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Push-Backs an den Außengrenzen der EU

Matija Vlatkovi (ECCHR) und Corinna Ujkašević
Einleitung

Den Übergang Marokkos zur spanischen Enklave Melilla säumt eine kilometer­lange, mit Stacheldraht versehene Grenz­anlage. Drei nebeneinander liegende Zäune sollen jegliche anstrengungslose Überquerung dieser Grenze verhindern. Der äußere und innere Zaun ragt jeweils sechs Meter in die Höhe, der dazwischenliegende mittlere Zaun ist drei Meter hoch. An diesem Ort befindet sich die (neben der weiteren spanischen Enklave Ceuta an der Meerenge von Gibralta) einzige Landgrenze zwischen Afrika und Europa.

Bild: Angelos Tzortzinis, EC - Service Audiovisuel, Europäische Union, 2015.

Hier versuchen Menschen immer wieder, die militarisierte Grenze zu überwinden und ihren Weg nach Europa zu finden. So auch am Tag des 13. August 2014, als zwei junge Männer aus Westafrika, N.D. und N.T., sich in der Hoffnung auf „Boza“ (übersetzt: „Sieg“, d.h. erfolgreiche Grenzüberwindung) einer größeren Gruppe anschließen, um die Grenzanlage zu überwinden. Tatsächlich schaffen sie es, den äußeren und den mittleren Zaun zu überwinden und anschließend den inneren Zaun zu erklimmen. Nach dem sie dort mehrere Stunden ausharren mussten, sind es schließlich die spanischen Behörden selbst, die N.D., N.T. und den anderen Männern beim Abstieg vom Zaun assistieren. Unten angekommen nimmt die Guardia Civil die Männer umgehend fest, legt ihnen Handschellen an, führt sie durch Türen in der Grenzanlage und übergibt sie den marokkanischen Sicherheitskräften, die N.D. und N.T. zusammen mit den anderen Männern in das marokkanische Landesinnere überführen. Keiner der Männer wird während dieser Ereignisse durch die spanischen Behörden identifiziert, Nachfragen zu den Gründen ihrer Flucht bleiben aus.

Es sind Szenen wie diese, die sich so oder so ähnlich an vielen anderen europäischen Außengrenzen abspielen. Es handelt sich dabei um sogenannte Push-Backs, um Rückschiebungen von Migrant_innen und Geflüchteten, die ohne ein vorheriges individuelles Verfahren, also kollektiv erfolgen und ohne die Gewährung von Rechtsschutzmöglichkeiten. Von den rassistisch-kolonialen Konnotationen dieser Handlungen abgesehen, verstößt diese Rückschiebepraxis auch gegen geltendes Völkerrecht, allen voran die Europäische Menschenrechtkonvention (EMRK).

Nachdem es im Zuge des zweiten Weltkrieges zu politisch motivierten Abschiebungen von Bevölkerungsgruppen gekommen war, entschlossen sich die Mitgliedstaaten der EMRK Ende der 1960er-Jahre, derartige Kollektivausweisungen im Rahmen eines Zusatzprotokolls zur EMRK zu verbieten. Kurz und knapp fiel Artikel 4 des 4. Zusatzprotokolls im Ergebnis aus, der da lautet: „Kollektivausweisungen ausländischer Personen sind nicht zulässig.“ Aus den offiziellen Aufzeichnungen zu den Verhandlungen des Zusatzprotokolls geht hervor, dass die Mitgliedstaaten unter dem Begriff Kollektivausweisungen all jene Maßnahmen verstanden, in denen Personen als Gruppe, ohne Prüfung der individuellen Einzelfälle zum Verlassen des Landes gezwungen wurden. Dabei betonten die Mitgliedstaaten, dass diese Garantie für jeden ausländischen Staatsbürger gelten sollte, unabhängig davon, ob es sich bei den Personen um Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention handelt oder ob sie aufgrund anderer Gründe  eingereist sind.

Nichtsdestotrotz hat sich Spanien im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte unter anderem darauf berufen, dass N.D. und N.T. ohnehin keinen Anspruch auf Asyl oder eine andere Aufenthaltsberechtigung in Spanien gehabt hätten. Dass es hierauf gerade nicht ankommt, wurde im Plädoyer vom „European Center for Constitutional and Human Rights“ (ECCHR) mit Sitz in Berlin, welches N.D. und N.T. rechtlich vertritt,  vor der Großen Kammer des Gerichtshofs hervorgehoben. Nachdem eine Kammer des Gerichtshofs bereits 2017 urteilte, dass es sich bei dem Vorgang um eine unzulässige Kollektivausweisung gehandelt habe, rief Spanien die Große Kammer des Straßburger Gerichtshofs an, um sich gegen das Urteil zu wehren. Eine Entscheidung dieser Kammer, die sich aus insgesamt 17 Richter_innen aus den verschiedenen Ländern der Mitgliedstaaten der EMRK zusammensetzt, steht noch aus.

