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Von der Exekutive auf der Nase herumtanzen lassen

Einleitung

Fallbeispiel Halbe – Von medialen Finten, Polizeitaktik und Gegenstrategien

Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) begutachtet das von ihm mitverantwortete Szenario in Halbe

Immer öfter finden antifaschistische Demonstrationen abgeschottet von der Öffentlichkeit, quasi »polizeivermummt« statt. Meist bleibt das politische Anliegen aufgrund präventiver polizeilicher Schikanen auf der Strecke und der »ungebärdige Ausdruck unmittelbarer Demokratie«1 reduziert sich, wenn überhaupt, auf den symbolischen Wert. Sind wir mit einem temporären Phänomen konfrontiert oder versuchen Ordnungsbehörden ihre repressiven Möglichkeiten auszuweiten?

Die Spatzen pfiffen es von den Dächern: »An diesem Wochenende rechnet die Polizei mit Zusammenstößen zwischen Links- und Rechtsextremisten im brandenburgischen Halbe«2 , dem Tag, wo Neonazis ihr »Heldengedenken« an den Gräbern von 23.000 gefallenen Wehrmachtssoldaten und Angehörigen der Waffen SS abhalten wollten. Wenige Wochen zuvor floppten bereits Aufmärsche des Veranstaltungsleiters Christian Worch in Leipzig, Potsdam und Köln-Kalk durch konsequente, teilweise militante, antifaschistische Be- und Verhinderung.

Nach den antifaschistischen Protesten Ende September in Potsdam, der Landeshauptstadt Brandenburgs, schlug der Appell gegenüber AntifaschistInnen, friedlich zu bleiben, in härtere Töne um: »Wir hoffen, dass sich in Halbe seriöse Gegendemonstranten von Gewalttätern klar abgrenzen.«3 äußerte die Polizeipräsidentin. Auch die FDP-Fraktion im Landtag von Potsdam konnte sich nicht dazu durchringen, eine halbherzige Erklärung gegen das »Heldengedenken« in »Erinnerung an die Kriegsopfer sowie an die Opfer des sowjetischen Internierungslagers Ketschendorf« zusammen mit Grünen, PDS, SPD und CDU zu unterschreiben. Der Verfassungsschutz ließ noch eilig vor dem Aufmarsch verlautbaren, dass eine »neue Welle der Gewalt« zwischen links und rechts zu befürchten sei und dass Anschläge, bei denen AntifaschistInnen auch den Tod »vermeintlicher Rechtsextremisten« in Kauf nehmen würden, keine Seltenheit mehr seien. Als Beispiele müssen Brandanschläge im Mai/Juni 2004 gegen die NPD-Bundeszentrale in Berlin-Köpenick und das Nationale Bündnis Dresden herhalten4 .

Die zuständige Versammlungsbehörde Frankfurt (Oder) sowie die Polizei taten ihr übriges, um noch unentschlossene GegendemonstrantInnen mit einem vorhersagbaren restriktiven Repressionserlebnis aus Halbe fern zu halten. Aufenthaltsverbote für Halbe und sog. Gefährderansprachen, aufgrund vorab fragwürdig gespeicherter Daten, wurden an po­tentielle linke DemonstrationsteilnehmerInnen einmal von den Behörden in Frankfurt (Oder) und ein weiteres Mal von denen in Berlin verschickt. Die antifaschistische Demonstration, wie auch eine Kundgebung der PDS und eine der VVN, wurde zunächst verboten und später dann auf dem Bahnhofsvorplatz in Halbe, außer Sicht- und Hörweite zu den Neonazis, zwangsvereinigt.

Versammlungsbehörde eskaliert

Die Verbotsverfügung der Antifa-Demo ist ein zusammenhangloser Abriss antifaschistischer Aktionen im Jahr 2004 von Neonazi-Outingplakaten im Januar über ein explodierendes Auto vor der NPD-Zentrale, die Störung des Neonaziaufmarschs am 1. Mai, bis über einen von einem Pflasterstein getroffenen Polizisten in Potsdam. Obwohl hier offensichtlich eine »Spirale der Gewalt« der linksradikalen Szene halluziniert wurde (schließlich gibt es seit 20 Jahren vergleichbare Aktionen), sind diese Argumente nach Ansicht der Behörden in Frankfurt (Oder) ausreichend, um den Berlin-Brandenburger Antifagruppen das Demonstrationsrecht zu versagen.

