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Vorsicht »Lebensschützer«

Einleitung

Schon in den 1970er Jahren drängte sich der »Pillenknick« und seine Auswirkungen verschärft in die öffentliche Diskussion. Die Regierungsparteien besorgte ein drohender Mangel an »militärischem Verteidigungspotential« oder der drohende »Kollaps« der Rentenkassen. Gleichzeitig mußte die SPD/FDP-Koalition dem massiven Druck der §218-Initiativen nachgeben und 1976 die »Indikationenregelung« für Abtreibungen verabschieden. Damals traten die ersten "Lebensschützer"- Organisationen auf den Plan.

Foto: Christian Ditsch

Der Berliner Kandidat von "Die Republikaner" (1995) Frank-Eckart Czolbe-Senft als Teilnehmer einer Versammlung des konservativ-christlichen Bundesverband Lebensrecht e.V. im September 2014 in Berlin.

Spätestens seit 1989 wurde das öffentliche Geschrei gegen Abtreibungen lauter. Den Regierungsparteien machte die Abtreibungsfrage nicht mehr nur aus Gründen »personeller NATO-Verpflichtungen« oder »Rentenzahlungsproblemen« deutsch-nationale Sorge. »Asylantenflut« und »Überfremdungsangst« waren die neuen Schlagwörter, mit denen weitere Verschärfungen der AusländerInnen - und Flüchtlingsgesetze begründet wurden. Sie dienten gleichzeitig als Hintergrund der neuerlichen Diskussion um die Verschärfung des § 218 innerhalb der Regierungsparteien. Die wachsende nationalistische und rassistische Stimmung innerhalb der bundesrepublikanischen Bevölkerung gibt auch den "Lebensschützern" neuen Auftrieb.

Mehr und mehr Organisationen setzen sich öffentlich aktiv und zum Teil militant für den Schutz des sogenannten ungeborenen Lebens ein. Auf Veranstaltungen agieren sie mit Filmen und Referaten vor zum Teil großem Publikum. Besonders katholische und evangelische Kirchentage nutzen sie als günstiges Szenarium für ihre Anti-Abtreibungspropaganda. Sie verteilen Flugblätter, in denen sie gegen »Babycaust« (in Anlehnung an Holocaust) und »gewissenlose Mörderinnen« wettern — oder sie drücken uns bunte Hochglanzbroschüren in die Hand, in denen uns Föten in Überlebensgröße präsentiert werden. Darüber hinaus reichen ihre Aktionen von Glockengeläute für das »ungeborene Leben«, Pilgerfahrten und Gebeten vor Abtreibungskliniken, Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht bis hin zu Anschlägen auf „Pro Familia“ Zentren in Hamburg und Bremen. Passend dazu sind wir seit Frühsommer 1989 mit Plakatwänden der CDU-Kampagne »Mit Kindern leben« konfrontiert. In Arztpraxen liegen Broschüren aus, in Zeitschriften, im Kino oder Fernsehen, können wir Fotos von glücklichen (deutschen) Kindern und ihren Eltern sehen. Damit einhergehende gesetzliche Neuerungen wie das Babyjahr oder die Anrechnung der Erziehungsarbeit von Frauen auf die Altersversorgung - durchaus positive (und eigentlich selbstverständliche) soziale Verbesserungen für Frauen - täuschen über das eigentliche Ziel der bundesrepublikanischen Frauen- und Familienpolitik hinweg.

Tenor der Kampagne ist die Glorifizierung der Mutterrolle und der deutschen Kleinfamilie. Eine Kampagne, deren eigentlicher Inhalt, nämlich: "Deutsche Frauen, produziert deutsche Kinder" nicht offen liegt und kaum in Verbindung gebracht wird mit einer drohenden Verschärfung des § 218 und einem Angriff auf das Selbstbestimmungsrecht von Frauen.

