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Völkische Science-Fiction

Maurice Schuhmann
Einleitung

Im ausgehenden 19. Jahrhundert kam in Deutschland die Science-Fiction-Literatur bzw. der Zukunftsroman als Genre auf. Dabei ging es nicht nur um Unterhaltung.
Science-Fiction wurde wegen seiner Nähe zum utopischen Denken auch zum Terrain für den Kampf um die Köpfe.

Bild: Ausschnitt Faksimile Buch-Titel "Druso"

Die deutschsprachige Science-Fiction-Literatur, die den damals sehr beliebten Kolonialroman partiell beerbte, avancierte schnell zu einem populären und massentauglichen Genre innerhalb der Trivialliteratur. Politik, militärische Zukunftsphan­tasien und ideologische Versatzstücke fanden frühzeitig Einzug in die Gattung und boten Einfallstore für die völkische Ideologie.

Klassische Motive, die sich durch die deutschsprachige SF-Literatur von der Frühzeit bis hin zur Machtübernahme durch die NSDAP als roter Faden ziehen sind Weltuntergangsszenarien, die häufig in ein nietzscheanisches Vokabular als der Untergang einer dekadenten Gesellschaft sprachlich verpackt werden, Kriegsszenarien, in denen militärische Tugenden und Wunderwaffen thematisiert werden oder Erlösungs- und Befreiungsszenarien, in denen sich das deutsche Volk von einem fremden Joch befreit. Teilweise finden sich hierbei auch Anleihen an den von den Nationalsozialisten häufiger bemühten Kyffhäusermythos. Weiterhin spielen Atlantismythen, die auch in der esoterischen Strömung des Nationalsozialismus große Bedeutung einnahmen, eine Rolle. Daneben fanden sich nationale Töne, rassistische Stereotype, positive Darstellungen von Euthanasie und plumper Antikommunismus in den Romanen und Geschichten jener Jahre. Offener Antisemitismus ist hingegen selten zu finden.

Die Aufzählung zeigt schon die vielen Überschneidungen und Anknüpfungspunkte zu nationalsozialistischer Propaganda und Inszenierung. Ein Klassiker der deutschen Science-Fiction-Literatur, der mehrere dieser Aspekte aufweist, ist der Roman „Planetenfeuer“ (1899) des Nationalliberalen Max Haushofer (1840 - 1907). Er behandelt ein Untergangsszenario einer zukünftigen, der Dekadenz verfallenen Gesellschaft, die durch den Zusammenprall mit einem anderen Planeten vor einer weitgehenden Zerstörung steht. In diesem Text findet sich unter dem Deckmantel der Belletristik eine eklatante Kritik an feministischen und sozialdemokratischen Positionen. Hierbei klingen sowohl explizites Elitedenken als auch nationalistisch-patriotische Töne an. Vor diesem Hintergrund verwundert es auch nicht, dass sich ein Exemplar des Romans im Besitz Heinrich Himmlers befunden hat. Dessen ungeachtet bot der Roman 2010 die Vorlage für ein Radiofeature des Bayerischen Rundfunks. Der Münchener belleville-Verlag, der auch schon den SF-Roman „Mafarka der Futurist“ (1910) des italienischen Faschisten Fili­ppo Tommaso Marinetti im Programm hat, plant derzeit, eine Neuauflage des Romans herauszubringen.

Einzelne Subgenres der Science-Fiction wie der im Kaiserreich sehr beliebte militärische Zukunftsroman boten gerade für völkisches Denken viele Anknüpfungspunkte. In ihnen wurden (zukünftige) Feindbilder konstruiert, der Krieg glorifiziert und Wunderwaffen beschworen. Die ideologische Herkunft der Verfasser jener futuristischen Landser-Geschichten lässt sich bereits an den gewählten Pseudo­nymen erkennen. Der Kinderbuchautor Maximilian Kern (1877—1945), dessen Romane auch nach dem Krieg noch in der Bundesrepublik Deutschland publiziert wurden, wählte für seinen Roman „Der deutsch-englische Krieg. Vision eines Seefahrers“  (1906) in Anlehnung an den nordischen Heldenmythos den Namen Beowulf. In seinem Werk spricht er von einer „germanischen Rasse“, der er besondere Eigenschaften zuschreibt. Der Krieg selber wird - in Anlehnung an Friedrich Nietzsche - als ein „reinigendes Gewitter“ beschrieben. Für die Zukunft prophezeite er einen „Rassenkrieg“. Die Romane jenes Genres sind weitgehend in Vergessenheit geraten — nicht zuletzt wegen mangelnder literarischer Qualitäten.