Wer nun militant agierenden AntifaschistInnen die Schuld für derlei Verbote zuschreibt, verkennt die politische Funktion des nicht vorhersagbaren Agierens der Versammlungsbehörde und Polizei. Die Verbotsverfügung für die PDS bzw. die Auflage der Änderung des Kundgebungsplatzes war nicht ganz so lang wie bei der Antifa und erzielte dennoch die gleiche Wirkung. Der ursprüngliche Kundgebungsort müsse für die Feuerwehr freigehalten und die Kundgebung daher verlegt werden. Dabei wurde die PDS bewusst getäuscht, da sich am Tag des »Heldengedenkens« an der Stelle 1600 Neonazis tummelten, ohne dass eine Feuerwehr durchgekommen wäre. Die Hoffnung, man könne durch weniger radikaleres Auftreten eine Änderung der politischen Strategie der Behörden bewirken, kann hier also nicht bestätigt werden. Ob nun PDS oder Antifa, durchgesetzt wird, was politisch gewollt ist.

Die Argumentation der Polizei bezüglich der befürchteten »autonomen Gewalttäter« wurde nicht nur von der medialen Öffentlichkeit, sondern auch von zivilgesellschaftlichen Initia­tiven, die sich gegen das »Heldengedenken« richteten, unreflektiert übernommen und erschwerte eine Zu­sammenarbeit erheblich.

Währendessen wurde, für die Öffentlichkeit ermüdend wahrnehmbar, krampfhaft von der Polizei versucht, den Neonaziaufmarsch mit dem Argument, er würde an »nationalsozialistische Aufmärsche erinnern«, gerichtlich zu verbieten. Dies gelang natürlich nicht, dennoch waren die Zeitungen voll von Meldungen, dass die Nazis, wenn überhaupt, nur kurz laufen, keine Kränze ablegen dürften und auch nicht in der Nähe des Friedhofs marschieren könnten. Letztlich konnte Christian Worch mit 1.600 seiner Anhänger aus Deutschland, Österreich, den Niederlanden und Dänemark sein geplantes Programm, von den Kränzen angefangen, über SS-Runen auf den Schärpen, Goebbels- Zitaten in den Reden bis zur Gulaschkanone und Grill auf dem Friedhofsvorplatz durchklagen. Die zeremonielle Aneignung des Friedhofs durch die Nazis wurde von der Polizei nicht behindert.

In der Taktik der Behörden, vorläufig mediale Verwirrung bei allen Beteiligten zu stiften, wurde die Zahl der zu erwartenden Neoazis auf 900 festgelegt und die der GegendemonstrantInnen in dem Tausend-Einwohner-Dörfchen Halbe auf völlig unrealistische 2.600 geschätzt. Alles nur, um ein Großaufgebot von 1.800 Kräften der Polizei und BGS aus Berlin, Brandenburg, Bayern und Hessen zu rechtfertigen.

Nachdem im Vorfeld von den Behörden öffentlich derart an der Gegenmobilisierung und »präventiven Gefahrenabwehr« gearbeitet wurde, hätten die OrganisatorInnen der Antifa-Kundgebung auf die repressive Behandlung durch die Polizei vorbereitet sein müssen. Doch als sich am 13. November um 10 Uhr etwa 200 Antifas am Berliner Bustreffpunkt einfanden, wurden sie von der Polizei mit einer bisher unbekannten Ausschöpfung und Übertretung der polizeilichen Möglichkeiten unvorbereitet konfrontiert. Die Berliner Polizei riegelte den Platz ab, beschlagnahmte die vier noch leeren Reisebusse samt der BusfahrerInnen und schaffte sie zur »umfangreichen Vorkontrolle«5 auf ein nahegelegenes Polizeigelände.

