Skip to main content

"Querdenken"-Proteste und Souveränismus

Jan Rathje
Einleitung

Die „Querdenken“-Proteste und das souveränistische „Reichsbürger“-Milieu verbindet der Widerstand gegen staatliche Maßnahmen zur Pandemieeindämmung, die sie als Teil einer Verschwörung zur Errichtung einer Diktatur deuten.

Symbolfoto von Christian Ditsch

(Symbolfoto von Christian Ditsch)

„Reichsbürger“ und andere verschwörungsideologische Souveränist:innen stießen früh zu den Protesten, die sich ab dem Frühjahr 2020 gegen die staatlichen Maßnahmen zur Pandemieeindämmung formierten. Mit zunehmender Konzentration der Kommunikation auf den Messenger-­Dienst Telegram entstand ein lockeres Netzwerk aus verschwörungsideologischen, esoterischen, extrem rechten, souveränis­tischen sowie Q-Anon-Kanälen und Gruppen, deren Administrator:innen und Mitglieder wechselseitig Inhalte teilen. So gelang es Souveränist:innen die Sichtbarkeit ihrer Propaganda für ein breites Publikum zu erhöhen, ohne Gefahr zu laufen, dass ihre Inhalte gelöscht werden würden. Unter­stützend wirkte darüber hinaus das Bekenntnis der Protestierenden im Kampf gegen die vermeintlich drohende Diktatur niemanden ausschließen zu wollen – auch keine extrem Rechten oder „Reichsbürger“.

Von Beginn an Teil der Proteste

Die Nähe der Protestierenden zum Souveränismus um „Reichsbürger“ und andere verdeutlicht sich an der Organisation "Querdenken 711 – Stuttgart" des Unternehmers Michael Ballweg. Im Laufe des Frühjahrs und Sommers 2020 bildete sie sich als eine zentrale Organisation der Proteste heraus, die Esoteriker:innen, Verschwörungsideolog:innen und Souveränist:innen ihre Bühnen zur Verfügung stellte. So traten auf einer Großkundgebung am 1. August 2020 in Berlin Oliver Janich, Heiko Schrang und Thorsten „Silberjunge“ Schulte auf, die bereits in der Vergangenheit souveränistische Inhalte von einer Fremdherrschaft über die Deutschen und der Notwendigkeit einer neuen Verfassung anstelle des Grundgesetzes verbreitet hatten.1 Doch auch die Organisatoren von "Querdenken 711" unterhalten direkte Beziehungen in das souveränistische Milieu. Ebenfalls am 1. August begrüßte der damalige Pressesprecher Stephan Bergmann den extrem rechten Antisemiten und „Reichsbürger“ Nikolai Nerling, der die Proteste seit Beginn als Videoblogger „Der Volkslehrer“ medial begleitet, mit einer Umarmung.2

Verbindungen zu Souveränismus bei "Querdenken 711"

Bergmann scheint mit dem souveränistischen Milieu auch ideologisch verbunden. Recherchen des Zeitungsverlags Waiblingen zufolge war er Gründungsmitglied des inzwischen nicht mehr aktiven Vereins "Primus Inter Pares e. V.", der vom Verfassungs­schutz in Baden-Württemberg der extremen Rechten und dem „Reichsbürger“-Milieu zugerechnet wird.3 Bergmann bestreitet die Mitgliedschaft nicht, gab jedoch an, dem Verein nicht lange angehört und keine extrem rechten oder „Reichsbürger“-­Aktivitäten erkannt zu haben.4 Diese Strategie nutzte "Querdenken 711" häufiger, um die ideologischen Hintergründe von (extrem) Rechten und „Reichsbürgern“ zu verharmlosen.

Dass diese Überzeugungen nicht nur ihm präsent sind, wird auch in Äußerungen und Aktivitäten Michael Ballwegs deutlich. Am 8. August 2020 nutzte er während einer Rede in Stuttgart die in der (extremen) Rechten und dem souveränistischen Milieu verbreitete Chiffre vom fehlenden Friedensvertrag und empfahl den Teilnehmenden sich hierzu zu informieren.5 Startete „Querdenken 711“ mit der Forderung nach Neuwahlen, so war ein Ziel der Organisation nach der Demonstration am 29. August 2020 eine „Verfassungsgebende Versammlung“ in Rahmen eines länger angelegten Protest-Camps abzuhalten. In diesem Zusammenhang bezeichnete Pressesprecher Bergmann in souveränistischer Manier das Grundgesetz als „Besatzungsrecht“, welches gemäß Artikel 146 abzulösen sei.6

Ballweg und seine Organisation suchten nun den aktiven Kontakt in das souveränistische Milieu. „Anonymous Deutschland“ veröffentlichte Dokumente aus einem Hack des „Königreichs Deutschland“, denen zufolge Ballweg im engen Kontakt zum „Königreich“ gestanden haben soll. Er soll nicht nur ein Konto bei deren „Gemeinwohlkasse“ in Ulm eröffnet, sondern Ende Oktober 2020 auch eine Firma namens „QUERDENKEN711“ im „Königreich“ mit zugehöriger „Staatszugehörigkeit“ beantragt haben.7 Ballweg bestreitet die Existenz eines solchen Unternehmens, das Konto will er nach eigenen Angaben Anfang August 2021 gekündigt haben.8 Zuvor war bereits bekannt geworden, dass er und andere Mitglieder von „Querdenken 711“ am 15. Oktober 2020 im thüringischen Wöhlsdorf ein Treffen auf dem „Territorium“ des „Königreichs“ unter Anwesenheit seines „Königs“ Peter Fitzeks abgehalten hatten.9 In einer Stellungnahme behauptete Querdenken 711, Fitzek sei dem souveränistischen Milieu nicht zuzurechnen, sondern vielmehr „jemand, der auf dem Boden des Grundgesetzes nach Gesetzeslücken sucht, die eine weitgehende Autonomie von staatlichen Strukturen - wie z.B. Finanz- und Gesundheitssystem - ermöglicht.“10

Geteiltes Feindbild und fehlende Souveränität als verbindende Elemente

Die „Querdenken“-Proteste und das souveränistische Milieu verbindet zunächst der Widerstand gegen staatliche Maßnahmen, die sie als Teil einer Verschwörung zur Errichtung einer Diktatur deuten. Souveränist:innen liefern in diesem Zusammenhang nicht nur Erklärungen, warum die Regierung gegen das Volk regieren würde, sondern den anderen Protest-Milieus auch „Beweise“ und Aktionsformen, die jenseits des politischen Systems der BRD Erlösung versprechen.

Die Identifikation der Protestierenden mit dem Volk als ‚Souverän‘ führt zur Frage, warum diese Souveränität nicht von ihnen real erfahren wird. Jürgen Elsässer fasste dies im rechten "COMPACT-Magazin" unter der Überschrift „Das Reich wird Pop“ folgendermaßen zusammen: „An diesem Punkt der fehlenden Souveränität treffen sich die versprengten Grüppchen der sogenannten Reichsbürger mit der übergroßen Mehrheit der Querdenker.11 Einer Studie der Universität Basel innerhalb von Teilen der "Querdenken"-Proteste vom zufolge stimmten von 1.152 Teilnehmenden der Aussage „Die BRD ist kein souveräner Staat“ über 36 Prozent der Aussage zu.12 Wie weit diese Übereinstimmung in die anderen Protestmilieus hinein reicht, kann nicht genau bestimmt werden.