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Sonnenwende der JN Hessen

Einleitung

Für den 21. Juni 1997 hatte der Landesverband Hessen der Jungen Nationaldemokraten (JN) zur »Sonnwendfeier« geladen. Die Mobilisierung hierzu verlief konspirativ und war auf NPD- und JN-Kreise beschränkt. Obwohl der Ort des Geschehens, eine Grillhütte bei Dillenburg-Eibach (Lahn-Dill-Kreis), im Vorfeld nur ausgesuchten Mitgliedern bekannt war, konnte er kurz zuvor von Antifas ausfindig gemacht werden.

Bild: Screenshot von YouTube/hessencam

So wurde der Tag zum doppelten Debakel für die Neonazis. Zum einen gelang es, das Geschehen zu beobachten, zu dokumentieren und sich einen tiefen Einblick in die Organisations- und Personalstruktur der weitgehend abgeschottet agierenden hessischen JN zu verschaffen. Zum anderen wurde das Treffen von der Polizei aufgelöst - ein Indiz dafür, daß die Neonazis in ihrem bislang »sicheren Hinterland« die Toleranzgrenze der Behörden bisweilen ausgereizt haben.

Dabei zeigte sich die Polizei anfangs noch völlig uninformiert darüber, daß an diesem Tag überhaupt eine Sonnwendfeier stattfinden sollte. Als sie jedoch auf eine Ansammlung von Neonazis am Vorabtreffpunkt bei Weilburg aufmerksam gemacht wurde, entwickelte sie ungeahnte Aktivitäten. 24 Neonazis wurden in Gewahrsam genommen, bei Fahrzeugdurchsuchungen fanden sich u.a. Schlagwerkzeuge und eine Übungshandgranate.

Im Laufe der nächsten Stunden gelang es der Polizei, den Ort der Feier zu ermitteln. Der Platz wurde von einem Großaufgebot umstellt, die Feier polizeilich aufgelöst. Weitere 57 Neonazis wurden kontrolliert. Die NPD wetterte im Nachhinein gegen das angeblich brutale Vorgehen des Polizei, bei dem eine 74-jährige Aktivistin aus Frankfurt einen Herzanfall bekommen haben soll.

Auch wenn diese Darstellung weit überzogen ist, so hatte der Einsatz für die Region dennoch eine bisher nicht gekannte »Qualität«. Der Schock darüber dürfte tief sitzen, da gerade die hessischen NPD-Strukturen ihre Aktivitäten in den letzten Jahren im Lahn-Dill-Kreis konzentrierten, wo sie sich seit Jahr und Tag des Schutzes durch die Polizei und der Deckung durch die Behörden sicher sein konnten und bei den letzten Kommunalwahlen im März dieses Jahres mit 21,5% (Leun) und 22,9% (Ehringshausen) neue Rekordergebnisse erzielten, (siehe auch AIB Nr. 34).

Zumindest aus einzelnen Polizeidienststellen ist allerdings schon seit geraumer Zeit Unmut darüber zu vernehmen, daß die Beamten den Neonazis eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Überstunden und Wochenendschichten zu verdanken haben. Neben der NPD und den JN, die sich dort beinahe regelmäßig zu Parteitagen, Vorstandssitzungen und allerlei Feierlichkeiten zusammenfinden, sind es Gruppen wie die „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V. (HNG)" oder Neonaziskins, die in den letzten Jahren die sich dort bietenden Möglichkeiten zur ungestörten Zusammenkunft immer ausgiebiger genutzt haben.

Eine Vielzahl von Einsätzen wegen Übergriffen, Bedrohungen und Schmiereien war die logische Folge. Der Teilnehmerkreis der Sonnwendfeier bestätigt indes alle Recherchen, wonach sich die JN auch in Hessen zum Sammelpunkt des harten, vielfach als gewalttätig bekannten, Kernes der Neonaziszene entwickelt haben.

