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Rassistische Eskalation

Einleitung

Die Entwicklung des Rechtspopulismus in Schweden ging weitaus langsamer von statten als in den Nachbarländern Dänemark und Norwegen. Erst mit Einzug der Schwedendemokraten ins schwedische Parlament 2010 nahm der Rechtspopulismus ernsthaft Fahrt auf. Die Folge war ein immer stärker werdender politischer Rassismus, der das politische System und die Bevölkerung im Land testet und herausfordert. Im  Sommer und Herbst dieses Jahres eskalierte auf der Straße, wie auch im Parlament, die Situation. Während tausende Schutz suchende Menschen im Land ankamen, reagierten die etablierten Parteien mit massiver Verschärfung der Asylpolitik, wuchs die Unterstützung der Schwedendemokraten enorm und dutzende Asylunterkünfte gingen in Flammen auf. 

Foto: Miljöpartiet de gröna (CC BY-NC-ND 2.0)

Åsa Romson verkündete die Verschärfung der Asylgesetze

Der sozialdemokratische Ministerpräsident Stefan Löfven und seine Stellvertreterin von den Grünen Åsa Romson verkündeten am 23. November 2015 neue Verschärfungen in der Asylgesetzgebung.  Beim Verlesen der neuen Regeln bekam Romson feuchte Augen und war den Tränen nahe.

Viele sexistische und erniedrigende Kom­men­tare über die schwache Gefühlswelt der Frau waren die Folge. Es gab auch Stimmen, die sagen, Romson hätte die Tränen heuchlerisch herausgedrückt um eine Botschaft zu signalisieren. Die Botschaft sollte heißen: „So sind wir eigentlich nicht”.

Ein wirklicher Grund für die Tränen Rom­sons wird Erschöpfung gewesen sein. In den  letzten Jahren und insbesondere Monaten wurde das politische System in Schweden stark gefordert und auf die Probe gestellt. Die Hauptherausforderung besteht in dem immer weiter ansteigenden Erfolg des politischen Rassismus im Land. Im Gegensatz zu den skandinavischen Nachbarländern gab es in Schweden auch in den etablierten Parteien ein Bekenntnis zu Schweden als Einwanderungsland. Mit diesem Hintergrund stellen die neuen Verschärfungen der Regie­rung tatsächlich ein Novum in der schwedischen Politik dar. Und auch der Erfolg der RechtspopulistInnen von den Schwedendemokraten ließ länger auf sich warten und ähnelt erst seit 2014 dem rechtspopulistischem Erfolg in den Nachbarländern.

Die Schwedendemokraten wurden in den späten 1980er Jahren, in einem Zusammenschluss aus verschiedenen Teilen der alten Neonaziszene, gegründet.  Dieser Vergangenheit als eindeutige Neonazipartei blieb sich die Partei lange treu, bis um die Jahrtausendwende langsam damit begonnen wurde, sich vom Neonazi Image zu entfernen. Mittlerweile ist es der Partei gelungen, diesen Schritt zu vollziehen und hauptsächlich als rechtspopulistische Partei wahrgenommen zu werden. 2010 zogen sie mit dem seit 2005 amtierenden Chef Jimmie Åkesson erstmals in das schwedische Parlament ein. Vier Jahre später konnte der Anteil an den abgegebenen Stimmen mit 12,9 Prozent, mehr als verdoppelt werden. Bei Umfragen im September und November 2015 haben sich die Werte für die Partei bei 17 Prozent eingependelt und scheinbar stabilisiert.

Der Erfolg bei den Wähler_innen spiegelt sich aber noch nicht im parlamentarischen Einfluss wieder. In Dänemark und Norwegen undenkbar, gibt es Schweden tatsächlich ein Bewusstsein der etablierten Parteien, dass mit den Schwedendemokraten nicht koaliert wird. 

Die Parlamentswahl 2014 hatte somit auch die Bildung dreier verschiedener Fraktionen als Folge. Die Sozialdemokraten, die Grünen und die Linkspartei bilden den linken Block während u.a. die Konservativen und Liberalen beim rechten Block beheimatet sind. Die abgeschlagenen Schwedendemokraten sind die dritte Fraktion. Kurz nach der Wahl gelang es dem Oppositionsblock der Rechten ihr Finanzbudget durchzudrücken — mit Hilfe der Schwedendemokraten.

Die Regierung drohte mit Neuwahlen. Die Opposition gab nach und es kam zur sogenannten Dezemberübereinkunft. Diese Über­einkunft garantierte, dass die nächsten 8 Jahre das Budget der jeweils größten Koalition durchkommt, ohne auf die Hilfe der Schwedendemokraten zurückzugreifen.

