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Ungarns „Souveränitätsschutzgesetz“

Kata Moravecz und György Folk (cz.boell.org; CC-BY-NC-ND 4.0) (Gastbeitrag)
Einleitung

Der jüngste Angriff der Regierung Orbán auf den Pluralismus in der Analyse.

Ungarn Souveränitätsgesetz
(Bild Screenshot YouTube/@euronewsde)

Was will ein Amt für die „Verteidigung der Souveränität“ in einem demokratischen Land verteidigen - und vor wem? Wer etwas über die Betroffenen und die Ziele des Gesetzes erfahren möchte, wird durch die Lektüre der entsprechenden Nachrichten verwirrt. 

Beginnen wir mit den widersprüchlichen Aussagen der Fidesz-Regierungsvertreter zu der Frage, ob das Gesetz die Medien und Journalisten bedroht. Ein weiteres verwirrendes
Element ist die Verpflichtung zur Weitergabe von Quellen an das neu einzurichtende Amt. Die politischen Erklärungen lassen darauf schließen, dass das übergeordnete Ziel des Gesetzes darin besteht, über vermeintliche Bedrohungen der nationalen Souveränität Ungarns zu berichten und sie zu erfassen - und darüber hinaus Parteien, Einrichtungen und Einzelpersonen zu identifizieren, die im Verdacht stehen, „ausländischen Interessen zu dienen“. Darüber hinaus sollen Parteien, die im Wahlkampf mit ausländischer Finanzierung auftreten, kriminalisiert werden.

Der Entwurf wurde am 21. November 2023 vorgelegt. In ihren öffentlichen Reaktionen gaben Regierungsvertreter an, das Ziel sei inländische politische Akteure von der Annahme ausländischer Gelder abzuhalten. Bei der ersten öffentlichen Ankündigung des Gesetzes erklärte jedoch ein führender Fidesz-Politiker gegenüber der Presse, dass unter anderem das so genannte „Soros-Imperium“ und die „Dollar-Linke“ ins Visier genommen würden -
stigmatisierende Ausdrücke, mit denen Medien bezeichnet werden, die Geld aus den Vereinigten Staaten oder der Europäischen Union erhalten.

Der Teufel steckt im Detail

Das Gesetz sieht die Einrichtung eines neuen Amtes mit einem Leiter vor, der direkt vom Premierminister für eine Amtszeit von sechs Jahren ernannt wird. Eine solche Behörde würde über beunruhigend weitreichende Ermittlungsbefugnisse verfügen. Sie wäre befugt, Finanzunterlagen einzusehen und Dokumente und Daten von allen in Ungarn tätigen Organisationen und Einrichtungen anzufordern, einschließlich zivilgesellschaftlicher Gruppen, Medienorganisationen und Parteien. Mit besonderem Augenmerk auf Wahlperioden würde das Amt Berichte über die mutmaßliche ausländische Einmischung
dieser Einrichtungen veröffentlichen. 

Die Hauptkritikpunkte an dem vorgeschlagenen Gesetz sind sein extrem breiter Charakter und seine schwammigen Definitionen. „Der Vorschlag (…) stellt ein erhebliches Risiko für die Menschenrechte dar und sollte aufgegeben werden“, erklärte Dunja Mijatović, Menschenrechtskommissarin des Europarats. Sie warnt: „Unter einem Präsidenten, der vom Präsidenten der Republik auf Vorschlag des Premierministers ernannt wird, hätte er unbegrenzte Befugnisse, sensible Daten und private Informationen von jedermann anzufordern, ohne Aufsicht und ohne Rechtsmittel (…) Wenn dieser Vorschlag angenommen wird, wird er der Exekutive noch mehr Gelegenheit geben, unabhängige Stimmen und Gegner zum Schweigen zu bringen und zu stigmatisieren“.

