Die Monetarisierung des rechten und verschwörungsideologischen Online-Aktivismus
Bundesarbeitsgemeinschaft „Gegen Hass im Netz“ (Gastbeitrag)Die Finanzierung extrem rechter und verschwörungsideologischer Bewegungen ist traditionell vielfältig. Mit der Digitalisierung und der Verlagerung der Aktivitäten auf Online-Plattformen zeichnet sich ein Wandel ab. Wo früher Großspender*innen, Konzerte, Kundgebungen und Merchandise die Geldtöpfe der Bewegungen füllten, buhlen nun Medienaktivist*innen und Influencer*innen um finanzielle Unterstützung und monetarisieren Inhalte, die sie über digitale Plattformen verbreiten.
Diese neuartige Form der crowd-basierten Mikrofinanzierung hat nicht nur neue Akteure hervorgebracht, die durch ihre digitale Dauerpräsenz Aufmerksamkeit erlangen, sondern auch eine Vielfalt von digitalen Bewegungsunternehmer*innen, die sich ausschließlich oder zum Großteil über ihren digitalen Aktivismus finanzieren. Besonders schillernde Einzelpersonen wie der als „Volkslehrer“ bekannt gewordene Nikolai Nerling eignen sich für eine digitale Inszenierung.
Mittels regelmäßiger Postings und kontinuierlicher Interaktion gelingt es diesen Profilbetreiber*innen, ihre Abonnent*innen emotional an sich zu binden, indem sie eine vermeintlich authentische Darstellung pflegen. Die parasoziale Bande lässt sich durch Darstellungstechniken wie die direkte Ansprache, den Blick in die Kamera oder die Responsivität in den Kommentaren intensivieren. Dadurch gewinnen die neuen Meinungsführer*innen und ihre Botschaften an Überzeugungskraft – ein Prinzip, das sich bis dato insbesondere Marketingabteilungen und Werbeagenturen zunutze machten.
Um einen Teil der digitalen Finanzströme zu erforschen, hat die Bundesarbeitsgemeinschaft „Gegen Hass im Netz“ einen großen Telegram-Datensatz analysiert. Aus zwölf Millionen Nachrichten von rund 1.200 verschwörungsideologischen und extrem rechten Kanälen wurden Hyperlinks, Bankverbindungen und Kryptokonten extrahiert. Aus diesen Daten konnten insgesamt 265.000 Nachrichten identifiziert werden, die auf eine Monetarisierung hinweisen: Hierunter fallen solche, die Verlinkungen zu Online-Shops, Marktplätzen, Videoplattformen und Transaktionsdiensten beinhalten oder direkt auf Bankverbindungen, Paypal-Konten oder Krypto-Wallets verweisen.
Monetäre Anreize des digitalen Aktivismus
Die Angabe einer Bankverbindung ist das am häufigsten verwendete Mittel, um unmittelbare Finanztransaktionen zu ermöglichen. In knapp 35.000 Nachrichten konnten IBANs identifiziert werden. Insbesondere Kanäle, die mit der "Querdenken"-Bewegung in Verbindung stehen, sowie solche, die "QAnon"-Gläubigen und dem Verschwörungsmilieu zuzuordnen sind, machen vergleichsweise oft von dieser Methode Gebrauch.
Zusätzlich eröffnet Paypal eine weitere Möglichkeit, um Geldflüsse direkt abzuwickeln: Insgesamt wird in etwa 28.000 Nachrichten auf die Verwendung von Paypal hingewiesen. Im Gegensatz dazu spielen Verlinkungen zu Krypto-Wallets eine weniger bedeutende Rolle. Lediglich in 2.641 Nachrichten konnten solche Adressen identifiziert werden.
Betrachtet man die indirekten Formen der Finanzierung, ist der „KOPP-Verlag“ mit rund 90.000 Verlinkungen die populärste Quelle. Hier wird neben einschlägigen Büchern und Nahrungsergänzungsmitteln allerlei Krisenzubehör feilgeboten. Viele der Verlinkungen stammen aus einer kleinen Gruppe von Kanälen, zu der Szenegurus wie die frühere Tagesschau-Sprecherin Eva Herman zählen. Auch „der Wendler”, der sich mittlerweile von Telegram zurückgezogen hat, nutzte das Geschäft mit Produktplatzierungen beim „KOPP-Verlag“.
Die Plattform Amazon spielt ebenfalls eine bedeutende Rolle im Monetarisierungskalkül der Akteure: Auf den Marktplatz wird in knapp 12.000 Nachrichten verwiesen. Etwa 42 Prozent dieser Verweise sind sogenannte Affiliate-Links, bei denen Amazon den Verlinkenden eine Provision für den Vertrieb von Produkten anbietet und somit am digitalen Geschehen partizipiert.