Erkannt wurden z.B. die Brüder Torsten O. und Andreas O.1 sowie Andreas W. (alle aus Wiesbaden), die aus der verbotenen Deutschen Alternative (DA) kommen und heute zum Funktionärskreis der Partei Deutsche Nationalisten (DN) zählen, außerdem Neonaziskins aus dem Wetteraukreis um ihren Anführer Steve Sch., sowie der als gewalttätig geltende Frankfurter Martin Baumgardt, ein vorbestrafter Bankräuber,  der bei den letzten Kommunalwahlen für die NPD kandidierte.2

Desweiteren gaben sich hier Personen die Ehre, die seit Jahren versuchen, sich im vermeintlich »seriösen« Spektrum der extremen Rechten zu etablieren. So z.B. Markus M. aus Hochheim (bei Wiesbaden), der als Funktionär der sich »nationalliberal« nennenden Splitterpartei "Die Bürger" schon mal den rechten Politiker Jörg Haider (Österreich) persönlich begrüßen durfte.

Unter den Teilnehmerinnen befand sich natürlich auch ein Teil der hessischen NPD-Prominenz, wie z.B. Doris Zutt (NPD-Bundesvorstand) und Thomas Hantusch (JN-Landesvorsitzender), beide aus Ehringshausen, sowie Ernst F. Marschall, Ex-Republikaner und Spitzenkandidat der NPD in Frankfurt bei den 1997er Kommunalwahlen.

Das Bild vor Ort indes war geprägt von der Generation der 16- bis 21-jährigen, was gleichzeitig deutlich machte, daß die JN offenbar unter wenig Nachwuchsproblemen leiden. Organisiert wurde die Sonnwendfeier vom Frankfurter Rolf G., Mitglied des Ordnerdienstes der JN und von Thomas Gorr3 aus Oberbiel (bei Wetzlar), dem "Laufburschen" des Landesvorsitzenden Thomas Hantusch.

Etwas überraschend war der Auftritt einiger Neonazis, die schon seit vielen Jahren als »Karteileichen« abgelegt waren. So z.B. Harald Rave4 aus Haiger, der führend am Aufbau der FAP-Hessen Mitte der 1980er Jahre beteiligt war und sein langjähriger Weggefährte Harald G. aus Dillenburg, der die Sonnwendfeier unter seinen Namen als »Geburtstagsparty« angemeldet hatte.

Harald G., der bis zu diesem Tag beim Dillenburger Ordnungsamt als »honoriger Mann« galt, dürfte seinen Ruf verspielt haben - er provozierte den Einsatzleiter solange mit Neonazisprüchen, bis er festgenommen wurde.

Die JN in Hessen können auf eine Zeit relativer Ruhe zurückblicken, was damit zusammenhängt, daß sie außerhalb ihrer Hochburgen Lahn-Dill-Kreis und Wetteraukreis nur wenig Aktivitäten entwickelten und demnach wenig Ansatzpunkte für Recherchen und weitergehende antifaschistische Aktivitäten boten. Doch dank des Reinfalls vom 21. Juni 1997 ist ihre Struktur nun weitgehend überschaubar geworden.

  • 1Laut einem „Bericht zum Prozeß gegen Gunther aus Wiesbaden“ im „Angehörigen Info“ meldete Andreas O. 1993 den Rudolf-Heß-Marsch in Wiesbaden an.
  • 2Nachtrag: Er war auch noch 2013 ein NPD-Kandidat in Frankfurt / Main für die Bundestagswahl.
  • 3Nachtrag: 2013 Beisitzer im Landesvorstand der NPD-Hessen und NPD-Kandidat für die Landtagswahl Hessen.
  • 4In der Drucksache 11345 des Hessischen Landtags teilte der Minister des Inneren Horst Winterstein mit, dass Rave in einem Flugblatt „alle militanten nationalen Aktivisten“ zur Bildung eines „Freikorps Michael Kühnen" aufrief, weswegen 1985 die Staatsanwaltschaft Limburg gegen ihn ermittelte.