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Gießener Frauenärztin verurteilt

Hella R. (Autonomes FrauenLesben Referat Marburg) (Gastbeitrag)
Einleitung

Am 24. November 2017 ist die Gießener Frauenärztin Kristina Hänel zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt worden. Aktivisten aus den Kreisen rechter „Lebensschützer“ hatten Strafantrag gegen sie gestellt. Der Grund: Sie informierte auf ihrer Website über Schwangerschaftsabbrüche und darüber, dass sie diese praktiziert. Laut Gesetzgebung stellt dies einen Verstoß gegen den Paragrafen 219a dar, der besagt, dass die „Werbung für Schwangerschaftsabbrüche“ verboten ist.

Foto: Mathias Roth

Der „Lebensrechtler“ Klaus Günter Annen von „Nie Wieder“ bei dem 99. Katholikentag im Juni 2014 in Regensburg.

Paragraf 219a

Dieser Para­graf steht ganz im Zeichen des immer noch intakten Paragrafen 218, der Schwangerschaftsabbrüche nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Kristina Hänel kämpft bereits seit vielen Jahren für die Rechte von Frauen und ergreift mit dem Hin­weis auf ihrer Website, Schwangerschafts­abbrüche durchzuführen, eine klare Position für Frauen, die ihr Recht auf Selbstbestimmung einfordern. Dem gegenüber steht die sogenannte Lebensschutzbewegung — wie beispielsweise die „Initiative Nie wieder!“ — die massiv gegen Abtreibungen vor gehen. Die Initiative um "Nie Wieder" zeigte Kristina Hänel an.1 .

Teile der „Lebensschützer“ schrecken auch nicht davor zurück, Schwangerschaftsabbrüche mit den Massenmorden während des Nationalsozialismus gleichzusetzen, so auf der Web­site "babycaust.de". Neben der antifeministischen Grundhaltung werden damit vorwiegend Opfer der Shoa verhöhnt. Hinter der Webseite steht die „Initiative Nie wieder e.V.“, welche eng mit „abtreiber.org“ vernetzt ist. Jene religiöse Aktivist_innen listen auf Inter­netseiten, darunter „abtreiber.com“, Kliniken auf, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Eine Crux: Trägt das doch auch dazu bei, interessierten Frauen die Möglichkeit, sich besser zu informieren, zu offe­rieren.

Reaktionär, Rechts, Religiös ?

Deutlich wird bei vielen Lebensschutz-Initiativen meist eine christlich-fun­da­men­ta­listische Positionierung. Wer verstehen will, welchen politischen Hintergrund die Anzeige gegen die Ärztin hat, wird im (rechts)katholischen Blätterwald fündig. Im Jahr 2015 war in der Zeitschrift „Nie Wieder! Nachrichten Europäischer Bürgerinitiativen“ ein Bericht über den Bundesparteitag der Partei „Christliche Mitte“ zu lesen, der “Lebensrechtler“ Klaus Günter Annen sei zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden gewählt worden. Ein Kurzvortrag von Annen ist dort veröffentlicht: „Ich heiße Günter Annen (…). Ich bin eher ein Frontkämpfer (…). Um die Jahre 2001/2002 stellte ich fest, daß die Abtreibungsärzte im Internet auf ihren Homepages für die Durchführung von Abtreibung warben. Ich begann nach und nach diese Abtreibungsärzte anzuzeigen (…). Ich kann mit ein wenig Stolz sagen, daß man nun im deutschen Internet kaum noch einen Abtreiber entdecken kann, der es wagt, für Kleinstkindermorde zu werben“.

Sein Vortrag endet mit der unverholenen Feststellung „Wir haben kein Selbstbestimmungsrecht über unser eigenes Leben“. Seit 1985 erscheint die als „Zeitung der Katholiken für Glaube und Kirche“ bezeichnete Monatspublikation „Der 13“. Die Inhalte richten sich offenbar an LeserInnen der (extremen) Rechten mit religiösen Bezügen: „Die Kirche wird aus Geldgier mehr und mehr zum ausführenden Arm der Globalisten“, weiß etwa Sven von Storch dort mitzuteilen. Sven von Storch, verheiratet mit der AfD-Frontfrau Beatrix von Storch ist Funktionär der „Zivilen Koalition e.V.“. Die politische Weltlage beschreiben die Herausgeber ihrer Klientel kurz und knackig: „Ein ehedem christliches Europa suhlt sich in perverser Toleranz und Nächsten-„Liebe“.2 Günter Annen hat in der Publikation die Leitung des „Lebens­rechtressort“ inne.