Die „Lebensschützer“

Das Spektrum der sogenannten Lebensschützer reicht von christlichen Gruppen über Konservative bis ins neonazistische Lager, wenn es um den »Schutz des ungeborenen Lebens«, oder anders gesagt, um die Aneignung und Ausnutzung von Frauenkörpern geht. Die Organisationen treten zwar als überparteilich und überkonfessionell auf, ideologische und personelle Verstrickungen mit bürgerlich-konservativen Parteien wie CDU/CSU bis hin zum Lager der "Neuen Rechten“ sind jedoch unübersehbar. So wurde 1982 von der CDU eine interministerielle Arbeitsgruppe zum »Schutz des ungeborenen Lebens« eingerichtet. Es ging dabei um die verstärkte Propagierung der Mutterideologie, stärkere Förderung der deutschen Familie, sowie um entsprechende Öffentlichkeitsarbeit, um die Geburtenrate der Deutschen wieder steigen zu lassen. Die dort erarbeiteten Vorschläge entstanden mit Hilfe führender Vertreter der "Lebensschützer" als Sachverständige.

Genauso finden sich deren Positionen in der Ideologie der "Neuen Rechten" wieder. In deren Ideologieblättern wie "Mut", "Nation Europa" oder "Elemente", von Konservativ über die "Republikaner" (REP) bis hin zu „Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei“ (FAP) oder Kühnens ehemaliger „Nationale Sammlung“ (NS). Uns geht es darum die ideologischen und politischen Hintergründe dieser Allianz zu untersuchen und einen Einblick in organisatorische und personelle Verstrickungen der Abtreibungsgegner mit konservativen und extrem rechten Parteien und Organisationen zu geben.

Ideologischer Hintergrund

»Die Arbeit der Mutter ist Dienst an der Gesellschaft« … »Mutterarbeit ist mehr als Erwerbsarbeit« … »Mutterarbeit führt zur Selbstverwirklichung der Frau« erklärte der CDU-Politiker Norbert Blüm.1 . "Die Republikaner" betonten: »Frau und Mann sind im Fall gleicher Bedingungen und Anforderungen trotz ihrer Wesensunterschiede von gleichwertiger Tüchtigkeit in Leben und Beruf. Es ist jedoch insbesondere der Frau gegeben, durch Wärme und Hingabe ein Klima der Geborgenheit zu schaffen, in welchem Familie und Kinder gedeihen können. Hier liegt die besondere und von keinem Hausmann oder Kollektiv erfüllbare Berufung der Frau«2 . Die UCE behauptete »Wir verteidigen die besondere Aufgabe in Familie und Volk«3 und der neu-rechte Publizist Pierre Krebs vom "Thule Seminar" befand: »Unsere kulturelle Welt wurzelt in einer biologischen Welt. Die Frau soll ihren Wesen gemäß ihre Aufgabe in ihrem Volk erfüllen, der Mann die Seine. Die Völker sollen in ihrer Region ihre Kultur leben. Erst das Zurückfinden in ihre völkische Identität bedeutet die Befreiung der Frau. Der angeborene Geschlechtsunterschied ist: - größere Variabilitätsbreite bei Männern, - Unterschiede in der Gehirnanatomie, - unterschiedliche Fähigkeiten«.

Die Gemeinsamkeit der verschiedenen "Lebensschützer"-Organisationen zeigt sich in einem durch und durch patriarchalen Frauenbild, dessen wesentliche Grundlage der Biologismus ist. Die »Unterschiede« zwischen Mann und Frau werden als Wesensunterschiede bezeichnet. Sie sind »biologisch« (naturgegeben) festgelegt, bei den Kirchen »gottgegeben«, und gelten als unumstößlich. Die Gebärfähigkeit der Frau steht dabei im Mittelpunkt. Ihr gesellschaftlicher Nutzen macht sich an der Fähigkeit Kinder zu gebären fest. Daraus leitet sich der Zwang zum Gebären ab und die daran gekoppelte Rolle der Frau: »Frau als Mutter, Hüterin der Familie und des Volkes«. Von Natur aus sind Menschen und Völker angeblich mit unterschiedlichen Eigenschaften und Trieben ausgestattet, denen sie sich nicht widersezten können und dürfen. Daraus abgeleitet ist der Nationalbegriff, in dem das »Volk« die Substanz bildet. Vermischung verschiedener Völker und deren »biologischer Erbanlagen« würden den Niedergang eines Volkes oder einer »Rasse« bedeuten, da sie gegen das Gesetz der »natürlichen Auslese« zwischen den Völkern verstößt.

