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Ungarn: Der Traum von Eurasien

Magdalena Marsovszky (Gastbeitrag)
Imre Makovecz
(Bild: Fortepan/ID124744/Urbán Tamás, CC BY-SA 3.0 Deed)

Imre Makovecz „Schöpfer der ungarischen organischen Architektur“ und Viktor Mihály Orbán sein „Meister“.

2014 hat der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán die Abkehr von westlichen Werten und die Hinwendung zum Osten deklariert: „Der neue Staat, den wir aufbauen, ist ein illiberaler Staat, ein nicht liberaler Staat. Er leugnet zwar nicht die Grundwerte des Liberalismus, wie Freiheit, und ich könnte noch einige hinzufügen, aber er macht diese Ideologie nicht zum zentralen Element der Staatlichkeit, sondern er enthält stattdessen einen davon abweichenden spezifischen, nationalen Ansatz.“1
Zugleich nannte er östliche Staaten, wie Singapur, China, Indien, Russland und die Türkei, nach denen sich Ungarn hinsichtlich seines neuen staatlichen Organisationsprinzip richten könne. In den Medien hieß es, der Premier hätte die illiberale Wende eingeläutet, würde Putin nachahmen und hätte der liberalen Demokratie den Kulturkampf angesagt.

Ein analytischer Zugang müsste jedoch weiter ausholen und sich fragen, wo die Vorzeichen des 2014 deklarierten Orbánschen Illiberalismus‘ und die der Hinwendung zum Osten bereits früher wahrnehmbar waren. Und hier müssen wir auf das Jahr 1994 zurückblicken, denn dies war ungefähr die Zeit, als Orbáns Fidesz Partei der zuvor vertretenen liberalen
Demokratie den Rücken kehrte und sich dem ‚christlich-nationalen‘ Konservatismus zuwandte.

Der Historiker und Weggefährte Orbáns, Miklós Szabó erklärte Orbáns Kehrtwende hinsichtlich seiner Weltanschauung mit psychologischen und sozialpsychologischen Momenten, in denen die Herkunft der Fidesz-Gründungsmitglieder aus dem dörflichen Milieu und die damit einhergehenden Minderwertigkeitsgefühle Großstadtintellektuellen gegenüber eine Rolle zu spielen vermochten. Der fortan bevorzugte ‚christlich-nationale‘ Konservatismus hätte aber in Ungarn immer schon das dezidierte Gegenteil der liberalen Demokratie bedeutet. In Anlehnung an die Zwischenkriegszeit und weiter zurück an das 19. Jahrhundert sei er vielmehr durch das Wiederaufleben der spezifisch ungarischen ‚Mythologie von dreitausend Jahren‘ bestimmt gewesen.

Es geht also nicht darum, dass Orbán Putin nachahmt, sondern vielmehr darum, dass im autoritären Realsozialismus unreflektiert gebliebene Reflexe aus der früheren Vergangenheit in den letzten dreißig Jahren erneut zum Leben erwachten. Da der demokratische Widerstreit als Chaos gelesen wird, ist für viele die Esoterik mit ihren Erlösungsfantasien eine geistige Orientierung.

Eurasischer Abstammungsmythos – Teil des gegenwärtigen Grundgesetzes

Unter den ideologischen Vorbildern des ungarischen Konservatismus verwies Szabó auf die Anschauungen des faschistischen Kulturphilosophen und Mussolini-Beraters Giulio Evola sowie auf die des deutschen Philosophen Carl Schmitt. Er hätte ruhig auch den im Kaisertum Österreich (heute Kroatien) geborenen Anthroposophen Rudolf Steiner erwähnen können, dessen Spuren in der Kulturpolitik deutlich wahrnehmbar sind. 

Hinzu kommt noch der Mythos von der ‚Heiligen Ungarischen Krone‘, in dem vermeintlich eine Verbindung zwischen der Glaubensgemeinschaft des ‚Magyarentums‘ und dem kosmischen ‚Astralreich‘ (Ausdruck aus der Theosophie/ Anthroposophie) hergestellt werde und die Nationalgläubigen (wie sich Konservative selbst nennen) mit übermenschlichen Kräften versorge. Wichtigste Message dieses Kronenmythos‘, heute unter der Bezeichnung
‚historische Verfassung‘ in der Präambel des Grundgesetzes (2012) erwähnt, beinhaltet den fernöstlich-eurasischen, primordialen (turanischen, skythischen) Abstammungsmythos des ‚magyarischen Volkstums‘ und die ‚sakrale Weltordnung‘, genannt ‚Astralität‘.

