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„Corona-Proteste“ und rechter Terror

Exif Recherche
Einleitung

Am 18. November 2020 ging in Berlin für viele (extreme) Rechte ein lang gehegter Traum in Erfüllung. Über Stunden stand der Neonazi-Multifunktionär Thomas Wulff in vorderer Front eines wütenden Mobs im Sprühregen eines Wasserwerfers und genoss sichtlich das Gefühl von „Volksaufstand“ und „Nationaler Revolution“. Rechte Hooligans und Neonazis sangen neben Masken-Verweigerern mit Herz-Schildern „Oh, wie ist das schön“.

Foto: : Pixelarchiv

Dirk Bahlmann (hinten, Glatze, schwarzes Shirt) und Martin Wiese (vorn rechts, Pommern-Shirt) beim "Querdenken"-Aufmarsch am 1. August 2020 in Berlin.

Probelauf für „Tag X“...

Zu der Veranstaltung war mit „Tag X“-Rhetorik aufgerufen worden. Es hieß, jetzt ginge es um alles und man müsse sich bewaffnen. Aufrufe wie „Berlin muss brennen“ und Mordphantasien gegen allerlei Feinde wurden in sozialen Netzwerken geteilt. So entstand eine Atmosphäre, in der sich RechtsterroristInnen – und alle, die gerne welche sein würden – pudelwohl fühlten.

Personen wie Jörg Scholze – Anhänger des „Nordkreuz“-Netzwerks – trieb es von Rostock nach Berlin. Auf jenen „Tag X“ bereitete sich das (rechte) Netzwerk aus Bundeswehrsoldaten und Spezialeinsatzkräften der Polizei schon lange aktiv vor. Die Mitglieder sammelten Waffen, Sprengstoff und Munition, legten Feindeslisten an und trainierten für den „Ernstfall“. Jörg Scholze ist als Oberfeldwebel viele Jahre Vorsitzender des Reservistenverbandes Fliegerhorst Laage gewesen. Auch steht Scholze mit dem Schießgelände „Baltic Shooters“ in Güstrow in Verbindung, wo er Beisitzer der Prüfungskommission ist. Der Name des Inhabers des Geländes, Frank Thiel, machte erst jüngst die Runde, da Lorenz Caffier von ihm eine Waffe erwarb. Caffier, zum Zeitpunkt des Waffenkaufs Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, trat nach Bekanntgabe dieses Vorfalls zurück.

...mit Wegbegleitern des NSU

Auf den „Querdenken“-Aufmärschen finden sich auch Personen aus dem Umfeld des NSU-Netzwerkes ein. So waren am 18. November in Berlin Thomas „Ace“ Gerlach und Jens Bauer inmitten der Masse im angeregten Gespräch zu beobachten. Bauer, ehemals NPD-Funktionär, ist Vorsitzender der völkischen, extrem rechten „Artgemeinschaft – Germanische Glaubensgemeinschaft“. Er hatte dem NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben auf seinem Hof in Sachsen-Anhalt eine Bleibe besorgt, nachdem dieser aus der Untersuchungshaft entlassen wurde. Wohlleben besorgte den RechtsterroristInnen des NSU Gelder und die Tatwaffe, mit der der NSU bis 2011 neun Menschen erschossen hatte. Bauers „Artgemeinschaft“ versteht sich als neo-nationalsozialistische Elite und lockte schon vor seiner Zeit so manche RechtsterroristInnen an. So nahm das NSU-Kernmitglied Beate Zschäpe 1997 an einer Veranstaltung der „Artgemeinschaft“ teil. Auch die Brüder Maik Eminger und André Eminger waren nachweislich 2004 und 2005 Teil der Treffen des extrem rechten Bundes.

Andrè Eminger unterstützte das NSU-Trio 14 Jahre lang. Als sich am 4. November 2011 der NSU selbst enttarnte, floh er zu seinem Bruder Maik Eminger ins bandenburgische Grabow, wo er 20 Tage später verhaftet wurde. Auch Maik Eminger war am 18. November in Berlin vor Ort und fiel bereits zuvor durch seine Teilnahme an Veranstaltungen von „Querdenken“ auf.

Thomas Gerlach wiederum gilt seit Jahr-zehnten als politischer Weggefährte von Ralf Wohlleben. Gerlachs damalige Partnerin Mandy Struck verhalf seit 1998 u.a. Beate Zschäpe zu einer neuen Identität, als das NSU-Kerntrio in Sachsen im Untergrund lebte. Gerlach, der seit fast zwei Jahrzehnten der militanten Neonazi-Bruderschaft „Hammerskin Nation“ angehört – arbeitete außerdem jahrelang in der Baufirma des Thüringer NSU-Unterstützers André Kapke.

Weitere Personen aus dem NSU-UnterstützerInnen-Netzwerk fand man schon auf dem „Querdenken“-Aufmarsch Anfang November in Leipzig. Dort konnte etwa der Chemnitzer Neonazi Gunter Fiedler bei der Anreise ausgemacht werden. Er organisierte dem NSU-Kerntrio eine Wohnung, nach dem dieses 1998 „untergetaucht“ war und stellte später Uwe Böhnhardt seinen Personalausweis zur Verfügung, damit dieser sich einen Reisepass beantragen konnte.

