Antirassistische Arbeit in Österreich unter sehr rechten Rahmenbedingungen
zwei Aktivisten der "Plattform Bleiberecht" (Innsbruck) (Gastbeitrag)In Österreich schickt sich ein politisch-ideologisches Amalgam aus konservativ-reaktionär-männlichem Geschichts- und Geschlechterverständnis, neoliberaler Wirtschafts- und restriktiver Sicherheits- und Migrationspolitik an, für fünf Jahre ein Land mit knapp 9 Millionen Menschen politisch nach weit rechts zu verändern. Im Gegensatz zum Jahr 2000 weht der neuen rechtsnationalen Regierung von ÖVP/FPÖ von der Straße nur ein „laues Lüfterl“ entgegen.
Es geht nicht „nur“ gegen Migrant_innen und Flüchtlinge!
Es wäre eine verkürzte und unzureichende Analyse, das Regierungsprogramm der rechtsnationalen Koalition ausschließlich auf eine Anti-Ausländer_innen-Politik zu reduzieren. Vielmehr geht es darum, den Sozialstaat und die organisierte Arbeiter_innenschaft zu schwächen, gesellschaftliche Errungenschaften wie Gleichberechtigung der Geschlechter, Fristenlösung oder die Ehe für alle zurückzudrängen und nicht zuletzt die Reichen reicher und die Armen ärmer zu machen. Demgemäß richtet sich die Politik u.a. gegen feministische Frauen, antifaschistische/antirassistische Linke, Gewerkschafter_innen und natürlich auch Migrant_innen und Flüchtlinge. Die Angriffe auf Einwander_innen und Geflüchtete fungieren dabei als Rammbock für die Verschlechterung der sozialen und rechtlichen Absicherung der „dort unten“.
Grenzsituation(en)
Der Erfolg rechter und nationalistischer Parteien in ganz Europa ist nicht ohne die mediale Verarbeitung und die staatliche Reaktion auf die große Migrationsbewegung im Jahr 2015 erklärbar. Es war der Tod von über 70 geflüchteten Menschen in einem LKW auf der Ostautobahn nahe der österreichisch-ungarischen Grenze Ende August 2015, der anfangs den Kontrolldruck der Behörden erhöhte, und dann zehn Tage später der „March of Hope“ , bei dem 2.000 Flüchtlinge in der ohnehin angespannten Situation das Gesetz des Handelns am Budapester Bahnhof Keleti in ihre eigenen Hände nahmen und Richtung Österreich gingen, der ein historisches Moment schuf. Hunderttausende Menschen nutzten den „formalisierten Korridor“ (Marc Speer von bordermonitoring.eu e.V.), Zehntausende suchten in Österreich Asyl, wiewohl die österreichischen Behörden auch in dieser Situation tausende Geflüchtete nach Italien zurückdrängten.
Bis Anfang 2016 wurde der Grenzübergang Spielfeld/Sentilj zwischen Österreich und Slowenien mit einem kilometerlangen Grenzzaun befestigt und von der damaligen SPÖ/ÖVP-Regierung als „bauliche Maßnahme“ verharmlost. Im Sommer 2018 hat sich das Grenzregime an Österreichs Schengen-Grenzen konsolidiert. Die Brenner-Grenze zwischen Tirol (Österreich) und Südtirol /Alto Adige (Italien), vor zwei Jahren noch Schauplatz (militanter) antirassistischer Demonstrationen und Polizeigewalt, ist auf beiden Seiten militarisiert. Aufgrund des massiven Kontrolldrucks weichen immer mehr papierlose Migrant_innen und Geflüchtete auf die Güterzüge entlang der Bahnstrecke aus. Vier Menschen sind dabei in den letzten eineinhalb Jahren auf beiden Seiten des Brenners gestorben.
Im Oktober 2018 findet am Landesgericht Bozen/Bolzano (Autonome Provinz Südtirol/Alto Adige) ein Mammutprozess gegen Teilnehmer_innen einer antirassistischen Brenner-Demo vom 7. Mai 2016 statt. Den über 80 Aktivist_innen und Genoss_innen wird von den italienischen Repressionsbehörden u.a. Vermummung, Beamtenbeleidigung, Tragen waffenähnlicher Gegenstände, Abhalten einer untersagten Versammlung und die Unterbrechung des öffentlichen Nahverkehrs vorgeworfen.
„Obergrenzen“ und Gesetzesverschärfungen am laufenden Band
Kein anderer Rechtsbereich ist in Österreich so oft Gegenstand von Gesetzesnovellierungen und -verschärfungen wie das so genannte Fremdenrecht. Unter diesem problematischen Sammelbegriff sind sowohl asyl-, als auch aufenthaltsrechtliche und („fremden“)polizeiliche Gesetze zusammengefasst. Anfang 2016 legte sich die damalige Bundesregierung auf „Obergrenzen“ für Asylanträge fest, um „Österreichs Attraktivität zu senken“. Diese sowohl verfassungs- als auch völkerrechtswidrige Limitierung des Asylrechts wurde auch von der bayerischen CSU unter Berufung auf das österreichische Vorbild in den bundesdeutschen Regierungsverhandlungen Anfang 2018 ins Spiel gebracht. In der aktuellen Debatte forciert der FPÖ-Innenminister Herbert Kickl eine Gesetzesänderung, bei der zum einen Asylwerber_innen Bargeld abgenommen werden soll, um damit die Kosten der Grundversorgung zu decken. Zum anderen soll der Zugriff auf die Handy-Geodaten die Recherchen im Asylverfahren beschleunigen und um „abenteuerliche Fluchtgeschichten“ (Kickl) zu überprüfen.