Die erwähnten Momente werden zwar in der Kommunikation der ungarischen Regierung weiterhin als ‚christlich-national‘ propagiert, doch sie bedeuten auch das dezidierte Gegenteil des christlichen Universalismus, wird doch in ihnen auch Christus – im Sinne der anthroposophischen Deutung – als Prophet des (kosmischen) Lichts und als ‚Arier‘ gedeutet.

All die aufgezählten Einzelelemente, auf die heute die Orbán-Regierung rekurriert, können unter dem Stichwort Esoterik zusammengefasst werden. Das, was heute Eurasianismus oder Neu-Eurasianismus genannt wird, wurzelt in der Esoterik des 19. Jahrhunderts. 

Ungarn war sowohl Teil des Habsburgerreiches, bzw. der Monarchie, als auch später, in der Zwischenkriegszeit, aktives Mitglied in der europaweiten esoterischen Bewegung. Diese war auch im Realsozialismus aktiv, nur eben im Untergrund, und konnte daher nach der Wende 1989 ihre missionarischen Erlösungsfantasien wieder ungehindert ausleben. Die junge Demokratie war nicht imstande, dem völkischen Druck demokratisch entgegenzutreten, so dass die Esoterik die Gesellschaft infiltrieren konnte und 2010 mit der zweiten Orbán-Regierung sogar zum Staatsprinzip wurde.

Grundlagen des hermetischen Weltbildes der Esoterik

Grundlage der völkischen Esoterik in Ungarn ist die antiindividualistische Vorstellung der Nachaufklärungszeit über die Existenz von homogenen Volksgemeinschaften, ja eigentlich Art-, bzw. Rassengemeinschaften, die nebeneinander existieren und im Sinne einer transzendentalen ‚heiligen Geographie‘ agieren können, die auch den Revisionismus und hegemonistische, imperiale Vorstellungen legitimiert. 

Die Auffassung, dass den Rassenmagyaren‘ im Karpatenbecken eine Hegemonie zustehe, wurde in Ungarn etwa ab Ende des 19. Jahrhunderts vertreten und bildet heute die Grundlage des ‚Revisionismus‘ der Orbán-Regierung. 

Spiritistische Bewegungen, wie die okkult-rassenmystische Theosophie, die Anthroposophie oder auch die Ariosophie fanden in Ungarn ab Ende des 19. Jahrhunderts immer mehr Anhänger:innen. Aus ihnen entwickelte sich ein geschlossenes (hermetisches) Weltbild. Dessen Grundlagen sind Anti-Thesen: es ist antiindividualistisch, antiliberal, antidemokratisch, gegenaufklärerisch, anti- und gegenmodern, antiemanzipatorisch, menschenfeindlich, antiwestlich, männlich-hierarchisch, frauenfeindlich. Es ist zugleich antichristlich, da es die universal-christliche Gnade und Nächstenliebe nicht kennt. Auch die an Quellen orientierte Wissenschaft, wie die Evolutionslehre und das rationale Denken sind diesem Weltbild suspekt. 

Es orientiert sich an Mythen, an Metaphysik und am Idealismus, weil vermeintlich nur diese Empathie wecken könnten. Es kritisiert den ‚materialistischen Pragmatismus‘, der mit dem Mangel an Empathie gleichgesetzt wird.

Dieses hermetische Weltbild ist auch apokalyptisch: In ihm ist die (paranoide) Angst vor dem ‚Untergang der Zivilisation‘ so groß, dass lieber eine Zerstörung (z.B. durch einen Krieg) herbeigesehnt wird, um endlich ‚erlöst‘ zu werden. Erlösung heißt aber ‚Erlösung von den
lebensunwerten Feinden‘, das heißt vom vermeintlich Bösen, das der hermetischen Tradition im Wege stehe. Je nachdem, wie diese Feinde definiert werden, kann deshalb diese im hermetischen Sinne gedachte Erlösung zum Genozid führen.

Gefördert wird dagegen der vermeintlich Gute, der sich zur Glaubensgemeinschaft zählt und so zum Erhalt der Volksgemeinschaft beiträgt.

