AfD-Streit: Von Wunderheilern und KGB-Spitzeln
Machtkämpfe und Konfliktlinien innerhalb der "Alternative für Deutschland" (AfD) verlaufen nicht nur zwischen Anhängern des „Flügels“ und der vermeintlich gemäßigten „Alternativen Mitte“. Auch andere parteiinterne Interessensverbände bekriegen sich mitunter heftig, wie ein Beispiel aus der norddeutschen Provinz exemplarisch belegt. Es geht um die „Christen in der AfD-Nord“ und diverse Vereinigungen von Russlanddeutschen in der AfD.
Die „Christen in der AfD“ (ChrAfD) sind seit der Frühphase der AfD fester innerparteilicher Bestandteil und Sammelbecken des rechtsklerikalen Flügels, der sich für den „Erhalt christlicher Werte“ und der „traditionellen Familie“ sowie gegen „Frühsexualisierung und Abtreibung“ einsetzt. Nach Einschätzung von Lucius Teidelbaum in "Der Rechte Rand" ist die AfD für christliche Rechte dank dieses Zusammenschlusses „ein Instrument zur Umsetzung einer christlich-reaktionären Agenda.“1
Allerdings erst Ende Februar 2018 gründete sich eine Regionalgruppe „Nord“, zuständig für die Bundesländer Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig–Holstein. In einem auf der Homepage der AfD-Ostfriesland veröffentlichten Bericht von Bettina Airaksinen über die konstituierende Sitzung der ChrAfD Nord hieß es zunächst noch, man habe sich „mit harmonischer Doppelspitze gegründet“. Man sei „in einem hohen und beglückenden Maße eines Sinnes und guter Dinge“, von „Spaltung, Verdrängungswettbewerb und Machtkampf war hier keine Spur“, so Airaksinen. Das sollte sich aber schnell ändern. An die Spitze wurden der Vorsitzende des AfD-Kreisverbands Ostfriesland, Reiner Osbild sowie der Bundestagsabgeordnete Waldemar Herdt gewählt, zum Stellvertreter Ralf Fennig. Keine zwei Monate später kündigten Osbild, Airaksinen und andere bereits zur Jahreshauptversammlung der ChrAfD in Wiesbaden am 14. April 2018 einen „Antrag in Sachen Waldemar Herdt“ an. Gefordert wurde eine Entfernung Herdts als Vorsitzenden sowie eine „Sperrung für mindestens drei Jahre“. Was war passiert?
Innerhalb der AfD waren Herdts Verbindungen zu rechten Russlanddeutschen und christlichen Sektenführern anonym bekannt gemacht worden. Unter dem Titel „Waldemar Herdt, sein Netzwerk, seine Seilschaften, seine Verbindungen: eine wahrhaft vielseitige Persönlichkeit“ kursierte eine aus Internetrecherchen zusammengestellte Infosammlung eines nicht näher benannten „Autorenkollektivs“ über den AfD-Abgeordneten.2 Der Hauptvorwurf in dem 11-seitigen Dokument lautet, Herdt würde als Teil einer Clique rechter Russlanddeutscher mithilfe unlauterer Methoden versuchen, die Deutungshoheit innerhalb der Community in der AfD zu erlangen und die Partei spalten. Es geht also, wie so oft in der AfD, vor allem um Macht und Posten: Herdt strebe, „immer mit dem Heiligenschein der Christlichkeit und der Humanität, nach den ‚Vertriebenen’ und anderen Minderheiten und sammelt überall, wo es nur geht, ‚Vollmachten’ und Pöstchen“, heißt es in dem Dokument. Da die „Agenda nur wenigen bisher wirklich klar“ sei, soll die Infosammlung darüber aufklären. Und in der Tat sorgte sie nicht nur innerhalb der „ChrAfD“, sondern auch beim Verband „VAdM – Vertriebene, Aussiedler und deutsche Minderheiten in der AfD“ für Unruhe.
Die Verbindungen von Herdt zu bekannten Protagonisten der extrem rechten Splittergruppe von Russlanddeutschen, sowohl persönlich als auch organisatorisch, sind zum Teil schon länger bekannt: So unterstützte er Anfang 2017 die Bildung der AfD-Vorfeldorganisation „Koordinierungszentrum der Russlanddeutschen“, die von Heinrich Groth geleitet wurde. Groth taucht seit Jahren in extrem rechten Zusammenhängen auf und leitet den dubiosen Verein „Internationaler Konvent der Russlanddeutschen“. (Vgl. AIB Nr. 115/2.2017) In diesem „Konvent“ sind auch der ehemalige Dürener NPD-Kandidat Johann Thießen sowie der ehemalige Vorsitzende der „Russlanddeutschen in der NPD“ und Vizechef des extrem rechten „ARMINIUS-Bund“, Andrej Triller aktiv. Letztgenannter war ebenfalls an der Gründung des „Koordinierungszentrums“ beteiligt, in dem Herdt bis heute Mitglied ist.
Nachdem Herdt mit der AfD in den Bundestag eingezogen war, stellte Groth ihm im Oktober 2017 im Namen des „Konvents“ eine „Vertretungsvollmacht“ aus, wonach er dazu ermächtigt werde, sich „für die allgemeinen Interessen der Russlanddeutschen Volksgruppe“ einzusetzen. Im Gegenzug wurde Groth wissenschaftlicher Mitarbeiter von Herdt, machte dabei mit vermeintlichen russischen Geheimdienstverbindungen von sich Reden.3
Im April 2018 wurde Herdt dann zum Vorsitzenden eines „Volksrats der Russlanddeutschen“ ernannt, ein weiterer dubioser Verband, der behauptet, alle Russlanddeutschen zu vertreten, letztlich aber von den altbekannten Rechtsauslegern wie Groth und Triller gegründet wurde und bislang vor allem mit rassistischen Beiträgen auffiel.
