen“ Lügen können sie als Angriff auf die so genannten Eliten oder das Establishment ausweisen, ohne sich deswegen rechtfertigen zu müssen.

PEGIDA oder AfD — mit ihrer besonderen politischen Anrufung an die, die sich als Volk fühlen — sind so erfolgreich, weil sie zur Enthemmung beitragen und die Balance zwischen Anpassungs- und Rebellionsbedürfnis ihrer AnhängerInnen geschickt austarieren. Ihnen gelingt es, die lange in der Öffentlichkeit zurück gehaltenen rassistischen Dispositionen vieler Menschen zu entfesseln. Wer diese Menschen nur PopulistInnen nennt, will nicht sehen, dass Rassismus ein gesamtgesellschaftliches Problem ist. AfD und auch „Front National“ werden nicht nur von ArbeiterInnen1 gewählt, sondern in fast gleichem Maße von der bürgerlichen Mitte. Populistisches Sprechen, also die Anrufung eines homogenen „Volkes“, sollte daher als Teil rechter Ideologien verstanden, aber nicht zur alleinigen Charakterisierung, sprich als Oberbegriff rechter Parteien oder Bewegungen selbst genutzt werden.

Gegen Querfrontallianzen

Was sich im Zusammenhang mit geflüchteten Menschen so oft als Ängste und Sorgen legitimieren will, ist bereits (latent) vorhandenes Ressentiment. Es bricht vor allem unter Zuspruch solcher TabubrecherInnen, als die sich rechte AgitatorInnen gerne hinstellen, hervor. Dies ist einer der besonderen Tricks rechter Agitation, die Affekte ihrer AnhängerInnen aufzugreifen.2 Es gibt gleichwohl linke TheoretikerInnen3 , die aus dieser Erkenntnis die Konsequenz ziehen, dass linke Politik ebenfalls an die Affekte und die angeblich natürlichen Vergemeinschaftungssehnsüchte appellieren müsse. Ein solcher Linkspopulismus sollte aus linksradikaler Perspektive aus zwei Gründen kritisiert werden und kann keine geeignete Strategie gegen rechten Bestrebungen in der deutschen Gesellschaft sein. Der erste Kritikpunkt leitet sich aus der folgenden Überlegung des Politologen Ernesto Laclau ab: „Es gibt keinen Grund, warum ein bestimmter demokratischer Anspruch nicht mit solchen artikuliert werden könnte, die politisch völlig anders gelagert sind. Es ist naiv zu glauben, die rassistischen und fremden­feindlichen Diskurse der Rechten seien durch und durch reaktionär — auch in ihnen gibt es Anrufungen von realen Bedürfnissen und Ansprüchen der Subalternen, die eben mit reaktionären Elementen verknüpft sind.“ Hier öffnet sich ein linker Populismus für Querfrontallianzen von links und rechts. Statt eine dringlich gebotene Konturierung der Unterschiede zu unterstützen, wird vorgeschlagen, sich auf die vereinenden Aspekte zu konzentrieren.

Der zweite Kritikpunkt bezieht sich auf die angebliche Kollektivsehnsucht von Menschen, die ein linker Populismus bewusst bedienen sollte. Die belgische Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe schreibt, dass es einen Trieb im Menschen gäbe, der „den Wunsch erweckt, mit der Masse zu verschmelzen und sich damit selbst in sich zu verlieren“. Mouffe kritisiert aber nicht die verbreitete autoritäre Unterwerfung, die sich in solchen Verschmelzungsphantasien ausdrückt, und enthistorisiert so die Bildung kollektiver Identitäten. Stattdessen anthropologisiert sie diese als „psychologische Grundausstattung des Menschen“. Die Konturierung von linken und rechten Positionen ist nicht nur vor dem Hintergrund bereits existierender Querfrontallianzen oder dem Bestreben von Organen des Verfassungsschutzes, links und rechts einander gleich zu setzen voranzutreiben. Sie ist auch angesichts einer intellektuellen Neuen Rechten von Nöten, die sich genau die Überwindung von linken und rechten Polarisierungen zum Ziel gesetzt hat, und für die jede Gelegenheit auf öffentliches Gehör, ihrer Strategie — Anerkennung in politischen Diskursen zu erlangen — zuarbeitet.

AntifaschistInnen sind heute wieder mit einem vielfältiger gewordenen rechten Spektrum konfrontiert. Rechtes Denken bezieht sich stets positiv auf Heimat, Volk, Identität, Nation und partikulares Denken. Es wendet sich u. a. negativ gegen linke und als fremd betrachtete Menschen, das so genannte Establishment, den Universalismus und den Egalitarismus. Der Begriff des Populismus schafft einen Schutzraum für diejenigen Rechten, die sich hinter weniger krassen Positionen verstecken und für ihre rassistische Hetze Meinungsfreiheit reklamieren. Dieser Situation kann nicht mit einer Verschleierung rechter Positionen unter dem allgemeinen Begriff des Populismus begegnet werden. Stattdessen gilt es, die zunehmende Geltung rechter Positionen — also ihre Popularisierung — und damit ihre Artikulation im öffentlichen Diskurs zu bekämpfen.

  • 1Der Verweis auf die die angeblich prekäre Lebenssituation von Menschen, die AfD und „Front National“ wählen, lässt sich empirisch nicht halten. Dennoch gilt der Verweis auf prekäre Lebenslagen häufig als Erklärung für den Zulauf, den rechte Parteien erhalten.
  • 2Die Studie „Falsche Propheten. Studien zur faschistischen Agitation“ von Leo Löwenthal und Norman G. Guterman (1982 [1949]) ist nach wie vor hochaktuell.
  • 3Beispielhaft dafür: Mouffe, Chantal (2007): Über das Politische. Wider die kosmopolitische Illusion. Suhrkamp Verlag und  Laclau, Ernesto (2014): Warum Populismus? Online unter: www.zeitschrift-luxemburg.de/warum-populismus/ [02.02.2018].