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Damals wie heute – Opfermythos in Budapest

Kampagne NS-Verherrlichung stoppen (Gastbeitrag)
Einleitung

Vom 10.–12. Februar 2023 war Budapest wieder Hotspot der europäischen Neonaziszene. Mit RechtsRock-Konzerten, Gedenkveranstaltungen und einem Marsch wird seit den 1990er Jahren nach Ungarn geladen. Aufhänger ist das Gedenken an den Ausbruch („Kitörès“) deutscher und ungarischer Soldaten im Februar 1945 aus dem Kessel von Budapest, den die Rote Armee errichtet hatte.

SS-Nazi-Fasching Budapest
(Foto: Paul Hanewacker)

Keine Sportveranstaltung, sondern NS-Verherrlichung im Februar 2023 in Budapest.

Das Event begann am Freitag mit einem von „Blood & Honour“ (B&H) organisierten Konzert. Zu den Songs u.a. der Schweizer Musikerin Naomi Croset alias „Ewiger Sturm“, kamen rund 100 Neonazis im Buda­pester Zentrum zusammen. Am Samstag, dem eigentlichen „Tag der Ehre“, versammelten sich dann hunderte Neonazis im Ausflugsgebiet Norfama in den Budaer Bergen, um dort der Waffen-SS, der deutschen Wehrmacht und der ungarischen Kollaborateure zu gedenken. Dazu aufgerufen hatte ein Bündnis aus „Hungarian Hammerskins“, der Neonazigruppe „Légió Hungária“ und „Combat 18 Hungary“.

Auch etliche Neonazis aus Deutschland nahmen an der Feier teil. Ein kurzer Blick auf die Teilnehmenden zeigt die spektren-­übergreifende Mobilisierung. So wurde etwa „Der III. Weg“ u.a. durch die Kader Matthias Herrmann und David Dschietzig vertreten. Letzterer, der im Januar 2016 bei dem Überfall in Leipzig-Connewitz vor Ort war, hielt in Norfama eine Rede. Matthias Deyda, bekannt von „Die Rechte“, jetzt „Heimat Dortmund“, war schon in den vorhergehenden Jahren in Budapest. 2019 und 2020 zitierte er in seinen Reden Adolf Hitler, wohl wissend, dass ungarische Behörden bei Beiträgen mit extrem rechten Inhalten nicht einschreiten. Zudem waren u.a. Martin Kü. aus Berlin, Florian Ja. aus Sachsen-Anhalt und Thorsten Wo. aus Schleswig-Holstein als deutsche Vertreter der „Hammerskin Nation“ vor Ort.

Nach dieser Gedenkfeier fand sich ein Großteil der dort Anwesenden auf der Buda-Burg rund um den Kapisztran-Platz wieder. Dort startete das Hauptevent, ein Gewaltmarsch, der auf 60 km den Ausbruch von 1945 bis nach Szomor nachstellen soll. An diesem beteiligten sich auch Personen aus dem deutschen rechten Kampfsport-Milieu. Aus Brandenburg etwa Lucien Sch. von der „Northsidecrew“ und mehrere Vertreter von „Black Legion“, sowie David Ha. vom „Tiwaz“-Team aus Chemnitz. Von der NPD-Partei-Jugend war u.a. Micha Mü. aus Niedersachsen vertreten.

Das Teilnehmer*innenfeld ist alters- und spektren-übergreifend und sei laut eigenen Angaben mit 3.515 Anmeldungen in diesem Jahr erneut gestiegen. Die Wanderung bietet einen sicheren Rahmen für eine (neo-)faschistische Erlebniswelt. Der ungarische Tourismusverband bewirbt und unterstützt den „Kitörès 60“ unter dem Slogan „Gedenken an die heldenhaften Verteidiger unseres Landes und Europas“. Dazu passend ist der nachträgliche Bericht über die Wanderung illustriert mit Bildern voller NS-Symbolik u.a. von einem Kontrollpunkt mit Hakenkreuzfahne und Hitler-Portrait. Die Haltung des Tourismus­verbandes ist ein Beispiel dafür, wie gefestigt Geschichtsrevisionismus im staatlichen Diskurs ist und dass er ein verbindendes Element zum militanten Neofaschismus darstellt.

Proteste

Zum Gegenprotest kamen dieses Jahr etwa 150 Antifaschist*innen auf die Buda-Burg und nahmen zum ersten Mal den Neonazis ihren regulären Startpunkt. Ein großer Erfolg. Gleichzeitig kam es zu staatlicher Repression, u.a. wurde das Gelände im Vorfeld zum Gefahrengebiet erklärt. Jede Person konnte nun ohne Grund kontrolliert und deren Identität festgestellt werden. Die Kundgebung wurde von der Polizei komplett abgeschirmt, selbst Tourist*innen wurden weder rein noch raus gelassen, auch kam es zu einer kurzzeitigen Ingewahrsamnahme auf Seiten der Antifaschist*innen. Nach Auflösung der Kundgebung versuchten zudem Mitglieder der „Légió Hungária“, Protest-Teilnehmende anzugreifen. Schon bei der Gedenkfeier in Norfama hatte die Gruppe Journalist*innen verjagt. Das Verhalten der Polizei begünstigte das Entstehen dieser Situation.