Verbreitung der Esoterik

Der als nationales Trauma erlebte Vertrag von Trianon/ Versailles (1920), nach dem Ungarn – im Ersten Weltkrieg auf der Verliererseite – zwei Drittel seiner Gebiete an die Nachbarländer abtreten musste, führte in den 1920er und 1930er Jahren zur sprunghaften Verbreitung von spiritistischen Denkrichtungen in Ungarn. Schon damals gab es Bestrebungen, die Nation und die Welt zu ‚erleuchten‘ und eine ‚neue Weltordnung‘ zu erschaffen. In den intellektuell trist aussichtslosen 1960er Jahren, während des Realsozialismus, wurde die Esoterik - allerdings als Untergrundbewegung - sogar in den Widerstand gegen die sowjetische Besatzungsmacht integriert.

Wichtigster Esoteriker war der philosophisch orientierte Bibliothekar Béla Hamvas, der von einem ‚Goldenen Zeitalter‘ (gemeint als Astralreich) träumte. Nach der Wende wurde bereits 1992 die ‚Magyarische Künstlerische Akademie‘ (MMA) gegründet, dessen Leiter, der anthroposophische Architekt Imre Makovecz, bereits in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre in Viktor Orbán den Politiker sah, der die Rückkehr des Bösen, nämlich die ‚der Kommunisten‘ (verstanden als ‚judeobolschewik‘) verhindern könne. Auch Orbán sah in ihm einen seiner ‚Meister‘. Nicht zufällig heißt es heute, Makovecz hätte „die Fähigkeit dazu gehabt, das von Hamvas beschriebene Goldene Zeitalter aufzurufen“2

Fidesz‘ Weg zur Esoterik

Schon in der ersten Amtszeit Orbáns 2000 wurde die ‚Heilige Ungarische Krone‘ aus dem Nationalmuseum feierlich ins Parlament überführt und an der zentralen Stelle unter der Kuppel aufgestellt. Damit wurde auch symbolisch die Sakralisierung der Nation zur Leitlinie der Staatlichkeit. Ebenfalls 2000 wurde mit der Eröffnung des „Instituts für Kulturforschung“ Béla Hamvas die Pflege von Hamvas’ geistigem Erbe institutionalisiert. Und Herbst 2002, nachdem Fidesz die Wahlen verloren hatte, wurden dem Aufruf Orbáns zufolge 11.300 (völkisch-esoterische) so genannte Bürgerkreise gegründet, in denen Strategien zum ‚nationalen Widerstand‘ gegen die ‚zurückgekehrten Kommunisten‘ ausgearbeitet wurden. 

Das war die Zeit, als Fidesz die kulturelle Hegemonisierung der Gesellschaft (von rechts)
bewusst anwandte. Das Thema ist Orbáns Spezialgebiet, hatte er doch seine Diplomarbeit 1988 über die Thesen von Antonio Gramsci geschrieben. Durch eine ausgeklügelte Strategie wurden also in den Folgejahren nach und nach Fidesznahe Medien gegründet, die sowohl die Richtlinien aus der Parteizentrale, als auch die Gesprächsrunden der nationalbewegten ‚Grassroots-Bewegung‘ übertrugen.

Bereits 2006 war davon die Rede, dass Orbán der „spirituelle Führer“ der ungarischen Rechten sei, der nicht abgewählt werden könne, da er diese Rolle für sich selbst erkämpft habe.3

Ab 2008 war es ebenfalls klar, dass im Falle eines Wahlsieges, die neue Orbán-Regierung die bestehende Verfassung durch eine neue ersetzen wolle, in deren Zentrum die ‚Heilige Ungarische Krone‘ stehen würde. Da die damalige Regierung dem massiven völkisch-esoterischen Druck der oppositionellen Konservativen nichts entgegensetzte, konnten die Konservativen unter Leitung von Viktor Orbán 2010 einen phänomenalen Wahlsieg erreichen.

Politik der Orbán Regierung

Heute vertritt die Orbán-Regierung die These, dass das Magyarentum ein Volk des ‚heidnischen Ostens Eurasiens‘ sei, das vom sakralen Weg abgekommen sei, jedoch erneut von der kosmischen, östlichen Spiritualität durchdrungen werden sollte. Die ‚Astralreligion eines kosmischen Christentums‘ ist in der Kultur- und Bildungspolitik überall wahrnehmbar.
 

Erwähnt werden muss zunächst, dass von der Orbán-Regierung verabschiedete Grundgesetz mit dem Titel ‚Nationales Glaubensbekenntnis‘ (Gedicht einer ungarischen Theosophin, 1920) und mit dem Untertitel ‚Gott segne den Magyaren‘ (aus der Nationalhymne, 1823), in seiner Präambel die ‚historische Verfassung‘ nennt.

