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Die „Burschenschaft Germania Kassel“

task - Antifa Kassel
Einleitung

Im Oktober 2021 haben wir eine Recherche-Broschüre gegen die „Burschenschaft Germania Kassel“ veröffentlicht. Die „Germania“ fällt zwar weder im Stadtgeschehen noch an der Universität besonders auf, doch einige ihrer aktiven und ehemaligen Mitglieder sind über die Burschenschaft hinaus oft in relevanten rechten Strukturen aktiv. Das Stiftungsfest 2021 der „Germania“ hat gezeigt: Die Einbindung in unterschiedliche Spektren der (extremen) Rechten besteht ungebrochen fort.

Der Vize-Bürgermeister von Tiftlingerode Christopher Koch (links) und der frühere NPD-Kandidat Boris Maier (rechts) in Couleur der „Germania Kassel“ auf dem Weg zum Stiftungsfest 2021.

Die Öffentlichkeitsarbeit der Burschen­schaft war 2020 überschaubar. Ein kaum genutztes Facebook-­Profil, ein Instagram-Account mit rassistischen Sharepics und Runenromantik sowie eine etwas in die Jahre gekommene Webseite. Semesterprogramm und Veranstaltungen werden gar nicht erst öffentlich beworben und die internen „Burschungs- und Semestervorträge“ behandeln unpolitische Themen wie die Herstellung von Honig. Inhaltliche Veranstaltungen sind selten und werden meist auch nur intern beworben, stellen dann aber umso stärker den Bezug zur (neonazistischen) Rechten her.

Die letzte öffentlich beworbene Vortragsveranstaltung fand 2018 unter Protest mit dem Szeneanwalt, früheren REP-­Politiker und Marburger Burschen­schafter Björn Clemens statt. Die Nähe zur völkischen bis hin zur neonazistischen Rechten drängt die Burschenschaft mehr oder weniger in die Klandestinität. Jenseits ihres Hauses wirkt sie nur sporadisch an der Universität, wie als Anhänger der Burschenschaft „Germania“ 2020 im Anschluss an ein Treffen den Campus mit Aufklebern aus Neonazi-Versänden und der „Identitären Bewegung“ beklebten.

Die politische Bedeutung der Burschenschaft liegt so auch weniger in ihrer eigenen Agitation, sondern in ihrem stabilisierenden Moment für die rechte Szene in Kassel. Während Kameradschaften kamen und gingen, besteht die „Germania“ und ihre Infrastruktur nun schon seit über 30 Jahren. Sie ist Begegnungsort für mehrere Generationen der rechten Szene, gewährleistet deren Vernetzung und ist zugleich Anlaufpunkt für zumeist schon rechts anpolitisierte, junge Männer.

Diese finden in der „Germania“ eine halbwegs attraktive Lebenswelt mit dem burschenschaftlichen Minimalprogramm aus einigen „Kneipen“, monatlichen „Conventen“ und einem regelmäßigen „Paukbetrieb“, primär mit den „Germanen“ und „Rheinfranken“ aus Marburg. Politik betreiben diverse Mitglieder der „Germania“ dann aber häufig anderswo: In „Kameradschaften“ oder anderen Neonazistrukturen, in der „Identitären Bewegung“ oder aber im völkischen Flügel der AfD.

Zu den derzeit Aktiven gehört beispielsweise der Lehramtsstudent Tristan Lessing, der zeitweise Sprecher der Burschenschaft war. Lessing wurde 2018 wegen seiner Aktivitäten für die „Identitäre Bewegung“ aus dem Vorstand der „Jungen Alternative Waldeck-Frankenberg“ geworfen. In die AfD aber hat es noch weitere Personen der Burschenschaft gezogen: Michael Werl hatte 2015 in der „Germania“ die Funktion des Schriftwarts inne, Neonazis habe er dort allerdings nicht getroffen, behauptete er später gegenüber einer Lokalzeitung. Mittlerweile ist Werl Vorsitzender der „Jungen Alternative Hessen“ und sitzt für die AfD Kassel in der Stadtverordnetenversammelung. Und auch Holger Teuteberg, der mittlerweile Vorsitzender des AfD-­Kreisverbandes Cloppenburg Vechta ist, war für die „Germania“ aktiv. Zwar ist er aus der Altherrenschaft ausgetreten, hielt aber danach noch einen Vortrag im Rahmen einer Veranstaltung des Dachverbandes der Burschenschaft.

Geschichte: 36 Jahre rechtes Aufbauprojekt

Die „Burschenschaft Germania Kassel“ ging am 4. Dezember 1985 aus der „Vereinigung Alter Burschenschafter Kassel“ hervor. Sie erwarb 1989 im Stadtteil Wolfsanger ein Haus, in dem sich die Gemeinschaftsräume der Burschenschaft befinden und das seitdem der Dreh- und Angelpunkt aller Aktivitäten ist.Seit 1991 ist die „Burschenschaft Germania Kassel“ in dem Dachverband „Deutsche Burschenschaft“ (DB) organisiert. Sie versteht sich grundsätzlich als Männerbund auf Lebenszeit und ist „pflichtschlagend“. Bei den politischen Flügelkämpfen innerhalb der DB stand die „Germania Kassel“ meistens auf Seiten der völkischeren Abspaltung – wie etwa als sie auf dem Burschentag 2011 den sog. „Ariernachweis“ unterstützte.