»Natürliche Auslese« heißt das Recht des Stärkeren den Schwächeren zu unterwerfen oder zu zerstören. Oder in den Worten der Neonazis der FAP: »Unser Grundsatz ... ist das Leben selber - die Naturgesetze. Die wesentlichen sind die des Lebens als Kampf und Auslese, die des Vorrangs der Gemeinschaft vor dem Einzelnen und die Verschiedenheit der Menschen untereinander ..., nicht nur zwischen den Rassen und Völkern, sondern vor allem zwischen den Geschlechtern«4 . Die deutsche Frau hat also die "stolze" Aufgabe die »Reinheit der Rasse« zu gewährleisten, indem sie nur deutsche Kinder gebärt. Indem sie sich für die Familie aufopfert, sorgt sie gleichzeitg für die Stärke und das Wohl der eigenen Nation. Dieser Biologismus ist Erklärung und Grundlage für Frauenausbeutung und -Verachtung , Nationalismus und Rassismus. Er ist Grundlage für das daraus abgeleitete Recht des Stärkeren über den Schwächeren zu herrschen: des Mannes über die Frau, der nationalen „geistigen Elite“ über das Volk, des »Gesunden« über den »Kranken« und »der weißen Rasse« über »die schwarze«.Die mit Rassismus und Elitedenken durchzogenen Programme der extremen Rechten basieren also auf ihrer unterdrückerischen, sexistischen frauenfeindlichen Ideologie, ohne die kein anderer Schwerpunkt ihrer politischen Arbeit möglich wäre.

Doch auch die bürgerlich-konservativen Kräfte lehnen sich an dieses Weltbild an. Es sei darauf hingewiesen, das CDU-Politiker über den Geburtenrückgang deutscher Kinder ernsthafte Besorgung ausdrücken, jedoch gleichzeitig ausländischen Frauen unter anderem die finanzielle Unterstützung für Kinder verstärkt streichen. Deutschstämmige Aussiedlerfamilien sind erwünscht, weil sie, abgesehen von ihrer Arbeits- und Kaufkraft, laut Helmut Kohl (CDU) viele deutsche Kinder in die BRD bringen. Der Kinderreichtum türkischer und arabischer Familien wird andererseits als soziales Problem beklagt. Einerseits plädiert die Regierung für den »Schutz des ungeborenen Lebens« und gegen Abtreibung, andererseits sind in der BRD und in West-Berlin Geburtenkontrolle ausländischer Frauen derbe Realität.

Bürgerlich-konservative Kräfte verpacken ihre Propaganda vorsichtiger als die extreme Rechte. Doch die völkisch-nationalistische Aufbruchstimmung in der BRD wird auch eine härtere Gangart in der Frauen und Familienpolitik nach sich ziehen. Erinnert sei an den Massenprozess gegen Frauen, die abgetrieben haben. Oder ganz aktuell die Normenkontrollklage der bayrischen Landesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die soziale Indikation des § 218. Diese Klage wird begründet mit dem Druck der Basis (als Beispiel die katholische Gruppe "Lebensrecht") und mit der aktuellen »Wichtigkeit für die innerdeutsche Diskussion«.

Die "Lebensschützer"-Gruppen bereiten ein Klima vor, in dem Abtreibung als »abscheulicher Mord« verurteilt werden kann, ohne daß ein Entrüstungssturm über solche Diffamierungen ausbricht. Es ist letztendlich kaum möglich ihre diversen Organisationen klar voneinander zu trennen, denn ihre Übergänge sind fließend, vom christlichen bis zum rechten Lager.

