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Razzia gegen die „Stützen der Gesellschaft“

Martina Renner
Einleitung

Als am 7. Dezember 2022 knapp 3000 Polizist:innen, 1500 Spezialkräfte und 850 BKA-Beamt:innen in 11 Bundesländern Durchsuchungen gegen knapp über 50 Beschuldigte und 162 zugeordnete Objekte durchführten, löste dies ein seit Jahren nicht gekanntes Presseecho im In- und Ausland aus. Und in der Tat: Die Aktion der Generalbundesanwaltschaft, die das Verfahren erst seit September 2022 führt, ist im Hinblick auf die Anzahl der Beschuldigten, der durchsuchten Objekte und der vollstreckten Haftbefehle durchaus bemerkenswert. Die von großen Teilen der Presse bereitwillig übernommene Erzählung aus dem Innenministerium, die Ermittlungen gegen die sogenannte „Patriotische Union“ hätten eine bisher ungekannte rechtsterroristische Qualität offengelegt, ist jedoch falsch. Sie verdeckt Parallelen zu anderen Komplexen, historische Kontinuitäten und leistet damit der selben Wahrnehmung Vorschub wie die immer wieder vorgebrachte und ebenso falsche Behauptung des rechten Einzeltäters. In beiden Fällen werden Verbindungen, Bedingungen und Hintergründe ausgeblendet.

Bild: Screenshot ZDF

Die Festnahme von Heinrich XIII. Prinz Reuß ging breit durch die Medien.

Perspektive Putsch

Schon auf den ersten Blick ist auffällig, dass die bisher bekannten Anschlagspläne nicht neu sind: Das Erstürmen des Parlaments und die Geiselnahme bzw. Erschießung von Abgeordneten, um die Regierung zum Abdanken zu zwingen und eine bereitstehende autoritäre Exilregierung ins Amt zu setzen sind in der extremen Rechten verbreitete Putsch-Vorstellungen.

Ähnliche Szenarien schreiben die Ermittlungsbehörden auch der im April 2022 durchsuchten mutmaßlichen Terrororganisation „Vereinte Patrioten“ zu, gegen die der Generalbundesanwalt zwischenzeitlich ebenfalls Anklage erhoben hat. Neben der Herbeiführung eines landesweiten Stromausfalls durch Anschläge auf Umspannwerke sollte mit der Entführung des Gesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD) ebenfalls der Sturz der Regierung bezweckt und ein neues Regime eingesetzt werden. Die Verbindung zu den „Vereinten Patrioten“ besteht aber nicht nur hinsichtlich des ähnlichen modus operandi, sondern ist auch personell und strukturell.

Eines der beiden Ausgangsverfahren der aktuell geführten Ermittlungen gegen die so genannten Reichsbürger war ein bei der Generalstaatsanwaltschaft München geführtes Verfahren das unmittelbar Bezug nimmt auf die „Vereinten Patrioten“. Verbindungsglied zwischen den beiden Verfahren ist unter anderem Peter Wörner. Im Zuge einer Telekommunikationsüberwachung im Zusammenhang mit den „Vereinten Patrioten“ wurde bekannt, dass Wörner vergeblich versucht hatte, Sven B. für die Putschpläne der „Patriotischen Union“ anzuwerben. In Folge dieses Kontaktes führte die Polizei am 13. April 2022 eine Durchsuchung bei Wörner als Zeuge durch. Von hier aus entsponnen sich dann die Ermittlungen, die zur Einleitung eines gesonderten Verfahrens des Generalstaatsanwalts München gegen Wörner, Christian Wendler und Heinrich Prinz Reuß führten.

Bezüge zu Bundeswehr und Polizei

Wörner dürfte auch deshalb von zentraler Bedeutung sein, weil er unter dem ebenfalls beschuldigten Rüdiger von Pescatore, ehemals Kommandeur des Fallschirmjägerbataillons 251 diente. Pescatore wurde 1999 vom Landgericht Tübingen zu zwei Jahren Haft verurteilt, weil er im Zeitraum von 1993 bis 1996 - im Zuge der Aufösung seiner Einheit und Überführung in des neugegründete Kommando Spezialkräfte (KSK) - in elf Fällen Waffen aus NVA-Beständen verschwinden ließ. Das KSK bildet auch den Verbindungspunkt zu dem Beschuldigten Oberst Maximilian Eder, der seit dessen Aufstellung dort diente und u.a. mit Pescatore und Wörner den militärischen Arm der rechten Putschisten gebildet haben soll.

