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Spanien: Guardia Civil im Francoland

Jonan Lekue
Einleitung

Ende 2017 beschrieb die Zeitschrift „New Yorker“ in einem Kommentar zum Referendumsverbot und den hunderten Verletzten in Katalonien Spanien als „Francoland“. Das spanische Establishment links wie rechts war empört: Spanien sei seit 1978 eine konsolidierte europäische Demokratie.

Francos Grabstätte, das Valle de los Caídos (National­monument des Heiligen Kreuzes im Tal der Gefallenen) ist eines der größten Mausoleen der Welt.

Inwieweit ist das Erbe des „spanischen Faschismus“ unter Francisco Franco in den politischen Strukturen noch am Leben? Wie tief sind die heutige Armee, die Sicherheitskräfte, die Justiz und die Wirtschaft von Francos Diktatur geprägt? Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir Francos Regime kurz skizzieren. Die 40 Jahre Franco-Herrschaft begannen mit einem Militärputsch 1936 und verankerten sich in drei Jahren blutigen Krieges. Während des Krieges und nach dem Sieg begann eine „Säuberung“ von allen oppositionellen Kräften: Anarchist_innen, Kommu­nist_innen, Sozialdemokrat_innen, baskische und katalanische Unabhängigkeitsbefürworter_innen, progressive Lehrer_innen und Intellektuelle wurden getötet. Über 100.000 Leichen liegen bis heute in Massengräbern begraben, 250.000 Menschen sind ins Exil gegangen und jahrelang wurden über eine Million Menschen in Arbeits­lagern inhaftiert. Die politischen Stützen des Francoregimes waren die katholische Kirche, eine wirtschaftliche Oligarchie und die verschiedenen Sicherheitskräfte. Unter diesen spielte die Guardia Civil eine führende Rolle. Gravierende  Menschenrechts­verstöße wie Folter oder außergerichtliche Hinrichtungen waren ihre grausame Realität.

Der Übergang

Nach 40 Jahren Diktatur starb Franco 1975 friedlich - im Gegensatz zu anderen Diktatoren wie Mussolini oder Hitler - im Bett. Die zukünftigen Strukturen Spaniens hatte er festgelegt. Die Monarchie von König Juan Carlos soll die Kontinuität des Regimes sichern sowie die Gefahr einer Abspaltung des Baskenlandes und eines kommunistischen Landes verhindern. Carlos sollte die sogenannte „Transición“, den Übergang von der Diktatur zur glaubwürdigen europäischen Demokratie, führen.

Dieser Übergang bestand aus einer rein oberflächlichen Änderung der Mächte. Armee, Polizei und Guardia Civil blieben unverändert, der Justizapparat änderte nur seinen Namen. Politiker, die jahrelang das Regime vertreten hatten, wurden plötzlich „Demokraten“. Oppositionelle Parteien und Wahlen wurden erlaubt, aber im Gegenzug mussten diese die Monarchie und die „Änderung“ der franquistischen Strukturen akzeptieren. Diese sogenannte „Versöhnung“ ermöglichte Straflosigkeit für tausende Verbrechen. 40 Jahre Diktatur blieben ohne Aufarbeitung und die Androhung einer Machtübernahme seitens der Armee war bis Ende der 1980er Jahre präsent. 1981 übernahmen hunderte Putschis­ten der Guardia Civil das Parlament. Nach außen war der Putsch erfolglos, seine politische Ziele aber wurden erreicht: Monarchie und Armee wurden legitimiert und der Prozess einer regionalen Dezentralisierung wurde deutlich begrenzt.

Staatsterrorismus und Sozialdemokratie

Im Baskenland wurden die neue spanische Verfassung und die politischen „Änderungen“ abgelehnt. Der bewaffnete Kampf der ETA und eine starke linksorientierte Bewegung für Selbstbestimmung stellten die neue „Demokratie“ in Frage. Die Sozialdemokratische Partei Spaniens (PSOE) übernahm Ende 1982 die Macht. Unter Franco war ihre Rolle als Regimegegner gering. Die angepasste Haltung an die neue Monarchie, sowie die internationale Unterstützung (sie wurde von der SPD beeinflusst und finanziert) gab ihr viel Luft. Die PSOE war ein Instrument, um neoliberale wirtschaftliche Reformen umzusetzen, Spanien als glaubwürdige Demokratie in die EU zu holen und dabei die Guardia Civil, Polizei, Justiz und Armee im weiterhin (post-)franquistischen Staatsapparat zu führen.

