Die Entwicklung von „Thügida“ in Thüringen
Arthur SajdowskiDer Thüringer PEGIDA-Ableger wird durch die organisierte Neonaziszene koordiniert. Er wuchs anders als in Sachsen nicht zur großen Massenbewegung, erreicht aber eine hohe Schlagzahl an Veranstaltungen.
Im Dezember 2014 konstituierte sich ein „Vorbereitungsteam für PEGIDA Demonstrationen in Thüringen“, hieß es vom „konservativen Freundeskreis der AfD Thüringen“. Unterschrieben war die Mitteilung auch vom AfD-Landtagsabgeordneten Thomas Rudy, der bereits wegen dem Like eines Hakenkreuz-Fotos auf Facebook auffällig wurde. Doch zu AfD-initiierten PEGIDA-Demonstrationen kam es nicht, die organisierte Neonazi-Szene stahl den Rechtspopulisten die Show.
Neonazis aus der Vertriebsszene als Aufmarsch-Organisatoren
Unter dem Label „Sügida“ („Südthüringen gegen die Islamisierung des Abendlandes“) begann die Mobilisierung für die erste Demo am 12. Januar 2015 in sozialen Netzwerken nach Suhl, wo eine Außenstelle einer Thüringer Landeserstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge eingerichtet worden war. Maßgeblicher Veranstalter war der Südthüringer Neonazi Tommy Frenck von der neonazistischen Wählergemeinschaft „Bündnis Zukunft Hildburghausen“ (BZH) sowie der bayrische NPD-Funktionär Patrick Schröder, der im Internet die Nazi-TV-Show „fsn-tv“ betrieb. Beide verdienen mit extrem rechten Vertriebsstrukturen ihr Geld: Frenck mit dem Portal „druck18.de“ und Schröder mit dem Klamotten-Label „Ansgar Aryan“ im Suhler Nachbarort Oberhof. Anmelderin Yvonne Wieland aus Suhl fiel auf Facebook mit allerlei rassistischen Kommentaren und Gewaltaufrufen auf und forderte gar, dass Nichtdeutsche „mitsamt der Gebärmaschinen übern Haufen geknallt“ gehören. Antifaschist_innen skandalisierten frühzeitig diese und andere extrem rechte Verstrickungen um „Sügida“, welche zusammen mit einer Anzeige wegen Volksverhetzung gegen Wieland auch von den Lokal- und Landesmedien rasch thematisiert wurden.
Dennoch ließen sich beim ersten „Sügida“-Aufmarsch rund 650 TeilnehmerInnen blicken, zur einen Hälfte so genannte besorgte Bürger und zur anderen Hälfte die organisierte Neonazi-Szene aus ganz Thüringen und Teilen Bayerns. Obwohl zu der Zeit in Thüringen nur 0,3 Prozent Muslime lebten, lag der Anteil in der Bevölkerung, der Muslimen feindlich gegenüber steht bei 47 Prozent (Thüringen Monitor-Studie 2014). In den ersten Wochen pendelte die TeilnehmerInnenzahl zwischen 650 und 1000 Personen und die Thüringer Szene entwickelte ein gestärktes Selbstbewusstsein.
Von 1000 auf 150 binnen 3 Monaten
Nach einem Monat hatte „Sügida“ den Zenit überschritten und fiel sukzessive auf 700, nach zwei Monaten auf 400 TeilnehmerInnen zurück. Thematisch spielte die vermeintliche „Islamisierung“ im Vergleich zur angeprangerten „Überfremdung“ auch nur eine untergeordnete Rolle. Während die große Massenbewegung nicht funktionierte, kam es parallel zu den Aufmärschen zu einem Anstieg rechter Gewalt in Thüringen. In der Befürchtung, sich tot zu laufen und komplett zu marginalisieren, musste auch eine erste Konzeptänderung her. Ende März 2015 wurde „Sügida“ dann in „Thügida“ transformiert, um über Südthüringen hinaus wirksam zu werden. David Köckert, der inzwischen zum NPD-Landesorganisationsleiter aufgestiegen war und anderthalb Jahre zuvor bereits wochenlang rassistische Aufmärsche in Greiz organisiert hatte übernahm das Zepter. Mit ihm auch Axel Schlimper, Thüringer Gebietsleiter der „Europäischen Aktion“ (EA). Weil bei der ersten „Thügida“-Demonstration in Erfurt zunächst Antifaschist_innen durch eine Blockade und später die Verwaltung per Verbot eine Route zur anvisierten Flüchtlingsunterkunft unterbanden, mobilisierte Thügida insgesamt dreimal in Folge nach Erfurt und schrumpfte so von zuletzt 300 auf 150 TeilnehmerInnen weiter zusammen. Anders als in Suhl entfalteten die Aufmärsche kaum Attraktivität auf die Zielgruppe, der verbliebene Rest bildete das ausschließlich neonazistisch geprägte „Thügida“-Kernklientel ab. Auch weil Axel Schlimper kein Blatt vor den Mund nahm, über eine „eurasisch-negroide Mischrasse“ am Rednerpult schimpfte und offen gegen Juden in Europa Stimmung machte, festigte „Thügida“ das bestehende Bild in der Öffentlichkeit von einer neonazistisch-geprägten „Bewegung“.