Die Symbolik ist keine leere Hülse, denn im Art. R Abs. 3 steht: „Die Bestimmungen des Grundgesetzes sind im Einklang mit deren Zielen, mit dem enthaltenen Nationalen Bekenntnis und mit den Errungenschaften der historischen Verfassung zu interpretieren“.4

Die Erwähnung der ‚Heiligen Krone‘ in der Präambel legitimiert den Revisionismus, denn sie verweist auf Gebiete der Nachbarländer, die früher zum Kronenland Ungarn gehörten. Und die Erwähnung vom ‚Karpatenbecken‘ deutet nicht nur auf die ‚Mythologie von dreitausend Jahren‘ mit der eurasischen Abstammungsthese, sondern auch auf die transzendentale ‚heilige Geographie‘, die die kulturelle Hegemonisierung dieser Länderteile vom ‚Mutterland‘ Ungarn aus legitimiert.

Die esoterische Tendenz ist auch an der Arbeit der im Grundgesetz konstitutionell verankerten Ungarischen Akademie der Künste (MMA) nachzuvollziehen, die heutzutage die wichtigste Förderin der völkischen, ja esoterischen Kunstszene ist. Ihr Ziel ist das Zurückdrängen der (mit den antisemitischen Codes) als „kommunistisch“, „internationalistisch“ und „kosmopolitisch“ diffamierten demokratisch-emanzipatorischen Tendenzen mithilfe der völkisch-patriotischen Ideologie.

Die primordiale (eurasische) Herkunft ist auch wichtigstes Thema des 2019 von der Orbán-Regierung gegründeten Ahnenforschungsinstituts, das auf seiner offiziellen Facebookseite die ‚Geburt des Lichts zur Sonnwendfeier‘ und das astralreligöse Erbe der Vorfahren der Magyaren begrüßt.

Als Manifestation der kulturellen Hegemonisierung wurden in den vergangenen dreizehn Jahren zahllose Straßen und Plätze umbenannt, neue Feier- und Gedenktage eingeführt, Denkmäler entfernt, neue geschaffen, und der öffentliche Raum wurde in Anlehnung an den Irredentismus der Zwischenkriegszeit umgestaltet. Die mythischen Tierskulpturen, die im öffentlichen Raum zu sehen sind, wie z.B. der ‚Turul-Greif‘ oder der ‚Wunderhirsch‘, werden ebenfalls in der ‚historischen Verfassung‘ erwähnt.

In monumentalen historischen Filmen, in den Medien, in Ausstellungen und im öffentlichen Raum werden die heroische Vergangenheit und die primordiale Herkunft des Volkstums der Magyaren suggeriert. Staatliche Institutionen kommunizieren Vorstellungen etwa über die direkte ethnogenetische eurasische Abstammung, z.B. von den Hunnen, die von Skythien
eingewandert seien.

Nach den bereits 2011 niedergelegten kultur-, medien- und bildungspolitischen Richtlinien, wurden sowohl der Kultur- und Medienpolitik, als auch der Schul- und Bildungspolitik neue, „patriotische“ (esoterische) kulturpolitische Richtlinien zugrunde gelegt. Die jeweiligen Belegschaften wurden stufenweise personell angepasst, liberale Gesinnung durch ‚patriotische‘ ersetzt. Menschen mit neurechter Gesinnung, ja zum Teil ehemalige Rechtsradikale wurden in Führungspositionen berufen. 

So wurde z.B. 2011 der Journalist und Gründungsmitglied der rechtsradikalen Partei (2003) Jobbik, Dániel Papp, zum verantwortlichen Direktor für Nachrichteninhalte beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen und zum Generaldirektor von MTVA (staatliche Organisation für Medien und Kommunikation) ernannt. Der Nationale Kulturrat für die Fachbereiche Theater-, darstellende und visuelle Kunst, öffentliche Sammlungen und Gedenkpolitik, traditionelle Volkskunst und öffentliche Bildungspolitik wurden mit regierungsnahen Fachbereichsleiter:innen in den Führungspositionen gegründet.

Die Schulbildung wird sukzessive umgestaltet: Der rechte Literaturhistoriker Mihály Takaró wurde beispielsweise zum Beauftragten der „patriotischen Umgestaltung“ der schulischen Inhalte und für die Umbildung des lehrenden Personals ernannt. 