Am Treffpunkt wurden die Personalien aller aufgenommen und mit der Begründung, ein Amtshilfeersuchen der Brandenburger Behörden zur Verhinderung der Abfahrt der Busse läge vor, Platzverweise für die Umgebung und teilweise auch Aufenthaltsverbote für Halbe erteilt. Anfänglich ohne rechtlichen Beistand musste dies hingenommen werden, ohne Alternativkonzepte vorweisen zu können. Erst die Androhung eines Anwalts, das Verwaltungsgericht anzurufen, veranlasste die Polizei nach einer Stunde dazu, die Platzverweise für ungültig zu erklären und die Busse wieder freizugeben. Dann folgten Vorkontrollen, obwohl der eigentliche Kundgebungsort noch zwei Fahrtstunden entfernt lag.

Ein Konvoi, zerstückelt von Einsatzfahrzeugen, wurde gebildet und die Fahrt Richtung Königs Wusterhausen, wo noch weitere KundgebungsteilnehmerInnen aufgenommen werden sollten, angetreten. In Königs Wusterhausen, 20 km vor Halbe, angekommen, war der nun zuständigen Polizeieinheit aus Hessen einer der Busse abhanden gekommen und eine Fahndung wurde eingeleitet, die den verirrten Bus stoppte und an der Weiterfahrt hinderte. Derweil gestaltete sich das Zusteigen neuer Passagiere in die Busse chaotisch und mit Abfilmen, Personalienfeststellung und Durchsuchung bis auf die Unterhose für die AntifaschistInnen äußerst erniedrigend. Vom »informationellen Selbstbestimmungsrecht«,6 gewohnheitsgemäß bei Demonstrationen nur noch verstümmelt anzutreffen, war hier überhaupt nichts mehr zu spüren.

Obgleich die Fahrt irgendwann fortgesetzt werden konnte, gab die Polizei, trotz der vorangeschrittenen Zeit, ein langsames Tempo vor und hielt die Kolonne immer wieder unter dem Vorwand, die Vorkontrollen seien überlastet, auf der Landstraße an. Die Situation in Halbe war am Mittag aber eine völlig andere, die Nazis marschierten bereits seit 13 Uhr und waren bei ihrem Zwischenkundgebungsplatz am Friedhof angelangt, zwei Antifa-Busse aus Hamburg und Dresden waren nach stundenlangen Vorkontrollen schon im »Kundgebungs-Kessel« am Bahnhof in Halbe angekommen und alles wartete auf die Berliner Busse. Doch noch ein weiteres Problem ergab sich: Den AntifaschistInnen in Halbe wurde von der Polizei eröffnet, ihre Kundgebung sei, wie die der PDS, bis 13 Uhr beschränkt. Während also noch nicht mal alle KundgebungsteilnehmerInnen eingetroffen waren, hatte die PDS bereits eingepackt und war nach hause gefahren.

Als um 15 Uhr nach fünf Stunden polizeilicher Schikane endlich alle AntifaschistInnen in Halbe eingetroffen waren, wurden sie gekesselt und die Kundgebung für beendet erklärt. Von den Neonazis hatten die AntifaschistInnen bisher nichts gesehen oder gehört, noch konnten sie ihren Protest in angemessener Weise äußern. Nach kurzem Intermezzo stiegen wieder alle in die Busse und fuhren im Polizei-Konvoi nach Königs Wusterhausen, wo eine Spontandemonstration angemeldet wurde und schon acht Hundertschaften mit einem fünfseitigen Auflagenbescheid bereitstanden, was natürlich einer »spontanen« Meinungskundgabe völlig zuwider lief.

Mit der Begründung, zuwenig Beamte im Ort zu haben, um die Sicherheit für die 300 AntifaschistInnen zu gewährleisten, sollte die Demonstration maximal als Kundgebung im Polizeikessel stattfinden. Erstmalig an diesem Tag konnte sich die Antifa jedoch behaupten7 und setzte eine, wenn auch sehr kurze, kraftvolle Demonstration gegen Schlagstock und Pfeffergaseinsatz der Polizei durch und verließ Königswusterhausen nach etwa einer halben Stunde gegen 17.30 Uhr.   