Die Mitglieder einer „Communitas Agnus Dei“ (Lamm Gottes) mit Sitz in einem „Kloster Frauenberg“ am Bodensee traten 1985 aus der gesetzlichen Krankenkasse aus, die katholische „Bewegung Rettet das ungeborene Leben e.V.“ veranstaltete 1986 eine Pro-life-Kundgebung in Bonn mit Mutter Teresa (Agnes Gonxha Bojaxhiu) die von CDU und Presse politisch unterstützt wurde. Sie verbreiten Publikationen mit zum Teil völkischen Tendenzen, etwa von Alfred Häußler („Europäische Ärzteaktion“) „Die Selbstzerstörung Europas mit Pille Spirale Sterilisation und Abtreibung“. Diese "Bewegung" verbreitet vielfältiges Material, das eine christliche Moral für ihre Ziele mißbraucht, und ist äußerst öffentlichkeitswirksam. Unter anderem die katholische “Fatima-Aktion 77“ ist Mitglied der „Bewegung für das Leben“, einem Dachverband zum Schutz der Ungeborenen. Die „Aktion Lebensrecht für Alle“ (ALfA) oder die „Internationale Gesellschaft für Menschenrechte“ (IGFM), arbeitet mit Brückenorganisationen zum rechten Lager zusammen.

Das "Führungsorgan katholischer Publizistik" die "Neue Bildpost" wird in und vor Kirchen verkauft, sie macht vor allem für die CDU Werbung, war aber in 1970er Jahren Sammelpunkt für Befürworter einer „vierten rechten Partei“. Der "Bildpost-Pfarrer" Winfried Pietrek organisierte vor der ersten Abstimmung zur Fristenlösung einen Hungerstreik in Bonn. Eines ihrer Redaktionsmitglieder Ursula Zöller, verklagte die Barmer-Ersatzkasse wegen ihrer Abtreibungsfinanzierung. Ihr Anwalt in dieser Sache, Wolfgang Phillip, war auch einer der Erstunterzeichner des »Heidelberger Manifests« (Gegen eine vermeintliche »Überfremdung« durch AusländerInnen).

Das Blatt ist rechten Autoren wie Gerhard Löwenthal und Luděk Pachmann geöffnet. Sogenannte "Ärzteaktionen" – wirken als Unterorganisationen der „Europäische Ärzteaktion in den deutschsprachigen Ländern e.V.“ (EÄA) mit dem Ziel christlich orientierte Ärzte zur Verweigerung legaler Abtreibung zu bringen und den Indikationsweg vor dem Abbruch zu erschweren.

Als „Europa Pro Vita" tritt die „Dachorganisation aller europäischen Bürgerinitiativen für das Leben“ auf. 1980 wurde von der babtistischen Kirche ein „Arbeitskreis PRO VITA“ als Antwort auf die öffentliche Diskussion um die Abtreibung ins Leben gerufen. Als „PRO VITA – Bewegung für Menschenrecht auf Leben“ wurde 1984 in Wien eine „Lebensschutz“-Gruppe gegründet. Vereine "Pro Vita", also „für das Leben“, gibt als anerkannte Träger der freien Jugendhilfe und als Mitglied im "Diakonischen Werk". Kontakte finden sich so etwa zu Siegfried Ernst von der EÄA der - wie Hartwig Holzgartner (CSU) - an "Pro-Vita"-Kongressen teilnahm. Der Politiker bezeichnete als Vorsitzender des gesundheitspolitischen Ausschusses des CSU Abtreibung als Massenmord: "Die Nationalsozialisten haben die Juden getötet, und die internationalen Sozialisten töten ungeborenes Leben. Das, was in unserem Volke geschieht, ist exakt der Weg zurück nach Auschwitz". Holzgartner unterstützte Kongresse der "Europäischen Ärzteaktion".

