Skip to main content

Verfassungsschutzbeobachtung als Problem der AfD

Gerd Wiegel
Einleitung

Antifaschistinnen und Antifaschisten brauchen kein Verfassungsschutzdossier, um die inhaltlichen und personellen Bezugspunkte der AfD zur extremen Rechten zu erkennen. Antifaschistische Recherchen und Analysen sind es, die seit dem Bestehen der AfD auf diese – größer werdenden – Bezugspunkte hinweisen. Dass diese jetzt auch von einem zentralen Kontrollapparat des bürgerlichen Staates genutzt werden, um die AfD insgesamt zum „Prüffall“ und die Teilorganisationen „Der Flügel“ und die „Junge Alternative“ (JA) zum „Verdachtsfall“ zu erklären, sagt mehr über die Kräfteverhältnisse und Einschätzungen innerhalb des Staatsapparates als über die AfD aus. Dennoch bleibt zu konstatieren, dass es nicht dasselbe ist, wenn zwei das Gleiche tun und so muss die antifaschistische Linke einräumen, dass die VS-Beobachtung der AfD einen völlig anderen Effekt hat, als die über Jahre akribische Arbeit von links.

Die AfD-Politiker Alexander Gauland (links) und Björn Höcke (rechts) - hier gemeinsam mit dem "Compact"-Herausgeber Jürgen Elsässer (mitte).

Ohne Zweifel sind die öffentlich zugänglichen gut 400 Seiten des BfV-Gutachtens zur AfD ein brauchbarer Steinbruch an einschlägigen Zitaten von AfD-Politiker_innen. Und ebenfalls ohne Zweifel haben sie für die AfD eine Reihe von Turbulenzen und Problemen gebracht die es zu nutzen gilt, ohne damit den Inlandsgeheim­dienst zu legitimieren.

Neben der Spendenaffäre um die Fraktionsvorsitzende Alice Weidel ist die VS-Beo­bachtung gegen­wärtig der größte Klotz am Bein der AfD, weil über sie die innerparteilichen Spaltungslinien massiv befeuert werden. Die VS-Beobachtung zielt genau auf die Auseinandersetzung zwischen bürgerlich-­konservativen und völkischen Nationalisten in der Partei und trifft damit – potenziell – die bisher erfolgreiche Verbindung, die für den rasanten Aufstieg der Partei von enormer Bedeutung ist. Der mit einer möglichen VS-Beobachtung drohende Verlust bürgerlicher Reputation hat Bewegung in die AfD gebracht, deren Richtung und Effekt noch nicht abzusehen ist aber unter Umständen zerstörerisch sein kann.

Reaktionen auf verschiedenen Ebenen

Dieses Zerstörungspotenzial hat die Parteispitze schnell erkannt und auf verschiedenen Ebenen reagiert. Die Einsetzung einer parteiinternen Arbeitsgruppe zur drohenden Beobachtung erfolgte bereits im Herbst 2018. Sieht man sich die vom Leiter der internen AfD-Arbeitsgruppe und stellvertretendem Fraktionsvorsitzenden Roland Hartwig erstellte Zusammenfassung des in Auftrag gegebenen Rechtsgutachtens zur Frage einer VS-Beo­bachtung an, dann ist es eine einzige Kampfansage an den völkischen Flügel. Unter den beispielhaften Äußerungen, die eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz rechtfertigen könnten, finden sich mehr oder weniger alle schon standartmäßig von der völkischen Rechten vorgetragenen Aussagen. Von pauschalen Nega­tivurteilen gegen Zugewanderte über eine ethnisch definierte „Volksgemeinschaft“, die rechtliche Schlechterstellung von Staatsbürgern mit Migrationshintergrund bis hin zu den Signalwörtern der gesamten modernisierten radikalen Rechten rund um die AfD, wie „Umvolkung“, „Großer Austausch“, „Volkstod“ oder „Invasoren“ ist hier die Rede. Der AfD-Politiker Alexander Gauland äußerte mit Blick auf das Rechtsgutachten, unter diesen Umständen müsse er morgens gar nicht mehr aufstehen, weil dann jede seiner Reden ein Fall für den Verfassungsschutz sei.

