Skip to main content

Orbán: Früher Taktgeber, heute zweite Reihe?

Ulli Jentsch (Gastbeitrag)
Einleitung

Anfang Februar 2024 hat Viktor Orbán, der ebenso unangefochtene wie autoritäre Premier Ungarns, ein Zeichen gesetzt: er erklärte seine Bereitschaft, nach den EU-Wahlen im Juni 2024 mit der Fidesz-Partei neues Mitglied der Fraktion der "Europäischen Konservativen und Reformer" (EKR) zu werden. Damit hat er seinen größten Trumpf innerhalb der EU-Rechten ausgespielt und sich unter die Führung der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni begeben.

Viktor Orban
(Foto: European People's Party; CC BY 2.0 Deed)

Viktor Orbán sucht EU-weit und global rechte Mehrheiten.

Die Aufgabe der ungarischen Blockade von EU-Mitteln für die Ukraine hatte Orbáns Schritt erst möglich gemacht. Wenige Tage zuvor hatte der Vizepräsident der konkurrierenden "Identität & Demokratie" (ID), der AfDler Gunnar Beck, Orbán noch in seine Fraktion eingeladen.

Orbán ist seit mehr als einem Jahrzehnt als Taktgeber einer extrem rechten Politik in Mitteleuropa weltweit beliebt und dient vielen aufstrebenden Rechtsaußen als Vorbild, so auch der deutschen AfD. Sein Land sieht Orbán als einen „Inkubator, in dem Experimente zur Zukunft der konservativen Politik durchgeführt werden“. Seine Opposition gegen die angeblich linken Eliten in der EU, die Tiraden gegen einen woken, „anti-christlichen“ Kampf der Linken gegen die „europäische Identität“ und nicht zuletzt seine autoritären Maßnahmen während der Migrationskrise 2016 gaben vielen die Richtung vor. Seine Beliebtheit in der globalen Rechten geht weit über enge, parteipolitische Freundschaften hinaus.

Das Land regiert Orbán mit einer bequemen 2/3-Mehrheit zusammen mit den Christdemokraten als Juniorpartner gesichert bis zu den nächsten Wahlen in 2026. Weder der oppositionelle 6-Parteien-Block, von der in die Mitte gerückten Jobbik bis zu den Sozialdemokraten, kann ihm derzeit im Parlament gefährlich werden, noch die extrem rechte Bewegung „Unsere Heimat“ (Mi Hazánk Mozgalom - MHM), eine Rechtsabspaltung aus der Jobbik. Erst im Januar besuchten Mitglieder der AfD eine MHM-Konferenz, offenbar
um weitere Mitglieder für die ID-Fraktion zu keilen.

Wo steht Ungarn?

Seit dem Jahr 2021, nachdem die Fidesz (Ungarischer Bürgerbund) aus der Fraktion der europäischen christdemokratischen Parteien, der EVP (Europäische Volksparteien), ausgetreten war, hatte sich Orbán auf die Suche nach neuen Mehrheiten gemacht, die seine EU-kritische Politik unterstützen wollten. Mit seiner Nähe zu Russlands Staatschef Putin, einer homo- und transfeindlichen Agenda mit entsprechend diskriminierender Gesetzgebung und einer aufwendigen finanziellen Förderung der „natürlichen Familie“ machte er deutlich, wie er sich eine Erneuerung Europas vorstellte. Aus einer selbsterklärten christdemokratischen Tradition strebt die Fidesz unter Orbán eine „illiberale Demokratie“ an: 

„Die liberale Demokratie ist liberal, die Christdemokratie ist per definitionem nicht liberal, sie ist sozusagen illiberal. Und das können wir in einigen wichtigen Angelegenheiten, sagen wir in drei großen Angelegenheiten, konkret formulieren. Die liberale Demokratie steht auf der Seite des Multikulturalismus, während die Christdemokratie der christlichen Kultur den Vorrang einräumt, was ein illiberaler Gedanke ist. Die liberale Demokratie befürwortet die Einwanderung, die Christdemokratie ist gegen die Einwanderung (...). Und die liberale Demokratie steht auf der Seite der variierbaren Familienmodelle, während die Christdemokratie auf der Grundlage des christlichen Familienmodells steht, was ebenfalls ein illiberaler Gedanke ist.“

2021 setzte die Fidesz zunächst auf einen als „Großbündnis für freie Vaterländer und gegen EU-Zentralismus“ gefeierten Zusammenschluss, in dem auch die großen Mitglieder der jetzigen ID-Fraktion vertreten waren, wie die Lega aus Italien oder die österreichische FPÖ. Dieses Bündnis blieb in den ersten großen Absichtserklärungen stecken, aber Orbán hielt weiterhin die Türen in alle Richtungen offen: von der CSU bis hin zur AfD. Sollte Orbán bei seiner jetzigen Ankündigung bleiben, wäre von dem „Großbündnis“ kaum noch jemand dabei.

Die Zuneigung zwischen Orbán und der globalen Rechten ist nicht nur ideologisch begründet, sondern auch durch finanziellen Einsatz erkauft. In den letzten Jahren war Budapest das europäische Zentrum für internationale Tagungen und Konferenzen. Alleine in den letzten zwei Jahren fanden in Budapest zwei hochrangig besetzte Treffen des "Conservative Political Action Conference“ (CPAC) statt, der "IV. Transatlantic Summit", ausgerichtet durch das "Political Network for Values" (PNfV), fand im Mai 2022 statt, dazu noch ein "Demographic Summit" im September 2023: Alles Konferenzen mit globaler Beteiligung von mehreren Hundert Personen, darunter Vertreter*innen von Regierungen und Parlamenten. 

