Ein „III. Weg-Stützpunkt“ in Nordhessen
"Gegen den Dritten Weg in Nordhessen" (Gastbeitrag)Nach vielen Jahren fehlender Neonazi-Organisierung versucht nun „Der III. Weg“ die Lücke in Nordhessen zu schließen. Frei von den Altlasten vergangener NPD- oder „Die Rechte“-Strukturen, soll endlich wieder der Schritt in die Öffentlichkeit gelingen. Am 12. März 2023 gründete sich der Stützpunkt „Kurhessen“.
Dass „Der III. Weg“ in Nordhessen versucht Fuß zu fassen, kommt nicht überraschend. In den vergangenen Monaten waren vermehrt Aktivitäten und Vorläuferprojekte zu beobachten. Sie verstetigten ihren bundesweiten Anschluss und organisierten seit mindestens Ende 2021 klandestine Veranstaltungen mit benachbarten Stützpunkten. Die losen Neonazivernetzungen der vergangenen Jahre scheinen im „Der III. Weg“ vorerst ihre Organisationsperspektive gefunden zu haben. Zeitgleich versuchte eine neue Neonazigruppe mit martialischem Auftreten Aufmerksamkeit zu bekommen. Unter dem durchaus ernstgemeinten Titel „Scheiteljugend Kassel“ vernetzten sich junge Neonazis in der Region. So unterschiedlich diese beiden Projekte zunächst wirken: Sie werden teilweise von den selben Akteuren vorangetrieben.
Personalunion
Auch wenn die Propaganda zum neuen Stützpunkt „Kurhessen“ darüber hinwegtäuschen soll: statt einer florierenden Bewegung besteht die nordhessische Realität eher aus einem überschaubaren Personenkreis aus umtriebigen Neonazis, die versuchen das Bild eines „Schanzwerks des Aufbaus“ zu zeichnen. Als ein offizieller Ansprechpartner gibt sich Norik E.
Der 23-jährige Norik E. aus Hemfurth im Edertal fiel erstmals als Teilnehmer einer Demonstration der „Identitären Bewegung“ (IB) in Halle auf. Seitdem ist er mehrfach auf Demonstrationen anzutreffen gewesen und trat u.a. als eine Art Ansprechperson für die Vorläuferorganisation „Scheiteljugend Kassel“ auf.
Neben Norik E. ist Kevin Kohl aus Bad Wildungen/Giflitz die zweite zentrale Figur für den Stützpunktaufbau des "Der III. Weg". Kohl bewegt sich seit seiner Jugend in Neonazikreisen. Einst Teil des Hooliganmilieus vom Fußballverein KSV Hessen, nahm er mit Mitgliedern der Kasseler Kameradschaftszene, darunter Markus Hartmann, Ende der 2000er an Stammtischen der NPD teil. Im Jahr 2013 gründete er das Sicherheitsunternehmen „Sense of Security“, mit dem er u.a. bei RechtsRockkonzerten als Security auftrat. 2016 gründete er zudem das Kampfsportstudio „Fight Club 21“, welches er auch für Neonaziaktivitäten zur Verfügung stellte.
Kontaktpflege zahlt sich aus
Für den Aufbau des Stützpunktes wird die bereits bestehende Infrastruktur nordhessischer Neonazis rege genutzt. Durch die gute Vernetzung lassen sich (teils) brachliegende Ressourcen reaktivieren. Für das Treffen der „AG Körper & Geist“ des "Der III. Weg" im September 2022 mit knapp 20 Teilnehmern diente der „Reichshof“ im Knüllwald als Veranstaltungsort. Der Reichshof ist seit ca. 50 Jahren im Besitz der extremen Rechten. Bis kurz vor seinem Tod 2014 nutzte Manfred Roeder das Anwesen, danach folgten Veranstaltungen von Meinolf Schönborn. Im Jahr 2017 sprach der Landrat ein Nutzungsverbot für den Reichshof aus. Bei der Gründung des Stützpunktes „Kurhessen“ und einer vorher stattfindenden Schulung diente dieser jedoch ebenfalls als Anlaufstelle. Aktuell ist er weiter im Besitz der Holocaustleugnerfamilie Renouf aus England.
Im März 2022 trainierten Norik E. und Kohl gemeinsam mit dem Stützpunk „Westerwald“. Als Teil der Reisegruppe des „Der III. Weg“ absolvierten sie 2022 den sogenannten „Ausbruchsmarsch“ zum „Tag der Ehre“ in Budapest. Auch 2023 waren erneut nordhessische Neonazis als Teil einer Reisegruppe des „Der III. Weg“ zum „Tag der Ehre“ angereist. Auch die Infrastruktur der Burschenschaften hält man sich warm. Im Oktober 2022 besuchten Norik E. und Kohl die Mensur des Marburger Burschen Max E.. Diese Verbindung ist nicht überraschend. Mehrere Marburger Burschen waren selbst beim „Der III. Weg“ oder dessen Vorläuferprojekt „Freies Netz Süd“ aktiv.
Zum sogenannten „Thule Seminar“, einem Relikt aus Nordhessen, pflegt der „Stützpunkt Kurhessen“ ebenfalls gute Kontakte. Das „Thule Seminar“ wurde 1980 in Kassel gegründet und wird als Ableger der „Neuen Rechten“ in Deutschland bezeichnet. Sich selbst als Ideenschmiede verstehend, handelt es sich heute vielmehr um eine überalterte Sekte, die einen heidnisch-esoterischen Nationalsozialismus propagiert.
