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Holocaust-Relativierung durch Abtreibungsgegner

anita f. - antifaschistische Gruppe in Regensburg
Einleitung

Schon von weitem ist sie sichtbar. Schlicht gehalten, weiß gestrichen, mit einer Holzkuppel und einer Schaukel vor der Tür. Im oberpfälzischen Pösing, im Landkreis Cham (Bayern) steht seit 2008 die „Hoffnung für ungeborene Kinder – der stumme Schrei“. So lautet der offizielle Na­me der privaten Kapelle.

Ein Teil der Kapelle „Hoffnung für ungeborene Kinder – der stumme Schrei“ in Pösing.

Franz Graf, 62-jähriger Landwirt, hat sich hier ein Denkmal gesetzt. Graf ist bekennender Abtreibungsgegner und gehört dem „Lebensschützer“-­Milieu an. Seine Kapelle widmet er dem „größten Völkermord in der Geschichte der Menschheit. Der legale Kindermord durch Abtreibung. Der Holocaust an ungeborenen Kindern“, so ist auf einem Gedenkstein neben der Kapelle zu lesen. Auch in der Rede zum zehnjährigen Jubiläum der Kapelle fand Graf deutliche Worte, die keinen Interpretationsspielraum lassen: „Was ist Auschwitz gegen diesen Massenmord an Kindern?

Auch im Inneren der Kapelle lässt Graf tief blicken. An den Wänden steht in schwarzer Schrift „Der millionenfache Massen­mord an wehrlosen Kindern durch Abtreibung“. In einem Glaskasten ist zu lesen, dass abgetriebene Embryos zerstückelt und zu Kosmetika verarbeitet würden. Ärzt_innen bezichtigt er des Mordes und auf einer Steintafel findet sich die Aussage: „Auschwitz ist heute in unseren Krankenhäusern und Abtreibungskliniken, sowie in gynäkologischen Praxen und durch die Einnahme von Abtreibungsmitteln.“ Graf betreibt hier eine klare Holocaust­relativierung. Dabei bestreitet er den millio­nenfachen Mord an Jüdinnen und Juden während der NS-Zeit nicht. Gegenüber Journalist_innen äußerte er sich dazu: „Die Vernichtung von sechs Millionen Juden wird zu Recht verurteilt, andererseits verlangen die Leute das Tötungsrecht an ungeborenen Kindern – wofür soll ich mich entschuldigen?

Justiz sieht keine Volksverhetzung

In Pösing und der Umgebung stören sich bis heute nur wenige an dem Bauwerk und an Grafs Ansichten. Einige Einwohner_innen sollen beim Bau mit angepackt oder diesen finanziell unterstützt haben. Durch die lokale Berichterstattung zum zehnjährigen Jubiläum, im Sommer 2018, wurden Aktive des regionalen Kreisverbandes der Linkspartei auf die Kapelle aufmerksam und stellten  Anzeige gegen Graf wegen Volksverhetzung. Die zuständige Staatsanwaltschaft ließ diese jedoch nicht zu. Dem Kontext sei „keine Gleichsetzung des Holocaust in seinem geschichtlichen Sinne zu entnehmen“. Graf scheint also zumindest von Seiten der Justiz eine Art „Freifahrtschein“ für seine Frauenfeindlichkeit und seine Holocaust relativierenden Ansichten zu erhalten. Und auch das zuständige Landratsamt, dessen stellvertretender Landrat Markus Müller beim Jubiläum anwesend war, distanzierte sich auf Nachfrage der Presse nur zaghaft.

Im Zuge dessen versuchten lokale Antifaschist_innen die Kapelle überregional zu skandalisieren, was ihnen auch gelang. Auch in den darauf folgenden Anfragen der Presse hält Graf an seiner Meinung fest: „Abtreibungen sind in Sachen Grausamkeit mindestens genauso schlimm wie das, was in Auschwitz passiert ist. In Auschwitz haben wir sechs Millionen Menschen vergast. In Sachen Abtreibungen sind wir bei Millionen und Milliarden von Kindern.

