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Wider dem Vergessen

Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt Märkisch-Oderland (Gastbeitrag)
Einleitung

In Brandenburg wurden seit 1990 mehr als 30 Menschen durch rechte Gewalt oder Neonazis ermordet. Hans-Georg Jakobson ist einer von ihnen. Der damals 35-Jährige war wohnungslos und schlief in der S­ Bahn, als er am Abend des 28. Juli 1993 von den drei stadtbekannten Neonazis Rene B., Henry G. und Thomas D. überfallen und getötet wurde.

Gedenkkranz für den von Neonazis ermordeten Hans-Georg Jakobson.

Betroffenen rechter Gewalt öffentlich gedenken

Die Ausübung menschenverachtender Gewalt gehört für die drei lokalen Neonazis zum Alltag, und an diesem Abend nehmen sie sich vor, jemanden zu überfallen. Sie starten an der Fahrradunterbringung am Bahnhof Strausberg Vorstadt, wo sich zu dieser Zeit täglich Neonazis treffen. Der Ort ist Ausgangspunkt für eine Vielzahl von Angriffen. Die Täter steigen an diesem Abend in die Bahn und suchen sich bewusst Hans-Georg Jakobson als Opfer aus. Sie durchsuchen ihn, er hat aber kein Geld bei sich. Danach beginnen sie auf ihn einzuschlagen und werfen ihn zwischen den Bahnhöfen Strausberg und Petershagen Nord aus der fahrenden S-Bahn. Am Morgen verstirbt Jakobson an seinen schweren Verletzungen. Seine Familie erfährt erst viele Monate später von seinem grausamen Ableben. Er hinterlässt zwei Kinder.

Die drei Täter rauben am selben Abend noch weitere Personen in der S-Bahn aus und werden zwei Tage später an einem Imbiss in Strausberg Vorstadt identifiziert und festgenommen. B. wird als Haupttäter zu acht Jahren, die anderen beiden zu jeweils sechs Jahren Jugendstrafe verurteilt.

Im Gefängnis1 wird Rene B. durch die „Hilfsorganisation für nationale Gefangene und deren Angehörige“ (HNG) betreut, doch schon nach vier Jahren – offiziell wegen guter Führung – vorzeitig wieder entlassen. Danach baut er zusammen mit Daniel H. die Kameradschaft ANSDAPO auf.2 Die Kameradschaft organisiert RechtsRockkonzerte, hat Kontakte zu Berliner „Blood & Honour“-Strukturen, unterstützt die NPD beim Wahlkampf und fällt durch massive Gewalt auf. Immer wieder werden dabei auch das soziale Zentrum "Horte" und dessen Besucher*innen angegriffen. 2005 wird die ANSDAPO aufgrund der „geistigen Nähe zum Nationalsozialismus“ durch das Brandenburger Innenministerium verboten. Aus dieser Gruppe geht später die „AO-­Strausberg“ als eine Art Nachfolgeorganisation hervor, die erstmals 2015 bei rassistischen Mobilisierungen in Erscheinung trat.

Rene B. wohnt noch immer in Strausberg, er trägt seine Gesinnung in Form eines Hakenkreuz-Tattoos auf der Wade offen zu schau. Die Akteure der sogenannten „Baselballschlägerjahre“ sind nicht weg, sondern lediglich gealtert.

"Baseballschlägerjahre" und Sozialdarwinismus

Es sind die Jahre, die durch Pogrome und die alltägliche Manifestation der Gewalt und des Rassismus geprägt sind. Die Jahre, in denen Amadeu Antonio 1990 in Eberswalde angegriffen wird und in denen Farid Guendoul 1999 nach der „Hetzjagd durch Guben“ verstirbt. Die Zeit, in der linke und alternative Jugendliche und Punks auf der Straße angegriffen werden und diese Angriffe nicht überleben, wie Sven Beuter 1996 in Brandenburg an der Havel und Mike Zerna 1993 in Hoyerswerda. Es ist die Zeit, in der der NSU in den Untergrund geht und in der sich das eigene Überlegenheitsgefühl gegen alle richtet, die nicht in ein neonazistisches Weltbild passen – darunter auch wohnungslose und arme Menschen.

Die gezielte sozialdarwinistisch motivierte Gewalt von Neonazis gipfelte oftmals in brutalen Morden, teils mit langer Folter mit dem Ziel, den Opfern größtmögliche Qualen zu bereiten und sie zu erniedrigen. Die starke Entmenschlichung der Betroffenen in einem Weltbild, in dem ihr Leben bereits als „unwert“ eingestuft wird, zeigt sich hier auch in der Brutalität der Taten. Wenn Täter festgestellt und ihnen der Prozess gemacht wurde, wurde die Motivation der Täter dabei häufig verharmlost oder ignoriert- wie auch im Fall von Hans-Georg Jakobson.