Innerparteilicher Kampf

Ganz offensichtlich wird die drohende VS-Beobachtung auch als Waffe im innerparteilichen Kampf eingesetzt. War es den bürgerlich-konservativen Kräften in der AfD bisher nicht möglich, die völkische Rechte um Björn Höcke in die Defensive zu drängen, so nutzen sie jetzt die drohende Überwachung, um Boden gut zu machen. Allerdings führt das bisher zu keiner realen Schwächung des völkischen Flügels. Dennoch zeigte sich die Parteiführung bemüht, die Sorgen des konservativ-bürgerlichen Teils der Partei nicht völlig unberücksichtigt zu lassen. So reagierte Alexander Gauland auf die Äußerungen von Björn Höcke, der das Verhalten der Parteiführung verächtlich als „politische Bettnässerei“ bezeichnete, mit deutlicher Distanz: „Ich halte diese Worte für falsch und in keiner Weise für zielführend“, sagte Gauland und er werde das auch persönlich mit Björn Höcke besprechen. Einige offene Neonazifreunde aus der zweiten und dritten Reihe der Partei wurden ausgeschlossen und auch einzelnen Teilen der JA, die als besonders Neo­nazi-­affin gelten, wurde die Anerkennung der Partei entzogen und eine Neugründung angestrebt. Schließlich ist auch das Herausdrängen einer Person wie André Poggenburg der Versuch, überflüssigen und nichtintegrierbaren Ballast abzuwerfen.

Alle diese symbolischen Aktionen haben jedoch die Einstufung als „Prüffall“ nicht verhindert und sie rufen Reaktionen des völkischen Flügels hervor. In Baden-­Württemberg hat die Landtagsabgeordnete Christina Baum schon Ende 2018 einen „Stuttgarter Aufruf“ initiiert, der sich gegen jedes Zurückweichen in Sprache und Inhalt wendet und schnell von über 1.000 Parteimitgliedern unterschrieben wurde.

In Brandenburg, Sachsen und Thüringen – den drei Ländern, in denen die AfD in diesem Jahr herausragende Wahlergebnisse erwartet – gibt es keine Anzeichen dafür, dass die völkische Linie relativiert wird. Parteichef Jörg Meuthen wurde beim Landesparteitag in Baden-Württemberg im Februar 2019 für seine verbale Distanzierung von den Rassisten in der Partei von einem Teil lautstark ausgepfiffen. In Nordrhein-Westfalen, dem nach wie vor mitgliederstärksten Landesverband, wird der Streit zwischen Völkischen und Bürgerlich-Konservativen exemplarisch durch die beiden (ehemaligen) Landessprecher Helmut Seifen und Thomas Röckemann ausgetragen. Von einer Unterwanderung der Partei durch die Flügel-Leute rund um Höcke ist da die Rede und dass der bürgerliche Teil der AfD von den Höcke-­Leuten in „Geiselhaft“ genommen werde.1

Der Fisch stinkt vom Kopf

Besonders glaubwürdig ist die Distanzierung von Rechtsaußen durch Leute wie Meuthen oder Alice Weidel nicht, denn sie begeben sich immer wieder in Allianzen mit der völkischen Rechten. Sowohl der Partei- als auch die Fraktionsvorsitzende wissen, dass sie ihre Position nur mit einer Duldung durch den Höcke-Flügel halten können. Und ganz offensichtlich wird man die Geister, die man rief, nicht mehr los. Schon die MandatsträgerInnen bis in die Bundestagsfraktion hinein sind für die Parteispitze nicht zu kontrollieren: Der Abgeordnete Thomas Seitz forderte Anfang des Jahres, angesichts der Wiedereinreise eines abgelehnten Asylbewerbers, über die Wiedereinführung der Todesstrafe nachzudenken. Im Hessischen Landesverband der JA wird unter Mitgliedern über die Todesstrafe für „Politiker, die ihr Volk verraten“ und die Abschaffung des Frauenwahlrechts nachgedacht.