Ein anderer Roman, der das Genre der völkischen Science-Fiction explizit prägte und gleichzeitig als ein Meilenstein der deutschsprachigen Science Fiction gilt, ist „Druso. Die gestohlene Menschenwelt“ (1931) von Friedrich Freksa (1882—1955). Ein Vorarbeit dessen, die Kurzgeschichte „Die Mongolei im Winterschlaf“ (1928), erschien noch vor knapp zehn Jahren fälschlicherweise in dem Sammelband „Der Krieg der Zukunft“ (2007) unter dem Label „Antikriegsutopie“. Druso kann als Prototyp völkischer Science Fiction gelesen werden, da er fast alle oben beschriebenen Elemente in sich vereint. Der politische Hintergrund von Freksa ist dabei frei von Zweifeln. Bevor er sich einen Namen als Autor machte, war er Redakteur der völkischen Satirezeitschrift „Phosphor“ (1919). Freksa stellte seinem Roman einen Auszug aus Oskar Spenglers kurz zuvor erschienenem Werk „Der Mensch und die Technik“ voran und orientierte sich auch an dessen Philosophie der Zyklentheorie.

Das Buch beginnt in der Gegenwart des Protagonisten Alf Bentinks, der sich für die spätere Wiederweckung einfrieren lässt. Diese Gegenwart ist gekennzeichnet durch eine Bedrohung der „weissen Rasse“ durch die „gelbe Gefahr“ aus Asien und enthält eine diffamierende Darstellung des Kommunismus. Weiterhin beinhaltet der erste Abschnitt positive Darstellungen von Euthanasie.

Als der Protagonist in der Zukunft wieder aufgetaut wird — von Atlantiern (!) — wird die Welt von den Drusonen, d.h. Außerirdischen, beherrscht und ausgebeutet. Diese werden als „Parasiten“ beschrieben und mit ähnlichen Eigenschaften versehen, wie sie von den NationalsozialistInnen zur Abwertung von Juden und Jüdinnen genutzt wurden. Der Held avanciert zum Führer des Widerstandes der Atlantier (= Arier) und befreit die Menschen von der Tyrannei der Parasiten — unter Einsatz spezieller Waffentechnik. Sein Wiedererwachen ist dabei eine unverhohlene Anspielung an den Kyffhäusermythos. Seiner Heldentaten Dank blüht auch eine neue Generation von Menschen auf. Der völkische bzw. faschistische Kern von Freksas Werk wird in der Science-Fiction-Community immer noch von vielen heruntergespielt und als absurd abgetan bzw. im Falle einzelner Geschichten kurzerhand ins Gegenteil umgedeutet.

Wie viele Romane des Genres „völkische Science-Fiction“ insgesamt publiziert wurden, ist schwer zu schätzen. Alleine für den Zeitraum von 1890 und 1914 kann von mindestens mehreren hundert Romanen des militärischen Science-Fiction ausgegangen werden, die bis zu fünfstellige Auflagenzahlen erreichten und mehr oder weniger starke Affinitäten zur völkischen Ideologie hatten. Die Massenwirksamkeit ist daher als sehr hoch einzuschätzen.

Die Erstauflage von „Planetenfeuer“ betrug 1.000 Exemplare, der deutsch-englische Krieg erreichte gar eine Auflage von 7.000 Exemplaren. Über die Auflagen des in mindestens zwei Auflagen erschienenen Romans „Druso“ liegen keine Zahlen vor. Die Kinderbücher von Maximilian Kern (alias Beowulf) werden ungeachtet seines Kriegsromans noch heute neuaufgelegt.

Noch nach 1945 erschienen vereinzelt völkische Science-Fiction-Romane und Stories, die bislang nicht näher untersucht wurden. Die Aufarbeitung jenes braunen Erbes innerhalb der Science-Fiction-Literatur hat erst Mitte der 1970er Jahre eingesetzt und verläuft trotz einiger grundlegender Publikationen zu einzelnen Genres und Autoren nur sehr schleppend. Der Begriff „völkische Science-Fiction“ hielt erst mit der Studie von Michael Novian über Edmund Kiss und Friedrich Freksa im Jahr 2013 Einzug in die Wissenschaft.

Vereinzelt hat es in den letzten Jahrzehnten auch in der extremen Rechten Versuche gegeben, an diese Tradition anzuknüpfen. So schrieb der Neonazi-Kader Christian Worch ("Die Rechte") als bekennender Science-Fiction-Fan unter verschiedenen Pseudonymen mehrere Kurzgeschichten und plante Anfang der 2000er Jahre auch einen eigenen Zyklus.

Im Jahr 2008 wurde in Deutschland eine SF-Romanreihe unter dem Titel „Stahlfront“ herausgegeben, die wegen der „Glorifizierung des Nationalsozialismus“ in die Schlagzeilen geriet. Verglichen mit den völkischen Romanen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist ihre Bedeutung jedoch marginal und in Bezug auf literarische Qualitäten bleiben diese weit hinter ihren Vorläufern zurück.

Weiterführende Literaturempfehlungen:

Henning Franke: Der politisch-militärische Zukunftsroman in Deutschland 1904—1914, Peter Lang Verlag Frankfurt a. M. / Bern / New York 1985.
Jost Hermand: Der alte Traum vom neuen Reich. Völkische Utopien und Nationalsozialismus, Athenäum Frankfurt / M. 1988.
Manfred Nagel: Science Fiction in Deutschland, Tübinger Vereinigung für Volkskunde Tübingen 1972.
Michael Novian: Von Ariern und Aliens. Völkische Weltanschauung in der Science-Fiction-Literatur vor dem Zweiten Weltkrieg, Tectum Verlag Marburg 2013.