Das Urteil

Die Begründung der Gießener Richterin liest sich wie folgt: „Der Gesetzgeber möchte nicht, dass über den Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit diskutiert wird, als sei es eine normale Sache.“3 Dass mit dieser Aussage Frauen in der BRD das Recht auf Selbstbestimmung über ihre unterschiedlichen Lebensentwürfe und Körper verwehrt wird, dürfte unstrittig sein.

Mit ihrer Forderung nach einem Informationsrecht für Frauen zum Schwangerschaftsabbruch steht Kristina Hänel nicht allein. In einer Onlinepetition4 solida­risierten sich mittlerweile 90.000 Menschen mit ihr. Am Tag der Gerichtsverhandlung, organisierten Unterstützer_innen eine Kundgebung vor dem Amtsgericht Gießen. Eine Gegenveranstaltung der Lebensschutzbewegung fand nur ein paar Stunden später in Form eines „Infostandes“ direkt gegenüber der Arztpraxis von Kristina Hänel statt. Die Ärztin gibt sich kämpferisch und kündigt Revision an: „Wenn der Paragraf 219a heutzutage tatsächlich so restriktiv ausgelegt wird, dann muss er weg. Oder geändert werden.5 Auch der Paragraf 218, der die Rahmenbedingung einer straffreien Abtreibung umfasst, kritisiert die Frauenärztin scharf: „Wenn der Gesetzgeber sagt, dass das straffrei ist, muss er den Frauen auch die Möglichkeit geben, sich selbst umfassend über Methoden und Ärzte zu informieren.“6

Die Gründe für die Abschaffung von Paragraf 219a sind aus der Sicht der Anwältin Monika Frommel, die Kristina Hänel vor Gericht vertritt, offensichtlich: Es liegt auf der Hand, dass durch die Gesetzgebung „anbieten“ und „werben“ gleichgesetzt wird. Wenn Ärzt_innen die gesetzlichen Anforderungen für eine Abtreibung einhalten, darf der Vorgang durchführt werden. „Und dabei ist das wichtigste im Vorfeld, dass die Frauen genauestens informiert werden“, erklärte Frommel hierzu. Für sie stellt dementsprechend die Auslegung der Staatsanwaltschaft Gießen einen Widerspruch gegenüber dem reformierten Abtreibungsrecht dar.

Das Urteil des Gießener Amtsgerichts stellt Frauen verschiedener Generationen vor die Frage: Warum kämpfen wir denselben Kampf immer wieder, und das schon seit Jahrzehnten? Warum existieren weiterhin Paragrafen über Schwangerschaftsabbrüche, die seit der NS-Zeit nur unerheblich verändert wurden? Der Ursprung dieses Paragrafen liegt zwar schon lange vor dem Nationalsozialismus, jedoch wandelten sich in dieser Zeit die Motivation und das Strafmaß erheblich. Zur Erhaltung des „arischen Volkes“ war es jeder Frau untersagt, einen Abbruch durchzuführen, sonst drohten Gefängnisstrafen und nicht selten „Zuchthaus“ über Jahre. Dieses Strafmaß wurde tatsächlich bis in die 1970er Jahre noch so ähnlich formuliert wie im Jahr 1945.

Das "Autonome FrauenLesben Referat" aus Marburg erklärt hierzu: "Vor diesem Hintergrund bleibt das Recht auf (körperliche) Selbstbestimmung für die meisten Frauen in der BRD Utopie und der Kampf gegen patriarchale und antifeministische Strukturen bittere Realität. Diesen Kampf führen wir mit Kristina Hänel gemeinsam. Der Kampf von Kristina Hänel wird weitergehen".

Kristina Hähnel hat angekündigt, in Revision zu gehen und hofft, dass höhere Instanzen den Weg zum Informationsrecht und damit den hürdenfreien Zugang zu relevanten Informationen bezüglich Schwangerschaftsabbrüchen ermöglichen.

  • 1Eigentlich ist „Nie Wieder“ der Titel einer Zeitungsbeilage der „Europäische Bürgerinitiative zum Schutze des Lebens und der Menschenwürde in Deutschland e.V.“ von Klaus Günter Annen. Amtsgericht Weinheim VR 992
  • 2"Der 13"; Ausgabe Juli 2017
  • 3hessenschau.de: "Gießener Ärztin verurteilt - Politik streitet über Paragraf 219a", 24.11.17.
  • 4change.org: "Informationsrecht für Frauen zum Schwangerschaftsabbruch" von Kristina Hänel
  • 5taz.de: "„Werbung“ für Abtreibungen. Notfalls durch alle Instanzen" von Dinah Riese am 15. 9. 2017.
  • 6Ebd.