Rassistische Sprache und Verstaatlichung der Flüchtlingsunterstützung
Polizeiminister Kickl argumentierte schon in der parlamentarischen Opposition mit Formen einer rassistischen Sprache. Jetzt in der Bundesregierung setzt er diese fort. Bei der Präsentation des Jahresberichts des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl im Jänner 2018 sprach er sich dafür aus, „Flüchtlinge konzentriert an einem Ort zu halten“. Ein deutliches Signal an KernwählerInnen der FPÖ und andere RassistInnen und kein Lapsus des rhetorisch geschulten Chefstrategen der weit rechten Partei.
Die Idee der „Massenlager“ als Unterbringungsort für Flüchtlinge ist wohl auch der Gründungsgeschichte der FPÖ geschuldet, die ein Sammelbecken für (ehemalige) Nazis war. Ziel der neuen Regierung am Wiener Ballhausplatz ist es, die „Fehler von 2015“ nicht mehr zu wiederholen.
Vor diesem Hintergrund werden auch die NGOs im Flüchtlingsbereich — im Wesentlichen die katholische Caritas und die evangelische Diakonie — massiv kritisiert und in ihrer Arbeit in Frage gestellt. Der gesamte Bereich der Flüchtlingsunterstützung von der Unterbringung in den Erstaufnahmestellen bis zur Rechtsberatung soll in Zukunft verstaatlicht und dem Innenministerium unterstellt werden. Die Verträge mit der "Arge Rechtsberatung" (Caritas und Diakonie) werden zum Ende des Jahres 2018 gekündigt. Dagegen regt sich bürgerlicher Widerstand — 100 Prominente aus Kunst, Kultur und Politik haben einen offenen Brief an den Minister unterzeichnet — der aber aussichtslos erscheint. Schließlich sehen auch EU-Vorgaben nur kostenfreie und nicht unabhängige Beratungen während des gesamten Asylverfahrens vor.
Abschiebungen und Widerstand
Angesichts der Tatsache, dass sich ÖVP und FPÖ auch über einen rassistischen Wahlkampf und restriktive Migrationspolitik gefunden haben, steht auch eine Ausweitung der Abschiebungen weit oben auf der Prioritätenliste.
Österreichische und schwedische Polizeibehörden kooperieren momentan sehr eng bei Abschiebungen nach Afghanistan, die auch innerhalb der EU alles andere als unumstritten sind. Die Grenzschutzagentur FRONTEX unterstützt bis jetzt keine organisierten Abschiebeflüge nach Kabul. Für Aufregung innerhalb der afghanischen Community sorgte Anfang April 2018 ein Bericht, dass es 400 Festnahmeaufträge zur Sicherstellung der Abschiebungen geben soll. Tatsächlich starten fast im Monatstakt Charterabschiebungen nach Kabul, während uns von Afghanistan fast täglich Meldungen von Terroranschlägen erreichen. Allein in der Hauptstadt starben dieses Jahr schon über 400 Menschen.
Am Tag der Befreiung vom Faschismus (8. Mai) 2018 startete die #sichersein-Kampagne „Engagiert gegen Abschiebungen nach Afghanistan“ mehrerer NGOs im Flüchtlingsbereich. Neben direkten Protestaktionen am Flughafen Wien-Schwechat, die großteils von antirassistischen und selbstorganisiert-migrantischen Gruppen getragen werden, hat die Kampagne durchaus das Potenzial einer breiteren Wirkung.
Die "Plattform Bleiberecht" erklärt daher: "Obwohl es aus antirassistischer Perspektive konsequent gegen das gesamte Abschiebesystem anzukämpfen gilt, kann gerade die Diskussion um Abschiebungen nach Afghanistan sowie die europaweit sehr unterschiedlichen Praxen im Umgang damit, ein Türöffner für transnationale Mobilisierungen sein. Die sehr heterogene Bleiberechtsbewegung, aus der heraus sich auch unser Zusammenschluss vor elf Jahren gegründet hat, kann nur dann erfolgreich für die Rechte von Geflüchteten und Migrant_innen sein, wenn die 'moderaten' und 'radikalen' Flügel in kritischer Solidarität zusammenarbeiten und sich nicht durch die herrschaftliche Spaltung in Gut oder Böse ein- und erpressen lassen. Angesichts der rassistischen und menschenfeindlichen Gegenwinde in ganz Europa kann es für Antirassist_innen und Antifaschist_innen nur eine Parole geben: Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht!"