Ganz eindeutig stinkt der Fisch vom Kopf. Ein Blick in das BfV-Gutachten zeigt, dass neben Höcke einer der Kronzeugen für die völkische und nach Sicht des BfV verfassungsfeindliche Aufstellung der AfD der Vorsitzende Gauland ist. Von ihm wird die völkische Rechte nicht nur geduldet, sondern er hat sich deren Positionen weitgehend zu Eigen gemacht.

Anscheinend hatten Gauland und die Parteirechte auf die schützende Hand des ehemaligen BfV-Chefs Maaßen gehofft, dessen Sympathien für die AfD offensichtlich waren. Seine Relativierung rassistischer Hetzjagden anlässlich der Neonaziaufmärsche in Chemnitz kostete ihn jedoch schlussendlich das Amt und die AfD einen Fürsprecher im Staatsapparat. Dass Gauland jetzt die Abschaffung des Verfassungsschutzes fordert ist ein schlechter Witz, denn tatsächlich würde die AfD die erste Gelegenheit politischer Machtbeteiligung nutzen, die Dienste zu Instrumenten gegen den Feind auf der Linken zu machen.

Das ist jedoch (noch) Zukunftsmusik. Gegenwärtig bleibt der AfD nur die juristische Anfechtung der Beobachtung. Sie zielt dabei nicht auf die Auseinandersetzung in der Sache, sondern darauf, ob das Amt legitimiert war, die Einstufung der AfD als „Prüffall“ öffentlich zu machen. Dadurch würden die Chancen der AfD gegenüber der politischen Konkurrenz geschmälert, zumal solche „Prüffälle“ in der Regel nicht öffentlich angezeigt würden. In einer Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts Köln wurde der AfD vorläufig Recht gegeben. Mittlerweile wurde bekannt, dass der VS keine Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt hat und der Beschluss damit rechtskräftig wurde.

Für Antifaschist_innen wird es wichtig sein, die Schnittstellen der AfD zur extremen Rechten noch genauer zu dokumentieren und publik zu machen. Wenn aus dem „Prüffall“ ein „Beobachtungsfall“ wird, ist das nicht zum Schaden der AfD-Schwächung. Und auch für die drohende Perspektive einer politischen Einbindung der AfD durch die Union ist das eine hohe Hürde.

Ist das eine Legitimierung des Inlandsgeheimdienstes? In keiner Weise. Anti­faschist_innen erledigen einfach ihre Arbeit. Was der bürgerliche Staat damit macht liegt nicht in unserer Hand.

  • 1Nachtrag: Anfang Juli 2019 traten neun der zwölf AfD-NRW-Vorstandsmitglieder (u.a. Seifen) auf einem Landesparteitag zurück, weil sie mit zwei anderen Vorständen wegen deren Nähe zum „Der Flügel“ von Björn Höcke nicht mehr zusammenarbeiten wollten. Danach schafften es die "moderaten" AfD-Rechten aber auch nicht, den Rücktritt der zwei Rechts-Außen-Vorstände und eines weiteren Vorstandes zu erzwingen, weil sie dafür nicht die nötige Zweidrittelmehrheit der rund 450 Delegierten mobilisieren konnten. Deswegen setzen die "moderaten" AfD-Rechten um den zurückgetretenen Landesvorstandssprecher Helmut Seifen mit nur zwei Stimmen Mehrheit den sofortigen Abbruch des Parteitages durch. Die AfD ist in NRW mit dem verbliebenen Vorstand (Thomas Röckemann, Christian Blex und Jürgen Spenrath) quasi handlungsfähig und komplett gespalten.