Organisationen, Kontakte, Methoden und Argumente

Einige "Lebensschützer" Organisationen arbeiten unter dem Dach der Kirchen, und werden von der Kirchenleitung zum Teil offiziell unterstützt. Andere stehen rechts außerhalb der Kirche, benutzen jedoch die christlich orientierte Argumentationsweisen in ihrer Öffentlichkeitsarbeit. Ihnen gemeinsam ist die Interpretation der Sexualität als Funktion zur Befruchtung der Eizelle. Von daher akzeptieren sie als Verhütungsmittel nur die Beobachtung der fruchtbaren Tage. Sogenannte Nidationshämmer (z.B. Spirale) gelten in ihren Augen als Abtreibungsmethode, da der Beginn des Lebens auf den Zeitpunkt der Befruchtung festgelegt wird. Mit ihrem Gewissen nicht vereinbar ist ihre Mitfinanzierung von Schwangerschaftsabbrüchen durch den gesetzlichen Krankenkassenbeitrag. Sie argumentieren mit Gottes Schöpfungswillen, dem Frauen nicht mit Abtreibung in die Quere kommen dürfen. Beliebter Argumentationsstrang (nicht nur der kirchlichen Gruppen) ist die Gleichsetzung von »Holocaust« und einem sogenannten »Babycaust«. Dazu ein Pastor in einer Bistumszeitung:

»Die Nazis haben ihren Massenmord immerhin noch mit einer Ideologie versehen. Es war nicht kaltherzige Ichsucht, wie etwa heute bei der Abtreibung. Diese Tötung aus rücksichtsloser Selbstsucht ist darum moralisch niedriger anzusetzen. (…) Nazis haben sich an unschuldigen Menschen ausgelassen, die weitgehend erwachsen waren und sich gegen das ihnen geschehene Unrecht empören konnten. Bei der Abtreibung zerstückelt, zerschneidet und erwürgt man ungeborene Kinder, die kein einziges Wort für sich sprechen ... können ... Die Charakterlosigkeit ist noch abgründiger als bei den Nazimördern (…) Die Nazis haben ihre Untaten vor der Bevölkerung und der Umwelt zu verbergen versucht. Offensichtlich war ein Rest von Unrechtsbewußtsein geblieben. Abtreibung geschieht bei uns in aller Öffentlichkeit und unter Anschein des Rechts (...) Die sich prostituierende Schamlosigkeit ist um Grade größer als bei den Nazis. (…) Die Nazis haben ihr unmoralisches Treiben mit einigen wenigen ihrer eingeschworenen Parteigänger getrieben. Das Gros der Bevölkerung blieb ausgeschlossen. Unsere Abtreibungspraxis ist so satanisch, daß man ihr der Mäntelchen der Gesetzlichkeit umhängt, und daß man sie vom ganzen Volk finanzieren lässt ( Krankenkassenbeiträge und Steuern ). Damit wird jeder mitschuldig gemacht ... Niemand von uns wird später sagen können, er habe von alldem nichts gewußt...«5

Dieses Zitat zeigt mit welchen Methoden von Abtreibungsgegnern Stimmung gemacht wird. Die Nazigreuel werden stellenweise verharmlost, die Nationalsozialisten teilweise in gewisser Weise sogar moralisch verteidigt und die Massenmorde der deutschen Nationalsozialisten einigen wenigen in die Schuhe geschoben. Mit dem »schlechten Gewissen« der Deutschen aufgrund ihrer Geschichte versuchen sie nunmehr gegen Abtreibung Politik zu machen.

Politische Organisationen

In politischen Organisationen wird nicht durchweg der christlich orientierte Argumentationsschwerpunkt verfolgt. Hier tauchen vermehrt die Vergleichsschemata: Nationalsozialismus, Vernichtungslager, Euthanasie, Krieg, Massenmord, Völkermord = Abtreibung auf. Die Argumentation ist oft schärfer und aggresiver als in kirchlichen Organisationen. Beispiele für das Spektrum politischer "Lebensschützer"- Organisationen sind: „Aktion Lebensrecht für Alle“ (ALfA), „Aktion Ulm 70“6 , „Aktion Leben e.V.“ (AL) organisiert im Dachverband der "Bewegung für das Leben e.V." (BfdL), „Bürgerinitiative für Recht und Ordnung“ oder eine "Aktion Lebensschutz".

