Form und Inhalt einer erneuerten Rechten
Gerd WiegelGefahr auch in Deutschland?
Der unverkennbare Rechtsruck in Europa, verbunden mit dem Ende der hegemonialen Stellung der neuen Sozialdemokratien, wird vor allem unter dem Stichwort des Populismus untersucht. Die Beschreibung des Phänomens unter dem Stichwort Rechtspopulismus legt nahe, dass insbesondere im Populismus der Grund für den Erfolg dieser Parteien gesehen wird, wenngleich erst die Verbindung mit »Rechts« die inhaltliche Beschreibung dieses Phänomens erlaubt.
Verbunden wird also der Stil eines politischen Auftretens mit einer bestimmten inhaltlichen Ausrichtung. Wofür steht »Rechts« in der Verbindung mit »Populismus«? Wurden früher Parteien wie die FPÖ oder die Alleanza Nazionale (AN) mit dem Stichwort des Rechtsextremismus belegt, so fallen sie in der aktuellen Debatte unter das Stichwort Rechtspopulismus.
Die Ausgangsthese dieses Beitrags ist, dass die zur Zeit erfolgreichen und in Regierungsverantwortung stehenden Parteien der extremen Rechten (FPÖ, Alleanza Nazionale, Lega Nord, Dänische Volkspartei) eine inhaltliche Annäherung an das etablierte Parteienspektrum vollzogen haben, ohne damit ihre traditionellen Inhalte – Nationalismus, Rassismus und, bei einigen, eine tendenzielle Apologie des Faschismus – aufgegeben zu haben.
Wichtigster Bestandteil dieser inhaltlichen Annäherung ist die Übernahme der neoliberalen Wirtschaftsvorstellung, mit der diese Parteien erst zu kompatiblen Partnern der etablierten Rechten und Konservativen werden konnten. Der Populismus ist das stilistische Mittel, diese Anpassung zu überdecken, sich selbst als Angreifer gegen das bestehende System darzustellen und weiterhin das traditionelle Klientel der extremen Rechten zu bedienen.
Nur der Populismus erlaubt den Spagat zwischen diesen ganz unterschiedlichen Ausrichtungen. Rechtspopulismus bezeichnet somit nicht nur einen politischen Stil, sondern tatsächlich transformiert sich mit diesem Stil auch die inhaltliche Ausrichtung der extremen Rechten.
Rechtspopulismus in Deutschland
Sowohl was die parlamentarische Etablierung rechtsextremer Parteien angeht, als auch bei der gegenwärtigen Konjunktur des Rechtspopulismus scheint Deutschland eine Sonderrolle einzunehmen. Auf Bundesebene konnte sich bis heute keine Partei der extremen Rechten etablieren. Auch der Rechtspopulismus kommt über regionale Versuche, so die Hamburger Schill-Partei, bisher nicht hinaus.
Für den ersten Befund sind vielfältige Gründe verantwortlich: Neben der historischen Erfahrung des Faschismus, die ein offenes Bekenntnis zur extremen Rechten in Deutschland erschwert hat, ist es hier vor allem die organisatorische Zersplitterung des Spektrums, die eine Sammlung des zweifellos vorhandenen Potenzials erschwert. Für den parteiförmigen Rechtsextremismus können nur die »Republikaner« als eine bedingt moderne Variante angesehen werden, ohne jedoch auf absehbare Zeit anschlussfähig etwa für CDU/CSU zu werden.
Auch hat keine dieser Parteien das Potenzial, einen erfolgreichen Rechtspopulismus zu vertreten. Der viel beklagte Mangel an einer charismatischen Führungspersönlichkeit spielt hier ein wichtige Rolle. Dennoch lässt sich auch in Deutschland eine Zunahmen rechtspopulistischer Argumentationen beobachten, die von der Politik adaptiert werden und dem oben beschriebenen Stil folgen.
Ein Beispiel dafür war sicherlich die Antisemitismusdebatte um Jürgen Möllemann und die FDP. Zunächst ist die Themenwahl entscheidend: Das deutsch-israelische, deutsch-jüdische Verhältnis und die Frage des Antisemitismus sind in Deutschland aufgrund der Geschichte aufs äußerste sensibilisiert. Öffentlich provozierende Aussagen hierzu versprechen größtmögliche Medienaufmerksamkeit.
