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Wunsiedel 2005

Einleitung

Interview mit der Kampagne »NS - Verherrlichung stoppen«

Im Jahr 2001 wurde der Rudolf-Heß-Gedenkmarsch erstmalig wieder im bayrischen Wunsiedel erlaubt und entwickelte sich schnell zu einem jährlichen Großereignis für die Neonazi-Szene. Innerhalb von 3 Jahren schnellte die Teilnehmerzahl auf 4600 Alt- und Neonazis. Aufgrund dieser hohen Teilnehmerzahl, der Abgeschiedenheit Wunsiedels und der fehlenden antifaschistischen Infrastruktur vor Ort galt in dieser Zeit Wunsiedel für AntifaschistInnen als »verlorenes« Gebiet. Im Jahr 2004 bildete sich daraufhin die antifaschistische Kampagne »NS- Verherrlichung stoppen«, welche von Gruppen aus dem gesamten Bundesgebiet getragen wird. Dieser Kampagne, welche von Anfang an auf mehrere Jahre ausgelegt war, gelang es zum diesjährigen Todestag von Rudolf Heß, 2.000 AntifaschistInnen zu einem »Antifascist Action Day« nach Wunsiedel zu mobilisieren.

Was sind eure Beweggründe für so eine enorm arbeitsaufwendige Kampagne und warum ist gerade der Rudolf-Heß-Gedenkmarsch in Wunsiedel für euch von so zentraler Bedeutung?

Der Heß-Marsch in Wunsiedel existiert ja nicht erst seit gestern, doch seine Bedeutung ist seit dem Tod von Heß im Jahre 1987 immer mehr gewachsen. Nach einer mehrjährigen Pause konnten die Nazis dann vor vier Jahren wieder in Wunsiedel aufmarschieren und seitdem ist die Bedeutug als das größte strömungsübergreifende Event mit einem direkten Bezug zum Nationalsozialismus immer mehr gewachsen. Das kann man schon gut erkennen, wenn man sich nur die Bilder aus dem letzten Jahr ansieht. Es marschierten ca. 4.600 Nazis durch Wunsiedel und glorifizierten den Kriegsverbrecher als Märtyrer und Friedensflieger. Bei der Zusammensetzung der Demonstration war auch gut zu erkennen, dass es sich hier nicht um eine Aktion nur eines Spektrums handelte. Da gingen Kameradschafter neben NPD-Kadern, Altnazis neben Jungen und Zusammenschlüsse aus der extremen Rechten aus ganz Europa. Sie nutzen dabei die Figur Heß, um die Geschichte für ihre Zwecke umzudeuten und Täter zu Opfern zu stilisieren. Das trifft ja 60 Jahre nach dem Sieg über den NS-Faschismus auf eine Tendenz im gesellschaftlichen Mainstream, wo wieder offen Schlussstrichdebatten geführt werden oder wo, wie in Dresden, deutsche Täter als Opfer betrauert werden. Wir haben den Heß-Marsch ins Visier genommen, weil sich all diese Elemente hier vermischen. Die Nazis greifen sie auf, nutzen sie für ihre NS-Verherrlichung und transportieren sie zurück in die Gesellschaft. Ganz nebenbei hat sich die Kampagne auch als belebend für die Antifa-Strukturen erwiesen. Sowohl die bundesweite Zusammenarbeit als auch lokale Strukturen konnten auf- und ausgebaut sowie gestärkt werden.

Die Kampagne wurde ja von Anfang an auf mehrere Jahre hin geplant. Könnt ihr kurz die Gründe dafür darstellen?

Die Kampagne richtet sich ja gegen jede Art von NS-Verherrlichung, Revisionismus und Relativierung der deutschen Geschichte. Aus diesem Grund betrachten wir den Heß-Marsch nicht als singuläre Veranstaltung ohne Bezugsrahmen. Wir sehen vielmehr einen Zusammenhang mit anderen Veranstaltungen wie in Halbe und Mittenwald, wo Geschichtsrevisionismus und Schlussstrichdiskurse forciert werden. Um das zu thematisieren und den Diskurs darüber in die Mitte der Gesellschaft zu tragen, braucht es erfahrungsgemäß länger als ein Jahr. Im Gegensatz zu früheren Kampagnen heißt das, keine Feuerwehrpolitik zu betreiben, sondern eine langfristig angelegte Kampagnenpolitik. Wenn diese Politik auch als Anstoß für langfristige Diskussionen innerhalb der Linken genutzt werden soll, braucht es in diesem Bereich einen langen Atem.

Bis zum Verbot in diesem Jahr gehörte der jährliche Heß-Marsch ja zu den jährlichen Events für die deutsche, wie auch internationale Neonaziszene. Warum ist gerade dieser Marsch für die Neonazis von so zentraler Wichtigkeit?