Der gesellschaftliche Nährboden der Abwertung von vermeintlich „sozial Schwachen“ findet sich jedoch nicht nur am rechten Rand. Auch in der Mitte der Gesellschaft ist der Blick auf Menschen, die als nicht „leistungsfähig“ genug gelten, durch Ausgrenzung, Herablassung oder Paternalismus geprägt. Wohnungs- und obdachlose Personen sind dabei sichtbar und unsichtbar zugleich: Gerade in deutschen Großstädten leben Menschen sichtbar auf der Straße, zeitgleich wird eher über sie gesprochen als mit ihnen. Meist geschieht dies im Kontext der Wohlfahrtshilfe oder im Rahmen ordnungsrechtlicher Maßnahmen. Und noch immer sind sie auch in Brandenburg massiver Gewalt ausgesetzt. So wurde im Juni 2023 ein wohnungsloser Mann in Frankfurt (Oder) von Jugendlichen schikaniert und geschlagen. Die Täter teilten ein Video der Tat über Soziale Medien. Im Juli 2023 wurde in Bernau ein älterer Flaschensammler von zwei Personen beleidigt und angegriffen.

Antifaschistisches Gedenken zwischen Erinnern und Handeln

Die Stadt Strausberg zieht sich mit ihrer Mischung aus Einfamilienhäusern, Villen und Plattenbauten entlang eines idyllischen Sees, dessen Namensgeber sie ist. Nichts erinnert hier an Hans-Georg Jakobson als Todesopfer rechter Gewalt. Nichts markiert diese Brandenburger Kleinstadt als Tatort rechter Gewalt. Im Jahr 1993 gab es eine kaum wahrnehmbare Berichterstattung über den Mord. Die, die es gibt, ist extrem verharmlosend und reproduziert neonazistische Ideologie. Auch Antifaschist*innen haben die Tat zu der Zeit kaum wahrgenommen.

2003 gab es eine erste Kundgebung in Strausberg. Zum 20. Todestag im Jahr 2013 wurde von der Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt und antifaschistischen Gruppen eine Gedenkveranstaltung durchgeführt und erstmals damit begonnen, die Tat aufzuarbeiten. Seit 2021 finden jährlich Gedenkveranstaltungen statt. Das antifaschistische Gedenken an Hans-Georg Jakobson ist eingebettet in das Aufzeigen rechter Kontinuität und das Einfordern eines dauerhaften und sichtbaren Gedenkortes.

In diesem Jahr nahmen über 100 Personen an der Gedenkveranstaltung zum Todestag teil. Neben Grußworten lokaler Politiker*innen aus der Stadtverordnetenversammlung und dem Landtag lag der Fokus auf Sozialdarwinismus als gesellschaftlicher Realität und rechtem Tatmotiv. Sven Huchatz von der Wohnungslosenstiftung e.V. beschrieb eindringlich, wie alltäglich die Gewalt gegen wohnungs- und obdachlose Personen ist und wie sehr die Angst vor Gewalt das Leben auf der Straße prägt. In einer Gesprächsrunde stellten Vertreter der Caritas und der AWO soziale Angebote in der Stadt vor. Ein Vertreter des Vereins Opferperspektive e.V., dem Trägerverein der brandenburgweiten Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, bettete den Mord an Hans-Georg Jakobson in die gewaltvollen 1990er und 2000er Jahre in Brandenburg ein. Aktivist*innen der Günter-Schwannecke-Gedenkinitiative beteiligten sich ebenso am Gedenken wie die Gruppe „Aktives Gedenken in Lichtenberg“, die das Gedenken für Kurt Schneider und Eugeniu Botnari sichtbar im Berliner Stadtbild verankern.

Die gemeinsame Beteiligung lokaler bürgerlicher Akteur*innen und antifaschistischer Initiativen zeigt, dass antifaschistische Erinnerungsarbeit wirkungsvoll ist, wenn sie sensibilisiert, aufklärt und immer wieder deren Relevanz sichtbar macht.

Für mehr Gedenkorte - überall!

Auch in Strausberg wird ein sichtbarer und dauerhafter Gedenkort in Form eines Denkmals für Hans-Georg-Jakobson am Bahnhofsvorplatz Strausberg Vorstadt gefordert. Die Initiative kommt von uns als Aktivist*innen. Wie vielerorts auch sind es Betroffene, Aktivist*innen und Angehörige, die das Gedenken initiieren, durchführen und aufrechterhalten. Kommunen und Land halten sich in der Regel zurück, im besten Fall. Vielerorts müssen Initiativen mit Hindernissen rechnen. Eine Mischung aus Nestbeschmutzer-Mentalität und Ignoranz prägt den Umgang mit dem Gedenken an Todesopfer rechter Gewalt in Brandenburg – auch in Strausberg. Unsere Freund*innen von der Gedenkinitiative an Phan Văn Toàn (vgl. AIB Nr. 133)3 geht es ein paar Gemeinden weiter in Fredersdorf sehr ähnlich. Gedenkorte sind wichtige Bausteine einer lebendigen antifaschistischen Erinnerungsarbeit. Sie entreißen die Opfer der Vergessenheit und mahnen zeitgleich unermüdlich vor rechter Gewalt, Diskriminierung und Ausgrenzung.

Im Rahmen des Gedenkens an den 30.Todestag von Hans-Georg Jakobson hat die Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt Märkisch-Oderland gemeinsam mit dem Kreisverband der VVN-BdA Märkisch-Oderland, der S5-Antifa und den Jungen Humanist*innen Märkisch-Oderland (JuHus) eine gemeinsame Broschüre veröffentlicht.

Diese ist online abrufbar unter: 

https://horte-srb.de/wp-content/uploads/sites/22/2023/07/broschuere_v03…

oder in gedruckter Form bestellt werden: ag-borg [at] horte-srb.de