Die Wissenschaftsfreiheit wurde stark beschnitten. Mit der Begründung, dass Gendertheorien die biologische Abstammung negieren, wurde an den Universitäten landesweit das Fach Gender Studies verboten. Dahinter steckt die in der Regierung tief verankerte Ablehnung der sozialen und kulturellen Geschlechterkategorie Gender. Diese Ablehnung führte 2020 zur Verabschiedung eines Gesetztes, in welchem das bei Geburt zugewiesene Geschlecht festgeschrieben wird. Die renommierte „Central European University“, die sich dezidiert den Werten der offenen Gesellschaft verpflichtet, musste das Land verlassen und nach Wien umsiedeln.

Die kulturelle Erinnerung beflügelt den nationalen Opfermythos und geht mit Geschichtsrevisionismus und Holocaustrelativierung einher. Die Gedenkpolitik wurde der ‚patriotischen‘ Ideologie angepasst. Zum hundertsten Jahrestag von Trianon/Versailles eröffnete die Regierung eine Trianon-Gedenkstätte, die die Geschichte eindeutig verfälscht. Auch werden die Topoi ‚Trianon/Versailles‘ und ‚Holocaust‘ miteinander parallel gestellt, so dass in einer Täter-Opfer-Umkehrung die ‚Magyaren‘ als unschuldige Opfer erscheinen.

Der Direktor des von der Regierung geförderten, 2014 eröffneten Instituts für Geschichtsforschung VERITAS leugnet die ungarische Verantwortung im Holocaust und die Entrechtung von Jüdinnen und Juden in Ungarn zwischen den beiden Weltkriegen unter dem Reichsverweser5 und Hitler-Verbündeten Nikolaus von Horthy. 

Das international bekannte kritische Institut für die Erforschung der 1956er Revolution wurde hingegen ebenso geschlossen wie das international berühmte Lukács Archiv.

Es dürfte kein Zufall sein, dass an die äußere Front des in den letzten Jahren renovierten Karmeliterklosters in der Burg von Buda, in dem sich heute das Amt des Ministerpräsidenten befindet, eine stehende Skulptur des Erzengels Michael angebracht wurde - ist doch der Erzengel Michael in der Anthroposophie Rudolphs Steiners der Verwalter der kosmischen
Intelligenz.

2023 wurde der „Tag der magyarischen Baukultur“ ausgerufen und als kulturpolitische Leitlinie die Umgestaltung der Baulandschaft im Sinne des anthroposophischen Imre Makovecz‘ festgelegt. 

Kultur- und Bildungspolitik sind Identitätspolitiken (Symbolpolitik), und die deklarierte Absicht der Regierung ist es, die Gesellschaft zu spiritualisieren, sowie die ‚arioheroischsakrale Weltordnung‘ wiederherzustellen. So erscheint auch die Swastika, Sinnbild der primordialen ethnogenetischen, apokalyptischen Erlösungsvision und des eugenischen Ahnenkults immer öfter. Seit 2018 ziert sie eine Bank an der Seite des öffentlichen Gebäudes der Makovecz-Stiftung.

Resumee

Die 2014 deklarierte Vision der Orbán-Regierung geht also auf eine ins 19. Jahrhundert zurückreichende Tradition zurück. Mit der heutigen Hinwendung zum Osten wird die Hinwendung zum eurasischen Kultur- und Wirtschaftssystem vollzogen. Ziel ist die Transformierung der eigenen Gesellschaft, die Neuordnung Europas und der ganzen Welt. 

Die Orbán- Regierung ist eine gegenaufklärerische, gegenemanzipatorische, maskulinisch-hierarchische, menschenfeindliche und rassisierende Position, die sich für eine transnationale ‚Artengemeinschaft‘ ausspricht. Der immer wieder zwanghaft beschworene
Hinweis auf die Christlichkeit bedeutet nicht die Religion der Nächstenliebe, sondern ist im Sinne eines ario-christlichen, eurasischen Ahnenkults zu verstehen, in dem selbst Christus zum Propheten des Lichts wird. Der eurasische Ahnenkult mit der skythischen Abstammungsthese wird z. B. in dem Buch beschworen, das 2019 im MCC-Verlag und 2021 in deutscher Übersetzung im Springer Verlag mit dem Titel „Der ungarische Staat“ erschien und in dem unter anderen auch Carl Schmitts politische Theologie zustimmend rezipiert wird.