Die Debatten der letzten Jahre zur faschistischen Vergangenheit in Deutschland und insbesondere zum deutsch-jüdischen Verhältnis haben einen Klimawandel angezeigt. Dies wurde spätestens mit der Walser-Bubis-Debatte deutlich. Im Zeichen eines neuen nationalen Selbstbewusstseins wurde gerade die Bevölkerungsgruppe zum Störfaktor, die aus deutscher Sicht als personifizierter Schuldvorwurf und Hindernis dieses neuen Selbstbewusstseins ausgemacht wurde: die Juden.1
Möllemann hatte diese Klimaveränderung genau registriert und für sich nutzbar gemacht. Mit seiner einseitigen Parteinahme gegen Israel, der gleichzeitigen Behauptung, Kritik an Israel sei in Deutschland tabuisiert und seinem Angriff auf jüdische Repräsentanten in Deutschland, bediente er verbreitete Einstellungen und Ressentiments.
Bezogen wird, stellvertretend für die Bevölkerung, die Position des Außenseiters, der das sagt, was alle denken, sich aber nicht zu sagen trauen. Möllemanns Verweis auf die Tausende von Briefen und E-Mails, die er bekommen habe und die seine Position unterstützten, ist Ausdruck dieser Strategie. Übrigens berief sich auch Walser immer wieder auf die »Tausende« von Briefen, die ihn unterstützten.
Der vermeintliche Tabubruch wird als mutiges Aufbegehren gegen ein von oben erlassenes Verbot gewertet, das Schema des »wir« gegen »die da« ist erfüllt. Dass Kritik an Israel in Deutschland weder verboten noch tabuisiert ist, tut nichts zur Sache. Worum es geht, ist nicht die Position zu Israel oder dem Nahost-Konflikt, sondern das selbstbewusste Bekenntnis zur Nation, dem, imaginär, die Juden entgegenstehen.
Dass diese selbst Schuld am Antisemitismus seien, ist eine weit verbreitete Einstellung. Möllemann sprach sie aus, womit er sich wieder zum Sprecher der »schweigenden Mehrheit« machte. Dass es sich hierbei um kein zufälliges Ereignis, sondern um eine von Möllemann (und eventuell der gesamten FDP-Führung) bewusst gewählte Strategie handelt, macht dessen Einschätzung des gegenwärtigen Rechtspopulismus in Europa deutlich:
In einer Kolumne im Neuen Deutschland nannte er die Wahlerfolge von Haider und der niederländischen Liste Pim Fortuyn eine »Emanzipation der Demokraten«, bei der es nicht mehr um rechts oder links gehe. Vielmehr gehe es darum, »wer die tatsächlichen Probleme der Menschen ohne ideologische Scheuklappen erkennt, in der Sprache des Volkes nennt und zu ihrer Zufriedenheit löst.« Ganz der populistischen Selbstdarstellung entsprechend, gerierte Möllemann sich hier als der Politiker, der dem Volk aufs Maul schaut und ihm nach dem Mund redet.
Das Motiv der vom Volk gelösten politischen Klasse wird beschworen, die jetzt durch eine neue Kraft »überwunden werden müsse.«2 In Ländern wie Österreich oder Dänemark zeigt sich, dass es mit einer schon etablierten Partei sehr viel leichter fallen kann, rechtspopulistische Standpunkte erfolgreich zu beziehen. Die FDP, schon in den neunziger Jahren das Objekt der parteipolitischen Begierde einer »Neuen Rechten« um Alexander von Stahl und Rainer Zitelmann, wäre hierfür prädestiniert.
Die vehemente Kritik durch die anderen Parteien an Möllemann und der FDP ist vor allem der Angst geschuldet, eine erfolgreiche rechtspopulistische Konkurrenz zu bekommen. Argumentationsmuster des Rechtspopulismus finden sich in Deutschland in beiden großen Volksparteien, womit Bindungswirkungen auch auf dieses Wählerklientel ausgeübt werden. Allerdings ist sich die Politikwissenschaft über die nachlassende Bindungskraft gerade der Volksparteien einig.
Es bestehen also auch in Deutschland reale Chancen für einen erfolgreichen Rechtspopulismus. Die Debatten zur Zuwanderung, Leitkultur, zum Nationalstolz, und zur »Inneren Sicherheit« und vor allem die weiter voranschreitende Verschärfung der sozialen Frage nehmen Argumentationen des Rechtspopulismus auf und verschaffen ihm eine gesellschaftlich hegemoniale Stellung. Insbesondere die Ethnisierung der sozialen Frage bestätigt das dichotomische Freund-Feind-Muster und die Gegenüberstellung in »wir« und »die da«.