Vorausgegangen war diesen Einschüch­terungsversuchen ein im Netz kursierendes Video, dass einen Übergriff von Antifaschist*innen auf einen Neonazi am Vortag zeigen soll. Im Laufe des Wochenendes soll es zu weiteren Angriffen auf Neonazis gekommen sein und vor allem die rechten Medien im In-und Ausland überschlugen sich. Die Angriffe wurden instrumentalisiert, um in einem Rundumschlag antifaschistische Arbeit zu diffamieren. Eine gesellschaftliche Solidarisierung und Partizipation mit und an jenen Positionen sollte so verunmöglicht und die wenigen linken Kräfte in Ungarn handlungsunfähig gemacht werden.

Auffällig war, dass einige Medien empört in diesem Fall berichteten, zuvor aber weder das europaweite Zusammentreffen militanter Neonazis in Frage stellten, noch die alltägliche rassistische Gewalt rechter Strukturen in Ungarn. Große Teile der Budapester Öffentlichkeit haben sich an die Veranstaltung gewöhnt, die über mehrere Jahrzehnte weitestgehend ungestört stattfinden und wachsen konnte. Als eines der wenigen unabhängigen Portale berichtete „merce“ kontinuierlich und fundiert rund um den „Tag der Ehre“.

Rechte Regierung und internationale Repression

Die ungarische Regierung hat sich wiederholt gegen antifaschistische Gruppen ausgesprochen und diese als Gefahr für die nationale Sicherheit bezeichnet. So verkündete die Regierung Orbán bereits 2020: „Wir werden niemals zulassen, dass eine Gruppe extremistischer Anarchisten und Kommunisten das Leben normaler Bürger und die öffentliche Sicherheit bedroht“. Mehrfach wurde vor allem in regierungs-nahen Medien die Erzählung einer mystisch agierenden „Antifa“ als Teil einer größeren „linksextremen“ Bewegung dargestellt, die die Gesellschaft destabilisieren und das politische System stürzen wolle. Sie würde mit ausländischen Geheimdiensten zusammenarbeiten und terroristische Ziele verfolgen.

Neonazistische Strukturen werden kaum thematisiert. Das historische Narrativ der Orbán-­Regierung, welche darum bemüht ist, die vermeintliche zweifache Unterdrückung - durch den NS und den real existierenden Sozialismus - als hegemoniale Erzählung zu etablieren, scheint in der ungarischen Gesellschaft mehrheitsfähig. Die Rolle der ungarischen Kollaboration während des NS-Regimes wird in dieser Erzählung quasi aufgelöst.

Die internationale Zusammenarbeit staatlicher Repressionsorgane scheint gut zu funktionieren. Dies zeigt nicht zuletzt der jüngste Fall, bei dem deutsche Antifaschist*innen daran gehindert wurden nach Bulgarien zu fliegen, um kurz nach dem „Tag der Ehre“ in Budapest die Proteste gegen den sogenannten Lukov-Marsch in Sofia zu unterstützen. Wir als Kampagne lassen uns davon nicht einschüchtern. Die Notwendigkeit internationaler antifaschistischer Bündnisse und das Protestieren gegen europaweite Neonaziaufmärsche wird dadurch nur noch offensichtlicher. Was in Sofia, Budapest, Riga, Kärnten oder Berlin passiert, hat Auswirkungen auf uns alle.

Nachtrag zur Repression (AIB):

Eine Handvoll Personen, größtenteils aus Deutschland, konnten die Sonderermittler*innen der Budapester Polizei den Medien präsentieren. Mit einer Pressekonferenz und inszenierten Verhaftungvideos der „Antifa-Bande“ wurden die ungarischen Behörden zum politischen Akteur. Teils sitzen die Beschuldigten in U-Haft, teils wird nach ihnen gefahndet. Auch deutsche Boulevard-­Zeitungen übernahmen das Narrativ. Die internationale Neonaziszene griff die Erzählungen begierig auf und konstruierte Verbindungen zu den Angeklagten im Antifa-Ost-Verfahren in Dresden. Kaum überraschend haben die ungarischen und deutschen Behörden nunmehr gemeinsam die Ermittlungen aufgenommen, wobei die obligatorische Generalstaatsanwaltschaft Dresden, Zentralstelle Extremismus Sachsen (ZESA) nicht fehlen darf. In Berlin, Sachsen und in Thüringen folgten Hausdurchsuchungen. In einer gemeinsamen Medieninformation konnte man in „enger Abstimmung mit den ungarischen Behörden“ bei den Beschuldigten zwar bereits jetzt „linksextremistische Motive“ benennen, spricht im orbánschen Stil aber von „vermeintlichen Angehörigen der rechten Szene“. Dass es sich bei den Angegriffenen um Mitglieder der organisierten Neonazi-Szene handelt, wird ausgeblendet. Unter ihnen war etwa ein bekannter ungarischer RechtsRock-Musiker und B&H-Unterstützer, sowie Lipták Tamás, Kader der Neonazi-Gruppe „Légió Hungária“. Auch dass es am Samstagabend zu einem weiteren, von B&H organisierten RechtsRock-Konzert außerhalb von Budapest kam, bei dem Bands aus Ungarn, Spanien und Italien auftraten, findet in der Berichterstattung keinen Platz.

Spenden an:
Konto: Netzwerk Selbsthilfe
Stichwort: NS Verherrlichung stoppen
IBAN: DE1210 0900 0040 3887 018

Kontakt:
nsverherrlichungstoppen [at] riseup.net