Unter den weiteren Beschuldigten findet sich aber auch ein aktives Mitglied des KSK. Andreas Meyer, Logistiker mit Erfahrung in Auslandseinsätzen, war dem MAD aufgefallen, weil er die für Soldat*innen obligate Covid-Schutzimpfung verweigerte und Verbindungen zu Corona-Leugner*innen hatte. Dazu kommen weitere Beschuldigte mit Bundeswehr-Hintergrund: Marco von Heukelum gehörte ebenfalls dem KSK an und der ehemalige BW-Angehörige Harald Pfitzer verbindet wie Wörner den Komplex „Vereinte Patrioten“ mit der „Patriotischen Union“.

Die „Patriotische Union“ nutzte ein Trainingsgelände für taktisches Schießen unweit von Bayreuth, das von seiner Anlage und dem Angebotsprofil her mit dem Schießplatz „Baltic Shooters“ von Frank Thiel in der Nähe von Güstrow vergleichbar ist. Das Gelände Oschenberg teilt sich in einen privat genutzten Schießstand und einem für die Bundespolizei angemieteten Teil.

Die Bundeswehr und das Kommando Spezialkräfte im Besonderen spielen immer wieder eine unrühmliche Rolle in rechtsterroristischen Komplexen. André Schmidt, einer der Köpfe der Gruppe „Nordkreuz“ zu der Anfang 2022 das Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft wegen Planung eines rechten Umsturzes eingestellt wurde, ist Ex-Ausbilder beim KSK. Ein weiteres Beispiel ist Phillipp Schnee, ein zwischenzeitlich suspendierter KSK-Soldat, der an seinem sächsischen Wohnort Munition und Sprengstoff im Garten vergraben hatte und Teil der aufgelösten 2. Einsatzkompanie des KSK war. Dieser gehörte auch der mit Philipp Schnee privat bekannte Schieß- und Survivaltrainer Dennis P. an, der wiederum eine Rolle in dem Verfahren gegen rechte Personenschützer des BKA aus der Einheit ASE (Ausland- und Spezialeinsätze) spielt.

Daneben befinden sich auch Angehörige der Polizei unter den Beschuldigten. Hier ist interessant, dass gleich zwei Beamte aus der Zuständigkeit des LKA Hannover stammen sollen: zum einen der bereits wegen Aktivitäten in der Coronaleugner:innen-Szene suspendierte Beamte Michael Fritsch, der in der Vergangenheit auch mit dem Schutz von Synagogen betraut war, sowie ein weiterer Beamter der als „Thomas B.“ bezeichnet wird und im Bereich des Staatsschutz Phänomenbereich Rechts tätig gewesen sein soll. Weiterhin wurde eine Polizistin in Nordrhein-Westfalen durchsucht.

Offene Fragen

Ein Unterschied zu den letzten Rechtsterror-Verfahren des GBA ist jedoch auffällig, sowohl bei „Nordkreuz“, dem Elitesoldaten Franco Albrecht wie der „Gruppe S“. wurde wegen der Planung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§89a StGB) ermittelt. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen wurde in keinem dieser Fälle der Terrorismusparagraph §129a bemüht, was wesentlich auch dazu führte, dass der Kreis der Beschuldigten z.B. im Nordkreuz-Verfahren mit nur drei Personen sachfremd eng gehalten wurde, obwohl in der Struktur bis zu 41 Rechte organisiert und teilweise auch in die Terrorplanungen und -vorbereitungen eingebunden waren. Die Komplizen von Franco Albrecht wurden nicht für ihre Unterstützung der Anschlagvorbereitungen belangt. Auffällig ist, dass im Verfahren gegen die „Patriotische Union“ nun neben den §§89 a und c auch wegen Mitgliedschaft in bzw. Unterstützung einer terroristischen Vereinigung ermittelt wird. Offenbar verfolgt der GBA das Ermittlungsziel auch dann eine Anklage realisieren zu können, wenn den einzelnen Beschuldigten kein unmittelbarer Beitrag in der Tatvorbereitung zugeschrieben werden kann. Dafür spricht, dass zusätzlich der §83c (Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens) als Tatvorwurf aufgeführt ist. Sollte ein Vorwurf wegbrechen, bleiben andere bestehen.