Vor allem die Unionsparteien sind es, die rechtsextreme und rechtspopulistische Versatzstücke in ihre Argumentation mit aufnehmen. Der Kampf gegen das neue Staatsangehörigkeitsrecht, die vor allem ethnisch-völkisch motivierte Ablehnung des Zuwanderungsgesetzes und der hiermit im Zusammenhang stehende Bevölkerungsdiskurs sind Tribut an traditionell rechte Einstellungsmuster.
Mit der Nationalstolzdebatte und der deutschen Leitkultur wurden zwei Kampagnen befördert, die direkt dem Reservoir der extremen Rechten entstammen könnten. Die Mischung aus Modernität und Tradition, aus »Handy und Lederhose« soll die realen Gegensätze in der Politik der Union überdecken.3 Die damit einhergehende Legitimierung rechtspopulistischer Politikmuster ist jedoch nicht nur auf die Union beschränkt.
Ob sich auch in Deutschland eine eigenständige Kraft des Rechtspopulismus entwickeln kann, muss gar nicht die entscheidende Frage sein. Guckt man sich deren Regierungsbeteiligung in Europa an, dann sieht man vor allem eine Beschleunigung von Prozessen, die auch in anderen Ländern vorangetrieben werden. Die repressive Zuwanderungs- und Ausländerpolitik etwa in Dänemark findet sich in Australien in noch verschärfter Form, ohne dass es dazu einer explizit rechtspopulistischen Partei in der Regierung bedürfte.
Damit sollen nicht die Gefahren des Rechtspopulismus verharmlost, sondern vielmehr dessen Durchdringung der etablierten Politik als das größte Problem beschrieben werden. Heitmeyer spricht von einer »Demokratieaushöhlung«, die mit der zunehmenden Kontroll- und Überwachungspolitik und dem von allen Seiten befeuerten Sicherheitsdiskurs einher gehe. Die vom neoliberalen Kapitalismus hervorgerufenen Desintegrationstendenzen geraten als Ursache für die neuen Unsicherheiten völlig aus dem Blick.
Die vom Populismus forcierte Zustimmung der Bevölkerung zu solchen Verschärfungen beinhaltet für Heitmeyer »die Bedingung für die Entwicklung einer Demokratieverachtung bei politischen Eliten.«4 »Verlierer« dieser Entwicklung ist für Heitmeyer der traditionelle Rechtsextremismus, dessen autoritäre Forderungen von der Politik aufgenommen und entpolitisiert werden. Ideologische Positionen des Rechtsextremismus werden zu funktionalen Mitteln der Politik: »Aus Ideologielogiken werden Sach- und Verwertungslogiken«,5 womit Heitmeyer auch die ökonomisch nutzbare Seite des Sicherheitsdiskurses oder der Ethnisierung sozialer Fragen hervorhebt.
Die Angleichung und Entleerung der Politik, die tendenzielle Aufgabe eigener Gestaltungsansprüche und der bloße Nachvollzug kapitalistischer Logik lässt die Frage des politischen Stils beim Werben um Zustimmung immer wichtiger werden. Hier liegt das zukünftige Potenzial des Rechtspopulismus.
Dieser Artikel wurde dem AIB von dem Marburger Politikwissenschaftler Gerd Wiegel zur Verfügung gestellt. Die lange Fassung erschien in »Z - Zeitschrift marxistischer Erneuerung« (9/2001, http://www.zeitschriftmarxistischerneuerung.de)
- 1 vgl. hierzu Johannes Klotz/Gerd Wiegel: Geistige Brandstiftung. Die neue Sprache der Berliner Republik, Berlin 2001.
- 2Neues Deutschland vom 25.5.2002
- 3vgl. Gerd Wiegel: Die Union und der rechte Rand, hrsg. vom Forum 2000plus der PDS-Bundestagsfraktion, Berlin 2002.
- 4Wilhelm Heitmeyer: Autoritärer Kapitalismus, Demokratieentleerung und Rechtspopulismus. Eine Analyse von Entwicklungstendenzen, in: Schattenseiten der Globalisierung. Rechtsradikalismus, Rechtspopulismus und separatistischer Regionalismus in westlichen Demokratien, Frankfurt am Main 2001, S. 519
- 5ebd., S. 526