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Rassistische Siedlungsprojekte in den USA

Max Böhnel (New York)
Einleitung

Streng genommen und mit Blick auf die Kolonisierung Nordamerikas geht es kaum amerikanischer: eine weiße Wehrsiedlung in Gods Own Country. Der aus Europa eingewanderte Siedler nimmt sich einen Landstrich und verteidigt ihn zu Ehren Gottes mit Gewalt gegen Eindringlinge. Versuche, in den USA solche neofaschistischen Projekte zu errichten, gab es viele. Die allermeisten blieben theoretische Hingespinste. Die meisten hielten sich, bis auf zwei Ausnahmen, nur für kurze Zeit. Die Szene träumt aber weiter von einem „weißen Homeland“.

Bild: Screenshot von YouTube

Der amerikanische Neonazi-Siedler Richard Butler.

Hayden Lane

Am Längsten – und zwar mit Abstand - in der Riege neo-faschistischer US-Siedlungen hielt Richard Girnt Butler durch. Er war jahrelang der "Superman" der US-Neonaziszene. Im nördlichen Idaho in einer abgelegenen Ortschaft namens Hayden Lake hatte er zusammen mit seiner Ehefrau Betty 1973 ein bäuerliches Anwesen gekauft. „Bäuerlich“ beziehungsweise „countryside“ bedeutet in den USA, viele Stunden Fahrtzeit entfernt von jeglicher größerer Ansiedlung beziehungsweise Behördennähe. Butler errichtete dort seine „Church of Jesus Christ Christian“, der er wenige Jahre darauf den Zusatz „Aryan Nations“ gab. Die Organisation fungierte als „politischer Arm“ der „Kirche“. Butler predigte eine Mischung aus nationalsozialistischer Ideoligie und „Christian Identity“, wonach Weiße mit nordeuropäischen Vorfahren die wahren Kinder Gottes und alle anderen minderwertig seien.

Der als Flugzeugingenieur ausgebildete Neonazi war finanziell gut bestückt. Zusätzlich zu seinem Job beim Rüstungskonzern Lockheed hatte er ein zweites gutes Einkommen, da er Miterfinder eines Schnellklebstoffs für Reifen war. Im Alter von 55 Jahren ging Butler in Rente und zog von Kalifornien nach Idaho um. Das Anwesen, einen alten Hof, ließ er renovieren und aus­bauen, auf acht Hektar Land, umgeben von Wiesen und Wäldern. Neben seinem gefüllten Konto und der geographischen Abgeschiedenheit kamen ihm und seinen Anhängern die laxen Waffengesetze im ­libertär-konservativen Bundesstaates Idaho zu Gute. Legal konnten die Neonazis offen Waffen tragen. Für die Schießausbildung sorgte ein eigener Stand. „Manöver“ im Freien waren kein Problem, ebensowenig wie das Verbrennen von Kreuzen. Hakenkreuzfahnen und Hitlergrüße fallen in den USA unter das Recht auf freie Meinungsäußerung.

1981 veranstaltete Butler seinen ersten „Aryan World Congress“, der zur Jahresveranstaltung wurde und an dem neben regionalen Neonazis auch extrem rechte Führungsfiguren aus der ganzen Welt teilnahmen.

Butler predigte den „territorialen Imperativ“, einen Begriff und ein Konzept, das er erfunden hatte, aber einen Rückgriff machte auf die eingangs erwähnten europäischsstämmigen Siedler Nordamerikas. Auch „Northwest Imperative“ oder „North­west Front“ genannt, sollen demnach Weiße in den Nordwesten der USA umsiedeln, konkret in die Bundesstaaten Washington, Oregon, Montana, Wyoming und das nördliche Kalifornien, um aus ihnen irgend­wann einen einzigen zusammenhängenden weißen Staat zu formieren. Alle Nicht-­Weißen sollen „repatriiert“ - also vertrieben werden.

Beim Jahrestreffen 1986 auf Butlers Anwesen wurde die Idee vor über 200 Neonazi- und KKK-Führern sowie vor etwa 5.000 „Mitstreitern“ genauer erläutert. Man solle aneinander oder nahe beieinander liegendes Land kaufen und dann „Familien mit fünf oder zehn Kindern gründen“. Butlers Mitstreiter Robert Miles führte aus: „Wir werden den Nordwesten gewinnen, indem wir unsere Gegner über-­brüten und unsere Kinder von den kranken und destruktiven Werten des Establishments fernhalten“. Doch die folgenden Siedler waren auf ein paar Dutzend beschränkt. Zu den Gründen gehören die mangelnde Bereitschaft, bestehende Arbeits- und Familienverhältnisse zugunsten eines Umzugs aufzugeben, der Mangel an Startkapital, die nicht bestehenden internen Wirtschaftskreisläufe und generell keine Jobaussichten in der ländlichen Gegend. Es kam zu keiner einzigen Agglomeration von Anwesen, geschweige denn zu einer „weißen“ Neonazi-Nachbarschaft. Butler und seine Gefolgschaft beschränkten sich einmal im Jahr auf eine Fahrzeugkolonne, der sich aber jedesmal sehr viel mehr Demonstrant_innen entgegenstellten.                  