Genau hier zeigen sich die Lücken in den bisher bekannt gewordenen Ergebnissen der Ermittlungen. Es wurden 97 Waffen gefunden, wobei 55 Schusswaffen einem Waffenhändler aus Sachsen zugeordnet wurden. Ob die anderen aufgefundenen Waffen ausschließlich den legalen Waffenbesitzern zugeordnet werden konnten oder illegal waren, will die Bundesregierung bis heute nicht sagen. Was aber schon klar ist: Im Gegensatz z.B. zu anderen Rechtsterrorverfahren befanden sich unter den aufgefundenen Waffen keine, die unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fallen und bei denen der Verdacht nahe liegt, dass diese aus Bundeswehr- oder Polizeibeständen entwendet wurden. Das ist umso verwunderlicher, da an anderer Stelle bekannt geworden ist, dass bei der Durchsuchung eine Vielzahl von Ausrüstungsgegenständen der Bundeswehr gefunden wurde. Nicht nur dieser Umstand wirft die Frage auf, ob die „Patriotische Union“ bisher unentdeckte Verstecke von Waffen angelegt hatte. Immerhin befanden sich unter den Durchsuchten 16 Personen mit waffenrechtlichen Erlaubnissen sowie (Ex-)Angehörige von Polizei und Militär und ein Waffenhändler. Auch die bisher gefundene Munition - 25.462 Schuss - scheint gemessen an dem Vorhaben und der Größe der Gruppierung eher gering.

Ähnlich unklar ist die Frage, ob die Razzia größere Geldbeträge zu Tage förderte, die gezielt gesammelt wurden um die Operation  nanziell abzusichern. Anzunehmen ist, dass dies eine Ausgangsfrage der Ermittlungsbehörden war, auch weil das von der Generalstaatsanwaltschaft Berlin übernommene und überführte Verfahren den §89c StGB (Terrorismusfinanzierung) als Tatvorwurf nannte. Insgesamt wurden rund 422.000 Euro und sehr viel kleinere Beträge in Rubel, Franken, Tschechischen Kronen sowie diversen Dollarwährungen gefunden. Vor dem Hintergrund der Gesamtzahl der Beschuldigten und ihrer teils üppigen oder wenigstens höheren Vermögenssituation stellt sich die Frage, ob es dem GBA gelingt, die aufgefundenen Geld- und Wertgegenstände den Umsturz-Vorbereitungen zuzuordnen.

Ebenfalls nicht neu ist der Umstand, dass drei Datensammlungen gefunden wurden. Zum einen Namen von Bundes- wie Landespolitiker:innen, dann eine Liste aus Baden-Württemberg zu Lokalpoliker:innen und Ärzt:innen sowie eine mit unklarer Funktion aus dem Umfeld eines Beschuldigten. Bisher bleibt unklar zu welchem Zweck diese angelegt wurden. Ähnlich wie im Nordkreuz-Komplex fällt auf, dass erneut die betroffenen Personen nicht unmittelbar informiert wurden und man in einer Gefährdungsanalyse zu dem Schluss kommt, dass keine konkrete Gefahr vorliegen würde.

Es bleibt also zumindest abzuwarten, ob wir es bei der „Patriotischen Union“ wirklich mit so einem „Abgrund terroristischer Bedrohung“ (Faeser) zu tun haben, wie das Innenministerium das behauptet. Ebenso unklar ist bislang, ob durch die Durchsuchungen tatsächlich konkrete Anschlagspläne vereitelt wurden. Das gilt auch für das eigentlich geplante Szenario, bei dem die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete und Richterin am Landgericht Berlin Birgit Malsack-Winkemann eine zentrale Rolle spielt. Sie war nicht nur für die Zeit nach dem Putsch als Justizministerin vorgesehen, über sie hätten auch jederzeit Waffen in den Bundestag geschmuggelt werden können. Als ehemalige Abgeordnete hatte sie noch immer unkontrollierten Zugang zu allen Liegenschaften des Bundestages. Über die Fraktion der AfD hätten auch weitere Personen Hausausweise erlangen können mit denen ein unkontrollierter Zugang möglich gewesen wäre.

Diese Fragen sind auch deshalb nicht rein hypothetisch, weil dies nicht die ersten Bezüge der AfD zu Rechtsterrorplanungen sind. Manuel Ochsenreiter, Mitarbeiter beim AfD-Abgeordneten Markus Frohnmeier soll einen False Flag-Anschlag auf ein ungarisches Kulturzentrum in der Ukraine geplant haben. Dagmar S., Wahlkreismitarbeiterin des bayerischen AfD-Bundestagsabgeordneten Petr Bystron erwarb illegal eine aus Kroatien geschmuggelte Pistole samt Munition und verwahrte zu Hause eine ebenfalls illegale Uzi-Maschinenpistole auf. Neben der Richterin Malsack-Winkemann haben mindestens zwei weitere Beschuldigte Bezüge zur AfD, entweder weil sie Mitglied waren oder für die ultra-rechte Partei auf kommunaler Ebene kandidierten.