Im folgenden gehen wir auf vier dieser Organisationen genauer ein: Die "Bewegung für das Leben e. V." verbreitet in ihrem Informationsmaterial rechte Argumentationen: »Abtreibung führt zum Kulturverfall und somit zur Vernichtung der Nation« oder »jedes 3. und 4. Kind in Deutschland wird liquidiert. Das kommt einem Genozid am deutschen Volke gleich«. Dies sind eindeutig völkisch – nationalistische Sprüche. Ein platter Antikommunismus kommt zusätzlich in folgenden Aussagen zum Ausdruck: »Die kommunistischen Parteien unterstützen das Abtreibungsprogramm in den kapitalistischen Staaten, mit dem Ziel, den Zerfall dieser Systeme zu forcieren.« Schwangerschaftsabbruch bedeutet für sie »straflose Liquidierung ungeborener Kinder«, Abbruchkliniken sind »staatlich finanzierte Tötungsinstitute, in denen der Embryocaust stattfindet«, »durch die Mitgliedschaft in den Krankenkassen wird jeder zum Komplizen ärztlicher Killer«. Sie gehen davon aus, daß die Frau durch ihren »Zustand der Schwangerschaft« in ihrer Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt sei und zu keiner Eigenverantwortung fähig wäre.

Eine "Bewegung für das Leben" unterzeichnete den Aufruf zur Gründung einer „Liste für Ausländerstopp“. Auf der Gründungsveranstaltung dieser "Liste" 1982 unter dem Motto: »Ausländerstopp - Deutschland den Deutschen«, traten auch Neonazis auf.

In den Kreisen dieser »Bewegung« fiel u. a. der Lebensschützer-Anwalt Wolfgang Phillip auf, der mit rechten Argumentationen bekannt wurde. Die „Bewegung“ dient als Sammelbecken vieler Initiativen, wie die „Aktion Leben e.V.“, "ALfA", "Europäische Ärzteaktion e.V.", "Fatima Aktion" und der "Aktion Lebensschutz" (AL) unter Führung von Ingrid Weckert. Die "Aktion Lebensschutz" ist eine 1987 von Michael Kühnen im »20. Brief aus der Haft« als »Vorfeldorganisation« bezeichnete Organisation zur Sammlung der kühnentreuen Anhänger der verbotenen Neonazi-Truppe "ANS/NA", die vor allem der Mitgliedergewinnung dienen soll. Kühnen schreibt: »Die wichtigste unter den neuen Vorfeldorganisationen werden in Zukunft die "Volksbewegung gegen Überfremdung" unter persönlicher Führung von Kamerad Brehl und die vor allem gegen den Abtreibungsmassenmord an unserem Volk kämpfende "Aktion Lebensschutz" unter der Führung von unserer Kameradin Ingrid Weckert sein«7 .

Die "Aktion Lebensrecht für alle" (ALfA) bezeichnet sich als bundesweite Bürgerinitiative zum Schutz des menschlichen Lebens; insbesondere des ungeborenen Kindes. Sie konzentrieren sich vor allem auf diesen Bereich, da nach ihren Aussagen das menschliche Leben am häufigsten durch Abtreibung verletzt wird. Zu ihren Mitgliedern gehören viele Bundes- und Landtagsabgeordnete. Die heutige Bundesvorsitzende, Hedwig Seelentag, erhielt für ihre Arbeit bei "ALfA" das Bundesverdienstkreuz. "ALfA" wird von den Kirchen unterstützt. Des weiteren unterhalten sie internationale Verbindungen zu "Lebensschutzorganisationen", z. B. in die USA. Vierteljährlich erscheint ihre Publikation - der "ALfA -Rundbrief", in dem aktuelle Diskussionen (z. B. Gentechnologie), Berichte über öffentliche Aktionen und auch »Hilfsaktionen« für schwangere Frauen ihren Platz haben. Sie machen Überzeugungsarbeit bei FrauenärztInnen gegen Abtreibungen und treten auf Kirchentagen auf. Sie verfolgen, wie alle anderen Abtreibungsgegner auch, das Ziel, die Finanzierung von Schwangerschaftsabbrüchen durch die Kassen aufzuheben. In ihren Publikationen sprechen sie von »Kinderholocaust« und von der »Mutter, vor der das Kind geschützt werden muß«. Gleichzeitig wird die Mutterrolle glorifiziert. "ALfA" verfügt seit 1980 über eine Jugendorganisation, die "Jugendarbeitsgemeinschaft für das Leben" (JAL).