Hinzu kamen weniger spektakuläre Events, die aber ebenso illustre Runden der europäischen Rechten versammelten, wie ein Treffen der Mitglieder der Europäischen Konservativen in der Parlamentarischen Vertretung im Europarat im Juni 2023.

Wie das internationale Ipas Netzwerk im Dezember 2023 dokumentierte, wurde das PNfV, in dem sich vorrangig latein-amerikanische extreme Rechte unter dem Chilenen Antonio Kast organisieren, von der ungarischen Regierung indirekt finanziell unterstützt. Ipas nannte die Summe von über 400.000 Euro. Schlüsselfigur für den ungarischen Einfluss beim PNfV ist Katalin Novák, die 2022 Präsidentin Ungarn geworden war. Novák hatte sich an der Seite Orbáns als Anwältin für das „christliche Familienmodell“ profiliert und musste soeben, Anfang Februar 2024, zurücktreten, weil sie einen verurteilten Straftäter begnadigt hatte, der wegen des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen verurteilt worden war.

Illiberale Allianzen

In allen Treffen und Koalitionen hat Ungarn die eigene politische Agenda und die der globalen Rechten gepusht: Kampf gegen Migration, Kampf gegen Feminismus, Leugnung des Klimawandels und der Kampf gegen eine „globale Linke“. In seiner Eröffnungsrede zur CPAC Konferenz im Mai 2023 in Budapest drückte Orbán dies mit dem Rückgriff auf das Bild eines alles zersetzenden Virus aus:

„Wir werden alle angegriffen - sowohl in Europa als auch in Amerika. (...) Der Angriff ist nicht wirtschaftlicher Natur: Wir haben es mit einer biologischen Waffe zu tun. Ein Virus wurde gegen uns eingesetzt. Das Virus wurde in fortschrittlichen liberalen Labors entwickelt. (...) Es ist ein die Nation verschlingender Virus. (...) Dieser Virus ist nicht einfach entkommen: Er wurde gezüchtet, er wird vermehrt und verbreitet sich auf der ganzen Welt. Migration, Geschlecht und Erwachen: all das sind nur Varianten - Varianten desselben Virus.”

An dieser Konferenz nahm als einziger deutscher Redner der - damals noch - CDUler Hans-Georg Maaßen teil. Unter den Besucher*innen waren die AfD-Mitglieder Stefan Keuter und Jurij Kofner zu finden sowie der "Junge freiheit"-Chef Dieter Stein. Keuter, vielreisendes AfD-Mitglied im Vorstand der Bundestagsfraktion, zeigte sich in Budapest zusammen mit David Bendels, dem Herausgeber des "Deutschland-Kuriers", sowie Johannes Schüller und Silke Schröder, die beide dort schreiben. Schröder musste erst vor kurzem wegen der Teilnahme an dem "Potsdamer Treffen" ihren Hut beim "Verein Deutsche Sprache" nehmen. Auch andere Repräsentanten der AfD zeigten sich angesteckt von der Stimmung in Budapest, wie nur einen Monat später Nicole Höchst und Norbert Kleinwächter beim oben erwähnten Treffen der Konservativen aus dem Europarat. 

Höchst war sich sicher, dass man dort mindestens „Geschichte geschrieben“ habe. In einem Artikel der deutschsprachigen Orbán-nahen „Budapester Zeitung“ hieß es, „Fidesz arbeitet darauf hin, dass die EKR bei den Europawahlen 2024 weiter zulegen, um anschließend im Europaparlament den zweiten Platz unter den größten Fraktionen einzunehmen.“ Tatsächlich werden sowohl der EU-skeptischen EKR als auch der ablehnenden ID-Fraktion deutliche Gewinne bei den Wahlen im Juni 2024 zugetraut. Das dürfte die Balance im Parlament auf jeden Fall verschieben, eventuell sogar zu einem Machtwechsel führen.

Orbáns Diplomatie der vergangenen Jahre hat aber auch immer auf den rechten Rand der christdemokratischen Parteien gezielt. Neben Maaßen, der nun die "Werteunion" gründet, haben auch andere Rechte in der Union immer wieder ihre Sympathien für Orbán deutlich gemacht. Man ist sogar in einem gemeinsamen Verband organisiert, der "International Democracy Union" (IDU), einer Internationale der Konservativen und Christdemokraten, der 70 Parteien weltweit angehören. Sitz ist in der Münchener Parteizentrale der CSU. 

Die Freundschaften mit Orbán sind auch in Deutschland auf mehrere Lager verteilt.

Nachtrag AIB:

Fidesz verzichtete auf einen Beitritt zu der EU-Fraktion der "Europäischen Konservativen und Reformer" (EKR), nachdem Abgeordnete der rumänischen Partei "Allianz für die Vereinigung der Rumänen" in die EKR-Fraktion aufgenommen worden waren. Die Partei "Fidesz – Ungarischer Bürgerbund" wirft der rumänischen Partei eine „extreme anti-ungarische“ Haltung vor. Viktor Orbán, Andrej Babis und Herbert Kickl machten Ende Juni 2024 Pläne für die Gründung eines neuen Fraktionsprojekts namens "Patrioten für Europa" durch Fidesz (Ungarn), "Politické hnutí ANO 2011" (Tschechien) und "Freiheitliche Partei Österreichs" bekannt.