Völkische Brückenbauer – Die Russlanddeutschen, die NPD und »Eurasien«
Geholfen hat es nicht. »Wenn wir jetzt nichts unternehmen gegen die multikulturelle Politik«, hatte der Arbeitskreis der Russlanddeutschen in der NPD in einem Aufruf im Frühjahr 2010 lamentiert, dann »verlieren wir unsere Identität, Kultur und das Ererbte von unseren Vorfahren.« »Wir müssen uns befreien von den sogenannten Demokraten«, hieß es weiter in dem Text, der vor den nordrhein-westfälischen Landtagswahlen verbreitet wurde: »Aus diesen Gründen sollen alle, die das deutsche Volk und ihr Vaterland lieben, am 9. Mai 2010 in NRW NPD wählen.« Gut 600.000 Russlanddeutsche leben in Nordrhein-Westfalen, ein großer Teil von ihnen ist konservativ sowie stark völkisch orientiert – ein attraktives Wählerpotenzial, hoffte so mancher Stratege der extremen Rechten. Das Ergebnis? Mit 55.400 Zweitstimmen gegenüber rund 74.000 bei den Wahlen im Jahr 2005 verschlechterte die NRW-NPD ihr Ergebnis auf knapp 0,71 Prozent. Die erhofften Zuwächse unter den Russlanddeutschen blieben aus.
Rund dreieinhalb Jahre dauert die Kooperation zwischen den Russlanddeutschen und der NPD inzwischen an. Wahltaktische Erwägungen spielten eine wichtige Rolle, als die Partei Ende April 2007 in ihrer Berliner Zentrale dem damaligen Bundesgeschäftsführer Frank Schwerdt zufolge »verschiedene Deutsche« empfing, »die erst in der letzten Zeit aus Rußland ausgesiedelt wurden« und »in der Heimat ihrer Vorväter nun seßhaft werden wollen«. Sie hätten »den Wunsch« erklärt, »innerhalb der NPD einen Arbeitskreis zu bilden«. In der extremen Rechten ist das bis heute ein heißes Eisen: Können die Russlanddeutschen aufgrund ihrer Abstammung als »Arier« gelten, oder muss der gemeine Neonazi sie wegen »Blutsvermischung« mit dem Slawentum als »Ausländer« behandeln und aus seinen Rassistenorganisationen hinauswerfen? Streit darüber tobt in der Szene bis heute. Die NPD-Führung entschied sich auf der Suche nach einem größeren Wählerpotenzial – in der Bundesrepublik leben gut 2,5 Millionen Russlanddeutsche – für Kooperation. Seit dem 23. Februar 2008 unterhält die Partei daher einen »Arbeitskreis der Russlanddeutschen in der NPD«.
Kaum mehr als eine Handvoll Aktivisten treten bislang im Namen des NPD-Arbeitskreises und in seinem Umfeld auf. Neben Anatoli Ganzhorn aus Bayern und Viktor Kasper aus Niedersachsen sind das vor allem Andrej Triller und Johann Thießen, beide aus Nordrhein-Westfalen. Sie nutzen mehrere Organisationen, um unter den Russlanddeutschen für die extreme Rechte zu agitieren. Aktiv ist vor allem die Schutzgemeinschaft »Deutsche Heimat« der Deutschen aus Russland, ein Verein, der von Johann Thießen geleitet wird und in Düren nahe Aachen seinen Sitz hat. Die »Schutzgemeinschaft« führt laut eigenen Angaben »völkische Feste«, »Wanderungen, Volkstanz, Volksliedergesang« durch und kommt mit dem »Beleben und Pflegen des deutschen Volkstums«, ebenfalls laut eigenen Angaben, bei ihrem russlanddeutschen Publikum gut an. Öffentlich hat sie besonders mit Kundgebungen in Düsseldorf von sich reden gemacht, bei denen sie Korrekturen in einem Schulbuch verlangte. Gegenstand ihres Protests war eine Passage, in der ein Lehrbuch ganz zutreffend auf NS-Aktivitäten von Russlanddeutschen zur NS-Zeit verwies – eine Tatsache, die russlanddeutsche NPD’ler erstaunlicherweise als unangenehm empfinden.