1983 wurden in einem Aufstandsbekämpfungsplans - bekannt als „Zona Especial Norte“ (ZEN) - Todesschwadronen der „Grupos Antiterroristas de Liberación” (GAL) vom spanischen Innenministerium gegründet, dirigiert und finanziert. Die GAL setzte sich aus Neofaschisten, Teilen der Guardia Civil und Polizisten zusammen. Sie verübte hunderte Anschläge gegen Personen und Gewerbe der baskischen linken Unabhängigkeitsbewegung. 28 Tote, darunter ein Journalist und ein Abgeordneter, sowie dutzende Verletzte sind die Bilanz der GAL. Mitte der 1990er wurden u.a. mehrere hochrangige Polizeibeamte, Politiker und Personen der Guardia-Civil wegen Mordes zu mehreren Jahren Haft verurteilt. Nur wenige davon saßen mehr als zwei Jahre im Gefängnis. Der Guardia-Civil-General Enrique Rodriguez Galindo etwa wurde im Jahr 2000 wegen der Entführung, Folter und Ermordung zweier ETA-Mitglieder (Joxean Lasa und Josi Zabala) zu mehr als 70 Jahren Haft verurteilt. Tatsächlich saß er nur 4 Jahre im Gefängnis und wurde 2004 freigelassen.

Die GAL sind nur ein Teil der „Anti-Terror-Bekämpfung“ gewesen. Gegen die Guardia Civil sind in den letzten 40 Jahren tausende Folteranzeigen erstattet worden. Nur Wenige mussten deswegen vor Gericht und noch weniger wurden verurteilt. Eine Mehrheit der Verurteilten wurde - von der rechten wie von der sozialdemokratischen Regierung - begnadigt. Die Regierungen haben somit die postfranquistischen Strukturen stets geschützt.

Verbotspolitik

Ende der 1990er Jahre setzte eine neue Verbotspolitik ein, die vom Justizapparat umgesetzt wurde. José María Aznar und seine postfranquistische, rechte Partido Popular (PP) - gegründet von Manuel Fraga (Innenminister unter Franco) - waren zurück an der Macht. Unter dem Motto „alles ist ETA“, begründet in pseudojuristischen Theorien der „Audiencia Nacional“, also dem „Sondergerichtshof“ in Madrid (direkter Nachfolger des Gerichtshof „Tribunal de Orden Público“ unter Franco) und unterstützt mit einer Medienkampagne, wurden zahlreiche Zeitschriften, Rundfunksender, Parteien, Gefangenenhilfe-­Vernetzungen, Jugendorganisationen, und Kulturvereine im Baskenland verboten. Dazu kamen Verhaftungswellen der Polizei und Guardia Civil. Die Schließung von Egun­karia (einer Tageszeitung auf Baskisch) zeigte diese neue Strategie. Egunkaria wurde von der Guardia Civil geschlossen, die Redaktion und der Direktor verhaftet und drei Tage lang gefoltert. Die Zeitung solle Teil der „Propagandaabteilung der ETA“ sein. Sieben Jahre später wurden alle Angeklagten freigesprochen. Viel früher wurden die Folteranzeigen eingestellt. Spanien wurde im Jahr 2012 vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen der Folter von Martxelo Otamendi, dem Chefredakteur von Egunkarias, verurteilt. Doch die Nachfolger der Staatsstrukturen Francos blieben gestärkt und das ursprünglich regional geplante, nationale Sicherheitskonzept gilt nun für Dissident_innen im ganzen Staat.

Spaniens Krise und eine neofranquistische Offensive

Die Finanzkrise und das einseitige Ende des bewaffneten Kampfes der ETA haben seit 2011 andere politische Bedingungen geschaffen. Die „15. Mai-Bewegung“ ist auch eine Mobilisierung gegen den status quo nach Francos Tod. Parallel ist in Katalonien die Unabhängigkeit zur Option einer Mehrheit der dortigen Bevölkerung geworden. Die einseitige Einschränkung der Autonomie, die Verachtung ihrer Sprache und Kultur als auch die katastrophalen Folgen der spanischen Wirtschaftspolitik stehen hinter diesen Änderungen. Das starke Auftreten von Podemos (ursprünglich eine Wahlplattform der Bewegung) bei den Europawahlen 2014 hat beim Post-­Franco-Establishment die Alarmlichter angeschaltet. Die Reaktion war schnell: Der alte König Juan Carlos trat zurück, eine neue neoliberale Partei (Ciudadanos) als Vertretung der Empörten wurde gegründet und eine „nationale“ Kampagne gegen Katalanen, Basken, „Kommunisten“ und „Systemgegner“ von 15M/Podemos in Kraft gesetzt.

Seit 2015 gibt es eine neofranquistische Offensive, um Spanien zu retten. Die Krise Spaniens betrifft das Wirtschaftsmodell (korrupt und von alten Eliten kontrolliert), territoriale Fragen (Unfähigkeit zum Dialog mit den Unabhängigkeitsbewegungen), die Kontrolle sozialer Kräfte (feministische Bewegung vs. katholische Kirche, Arbeiter vs. Unternehmen) und den schlicht verrotteten alten Justizapparat. Die „nationale“ Offensive richtet sich somit gegen „Separatisten“, „kriminelle Migrant_innen“ oder Feminist_innen. Die offen extrem rechte Partei VOX liegt über 10 Prozent in den Umfragen und der rechtsnationale Block (PP, VOX und Ciudadanos) könnten eine Regierungsmehrheit erreichen. Die mögliche Regierungsalternative von PSOE und Podemos (die kein Regimewechsel mehr fordert) ist kein Hoffnungsträger für eine Demokratisierung Spaniens.