Interner Diskurs im Orga-Team: Judenhass nicht massenkompatibel, besser schwarz-rot-gold
Wegen der öffentlichen Stigmatisierung verfasste Patrick Weber, stellv. Landesvorsitzender der Thüringer NPD und Betreiber des „Germania Versandes“ aus Sondershausen im April 2015 für das Orgateam ein internes „Konzeptpapier für die inhaltliche Ausrichtung und das öffentliche Auftreten von ThüGIDA“, welches dem AIB vorliegt. Darin formulierte Weber neben einem Entwurf für ein inzwischen publiziertes 10-Punkteprogramm den besonders vertraulich zu behandelnden Part „Das Auftreten der ThüGIDA in der Öffentlichkeit“. Unter 2.1 forderte Weber, Inhalte über „Juden, Nazi-Begriffserklärung, Rassenlehre, Verschwörungstheorien etc.“ sollen vermieden werden, weil der „normale Bürger“ sich „dadurch von uns abwenden [würde], so richtig manche dieser Inhalte auch sein mögen“. Weber warb außerdem für den Verzicht von NPD- und anderen Parteifahnen, der Fahne des Deutschen Reichs und anderer NS-Symboliken. Unter 2.4. hieß es daher auch, statt dessen „schafft das Orgateam 20 schwarz-rot-goldene Fahnen an.“ Er appellierte an seine „Kameraden“, „jeder von euch weiß wo ich politisch stehe“, dennoch sollte man in dieser Form auftreten, „um möglichst viele Normalbürger anzusprechen“. Die Veranstalter führten außerdem ein Rotationsprinzip ein und demonstrierten bis Ende Juni 2015 mit insgesamt 21 Demonstrationen und am Ende noch knapp 150 Personen. Nicht mitgezählt sind ein Dutzend weitere Aufmärsche des gleichen Personenkreises ohne „Thügida“-Label, sondern von Kameradschaften, extrem rechten Fake-Bürgerinitiativen und Parteien wie NPD und „Der III. Weg“.
Nach der Sommerpause und weiteren Orga-Treffen folgte ein dritter Kurswechsel: Thügida sollte mit mehreren Demos gleichzeitig in verschiedenen Städten auf sich aufmerksam machen. Zum Todestag von Rudolf Heß am 17. August 2015 marschierte das Thüringer Netzwerk aus NPD, „Die Rechte“, Reichsbürgern, klassischen Neonazis und vermeintlichen Bürgerinitiativen unter Namen wie „Wir lieben den Saale-Holzlandkreis“ oder „Wir lieben Gera“. Nach Erfurt kamen 80, nach Eisenberg 100, nach Nordhausen 120 und nach Suhl 250 TeilnehmerInnen. Als es zwei Tage später in der Suhler Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge zu heftigen Auseinandersetzungen kam, mobilisierte „Thügida“ innerhalb von weniger als 24 Stunden zu einer Spontandemo rund 600 Personen nach Suhl, darunter viele Neonazis und „besorgte Bürger“.
Fazit:
Anders als in Sachsen konnte sich „PEGIDA“ in Thüringen bislang nicht zum Massenphänomen entwickeln, obwohl an den Ressentiments gemessen das Potential in den Köpfen schlummert. Möglicherweise trägt eine frühzeitigen Skandalisierung ihren Anteil daran, nicht weniger dürfte es jedoch auch an der Dresdener Spezifik liegen. Nichtsdestotrotz reicht auch der wöchentliche Wanderzirkus von „nur“ 150 Neonazis aus, um bestehende antifaschistische Strukturen monatelang an ihre Grenzen zu bringen und zur Fokussierung auf eine Feuerwehrpolitik beizutragen, bei denen die Kritik an den gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen des Neonaziterrors nur noch partiell stattfindet. Bisherige Gegenstrategien haben den Aufmärschen nur selten wirksam etwas entgegensetzen können, in äußerst wenigen Fällen fanden Blockaden oder Routenverkürzungen statt. Die Herausforderungen dürften mit Entwicklungen der weltweiten Fluchtsituation, deren Auswirkungen in Deutschland und den Bundesländern nicht weniger werden. Nach dem 1. Halbjahr war bereits ein deutlicher Anstieg an Gewalt und Aktionen gegen Flüchtlinge und Unterkünfte in Thüringen zu verzeichnen. Neben der Solidarität dürfte der praktische Schutz von Geflüchteten vor bürgerlichen Rassisten und militanten Neoazis, da wo er notwendig und leistbar ist, weiter in den Vordergrund des Aktionsradius antifaschistisch-aktiver Menschen rücken.