Der zentrale Moment des Heß-Marsches ist die Umdeutung der Geschichte im Sinn der Nazis. Der verurteilte Kriegsverbrecher Rudolf Heß wird zum Parlamentär und Opfer erklärt, dessen Inhaftierung unrechtmäßig gewesen sei. Seine spätere Anklage vor dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal ist für die Nazis nichts anderes als Siegerjustiz. Die Rolle als Parlamentär wird mit der Ernennung zum »Friedensflieger« ins Positive gewendet, weil es Heß um den Frieden schlechthin gegangen sei. Schließlich, so die Argumentation, habe er nur den Zweiten Weltkrieg beenden wollen. Ist die Person Heß nun schon so weit umgedeutet worden, ist es ein leichtes, in ihm den Märtyrer zu sehen, der für eine aufrechte Gesinnung inhaftiert wurde und gnadenlos eingesperrt blieb. Eine Konstruktion, die in unseren Ohren abwegig klingt, für die Nazis aber umso wichtiger ist. Mit dem Gedenken an Rudolf Heß haben sie die Möglichkeit, den Stellvertreter von Hitler zu glorifizieren und damit auch das nationalsozialistische System. Sozusagen lupenreiner Geschichtsrevisionismus, der hier von der extremen Rechten angewendet wird.

Wie bewertet ihr das diesjährige Verbot des Heß-Marsches durch das Bundesverfassungsgericht beziehungsweise glaubt ihr, dass dieses Verbot auch nächstes Jahr Bestand haben wird?

Zunächst einmal muss wohl immer wieder gesagt werden, dass ein Verbot keine Lösung des Problems ist. Faschistisches Gedankengut lässt sich nicht verbieten, sondern hat seine Wurzeln vielmehr in der Mitte der Gesellschaft. Um faschistisches Denken, Handeln und Reden unmöglich zu machen, braucht es eine Politik, die sich an den Ursachen orientiert und sich nicht darauf beschränkt, die Symptome in Form von Verboten zu behandeln. Deshalb darf die Auseinandersetzung mit Rassismus und Faschismus nicht der Justiz überlassen werden. Natürlich wäre es gelogen, wenn wir sagen würden, wir hätten uns nicht gefreut, dass die Nazis nicht marschieren dürfen. Aber das Urteil ist nur ein vorläufiges Verbot und keine endgültige Entscheidung. Das heißt, das BVerfG hat nur Riegers »Antrag auf Gewährung von Eilrechtsschutz« abgelehnt. Der »Ausgangskonflikt«, die Frage also, ob der Heß-Marsch wirklich mit dem erweiterten §130 StGB verboten werden kann, könne »letztlich nur in einem Hauptsacheverfahren geklärt werden«, heißt es in Begründung des BVerfG. Dazu aber war die Zeit zu kurz. Juristisch betrachtet finden wir die Anwendung des erweiterten §130 sehr heikel, denn erstmals wird darin ein mögliches Verbot mit politischen Inhalten begründet. Damit wird eine offiziell liberale und politisch neutrale Gesetzgebung aufgeweicht und die Möglichkeit geschaffen, gegen Inhalte jenseits der politischen Mitte vorzugehen. Und es ist eine Binsenweisheit, dass entsprechende Erweiterungen künftig ebenso die Linke treffen können, auch wenn sie im Ursprung angeblich für andere Zielgruppen geschaffen worden sind.

Die Kampagne hat ja trotz dieses Aufmarschverbotes weiterhin nach Wunsiedel mobilisiert. Dazu gab es ja auch kritische Stimmen innerhalb der Antifabewegung. Könnt ihr erläutern warum ihr an der Mobilisierung nach Wunsiedel festgehalten habt?

Wir haben von Anfang an nach Wunsiedel mobilisiert, um den Nazis besonders an dem für sie wichtigen Tag dort den Raum zu nehmen und mit einem Antifascist Action Day eigene Schwerpunkte zu setzen. Damit sollte der Opfermythos öffentlich entlarvt werden, außerdem wollten wir dort unsere Inhalte vertreten und vermitteln. Das heißt, wir haben auf die Aktion vor Ort gesetzt statt auf das Reagieren. Darauf war die Arbeit der Kampagne in diesem Jahr ausgelegt, und es ist hoffentlich verständlich, dass man diese in langwieriger Arbeit aufgebauten Strukturen nicht vom einen zum anderen Tag aufgeben kann. Die schon erwähnten Schwerpunkte kann man nicht setzen, wenn man den ganzen Tag den Nazis durch die Republik hinterher fährt. Ob wir im kommenden Jahr genauso agieren, hängt von der Diskussion innerhalb der Kampagne, beziehungsweise der teilnehmenden Gruppen ab.

Wie hat eurer Meinung nach die Arbeit der Kampagne und auch das Verbot des Marsches auf die Neonazis gewirkt und wie bewertet ihr deren Reaktionen?