Meet & Greet des Neonazi-Terrors?

Bereits an einer Veranstaltung am 1. August 2020 in Berlin nahm der verurteilte Rechtsterrorist Martin Wiese aus Mecklenburg-Vorpommern teil. Wiese erlangte 2003 internationale Bekanntheit, als er und acht weitere Neonazis einen Sprengstoffanschlag auf die Veranstaltung zur Grundsteinlegung des Jüdischen Kulturzentrums in München planten. In Berlin bepöbelte er gemeinsam mit seinem Begleiter Dirk Bahlmann JournalistInnen. Bahlmann drohte einer Journalistin: „Ihr werdet noch abgeurteilt!“. Der 52-Jährige Ex-NPDler Bahlmann soll Wiese damals Waffen für den Anschlag beschafft haben. Aktuell laufen gegen die Beiden Ermittlungen wegen Terrorverdachts: Sie sollen angekündigt haben Menschen töten zu wollen, darunter auch PolizeibeamtInnen.

Nach Berlin zog es am 18. November den Brandenburger Neonazi Maik Schneider. Dieser zündete 2015 mit weiteren Neonazis ein Auto und eine geplante Unterkunft für Geflüchtete an und sollte eigentlich derzeit eine langjährige Haftstrafe absitzen. Der Revisionsprozess steht weiterhin aus.

Bei den Großdemonstrationen von „Querdenken“ waren auch etliche Neonazis der jüngeren Generation anzutreffen, die versuchen, einen möglichst militanten Habitus an den Tag zu legen. Aus Rostock reiste der Deutsch-Ukrainer Ivan Kormilitsyn am 7. November nach Leipzig. Das ehemalige AfD-Mitglied trainierte bereits in der Ukraine an Waffen. Am 21. November traten in Leipzig auch Neonazis der neo-nazistischen Kampfsportgruppe „Knockout 51“ aus Eisenach in Erscheinung. „Knockout 51“ kann auf diverse Verbindungen in die militante und auch terroristische Neonazi-Szene blicken und war schon am 29. August 2020 bei „Querdenken“ in Berlin vor Ort.

Radikalisierung im Schnelldurchlauf

Viele „Querdenken“ AnhängerInnen machten in nur wenigen Monaten eine Turbo-Radikalisierung durch. In den Telegram Gruppen und bei vielen Personen können in Echtzeit  besorgniserregende Radikalisierungsprozesse beobachtetet werden. Bislang völlig unauffällige KleinbürgerInnen, die vor wenigen Wochen noch schüchtern die erste Demonstration ihres Lebens besuchten, agieren heute hochaggressiv gegen KritikerInnen, die es wagen, sich ihnen in den Weg zu stellen. Personen, die am Anfang der Proteste gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie noch als Posthippies mit Blumen- und Herzchen-Motiven auftraten, glauben nun, erkannt zu haben, dass die Corona-Verschwörung doch nur eine Facette einer gigantischen Verschwörung ist. Etliche von ihnen schließen sich der „QAnon“-Bewegung an und/oder mutieren zu ReichsbürgerInnen. Für viele funktioniert „Querdenken“ als eine Erweckungsbewegung und die (extremen) Rechten haben darin freie Hand.

Mindestens drei Anschläge aus dem „Querdenken“-Spektrum sind bislang bekannt: Brandsätze auf das Robert Koch-Institut und ein Sprengsatz in Berlin-Mitte, mit der Forderung, dass die Regierung zurück treten soll, sonst würde es weitere Anschläge geben. Auch die Ölverunreinigungen im Sommer und im Herbst 2020 an Kunstwerken in Museen in Berlin, Potsdam und Paderborn tragen die Handschrift der rechten „QAnon“-VerschwörerInnen-Szene. Die betroffenen Museen sollen in ihrer kruden Logik zentrale Treffpunkte von „Satanisten und Kindermördern“ sein, die sie in der Regierungsriege vermuten.

Demnach stellen derzeit nicht nur die längst bekannten RechtsterroristInnen und ihr Umfeld, die sich von „Querdenken“ ermutigt fühlen, eine besondere Gefahr dar.

Zeit das Beenden zu beenden

Umso bedeutender ist es, dass am 21. November in Leipzig erstmals das Kräfteverhältnis gebrochen werden konnte. „Querdenken“ war dem Gegenprotest unterlegen und die gesamte Innenstadt war, anders als am 7. November, geprägt von antifaschistischem Protest. Obwohl es von Seiten organisierter Neonazis abermals zu Übergriffen kam und die „QuerdenkerInnen“ Polizeiketten durchbrachen, gelang es den Rechten nicht, den Raum zu dominieren.

Der Tag war eine große Demotivation für die „Querdenken“-Bewegung, doch vollends gebrochen scheint die Dynamik noch nicht. Immer wieder ruft „Querdenken“ oder ähnliche Akteure zu Versammlungen auf. „Zeit, es zu beenden“ ist eine Parole der Mobilisierungen in den sozialen Netzwerken. Wieder und wieder bereitet sich die Front aus WutbürgerInnen, rechten Hooligans und Neonazis auf den finalen Aufstand vor.