"The Order"

Dennoch versuchten es Einige auf eigene Faust. Vordergründig ist dabei eine Abspaltung von Butlers „Kirche“ zu nennen, die sich „The Order“ nannte und den „Rassenkrieg“ ausrief. Ihre Mitglieder fälschten Geld und überfielen in Seattle Sexshops und Geldtransporter, legten in einer Synagoge eine Bombe und ermordeten in Denver eine jüdischen Talkshow-Moderator. 1984 wurde „The Order“-Chef Robert ­Mathews von FBI-Beam­ten erschossen. 1985 erhielten zehn Mitglieder von „The Order“ von einem Bundesgericht Haftstrafen zwischen 40 und 100 Jahren. Obwohl das Falschgeld auf dem Anwesen Butlers gedruckt worden war und ein Teil der gestohlenen Gelder an seine „Kirche“ floss, konnten ihm die Behörden nichts nachweisen. Nur wenig wurde zu den genaueren Beziehungen zwischen Butler und dem terroristischen Untergrund bekannt.

Jahrelang konnten örtliche Initiativen trotz einer Öffentlichkeitskampagne gegen Butler nichts erreichen. Selbst die Behörden, die über den schlechten Ruf der Gegend und ausbleibende Tourismusgelder klagten, waren hilflos, als ein Gericht den Neonazis das Recht auf freie Meinungs­äußerung und ihre Märsche aufrechterhielt. Erst im 27. Jahr seiner Existenz ergab sich die Gelegenheit, das inzwischen US- und weltweit bekannte Anwesen aufzulösen: ein Gericht verdonnerte Butler zu einer Strafzahlung von 6,3 Millionen Dollar. Er ging bankrott, das Anwesen wurde versteigert und schließlich in einen Feuerwehr-­Übungsplatz umgewandelt. Butler verstarb 2004 im hohen Alter.

Das „Southern Poverty Law Center“, das maßgeblich zum Bankrott des Neonazis beigetragen hatte, summierte, das Anwesen diente „jahrzehntelang ehemaligen Häftlingen, rassistischen Skinheads und weiteren Antisemiten und Berufs-Rassisten, von denen ­Viele Verbrechen begangen hatten, als Zufluchtsort“.

Elohim City

Im Gegensatz zu Butlers Anwesen, das Neonazis als zeitweiliger Unterschlupf und mögliches Sprungbrett diente, ist Elohim City ein geschlossener Wohnort mit Dutzenden von Gebäuden. Der Name täuscht, denn es handelt sich um keine Stadt, sondern um eine Siedlung mit geschätzten 80-120 Bewohnern. Elohim City befindet sich außerdem nicht im pazifischen Nordwesten der USA, sondern weit entfernt davon in Oklahoma, allerdings ebenfalls in ländlicher Abgeschiedenheit. Es wäre falsch, Elohim City als Neonazi-Siedlung zu klassifizieren.

Gegründet wurde Elohim City 1973 von dem Mennoniten Robert G. Millar, der aus Kanada in die USA eingewandert war, zusammen mit 18 weiteren Familienangehörigen. Millar gründete Elohim City („Stadt Gottes“) mit dem Anspruch auf „Christian Identity“. Es handelt sich um eine puritanistische Sekte, die sich auf das alte Testament beruft und auf offen rassistischen und antisemitischen Verschwörungsmustern beruht.

Auswärtige Rechte, die bei ­Besuchen in dem Ort Nazi-Symbole und weiße „Wut“ wie in Butlers Idaho-Anwe­sen suchten, sahen sich enttäuscht. Denn Elohim City bestand immer auf dem Image des ­religiösen In-sich-Gekehrtseins. Millar bestätigte mehrfach, dass er und seine „Community“ einen „unaufgeregten rassischen Separatismus“ bevorzugten. Sein Nachfolger und Sohn John Millar sagte im Sommer 2001: „Wir sehen uns als Survivalisten im Sinne von ’wir überleben, so gut wir können‘“. Die Gemeinde sei bewaffnet – was in Oklahoma, einem äußerst waffenfreundlichen Bundesstaat, allerdings nicht ungewöhnlich ist. Obwohl Elohim City auf eine offensive Außenwirkung keinen Wert legt, ist es doch äußerst offen für Besuche von und Kontakte mit prominenten Rechts­außen bis hin zu entsprechenden Terroristen. Die Liste ist lang und umfänglich.

Nach dem rechten Terroranschlag in Oklahoma City 1995 mit 168 Toten geriet die Siedlung ins Visier des FBI. Denn Ermittler hatten herausgefunden, dass der Attentäter Timothy McVeigh und der Sicher­heitschef von Elohim City Andreas Strassmeir sich auf einer Waffenmesse begegnet waren. Darüberhinaus hatte McVeigh zwei Wochen vor dem Anschlag telefonisch nach Strassmeir gefragt. „Andy the German“ war 1990 in die Siedlung gekommen und lebte dort bis 1995. Seine Hauptaufgabe sei es gewesen, die Gemeinde vor dem Einsickern von Provokateuren zu schützen, sagte er gegenüber dem „Der Spiegel“ 1997 in einem Interview. Strassmeir war zwei Monate nach dem Oklahoma-City-Anschlag nach Berlin zurückgekehrt, wo er als Sohn eines CDU-Politikers aufgewachsen war. Er wurde Mitinhaber eines Berliner Ladengeschäfts. McVeigh war wohl nie in Elohim City gewesen. Das FBI und seine deutschen Kollegen sahen in Strassmeir keinen Aufklärungswert mehr.

Elohim City ist seitdem wieder in Vergessenheit geraten. Die Mehrzahl seiner Bewohner geht weiter dem täglichen Gottesdienst nach, und die Rechten, die zu Besuch kommen, dürfen wie die Millar-­Familie davon ausgehen, dass seit dem Oklahoma City-Anschlag jede Bewegung und jede Äußerung in dem Ort überwacht wird.