Im Herbst 2022 landete der Vorstand des „Thule Seminars“, darunter Pierre Krebs, aufgrund eines von ihnen vertriebenen Taschenkalenders wegen Volksverhetzung vor Gericht. Vor Ort fanden sich mehrere Unterstützende ein, darunter auch Kevin Kohl.
Nordhessische Neonazivernetzung: Die Scheiteljugend
Die Stützpunktgründung scheint der vorerst nachhaltigste Versuch der Neonazis zu sein. Vorangegangen waren diverse Nieschenprojekte. 2020 und 2021 wurde über die Telegramkanäle „Patriotenfunk“ und „Heimatecho“ zur Organisation aufgerufen. 2021 enstand die „Wanderjugend Nordhessen“ und reihte sich in den bundesweiten Trend ein, mit Naturbildern und Heimatzitaten um Mitglieder zu werben.
Seit Anfang 2021 versuchten eine handvoll Jungnazis mit kurzen, martialischen Videoclips und Gruppenfotos unter dem Label „Scheiteljugend Kassel“ ihre vermeintliche Straßendominanz zu demonstrieren und Mitstreiter zu mobilisieren. Offline werden die vereinzelten Neonazis zusammengeführt, um sich zu Kampfsporttrainings zu treffen.
In Februar 2023 reisten mehrere Aktivisten der „Scheiteljugend“ gemeinsam zum „Trauermarsch“ nach Dresden an. Hier waren sie Teil einer Reisegruppe um Thoralf H., einem Sohn des Neonazi-Kaders Thorsten Heise.
Ausblick
Mit ihrem Aufbauprojekt können „Der III. Weg“ und „Scheiteljugend“ eine Lücke schließen, die die desorganisierte alte Neonaziszene hinterlassen hat. Bereits seit längerem ist in Nordhessen keine funktionierende NPD-Struktur feststellbar. Die Partei „Die Rechte“ scheiterte an zwei Gründungsversuchen eines Landesverbandes in Hessen. Und auch die „Combat 18“-Zelle fiel vor Ort nie durch eigene Aktivitäten auf.
Erschwerend kommt hinzu, dass die begangenen Morde an Halit Yozgat und Walter Lübcke in Kassel zu einer Atmosphäre führten, die offene Neonazipolitik denkbar unattraktiv macht. Antifaschistische Aktivitäten und ein großes öffentliches Interesse – insbesondere ab 2019 – haben dazu beigetragen, dass bekannte Akteur*innen sich lieber bedeckt halten.
Frei von diesen Altlasten treffen beide Gruppierungen auf vorhandenes Potential im reaktionären Nordhessen. Gerade in den ländlichen Regionen zwischen Kassel und Marburg war bisher nicht viel Gegenwehr zu erwarten. Vor allem Kevin Kohl versuchte so eine breite Infrastruktur um Bad Wildungen aufzubauen. Konspiratives bis paranoides Verhalten hat dazu beigetragen, dass sie eine Zeit lang weitgehend verdeckt agieren konnten. Seit der Veröffentlichung durch antifaschistische Recherche scheint jedoch ein abrupter Strategiewechsel eingetreten zu sein. Die „Scheiteljugend“ löste sich bereits einen Tag später offiziell, aber wenig glaubwürdig, auf. Es bleibt abzuwarten, ob zukünftig alle der „Scheiteljugend“ zugerechneten Personen stärker in den Strukturaufbau des „Der III. Weg“ eingebunden werden, oder die entstandenen Kontakte – beispielsweise mit Thoralf H. – anderweitig genutzt werden.
Dass hinter dem panischen Schritt der Auflösung nicht, wie verkündet, der erfolgreiche Abschluss ihrer rechten Vernetzungskampagne steht, sondern das Bekanntwerden ihrer Strukturen und Wohnorte, ist naheliegend. Es wird allerdings nicht nur die Sorge vor weiteren antifaschistischen Interventionen gewesen sein, die die sonst so selbstsicheren Neonazis zur Auflösung gezwungen hat.
Auch drohender Repression oder gar einem Verbotsverfahren wollten sie damit wohl vorweggreifen. Denn offensichtlich rückten die Neonaziaktivitäten in Nordhessen auch weiter in den Fokus von Polizei und Staatsschutz. Nachdem bereits im März 2023 die Gründungsveranstaltung des „III. Weg“ von der Polizei aufgelöst wurde, unterbrachen sie eine Woche nach der Veröffentlichung eine Kampfsportveranstaltung von Kevin Kohl in Bad Wildungen. Da ihm laut hr-Bericht bereits einige Wochen zuvor der Mietvertrag gekündigt wurde, konnte das Training nicht im „FightClub21“ stattfinden.
Bis auf wenige Flugblattaktionen lässt die große, öffentliche Offensive in Nordhessen noch auf sich warten. Der „III. Weg“ wird nichtsdestotrotz zunächst einer der wichtigen Anlaufpunkte in der Region sein, antifaschistische Begleitung inbegriffen.
(Ausführlichere Infos finden sich unter: www.3wnordhessen.noblogs.org)