Sicherlich ein schwarzer Tag für die Antifa, doch die Öffentlichkeit sah das anders. Um den üblichen und demokratisch gewollten Dualismus von Links und Rechts aufrecht erhalten zu können, wurde die Zahl der GegendemonstrantInnen von knapp 500 auf 1000 nach oben korrigiert und verschwiegen, dass sich der überwiegende Teil nur zehn Minuten in Halbe aufgehalten hatte. Die Reaktionen der Parteien im Potsdamer Landtag waren geprägt von Schadensbegrenzung. Die Brandenburger SPD zeigte sich »stinksauer« und forderte für 2005 zusammen mit Innenminister Schönbohm (CDU) eine Demonstration aller »demokratischen Kräfte« gegen das »Heldengedenken« und »Argumentationsteams«, welche junge Neonazis auf den demokratischen Weg führen sollten, obgleich die CDU immer noch hoffte, das neonazistische Event würde sich, wenn man es nur ausreichend ignorierte, selbst »totlaufen«8 . Obligatorisch kündigte Schönbohm an, das Versammlungsgesetz zu ändern, um solche Aufmärsche in Zukunft verbieten zu können9 und auch die Polizeigewerkschaft GdP bedauert sehr, dass der Aufmarsch nicht verboten wurde10 .

Fazit

Die Polizei hat es an diesem Tag geschafft, das antifaschistische Protestpotential in Halbe so sehr mit Re­pressalien zu überhäufen, dass nichts von dem, was sich die einjährige Kampagne gegen das neonazistische »Heldengedenken«, mit unzähligen Veranstaltungen, Publikationen und professioneller Presse- und Bündnisarbeit an diesem Tag zum Ziel gesetzt hatte, eingetreten ist. Das ist umso tragischer, da die Neonazis einen vollen Erfolg für sich verbuchen konnten und gerade die bürgerlichen Parteien sich zum »Problem Rechtsextremismus« äußern, die besser schweigen sollten. 

In einer Fehleranalyse muss vor allem die Frage erörtert werden, warum man so wenig vorbereitet war auf diese Art der staatlichen Willkür und warum ihr keine angemessene spontane Reaktion folgte. Das Verlassen auf althergebrachte Demonstrations- und Mobilisierungskonzepte sowie auf den juristischen Einspruch hat in Halbe dazu geführt, dass keine Handlungsoptionen mehr offen waren, um trotz der schwierigen Situation eigene politische Akzente zu setzen. Ein gutes Gegenbeispiel dafür ist die Demonstration der Kampagne »Schöner Leben ohne Naziläden« in Pirna nur zwei Wochen später, wo den unverhältnismäßigen staatlichen Repressalien mit einer für die Polizei nicht vorhersagbaren spontanen Demonstration in der Dresdner Innenstadt begegnet wurde.

Das Versammlungsgesetz ist seit seinem Bestehen 1953, trotz Artikel 8 GG.11 , immer wieder politischen und juristischen Angriffen ausgesetzt. Die Frage ist nur, wie die Linke damit umzugehen vermag, um dem nicht ohnmächtig ausgeliefert zu sein. Dem Problem, dass Antifa-Demos viel öfter durchgesetzt werden müssen, da sie nicht mehr toleriert werden, muss die Linke mit einem Zusammenspiel aus sinnvoller Bündnisarbeit, juristischer Begleitung, Schaffung kritischer Öffentlichkeit und real möglichen autonomen Handlungskonzepten begegnen. Die Abkehr von linksradikalen Forderungen, der Bündnis- und Gesellschaftsfähigkeit zuliebe, sind höchst ungeeignet, um die gesteckten Ziele jemals zu erreichen.
 

  • 1Konrad Hesse, Bundesverfassungsrichter a.D.
  • 2Berliner Zeitung, 13.11.04
  • 3Polizeipräsidentin Schreiber, Lausitzer Rundschau, 6.11.04
  • 4Märkische Allgemeine Zeitung, 12.11.04
  • 5Polizeisprecher im Prignitzer, 15.11.04
  • 6Artikel 2 Grundgesetz
  • 7Ein einzelner Antifaschist kann das »Heldengedenken« durch einmaliges Rufen von »Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg« stören bevor er von Polizei festgenommen wird. Jungle World, 17.11.04
  • 8Märkische Allgemeine Zeitung, 18.11.04
  • 9Die Welt, 15.11.04
  • 10Neues Deutschland, 15.11.04
  • 11»friedlich ... unter freiem Himmel zu versammeln«