Die "Europäische Ärzteaktion e.V." - ist Mitglied in der "Bewegung für das Leben e.V." unter Dr. Siegfried Ernst, ihre Zeitung nennt sich "Medizin und Ideologie". Diese "Ärtzteaktion" unterhält gute Kontakte zu allen europäischen Anti-Abtreibungsgruppen und der amerikanischen "Pro Life-Bewegung". Sie führen hauptsächlich Kongresse durch, auf denen bekannte Persönlichkeiten einer „Braunzone“ aus Kirche, CDU/ CSU und Wissenschaft vertreten sind. Unter anderem Otto von Habsburg (CSU), Dr. Holzgartner (CSU), Hans Maier (CSU) und Christa Meves, bekannte Autorin von zahlreichen rechten bis neonazistischen Publikationen. Sie referierte – in pseudowissenschaftlicher Manier — etwa über »Geburtenschwund aus psychologischer Sicht«, z.B. für die „Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung“ (GfbAEV) - einem rassistischen „Wissenschaftszirkel“ des Neonazis Jürgen Rieger. Diese Organisation will gutbürgerliche Schichten und die Ärzteschaft ansprechen.

In dem Organ der "Ärtzteaktion" - "Medizin und Ideologie" - sind manche Inhalte als rechts, ultra rechts, nationalistisch, antidemokratisch, antikommunistisch und zum Teil auch rassistisch zu verstehen. Immer wieder ist darin von dem »Volk« die Rede, es geht dabei die moralische Aufrüstung des »abendländischen Europas«. Zitat: »Ein Volk und seine Regierung, die der jungen Generation kein Ziel mehr geben können für das es sich lohnt zu leben und notfalls auch zu sterben, eine Nation ohne verbindliches Leitbild wird sinnlos«8 . Wobei auch schon mal, von der Abtreibungssituation im »freien Teil Deutschlands« die Rede ist. Der Vorsitzende der "Ärtzeteaktion“, Siegfried Ernst, soll zumindest bis 1973 ein Bekannter des Neonazis Manfred Roeder gewesen sein9 . Er soll sich auch an Roeders »Aktion Porno-Stop« beteiligt haben. 1980 hatte Siegfried Ernst eine juristische Auseinandersetzung, weil er den „Deutsche Gewerkschaftsbund“ (DGB) mit den Nationalsozialisten verglichen haben soll. Das Verfahren wurde aber in der zweiten Instanz eingestellt. Seine Beiträge werden über viele "Lebensschützer" - Organisationen verbreitet und viele Fäden dieser Organisationen laufen bei ihm zusammen. Er gilt als "Kopf“ der Bewegung, ist Alterspräsident der "Europäischen Landessynode Württemberg" und ständiger Autor in "Medizin und Ideologie". Er vertritt hierbei zum Teil auch völkische, nationalistische und frauendiskriminierende Positionen, die eine Nähe zur "Neuen Rechten" nahe legen: »Wenn man die sogenannte Friedensbewegung nach dem Motto 'Frieden schaffen ohne Waffen' - insbesondere in Zusammenhang mit dem Evangelischen Kirchentag verfolgt, so wird man unwillkürlich an das Geschrei aus dem 3. Reich erinnert: 'Wollt ihr den totalen Krieg?'. Nur heißt es diesmal umgekehrt: 'Wollt ihr den totalen Frieden?'. Aber der 'totale Frieden' ist in Wirklichkeit ein Friede ohne Freiheit, ohne Glaube, ohne Gott! Er steht darum auf einer Ebene mit dem totalen Krieg gegen Gott und Menschen.«10 . In einem Brief an Hans-Dietrich Genscher11 erklärt er: »(...) Warum propagieren Sie ... nicht eine 'Befreiungsbewegung' mit Gewalt, Terror und Partisanenkrieg als natürliches Recht für unsere Deutschen in der DDR?«, denn die Grenze zwischen DDR und BRD bedeutet seiner Meinung nach »Apartheid«. Und die FDP habe kein Recht, sich moralisch über Südafrika zu entrüsten, »denn die Schwarzen in Südafrika haben zwar noch nicht alle Rechte, sie besitzen aber im Gegensatz zu uns, das wichtigste aller Rechte, das 'Recht auf Leben' bereits als ungeborene Kinder .... Wo ist hier wirklich Rassismus? Etwa bei denen in Südafrika, die das ungeborene schwarze und weiße Baby durch das Strafgesetz in seinem Lebensrecht immer noch schützen oder bei denen, die seine Liquidierung fordern?«12 . Das rassistisch motivierte Verbot von sexuellen Beziehungen zwischen Schwarzen und Weißen im Apartheidsstaat verklärt er zur einer Art Schutzmaßnahme: »Wenn es irgendwo eine Herrenrasse und eine ihr unterlegene Rasse gab, waren die Frauen die Sexsklavinnen der Männer dieser Herrenrasse. In Südafrika schützte man sie vor dieser Ausbeutung, auch wenn es nicht immer gelang.«