Rechtsklerikale im Bistum

Pösing, mit seinen etwa 1.000 Einwohner_innen, 93 Prozent der Menschen hier sind katholisch, gehört dem erzkonservativen Bistum Regensburg an. Und hier ergibt sich ein größeres Gesamtbild. Mit Bischof Rudolf Voderholzer und Generalvikar Michael Fuchs sind im Bistum Regensburg zwei rechtsklerikale Abtreibungsgegner aus dem sogenannten „Lebensschützer“-Milieu tätig, die in der Vergangenheit kein besonders ausgeprägtes Abgrenzungsbedürfnis nach Rechts(außen) zeigten. So auch am Katholikentag 2014 in Regensburg, als das Bistum Regensburg dem Milieu mehrfach Foren bot. Birgit Kelle – u. a. Autorin der rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“ – moderierte für das Bistum ein Sonderformat auf einem Regionalsender. Für eine Veranstaltung, an der ausschließlich radikale AbtreibungsgegnerInnen – u. a. Christa Meves – teilnahmen, wurde vom Bistum explizit Werbung gemacht.

Voderholzer und Fuchs nahmen in der Vergangenheit am „Marsch für das Leben“ in Berlin teil, eine Demonstration von AbtreibungsgegnerInnen, bei der christliche FundamentalistInnen, AntifeministInnen und Personen der (extremen) Rechten gemeinsam demonstrieren. 2017 sprach Voderholzer dort und relativierte die Verbrechen des Nationalsozialismus mit dem Satz: „Kann man wirklich gleichzeitig Tränen der Rührung vergießen beim Verlesen eines Briefes aus dem Jahr 1943 durch einen Schauspieler mit Down-Syndrom, so geschehen hier neben uns in diesem hohen Hause am 27. Januar 2017, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, und gleichzeitig schweigen über die pränatale Selektion unserer Tage?

Auch Fuchs thematisierte Kritik an Schwan­gerschaftsabbrüchen bereits in Reden am Gedenkweg für die Opfer des Faschismus, der alljährlich am 23. April in Regensburg stattfindet. Darüber hinaus nahm Fuchs schon an dem monatlich in Regensburg stattfindenden „Vigil für die ungeborenen Kinder“ teil. Dem organisierenden Verein „Helfer für Gottes kostbare Kinder Deutschland e.V.“ stellt das Bistum hierfür regelmäßig Räume zur Verfügung.

Neben dem Bischof und dem Generalvikar fiel auch der Pressesprecher des Bistums, Clemens Neck, negativ auf. Mit Bezug auf die Pösinger Kapelle sagte er in einem Radiointerview: „Im 20. Jahrhundert wurden Menschen massenhaft getötet und diese Verbrechen sollen in ihrer Einzigartigkeit betrachtet werden. Gleich, egal ob das sich jetzt um Taten der nationalen Sozia­listen oder der Kommunisten handelt.“ Unabhängig von der jeweiligen Betrachtung der historischen Fakten ist diese Gleichsetzung eine weitere Relativierung, die Singularität der Shoa wird somit negiert. Die Gleichsetzung von Holocaust und Abtreibung hält er „persönlich [für] nicht sinnvoll“ distanziert sich aber kein Stück von dieser Holocaustrelativierung.

Holocaustrelativierung kein Straftat­bestand?

Rechtliche Schritte gegen AbtreibungsgegnerInnen einzuleiten ist nach wie vor sehr schwer, da die Gerichte hier immer wieder eine fragwürdige Gesetzesauslegung betreiben. So entschieden die Staatsanwaltschaft München und die Staatsanwaltschaft Köln Anfang des Jahres 2019, dass Formulierungen wie „Abtreiben macht frei“ oder „Babyzid“ auf Flyern zulässig seien. Der Paragraf 130, zur Verfolgung von Volksverhetzung, wird folglich von den Gerichten selbst ausgehöhlt. Laut dem Kölner Oberstaatsanwalt Willuhn werde der „Unwertgehalt des Holocausts nach Meinung dessen, der da spricht, unterstrichen“. Das bedeute, dass der Holocaust nicht bagatellisiert oder beschönigt, sondern umgekehrt dieser als Argument herangezogen werde, um zu beschreiben, wie schlimm Abtreibung sei.

Das sieht der „Zentralrat der Juden“ anders. Ende April 2019 hatte dessen Präsident Josef Schuster sich zu Graf geäußert: Graf leugne durch seine getätigten Aussagen die Singularität des Massenmordes an den europäischen Jüdinnen und Juden und relativiere diesen.