Seit ihrer Gründung gab es kaum Berührungsängste gegenüber neonazistischen Kreisen. Dazu gibt es eine Reihe von Berichten: Zu einem Konzert mit dem Neonazi-Liedermacher Frank Rennicke im Jahr 1992 soll ein Funktionär der Partei „Nationalistische Front“ (NF) im Braunhemd erschienen sein. Ebenso sollen zwei Anhänger der lokalen FAP anwesend gewesen sein, die sich u.a. mit „Sieg Heil“ in das Gästebuch eingetragen haben sollen. 2004 referierte der Neonazi-Kader Jürgen Rieger auf dem Verbindungshaus über das Thema „Germanischer Glaube in unserer Zeit“. Daraufhin ermittelte auch die Kasseler Staatsanwaltschaft, da er in seinem Vortrag den nationalsozialistischen Massenmord an Sinti*zze und Rom*nja geleugnet haben soll.

Aber auch in den letzten Jahren konnten immer wieder Überschneidungen und Kontakte zwischen der NPD, „Kameradschaften“ und der Burschenschaft festgestellt werden. Dies zeigt sich immer wieder auch in der politischen Biografie einzelner Burschenschafter.

Ultra-rechte "Germanen"

Zwischen 2010 und 2011 wohnte Harald H. auf dem Haus der Germania. In dieser Zeit nahm er auch an Zeltlagern der Jugendorganisation der NPD teil und war Besucher von Veranstaltungen der neonazistischen „Artgemeinschaft“. Anwärter der „Artgemeinschaft“ war auch Dominik R., der 2010 aus unbekannten Gründen aus der Burschenschaft ausgeschlossen wurde.

Der spätere Germane Nils W. wurde 2011 gemeinsam mit Aktivisten vom „Freien Widerstand Kassel“ bei der Anreise zu einem klandestinen Fackelmarsch in Gießen von der Polizei kontrolliert. 2015 besuchte Nils W. als Delegierter der „Germania“ den Burschentag in Eisenach. Gemeinsam mit einem mittlerweile verstorbenen „Bundesbruder“ nahm Nils W. auch an Veranstaltungen der Kasseler AfD teil. Zuletzt besuchte Nils W. 2018 gemeinsam mit dem Kasseler Neonazi David R.einen Aufmarsch für die Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck in Bielefeld.

Von 2011 bis 2018 war Alexander Schäfer Vorstand des Hausvereins. Schäfer bewegte sich zuvor im Umfeld der „Kameradschaft Northeim“ und des NPD-Kaders Thorsten Heise. Schon 1999 gehörte Schäfer zu Heises Hochzeitsgästen.

Kontakte zu Heise pflegte auch der studierte Archäologe Michael Jan Riepe. Dieser betrieb den Musikversand „Supremacy through Intolerance“ und traf mit Heise telefonische Absprachen über Verkäufe und Musikindizierung. 2017 kam es gegen Riepe zu einem Prozess wegen Volksverhetzung in 18 Fällen, der mit seiner Verurteilung endete. Noch 2020 trat Riepe in Leipzig bei der „Pro Patria Mensur“, einem bundesweiten Burschenschaftertreffen, in „Couleur“ der „Germania“ auf – gemeinsam mit dem Landesvorsitzenden der niedersächsischen NPD und Stadtrat Michael Hahn.

2021: Stiftungsfest mit Neonazibesuch

Zum „Stiftungsfest“ 2021 kamen nicht nur fast alle Aktiven der „Germania“ , sondern auch zahlreiche „Alte Herren“ sowie Burschenschafter aus befreundeten Verbindungen und rechte Aktivisten von außerhalb. Das Treffen kann daher als weitere Bestätigung der bisherigen Beobachtungen verstanden werden.

So gehörte zu den Hausgästen neben Michael Hahn auch der „Alte Herr“ der „Germania“ und NPD-Aktivist Boris Maier aus Heiligenstadt. Der Maurermeister ließ sich 2009 zur Wahl für die NPD aufstellen und war Vorsitzender des Kreisverbands der NPD im Eichsfeld. Ebenfalls aus dem Eichsfeld kam der „Alte Herr“ der „Germanen“ Christopher Koch zum Stiftungsfest. Koch war als Vorsitzender des Altherrenvereins aktiv und ist er in seinem Heimatdorf Tiftlingerode stellvertretender Bürgermeister – parteilos für die CDU-Fraktion. Beschäftigt ist er beim Eichsfeld Gymnasium, wo er als Studiendirektor den Unterricht der Schüler*innen mitgestaltet.

Die kurz vorgestellten Personen zeigen, dass einige Aktive, „Alte Herren“ und Ehemalige der „Burschenschaft Germania Kassel“ in diversen Strukturen des rechten Spektrums vernetzt, organisiert oder aktiv sind. In diesem Netzwerk finden sich mehrere Generationen von Rechten, Neonazis, NPD-Funktionären oder AfD-Anhängern, die auf dem „Germanenhaus“ bisher weitgehend ungestört sind. Mit dieser Funktion als Scharnier zwischen Neonazis und rechten bzw. rechtskonservativen Kreisen steht die „Burschenschaft Germania Kassel“ stellvertretend für viele DB-Burschenschaften, die vielerorts rechte Infrastruktur eher im Hintergrund stellen.