Push-Backs wie die von N.D. und N.T. sind in den vergangenen Jahren zu einem wesentlichen Bestandteils des EU-Grenzregimes geworden. Ziel ist es, die Migration an verschiedenen EU-Grenzen zu verhindern oder zumindest zu verlangsamen. Diese Praxis findet nicht nur an den Grenzen Spaniens Anwendung, sondern auch an denen von Griechenland, Italien, Bulgarien, Polen und in letzter Zeit verstärkt an den Grenzen Kroatiens. Aktivist_innen an der serbisch-kroatischen Grenze machten bereits im Januar 2016 die Medien auf die zunehmende Gewalt und Push-Backs aufmerksam. Die Gewalt der Polizeikräfte, die zur Abschreckung führen soll, nimmt die Form von heftigem Schlagstockeinsatz, Treten und Schlagen, Raub und der Zerstörung von persönlichen Gegenständen, insbesondere von Smartphones, an.

Die Push-Backs von Migrant_innen und Flüchtlingen aus Kroatien nach Serbien und Bosnien und Herzegowina (BiH) hängen mit der sogenannten Balkanroute zusammen, die im Jahre 2015 und Anfang 2016 eine relativ sichere und schnellere Migration von Griechenland über den Balkan nordwärts nach Westeuropa ermöglichte. Nach einer schrittweisen Einschränkung der Möglichkeiten, den Balkankorridor zu passieren, erklärte der damalige EU-Ratspräsident Tusk am 8. März 2016, dass „irreguläre Migrantenströme entlang der Westbalkanroute nun ein Ende gefunden“ hätten. Einen Tag später wurden die Grenzen für Geflüchtete geschlossen.

Wenig überraschend weist die kroatische Regierung alle Berichte zu den gewaltsamen Push-Backs entschieden zurück, bestreitet jegliches Fehlverhalten der Polizei und behauptet, die dokumentierten Verletzungen der Betroffenen seien auf interne Auseinandersetzungen zurückzuführen. Spätestens jedoch nachdem es Aktivist_innen gelungen war, Video-Beweise von Push-Backs zu veröffentlichen, lässt sich dieses Narrativ nicht mehr verteidigen. Diese Videoaufnahmen legen die Annahme nahe, dass die Anzahl der kollektiven Ausweisungen aus Kroatien stark unterschätzt wird und dass die Praxis weitaus weiter verbreitet ist, als bisher aus der Berichterstattung internationaler Organisationen hervorgegangen ist. Tatsächlich wird das Ausmaß des systematischen Missbrauchs von Migrant_innen und Flüchtlingen durch eine eher konservative Schätzung des UNHCR nur angedeutet, nämlich dass „etwa 2.500 Flüchtlinge und Migranten angeblich aus Kroatien zurückgewiesen wurden, von denen über 1.500 den Zugang zu Asylverfahren verweigerten (darunter über 100 Kinder). In den neun Monaten vor September 2018 meldeten über 700 Personen Vorwürfe wegen Gewalt und Diebstahl.

Rechtliche Verfahren gegen die Push-Back-Praktiken an den Außengrenzen adressieren die menschenunwürdige Migrationspolitik der EU und ihrer Mitgliedsstaaten. Die Anfechtung kollektiver Ausweisungen vor Gericht ist umso wichtiger, weil Push-Backs direkt mit rechtspopulistischer Politik in ganz Europa und Politikern wie Orban, Salvini, Kurz etc. zusammenhängen, die Fremdenfeindlichkeit mobilisieren. Dieses politische Klima führt dazu, dass Staaten an den Außengrenzen der EU bei der Verletzung der Menschenrechte der Grenzüberschreitenden auf der Suche nach ein bisschen Sicherheit und/oder einem besseren Leben nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Eine Mitschuld der EU ist klar erkennbar. Insbesondere im Falle Kroatiens sind die Bemühungen, dem Schengen-Raum beizutreten mit der Verletzung der Menschenrechte von Migrant_innen und Geflüchteten verbunden. Kroatien will die Fähigkeit unter Beweis stellen, der Verpflichtung zum Schutz des Staates nachkommen zu können, durch einen robusten Schutz der geplanten neuen Außengrenze des Schengen-Raums.

Eine solche Politik wird nicht nur von der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel „ausdrücklich gelobt“ als sie verkündete, dass „Kroatien mit seinen Sicherheitskräften hervorragende Arbeit leistet“, sondern sie wird auch von der EU-Agentur Frontex aktiv unterstützt.