Fazit

Diverse Verbindungen vom konservativen Lager hin zur zur Rechten sind in diesem Themenfeld erkennbar. Es geht uns nicht darum Abtreibung als unwichtigen kleinen Eingriff zu verharmlosen. Viele von uns Frauen kennen die psychischen und körperlichen Probleme und Schmerzen, die damit verbunden sind. In unserer heutigen lebensfeindlichen Gesellschaft - geprägt von sozialer und ökonomischer Not, Kinderfeindlichkeit und Frauenverachtung und -ausbeutung ist Abtreibung jedoch oft das einzige oder gar letzte Mittel für und Frauen, um nicht unterzugehen. Von daher muß der Kampf gegen Abtreibungsgegner und Abtreibungsverbot auch die patriarchalen und ökonomischen Verhältnisse als Ursache unserer Zwangssituation als Frauen miteinbeziehen. Wir wollen verdeutlichen wie die verschärften Angriffe auf die Selbstbestimmung von Frauen zusammenpassen mit der gegenwärtigen Politik der BRD-Regierung. Die Verschärfung des § 218, als auch der gesamten Lebenssituation von Frauen in der BRD (z.B. neues AusländerInnengesetz, anwachsende Arbeitslosigkeit besonders von Frauen) rückt in eine bedrohliche Nähe.

  • 1Norbert Blüm, CDU, Bundestagung Sozialausschüsse der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft. 1981
  • 2„Die Republikaner“ Programm von 1987
  • 3UCE - Vereinigung Europäischer Bürgerinitiativen zum Schutz der Menschenwürde
  • 4„Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei“ (FAP)
  • 5Zitat aus der Zeitschrift "Kirche und Leben" des Bistums Münster in „Der Spiegel“ 7/1983
  • 6Dessen Gründer Siegfried Ernst, gründete auch die EÄA
  • 7Die Neue Front", April 1987
  • 8"Medizin und Ideologie", Juli 1982
  • 9"Neue Bildpost" Sonderdruck vom Dezember 1971 („Der Revolutionär von der Bergstraße“)
  • 10Entnommen aus seiner Rede von 1981 vor dem Landesparteitag der CDU in Ba.Wü., abgedruckt in „Medizin und Ideologie“, August 1981
  • 11Auch in dem o.a. Blatt abgedruckt
  • 12Anm.: In Südafrika ist Abtreibung verboten