Ungarn – Wohlfühlzone für Neonazis
Mel Rothirsch und Andreas Peham (Gastbeitrag)Auch dieses Jahr versammelten sich im Februar hunderte Neonazis in Budapest, um den „Tag der Ehre“ zu feiern. An den, im Andenken an den „Ausbruch“ ungarischer und deutscher Soldaten aus dem Belagerungsring der Roten Armee organisierten Wanderungen in den Wäldern rund um Budapest nahmen rund 3400 Menschen teil, darunter prominente NS-Kader aus Deutschland und Österreich. Einige von ihnen waren erst Anfang Mai 2023 zur neonazistischen „European Fight Night“ nach Ungarn gereist.1
Andere Neonazis, mehrheitlich greise Holocaustleugner, fanden in Orbáns „illiberaler Demokratie“ – zumindest vorübergehend - Zuflucht vor behördlicher Verfolgung. Schließlich zieht es seit einiger Zeit Corona-„Maßnahmenkritiker“ und andere Verschwörungsgläubige zum völkischen Sehnsuchtsort.1
Die von der „Ungarischen Nationalen Front“ (MNA)2 1997 ins Leben gerufene neonazistische Gedenkveranstaltung „Tag der Ehre“ hat sich zu einem der international bedeutendsten Szene-Treffs entwickelt. Ab 2003 übernahmen örtliche „Blood & Honour“-Strukturen die Verantwortung für den Event, seit 2019 wird er maßgeblich von der „Légió Hungária“ (LH) organisiert. Die LH, die 2018 aus der paramilitärischen Organisation der Jobbik-Abspaltung „Mi Hazánk“ hervorgegangen ist, gilt als professionellste ungarische Neonazitruppe und hat die MNA auch in Sachen internationaler Vernetzung beerbt.
Die MNA von István Győrkös begann bereits in den 1980er Jahren mit dem Aufbau eines nationalsozialistischen Propagandanetzwerks, zunächst nahe der westungarischen Stadt Győr in Bőny, wo er ein Anwesen besaß. Dort fanden paramilitärische Ausbildungslager statt, die auch von Neonazis aus Deutschland und Österreich besucht wurden.
Insbesondere die „Alpen-Donau-Gruppe“ um Gottfried Küssel war bis 2011 regelmäßig zu Gast und berichtete auf ihrer Seite über die Trainings. Was diese Zusammenrottungen so bedrohlich werden ließ, war auch die Anwesenheit ungarischer Militärs oder Angehöriger von Spezialkräften des Innenministeriums. Der damals eng mit Küssel befreundete Győrkös knüpfte schnell Kontakte zu Gleichgesinnten im Ausland, in Deutschland und Österreich vor allem auf den alten Kanälen der „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“ (GdNF). Über diese Kanäle flossen auch Gelder in den Aufbau von NS-Strukturen in Ungarn.
Mit der parteipolitischen Institutionalisierung des Neonazismus trat jedoch ab der Jahrtausendwende die MNA immer mehr in den Hintergrund und es kam zu einer Spaltung der Bewegung. Die Neonazi-Skinheadgruppe „Vér és Becsület“ (Blood & Honour) spaltete sich 2001 ab, auch andere Gruppen wie die „Hungaria Skins“ brachen ihre Beziehungen zu Győrkös und seiner Bewegung ab.3
Unter dem Dach der LH vermochten sich einige dieser Gruppen bzw. deren Kader dann wieder zu vereinigen und vor allem zu professionalisieren. Egal, ob „Hammerskins“ oder „Blood & Honour“ – die „White Power“-Subkultur war immer übernational ausgerichtet. Dementsprechend schnell vermochte Ungarn, ab den späten 1990er Jahren zum Ausweichort für Konzerte und andere Szene-(Kampfsport-)Events zu werden, nachdem im Westen die Repressionsschrauben etwas angezogen worden waren.
War es nach 2016 ruhig um Győrkös und die MNA geworden, rückten ihre Kontakte nach Österreich Ende 2020 wieder in den medialen Fokus. Damals mussten sich in Wien Kader der neonazistischen „Europäischen Aktion“ (EA) vor Gericht verantworten. Ihnen warf die Anklage vor, unter enger Kontaktnahme zur MNA den Aufbau einer paramilitärischen Formation versucht zu haben. Als Verbindungsmann fungierte der ungarisch-österreichische Doppelstaatsbürger Peter K., der in seiner Einvernahme zugab, regelmäßig an den Trainings der MNA in Bőny teilgenommen zu haben. Die Anklage vermochte es jedoch nicht Beweise für den behaupteten Aufbau einer „europäischen Freiwilligenarmee“ aus Neonazis zu liefern, dementsprechend mild fielen dann auch die Urteile im Februar 2021 aus.