Gerade in der liberalen und konservativen Presse gab es sehr kritische Stimmen zu diesem Abkommen. Und am 9. Oktober 2015 erklärte die Spitze der Konservativen Partei, Anna Kinberg Batra, dann auch, dass die Dezemberübereinkunft ab sofort als für tot angesehen werden sollte.

Eine Woche später, nachdem die Übereinkunft der Parteien wieder aufgehoben wurde, machten die Schwedendemokraten auf einer vielbeachteten Pressekonferenz öffentlich, dass sie sich von nun an auf Propaganda anstatt parlamentarische Arbeit konzentrieren würden. Das Hauptziel dieser Propaganda würde die Forderung nach einer Volksabstimmung über die Aufnahme von Flüchtlingen sein. Es wurden Flyer an die schwedischen Haushalte verteilt und auch Flyer in griechischen Flüchtlingslagern verbreitet, in denen Flüchtlinge davor gewarnt wurden, nach Schweden zu kommen. Die Reklamefläche einer Metrostation in Stock­holm wurde gemietet und mit dem englischen „Excuse“ vollgehängt. Adressaten waren ausländische Touristen, denen gegenüber entschuldigt werden sollte, dass es bettelnde Roma in Stockholms Straßen gibt.  Eine antirassistische Demonstration stürm­te wenige Tage darauf die Station und entfernte einen Großteil der rassistischen Propaganda.

Der politische Druck der Schwedendemokraten wäre wirkungslos verpufft, hätten nicht andere Parteien Aspekte von ihnen aufgegriffen. Der Thinktank „Tiden“ zeigte im Oktober auf,  dass Liberale und Konservative Leitartikel Themen und Forderungen übernommen haben, die bis dahin nur von den Schwedendemokraten besetzt waren (z.B. befristete anstatt permanente Aufenthaltserlaubnis für Flüchtlinge).

Die Verkündung der Verschärfungen der Asylpolitik vom 23. November ist, genau wie die Tränen von Åsa Romson, als ein Nachgeben gegenüber dem indirekten Druck der Schwedendemokraten zu sehen.

Mit der befristeten Aufenthaltserlaubnis als Regelfall, Passkontrolle als Vorbedingung zur Einreise nach Schweden und einer starken Verschärfung von Regeln der Familienzusammenführung, ist es den Schwedendemokraten gelungenn einen großen Teil ihrer Forderungen zur Asylpolitik durch­zusetzen. Es ist nur logisch, dass Jimmie Åkesson jetzt noch weiter geht und als nächstes Projekt die Registrierung der politischen Haltungen von Muslimen in Schweden anpeilt.

Der Rechtsruck spitzt sich aber nicht nur auf parlamentarischer Ebene dramatisch zu. Einigen RassistInnen reicht Politik als Aktionsfeld nicht mehr aus. Seit Anfang 2015 werden immer wieder Brandanschläge auf (geplante) Asylunterkünfte verübt. Im Takt mit dem zunehmenden Erfolg der Schwedendemokraten und den tausenden Flüchtlingen, die im Land ankamen, nahmen auch die Angriffe auf Asylbeweber_innen und deren Unterkünfte zu.

21 Brandanschläge wurden von März bis November 2015 verzeichnet — 11 davon alleine im Oktober. Ganze zwei mutmaßlische Täter konnten bis jetzt dingfest gemacht werden. Die beiden wurden vor einer Asylunterkunft in Börlange, betrunken und mit Benzinkanistern ausgerüstet, festgenommen.

Es gibt Diskussionen, inwieweit rassistische Internetplattformen, wie Flash­back. com, die Täter_innen zu solchen Taten angestiftet haben könnten. Aber auch die Schwedendemokraten geraten in die Kritik. Im südschwedischen Lund machte die Orts­gruppe Adressen von geplanten Asylunterkünften öffentlich. Wenige Tage später brannte eine der Unterkünfte nieder.

Es dauerte bis zum 29. Oktober bis sich Jimmie Åkesson auf seiner Facebookseite von diesen Angriffen distanzierte. Trauriger Höhepunkt sind die rassistischen Morde von Trollhätten. Ein 21 jähriger Mann ging maskiert und mit einem Schwert bewaffnet in die Cafeteria der Kronanschule und erstach einen 15 jährigen Schüler und einen 20 jährigen Aushilfslehrer. Er verletzte noch mindesten vier weitere Schüler_innen und einen Lehrer schwer, bis er selbst von der Polizei erschossen wurde. Noch am selben Tag wurde bekannt, dass der Täter Material im Internet verbreitete, das Hitler und Nazideutschland glorifizierte, dass er den Islam und die schwedische Einwanderungspolitik kritisierte und bei seinen Morden extra nach Menschen mit dunkler Hautfarbe gesucht hatte. Am Abend des dritten Dezember verstarb ein weiteres Opfer. Der 42 jährige Integrationslehrer hatte sechs Wochen schwer verletzt im Krankenhaus gelegen.