Dass der „Konvent“, genauso wie das „Koordinierungszentrum“ oder der „Volksrat“ lediglich mit bedeutungsschwangeren Namen auftritt, real aber über wenige Mitglieder verfügt und als rechte Minderheit keineswegs in irgendeiner Form repräsentativ für Russlanddeutsche ist, wird natürlich gerne verschwiegen. Bis heute betont Herdt auf seinen Onlineauftritten diese „Vertretungsvollmacht“. Das anonyme „Autorenkollektiv“ bewertet sie als „ein Auftrag, sich als AfD–Mann im deutschen Bundestag für die Ziele der vermutlich aus NPD und KGB–Kadern speisenden marzahner Kernmannschaft“ (gemeint ist der „Konvent“) einzusetzen.
Konkurrenzkampf
Andere Gruppierungen, die sich als Interessensvertretung von Russlanddeutschen innerhalb der AfD gebildet haben, konkret die „Interessensgemeinschaft der Russlanddeutschen“ (IGdRD) werden von Groth laut dem Dokument als Konkurrenz betrachtet. Hintergrund dürfte auch sein, dass bei der Gründung der IGdRD im August 2017 Herdt erfolglos für den Vorstand kandidiert hatte. Die IGdRD solle nun offenbar kaltgestellt werden.
Aus diesem Grund soll sich Herdt mit Unterstützung von Fennig und „einigen Getreuen“ an die Spitze der „ChrAfD Nord“ habe wählen lassen. Sie stellen die Behauptung in den Raum, Fennig solle Mitglieder nur selektiv zur Gründung eingeladen haben, um Herdts Wahl sicherzustellen. Seitdem habe Herdt angeblich „wiederholt und hartnäckig eine Allein-Kompetenz an sich gerissen und Aussagen getätigt, die durch Beschlüsse nicht gedeckt waren, sowie durch eine inzwischen nachweisbare Doppelstrategie und Unehrlichkeit für sehr großen Unmut gesorgt“, so das Autorenkollektiv. Seinen Sprecherkollegen Osbild hätte er „systematisch ignoriert und faktisch ausgebootet“. Zudem führen die KritikerInnen Verbindungen zu einem „Massenpsychotiker Ledyaev“ aus Kasachstan und dem „wegen aller möglicher Rechtswidrigkeiten und Okkultismen von undurchsichtigen Finanzen bis hin zu vermuteten schwarzen Messen“ bekannten „Sektenführer Benny Hinn“4 ins Feld.
Da der Bundestagsabgeordnete Anfang Februar 2018 zudem einen Mitgliedsantrag beim „VAdM“ gestellt hatte, wuchsen bei nicht wenigen AfDlern die Zweifel. Herbert Karl, der neben Vadim Derksen5 Vorsitzender der VAdM ist, suchte bei der bereits erwähnten ChrAfD-Versammlung im April 2018 das Gespräch mit Herdt, konfrontierte ihn mit den Vorwürfen, „einen Gegenpol zur Interessengemeinschaft (...) aufzubauen“ sowie den „Konvent“ zu unterstützen, in dem „eine Vielzahl von NPD-Mitglieder und ehemalige Sowjet-Spitzel tätig“ seien. Eine Einigung fand allerdings nicht statt, „Herdt ist nicht von seiner Option für den Konvent abzubringen“, so das Resümee.
Obwohl sich der Konflikt infolge dessen weiter zuspitzte, ist er bis heute nicht gelöst. Bei der „ChrAfD-Nord“ eskalierte die Debatte auf ihrem E-Mailverteiler und dem internen WhatsApp-Chat, es kam zu Austritten. Die Herdt-Kritiker wollten ihn entmachten und wandten sich an den Bundesvorstand, der mit einen „Kriseninterventionsteam“ alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen versuchte. Letztlich scheiterten sie, bis heute ist Herdt Sprecher der „ChrAfD-Nord“. An anderer Stelle musste er jedoch einen Rückschlag einstecken: Herdt blieb nicht untätig und rief eine neuerliche Vereinigung namens „Russlanddeutsche für die AfD“ mit ins Leben (unter Beteiligung von Groth), brachte damit aber wohl das Fass beim VAdM endgültig zum Überlaufen, die ihn nach mehrmonatigem Hadern schließlich als Mitglied ablehnten.
- 1„Christen in der AfD“, „der rechte rand“ Ausgabe 170, Januar 2018
- 2Das Dokument hat den Metadaten zufolge als Autorenangabe „Protschka Stephan Mitarbeiter 02“ (Protschka sitzt für die AfD im Bundestag), wurde von „Bettina“ bearbeitet und am 12. April 2018 um 23.30 Uhr im Bundestag erstellt
- 3FOCUS Magazin, Nr. 9 (2018): "AfD beschäftigt prorussischen Propagandisten im Bundestag", 24.02.2018 und spiegel.de: „AfD-Mitarbeiter dementiert Geheimdienstmitarbeit“ von Severin Weiland, 23.02.2018.
- 4Der US-amerikanische Fernsehprediger tritt auch als „Wunderheiler“ auf.
- 5Vadim Derksen arbeitet als Mitarbeiter für den AfD-Bundestagsabgeordneten Stephan Protschka.