Ein Kanal, der intensiv von diesen Affiliate-Links Gebrauch macht, sind die „Unabhängigen Nachrichten“ (Nachrichtenportal). Hier finden sich neben Büchern, die den Untergang Deutschlands prophezeien, auch Informationen zu Wasserfiltern, die im vermeintlichen Krisenfall sauberes Trinkwasser garantieren würden. Das Vorgehen folgt einem klaren Muster: Die Absicht ist es, zuerst Besorgnis zu schüren und anschließend die Lösungen anzubieten, was dem Absatz entsprechender Produkte zuträglich sein dürfte.
Teilweise haben die auf wirtschaftliche Verwertung ausgerichteten Akteure eigene Plattformen ins Leben gerufen. Insbesondere aus dem Umfeld der „Querdenken“-Bewegung wird beispielsweise rund 2.000 Mal auf die Webseite der „Klagepaten“ verwiesen. Dort wird nicht nur über Unterstützungsmöglichkeiten vermeintlicher Opfer der Anti-Corona-Maßnahmen informiert, sondern es wird auch um Spenden geworben, um ihre „Arbeit“ aufrechtzuerhalten.
Die gläsernen Vitrinen der Kryptowährung
Obschon die Angabe von Kryptokonten im Hinblick auf Häufigkeit eine periphere Rolle einnimmt, gewähren die Alternativwährungen dennoch Einblicke in reale Geldströme und -mengen. Zusammenfassend betrugen die eingehenden Transaktionen auf die insgesamt 89 identifizierten Bitcoin- und Ethereum-Konten einen Gesamtwert von ungefähr 702.400 Euro.
Beim Werben um Spenden kooperierten die Kanäle vergleichsweise wenig. Lediglich "Querdenken"-Kanäle wiesen ein hohes Maß an Organisationsdisziplin und Spendenmobilisierung auf, indem sie vor allem für Konten warben, hinter denen Michael Ballweg steht. Auffällig ist aber auch, dass die Wallets, für die viele Akteure werben, nicht unbedingt die am besten gefüllten sind.
Gerade diejenigen, für die nur wenige Akteure werben, weisen die höchsten Kontostände auf, wie wir bei Ken Jebsen1 , Roger Bittel oder Heiko Schrang sehen: alles Personen, die dem verschwörungsideologischen Influencer-Typus zugeordnet werden können. Speziell Schrang kam so auf einen Gesamteingang von knapp 65.000 Euro durch Bitcoin-Überweisungen.
Spannend ist auch, dass sich die jeweiligen Akteure nicht gegenseitig finanziell unterstützen: Kein Akteur transferierte Kryptowährungen zu einem anderen. Außerdem fällt auf, dass es keine Großfinanziers gibt, die größere Summen auf mehrere der identifizierten Akteure überweisen. Lediglich von neun natürlich anmutenden externen Konten gingen Transaktionen auf bis zu drei Konten aus dem extrem rechten und verschwörungsideologischen Spektrum ein. Diese waren allerdings nur kleine Beträge zwischen 3,50 Euro und 190 Euro. Einen relativ hohen Eingang an Transaktionen mit einem Gegenwert von rund 13.700 Euro konnte auch der extrem Rechte Nikolai Nerling verbuchen.
Die Geburt des Milieu-Managers
Die neuen Einnahmemöglichkeiten der Crowdfinanzierung verändern die Funktionsweise von politischen Bewegungen, ermöglichen sie doch eine Kommerzialisierung des politischen Aktivismus, die eine neue Form des Unternehmertums samt persönlicher Bereicherung hervorbringt. So finden wir einen neuen Typus von Personen, die Hass und Hetze zu einem Geschäftsmodell machen: den Milieu-Manager.
Im Gegensatz zum Bewegungsunternehmer, der die extrem rechte Bewegung durch seine Führungs- und Organisationstalente voranbrachte, geht es dem Milieu-Manager darum, sich selbst zu vermarkten. Hierzu sehen wir – angelehnt an die Influencer-Industrie – individuelle Digitalformate, eigene Brandings und Merchandise-Shops.
Die Konkurrenz auf dem demokratiefeindlichen Influencer-Markt sorgt dafür, dass die ideologischen Überlegungen bei der Kreation von politischen Inhalten zunehmend mit dem monetären Kalkül ausbalanciert werden müssen – insbesondere wenn die zu verteilenden Ressourcen knapper werden. Inwieweit dies lang- und mittelfristig neue Konfliktpotenziale in der Bewegung befeuert, bleibt zu beobachten.
Die Forschungsstelle der Bundesarbeitsgemeinschaft „Gegen Hass im Netz“ hat eine ausführliche Analyse mit interaktiven Grafiken zur Monetarisierung in der Ausgabe Nr. 3 des Online-Magazins „Machine Against the Rage“ veröffentlicht unter: https://machine-vs-rage.bag-gegen-hass.net/jeder-wirbt-fur-sich-allein
- 1Bürgerlicher Name Kayvan Soufi-Siavash