Zuletzt wurden 2023 die Aktivitäten des seit Jahren im Umfeld Küssels aktiven Neonazis Walter G. Piranty publik: Dieser soll sich in Szőce am Aufbau eines „Wehrdorfes“ versuchen.4
Der Aufbau grenzübergreifend wirkender Strukturen kann nur unter den duldenden Augen des Staates erfolgen, wie sich auch am ungarischen Beispiel zeigen lässt. Und wenn einmal eine Neonazi-Zusammenrottung wie zum „Tag der Ehre“ verboten wird, findet sich niemand, der das Verbot exekutiert. Oder es werden den Neonazis zahlreiche Schlupflöcher offengelassen, um sich doch versammeln zu können. Wie nachsichtig der ungarische Staat mit Neonazis umgeht, zeigte sich erst im vergangenen Jahr wieder, als der NS-Terrorist György Budaházy5, eine Galionsfigur der Szene, von der inzwischen zurückgetretenen ungarischen Staatspräsidentin Katalin Novák begnadigt wurde.
Auf der anderen Seite gehen die ungarischen Behörden seit den Protesten gegen den „Tag der Ehre“ im vergangenen Jahr verstärkt gegen Antifaschist:innen vor, gegen die gleichzeitig die gleichgeschalteten ungarischen Medien hetzen. Während gegen radikale Linke die Repressionsschrauben angezogen und dabei auch mal die Menschenrechte außer Kraft gesetzt werden, erfreuen sich extreme Rechte nicht nur behördlicher Duldung, sondern auch finanzieller Unterstützung.
So wurde 2023 ein „Heimat- und Fremdenverkehrsverein“, der den „Tag der Ehre“ als eine Art Wold-War-II-Reencatment tarnen soll, mit umgerechnet rund 175.000 Euro subventioniert. Und das Militärmuseum stellte auch heuer wieder bereitwillig Abzeichen und Devotionalien bereit, mit denen sich die Neonazis dann auf ihren Märschen in den Wäldern bei Budapest schmückten. Hinter solcher Duldung, ja Förderung steht eine (revisionistische) Sichtweise der Geschichte, die Neonazis und Konservative teilen: der Nazifaschismus und die ungarische Kollaboration mit diesem wird exkulpiert, der Bolschewismus oder Kommunismus im Einklang mit der NS-Propaganda zum Aggressor und zur Bedrohung des Abendlandes.
So hat Ungarn etwa 2019 zusammen mit den baltischen Staaten eine Resolution im EU-Parlament eingebracht, in der der Sowjetunion eine Mitschuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges gegeben wird. Es waren nicht zuletzt völkisch-autoritär regierte Staaten wie Ungarn, die die 2006 erfolgte Ausweitung des EU-Haftbefehls auf hate crimes notwendig gemacht haben.
Dieser zwang die ungarischen Behörden etwa 2017 dazu, den geflohen Holocaustleugner Horst Mahler an Deutschland auszuliefern. Mit dem 2018 verstorbenen Gerd Honsik konnte ein weiterer Holocaustleugner den Lebensabend in Ungarn verbringen. Sein Haus in Sopron dient ostösterreichischen Neonazistrukturen rund um Küssel bis heute als Basis.
Gemeinsam mit der auch sonst eng befreundeten deutschen Neonazi-Kadertruppe „Der III. Weg“ organisierten sie im Oktober letzten Jahres den „1. Gerd Honsik-Europakongress“, der dann aber nicht wie angekündigt in Sopron, sondern in Wien stattfand.
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www.waz.de/politik/article235521675/auswanderer-deutsche-ungarn-rechte-…
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Die paramilitärische MNA wurde 1989 als "Nationalsozialistische Aktionsgruppe" gegründet und galt bis zu ihrem Verbot im Jahr 2016 als Zentrum der neonazistischen Subkultur in Ungarn. Gründer und Anführer war István Győrkös, der seit dem Systemwechsel bis zum von ihm verübten Polizistenmord 2016 die dominierende Figur der ungarischen extremen Rechten war.
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Győrkös begann damals auch, sich dem Nationalbolschewismus anzunähern. Vor allem suchte er die Nähe zum Putin-Regime und gründete 2014 das Portal Hídfö, das Kremlpropaganda verbreitete. Die MNA soll auch enge Beziehungen zu russischen Diplomaten unterhalten haben, die sogar an paramilitärischen Trainings in Bőny teilnahmen.
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https://oera.noblogs.org/walter-gerhard-piranty-und-das-wehrdorf-szoce
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Er wurde 2016 wegen mehreren Attentaten auf MSZP und SZDSZ-Politiker zunächst zu 13 Jahren Haft verurteilt.