Die Deutsche Rapszene: Ein luftleerer Raum für Verschwörungsglauben?
Till „Skinny“ ArndtVerschwörungsmythen sind auf dem Vormarsch. Spätestens, seit die sogenannten Querdenker regelmäßig aufmarschieren, ist dieses Thema vollends ins Zentrum der allgemeinen Aufmerksamkeit gerutscht. „Spiegel TV“ füllt gefühlte 70 Prozent ihres Programms mit seicht unterhaltsamem Content über diese Spinner:innen; Memes und Satire florieren. Doch Verschwörungstheorien, wie man sie damals noch nannte, bevor man den wissenschaftlich definierten Terminus „Theorie“ durch die zutreffendere Bezeichnung „Mythos“ ersetzte, kursieren schon lange großflächig, wenn auch bisher als blinder Fleck der medialen Berichterstattung. Bei genauerer Betrachtung ist nicht nur das Thema ein alter Hut, sondern auch die damit verbundenen Kontroversen und Konflikte sind nicht neu.
In der HipHop-Szene beispielsweise werden derlei Debatten schon seit geraumer Zeit mehr oder weniger offen ausgetragen. Rapper:innen saßen schon vor Jahren in Interviews und Podcasts, in denen sie ungehindert über den wahren Ursprung der Pyramiden, die Strippenzieher des Bankenwesens und natürlich 9/11 „philosophierten“. Davon ist dann gerne die Rede, wenn Rapper:innen sich doch mal für derlei wackelige Exkurse rechtfertigen sollen. Es werde doch nur ein bisschen geschnackt und mit Gedanken herumgespielt – das könne doch nicht verwerflich sein. Die Kritik der Kommentatoren und Szenemedien wird von der Hand gewiesen. Das ist schon deshalb problematisch, weil diese Denkansätze über die Jahre hinweg von der ursprünglich linken Amerikakritik zum wichtigsten Rekrutierungstool fürs extrem rechte Lager verkommen ist, dessen Feindbild nicht mehr nur abstrakte „Eliten“ sind, sondern echte Menschen.
Doch davon, dass beinahe alle modernen Verschwörungsmythen einen zutiefst antisemitischen Kern haben, der seit Jahrhunderten antisemitischer Verschwörungserzählungen beinahe unverändert reproduziert, davon will man nichts wissen. Im Gegenteil: „Die Linken“ werden zum Feindbild stilisiert, das unliebsame Meinungen durch das Vehikel der „Cancel Culture“ ruhigstellen will – in diese Richtung versuchen einige der Protagonist:innen den Diskurs zu lenken. Rapper und Podcast-Host „B-Lash“ bezeichnet den Backlash, den seine unfundierten „Hot Takes“ gelegentlich nach sich ziehen, gar als Mobbing. Das spielt seiner Selbstinszenierung als Kämpfer gegen die Unterdrückung natürlich in die Karten – man wolle ihn unten halten, so das eigene Narrativ. Daher werden Passagen, in denen man sich zu sehr aufs Glatteis begibt, mittlerweile aus der Show geschnitten und nur zahlenden Fans via „Patreon“ zur Verfügung gestellt, um eine Löschung durch YouTube zu verhindern. Eine zuverlässige Geldquelle, besonders nachdem der Energy Drink von Hauptsponsor Attila Hildmann klammheimlich aus dem Setting entfernt wurde, nachdem man sich wenige Wochen zuvor noch schützend vor den mittlerweile ultrarechten Ex-Koch gestellt hatte.
Ist das schon ein Geschäftsmodell? Auf jeden Fall wird gerade mit den sensiblen Inhalten Geld verdient. Verschwörungsmythen scheinen gerade ihre Anhänger kaum von Popkultur trennen zu können. Wenn YouTuber Leon Lovelock mit seinen Gästen von antiken Hochkulturen und Außerirdischen fantasiert, mag das nicht weiter schlimm sein – wenn Leon aber in einem zusammenbruchartigen Vlog dazu aufruft, die Coronamaßnahmen zu ignorieren, kann das großen Schaden nach sich ziehen.
Doch woher diese Naivität? Rapper- und Creator:innen sind eigentlich Medienprofis – diesen Hang zu kruden Geschichten auf ein simples Unvermögen zurückzuführen, wäre also zu kurz gedacht. Dahinter steckt ein Weltbild, so vereinfacht und spektakulär, dass jeder reißerische Exkurs einem Krimi gleicht. Ein eigener Kosmos, in dem es Stars gibt und natürlich Feindbilder. Ein vereinfachtes Weltbild, das zur Selbstüberhöhung und Fanbindung wie geschaffen ist. Die Prediger dieses Verschwörungsglaubens haben verstanden, wie die Welt sich dreht. Was für tolle Hechte! Schließlich können sie stundenlang referieren, was so hinter den Kulissen der Weltpolitik abgeht und das mit wahnsinnig überzeugendem und selbstbewusstem Ton vortragen.
Klar, da steckt nicht immer Kalkül dahinter und nicht jede:r Rapper:in mit einem Naidoo-Feature in der Diskographie ist direkt Anhänger:in solcher Theorien, doch auch Naidoos Irrsinn wurde vom Mainstream, wie auch von der Musikszene, über Jahre hinweg einfach weggelächelt.
Jetzt ist die Milch verschüttet. Gerade während der Pandemie verbreiten sich derlei Erzählungen schneller als das Virus selbst. Krude Ideen und Vermutungen sind in beinahe jeder Szene und gesellschaftlichen Schicht angekommen. Selbsternannte Querdenker blasen zum Sturm auf den Bundestag, was „Spiegel TV“ zwar wieder reißerische Bilder liefert, ansonsten aber die Konsequenz aus dem ist, was jahrelang vernachlässigt wurde: Aufklärung. Denn weder die neu installierte Telegram-App auf den Handys unserer Eltern, noch eine Rapszene voller KenFM-Jünger oder ein Kollegah, der fünfstellige Prämien für „objektive“ Berichterstattung über Pizzagate anbietet, können unsere Gehirne waschen. Sie können nur dort ansetzen, wo unsere Medienkompetenz aufhört.