Nicht zuzuordnen

Fast schon skurril wirkt die entpolitisierende Einordnung des Ermittlungsverfahrens in den zwischenzeitlich von „nicht zuzuordnen“ in „sonstige Zuordnung“ umbenannten Phänomenbereich der politisch-motivierten Kriminalität durch den GBA. Noch unverständlicher wird diese Kategorisierung vor dem Hintergrund, dass die Bundesregierung sogar den Großteil der Beschuldigten dem "politisch rechten Spektrum“ zurechnet.

Die mangelnde analytische Schärfe, die notwendig ist, um den ideologischen Hintergrund einzuordnen, legt zwei Vermutungen nahe. Entweder ist den zuständigen Behörden trotz des großen Rummels um die Durchsuchungen der Ernst der Lage nicht klar oder es geht darum, wider besseren Wissens eine öffentliche Wahrnehmung zu befördern, in der die Razzien zwar als spektakuläre Aktion entschlossener Politik und fähiger Polizei erscheinen, das grundlegende Problem rechtsterroristischer Bedrohung jedoch keine alarmierende Rolle spielt.

Doch genau das sollte der Fall sein. Schließlich haben wir es mit Akteur:innen zu tun, die teilweise seit Jahrzehnten durch revanchistische, antisemitische, aggressiv antidemokratische Einstellungen bekannt sind. Den Beschuldigten gemein sind die Vorstellungen eines illegitimen Staats und von fremden Mächten beherrschter Institutionen, deren Wirken zum Untergang des „deutschen“ Volkes führt und gegen die es ein Recht und die Pflicht zum (militärischen) Putsch geben würde. Viele sind professionell an der Waffe ausgebildet, mit Taktiken von Sabotage und Liquidation vertraut, haben Zugang zu dienstlichem Wissen und möglicherweise zu Plänen über Sicherheitsvorkehrungen in staatlichen Einrichtungen.

Fazit

Die soziale Zusammensetzung der „Patriotischen Union“ sorgte in der öffentlichen Diskussion für Überraschung. So zeigten sich die Abgeordneten im Innenausschuss des Deutschen Bundestages fraktionsübergreifend bestürzt darüber, dass sich unter den rechten Verschwörern eine Richterin, ein Adliger, Soldaten, Polizisten und Ärzte befanden. Dieses Staunen ist weniger naiv, als das es Ausdruck bürgerlichen Unwillens ist, sich ultra-rechte Putschisten anders vorzustellen denn als extremistische Proleten, die nichts mit der eigenen Klasse, der eigenen Partei und den eigenen Ansichten zu tun haben.

Dabei sind die Mitglieder der „Patriotischen Union“ klassische Vertreter eines reaktionären Bürgertums und eines eher arrivierten Milieus, das im Westen auch im Wesentlichen das Mobilisierungspotential der so genannten Coronaleugner:innen bildete. Aus antifaschistischer Perspektive geht es darum, dieses Staunen zum Anfang der Erkenntnis zu machen, dass die Vorstellung von Gesellschaft, aus der es stammt, nicht zu halten ist.

Neben der Bedeutung eigener Recherche belegt die öffentliche Diskussion um die Durchsuchungen auch die Notwendigkeit mit eigenen Begriffen, Analysen und historischen Betrachtungen gegen die offizielle Erzählung zu steuern, hier würde sich ideologisch oder strukturell etwas Neues im Spektrum terroristischer Vorhaben und Organisationen bilden. Auch die Funktion dieser Entkontextualisierung muss benannt werden und das was sie unsichtbar machen soll: Die ungestörte Organisierung der extremen Rechten innerhalb von Polizei und Armee das KSK als Glutherd dieser rechten Netzwerke, die AfD als parlamentarischer Arm des Rechtsterrorismus, Beamte die angesprochen wurden und sich zwar nicht anschließen aber dennoch schweigen, unentdeckte Waffendepots mit tödlichem Inhalt, die fortgesetzte Bedrohung insbesondere für Minderheiten und politische Widersacher:innen und nicht zuletzt der Umstand, dass der Faschismus immer schon ein Projekt der vermeintlichen Stützen der Gesellschaft war und die „Patriotische Union“ wie ein Sittengemälde eines sich immer weiter radikalisierenden Bürgertums wirkt.