Schon im Vorfeld des 20. August waren die Neonazis so irritiert und verärgert über die bundesweite Antifa-Mobilisierung, dass sie dazu aufgerufen haben, Informationsveranstaltungen zu »besuchen«. In Leverkusen hat das Aktionsbündnis Westdeutschland am Tag der dortigen antifaschistischen Veranstaltung sogar zu einem Aufmarsch unter dem Motto »Für ein ehrenvolles Gedenken in Wunsiedel, gegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener und antideutsche Hetze« mobilisiert. Für ihre direkte und öffentliche Huldigung von Hess als Protagonist des Dritten Reiches ohne staatliche Repression brauchen die Nazis ihren zentralen Gedenkmarsch, der für sie in diesem Jahr ausgefallen ist. Wenn man sich jetzt die Teilnehmerzahlen der Ersatzveranstaltungen am 20. August ansieht, wird schnell klar, dass die Nazis an diesem Tag nur mit Heß und Wunsiedel strömungsübergreifend mobilisieren können. Diese zentralen Elemente gab es in diesem Jahr nicht. Stattdessen wurden einmal mehr die Grenzen der Zusammenarbeit in der extremen Rechten deutlich, so dass selbst Christian Worch noch am 20. August schrieb: »Erkennbar ist geworden, dass durch den Wegfall eines einigenden Moments – der Ort Wunsiedel als letzte Ruhestätte von Rudolf Hess – Regionalisierung oder Zersplitterung eingetreten ist; einen echten Konsens über eine gemeinsame, zentrale Protestveranstaltung gegen das Verbot gab es nicht. (...) eine Art von ‚copyright’ auf den Namen oder auf das Gedenken von Rudolf Hess hat niemand; das hat sich am heutigen Tag gezeigt.« Ein Statement, das uns in der Einschätzung unserer Arbeit bekräftigt.

Wie ist die Arbeit mit dem Bündnis vor Ort gelaufen und wie haben die Bürger von Wunsiedel auf die Kampagne reagiert?

Mit diversen Aktionen hatte es die Bürgerinitiative vor Ort im letzten Jahr geschafft, das Augenmerk der Medien von den Nazis weg auf ihre Arbeit zu lenken und somit einen Punktsieg zu landen. Diese Strategie wurde in diesem Jahr fortgesetzt, indem groß zu einem »Tag der Demokratie« mobilisiert wurde. Dabei sind Motivation und Inhalte naturgemäß andere als die, mit denen wir arbeiten. Es gab Kooperationsgespräche vor Ort, in denen wir uns als ein verlässlicher Faktor an diesem Tag präsentieren konnten. Diese vorsichtige Annäherung muss dort ausgebaut werden wo es möglich ist, ansonsten müssen die Grenzen der Zusammenarbeit genauer ausgearbeitet werden. Wenn wie beim »Tag der Demokratie« Parteipromis totalitarismustheoretisch ihren Extremistenvergleich aufmachen, kann das natürlich nicht zusammengehen. In der parallelen Arbeit vor Ort haben wir in diesem Jahr aber gezeigt, dass wir 2.000 Leute nach Wunsiedel mobilisieren konnten. Der diesjährige Aktionstag hat unsere Position dort gestärkt, so dass wir künftig ganz anders verhandeln können.

Wie bewertet ihr den 20. August insgesamt?

Wir haben es geschafft unsere Planungen umzusetzen und in Wunsiedel einen Aktionstag veranstaltet, den 2.000 Personen aus dem gesamten Bundsgebiet besucht haben. Und das, obwohl vor Ort keine Nazis zugegen waren. Das zeigt, dass unsere Strategie aufgegangen ist, eigene Schwerpunkte zu setzen, Inhalte zu vermitteln und der extremen Rechten am Tag des Heß-Marsches auf der Straße etwas entgegenzusetzen. Wir werten das als einen Erfolg, der auch für die Arbeit der bundesweiten Strukturen gilt. Und dass die Nazis am 4. September dieses Jahres gerade mal 100 Teilnehmer zu ihrer Ersatzveranstaltung unter NPD-Fahne nach Wunsiedel mobilisieren konnten, zeigt, dass dieses Event in der extremen Rechten eindeutig an Faszination eingebüßt hat. Das hat nicht nur etwas mit unserer Arbeit zu tun, erhöht aber die Motivation für die kommenden Monate.

Wie wird die Arbeit der Kampagne voraussichtlich in diesem Jahr aussehen and was erhofft ihr euch bis zum August 2006?

Es muss jetzt darum gehen, die im letzten Jahr entstandenen Strukturen zu festigen und auszubauen. Wir wollen jetzt nicht beim Teilziel stehen bleiben, den Heß-Marsch wieder ins Bewusstsein gebracht und seine Funktion heraus gearbeitet zu haben. Wenn wir die NS-Verherrlichung stoppen wollen, dann muss das auch an anderen Orten geschehen wie zum Beispiel in Halbe. Auch dort müssen Antifa-Strukturen vor Ort gestärkt werden, das Nazi-Gedenken muss öffentlicher gemacht und gestört werden. Nach dem Spiel ist also vor dem Spiel...

Mehr Informationen unter:
www.ns-verherrlichung-stoppen.tk