Neben der »Schutzgemeinschaft« ist besonders eine Organisation mit dem Namen »Freundeskreis- Die Russlanddeutschen Konservativen« öffentlich wahrnehmbar. Der Zusammenschluss, der im oberbergischen Gummersbach seinen Sitz hat und von Andrej Triller aus Hattingen geleitet wird, unterhält die Website Volksdeutsche Stimme, auf der er über russlanddeutsche Aktivitäten in und im Umfeld der NPD informiert. Die Volksdeutsche Stimme wirbt kräftig für die NPD, verlinkt zu diversen Spektren der extremen Rechten von der Gesellschaft für freie Publizistik bis zum Freien Widerstand Süddeutschland und mobilisiert für zahlreiche Aufmärsche, etwa für den sogenannten Antikriegstag in Dortmund. Sie bringt einige Texte auch auf Russisch, und das aus gutem Grund: »Seit einigen Jahren«, berichten die Betreiber, »pflegen wir gute Kontakte zu verschiedenen patriotischen Kreisen aus der ehemaligen UdSSR, von denen wir oft gebeten wurden, über verschiedene Ereignisse in der Nationalen Opposition in der BRD zu berichten oder politische Situationen zu kommentieren.«
Zu den Organisationen in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, zu denen die Russlanddeutschen in und im Umfeld der NPD Kontakt halten, gehört »Russovet«, ein Zusammenschluss mehrerer Vereinigungen der extremen Rechten in Russland. Russovet war unter anderem im Zusammenhang mit dem sogenannten Antikriegstag 2009 in Dortmund aktiv. Im Vorfeld führte die Organisation eine Kundgebung vor der deutschen Botschaft in Moskau durch und protestierte dabei gegen polizeiliche Maßnahmen gegen die deutsche Neonaziszene. Anschließend nahmen Russovet-Vertreter persönlich am Dortmunder Aufmarsch teil. Abgesehen von wahltaktischen Erwägungen der NPD lässt dies das zweite Motiv erkennen, das den Russlanddeutschen derzeit unter deutschen Neonazis einiges Interesse verschafft: Sie sind auch wegen ihrer Sprachkenntnisse optimal geeignet, um engere Beziehungen zur extremen russischen Rechten herzustellen und zu pflegen – als Brückenbauer sozusagen. Die Beziehungen nach Russland besitzen für die extreme deutsche Rechte eine größere Bedeutung als Kontakte in die meisten anderen osteuropäischen Staaten. Oberflächlich gesehen eint die Szene in beiden Ländern unter anderem ein heftig antisemitisch aufgeladener Antiamerikanismus. Dieser besitzt in strategischer Perspektive erhebliche machtpolitische Bedeutung: Ein deutsch-russisches Bündnis, meinen nicht wenige deutsche Neonazis, besitze genügend Potenzial, um die Weltmacht USA vom Sockel zu heben. Stark en vogue ist dieses Konzept auch in Russland, wo es unter dem Label »Eurasien« inzwischen selbst in kremlnahen Kreisen diskutiert wird. Entsprechend agitiert etwa die Volksdeutsche Stimme konsequent gegen die NATO, Kriege wie denjenigen in Afghanistan inklusive.
Mit dem Ziel, ein antisemitisch-antiamerikanisches deutsch-russisches Bündnis voranzutreiben, ist denn auch im März 2007 die »Deutsch-Russische Friedensbewegung« gegründet worden, die in enger Anbindung an die NPD und unter Mitwirkung von Russlanddeutschen gegen die NATO und für die Kooperation zwischen den »eurasischen Landmächten« Deutschland und Russland wirbt. Unter den Gründern der »Friedensbewegung« befand sich unter anderem der Altnazi Herbert Schweiger, der noch in den 1940er Jahren mit der Waffen-SS durch das heutige Russland marodierte. Die Organisation trifft sich desöfteren auf dem Anwesen des NPD-Bundesvorstandsmitglieds Thorsten Heise in Fretterode. Sie hat bislang noch keine große Bedeutung; ihr politisches Anliegen, für das sie die Russlanddeutschen einspannt, gehört jedoch zu den Kernelementen außenpolitischer Strategiebildung in der extremen Rechten.