Bedrohung der Medienfreiheit durch Retorsion

Die „Media Freedom Rapid Response“ warnt vor den abschreckenden Auswirkungen, die das Gesetz auf die Reste der umkämpften unabhängigen Mediengemeinschaft des Landes haben würde. Nach den derzeitigen Parametern könnten alle Medien, die ausländische Gelder erhalten, beschuldigt werden, die ungarische Souveränität zu untergraben, indem sie
„Desinformationen“ verbreiten und Aktivitäten durchführen, die „auf die Beeinflussung der demokratischen Debatte“ oder „auf die Beeinflussung des Wählerwillens“ ausgerichtet sind. 

In Ungarn registrierte Gruppen für Medienfreiheit könnten in den Geltungsbereich des Gesetzes einbezogen werden, während internationale Organisationen für Medienfreiheit, die in Ungarn tätig sind, in Berichten ebenfalls stigmatisiert werden könnten. 

Nach Ansicht von Tamás Lattmann, einem internationalen und EU-Rechtsexperten, ist es gut möglich, dass das Gesetz nur dazu dient, die bisherige „Dollar-Links“-Rhetorik der Regierung zu verstärken. „Es ist eine ganz andere Frage, inwieweit es sich hier um ein politisches Kommunikationsmittel handelt oder ob es sich um etwas handelt, das ein echtes Problem widerspiegelt und von einer echten gesetzgeberischen Absicht geleitet wird. Das bezweifle ich.“ Lattmann erinnert daran, dass es in Ungarn nicht unüblich ist, den politischen Standpunkt der Fidesz-Regierung rückwirkend gesetzlich zu regeln, auch wenn
dies nichts an der Rechtmäßigkeit früherer Ereignisse ändert. Aber auch wenn wir hoffen können, dass das Gesetz nicht allzu rigoros angewendet wird, sind laut Lattmann doch zwei Dinge besorgniserregend. 

Erstens wird es für die bevorstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament angewandt werden, ein Kontext, für den es völlig ungeeignet ist, und es wird wahrscheinlich mit den Gesetzen, Werten und der grundlegenden Logik der EU in Bezug auf Wahlen unvereinbar
sein. Zweitens ist es schlecht formuliert, so dass seine Formulierungsprobleme zu unbeabsichtigten Folgen führen könnten, die von lächerlich bis katastrophal reichen.

Lattmann bilanziert: Angesichts der Verzerrung des Zugangs zu Ressourcen zwischen der ungarischen Regierung und der Opposition könnte die Schließung einer der wenigen verbleibenden potenziellen Finanzierungsquellen für die Opposition erhebliche Auswirkungen auf die Fairness der Wahlen haben. Die Regierung nutzt bereits staatliche Mittel, um Botschaften an die Wähler zu übermitteln, doch dieses Instrument steht der Opposition nicht zur Verfügung, was zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen führt. 

Zwar waren die Mittel aus dem Ausland nie bedeutend genug, um auch nur im Entferntesten mit der staatlichen Werbung der Regierung zu konkurrieren, doch ist die Finanzierung durch die eigene europäische Parteienfamilie eine der wenigen Ressourcen, über die die Opposition verfügen kann und die der Regierung nicht zur Verfügung stehen.
Der Grund dafür ist, dass die Fidesz ihre Parteienfamilie, die Europäische Volkspartei, im Jahr 2021 verlassen hat, nachdem die Europartei ihre Mitgliedschaft 2019 ausgesetzt hatte. So kann die Fidesz in ihrer derzeitigen Situation ihren Gegnern schaden, ohne sich selbst zu benachteiligen.

Was wäre wenn

Wenn wir uns ansehen, wie sich das Gesetz in der Realität auswirken könnte, sind seltsame Dinge möglich. Im Gesetz ist derzeit neben mehreren anderen Schlüsselbegriffen nicht definiert, was unter „Ausland“ oder „Unterstützung“ zu verstehen ist. Der Vorschlag behandelt die Unterstützung aus dem Ausland als eine Angelegenheit der nationalen Sicherheit, scheint aber die Absicht, die Straftat zu begehen, nicht zu kriminalisieren, was seltsam ist. Dies ist im ungarischen Strafgesetzbuch für nationale Sicherheitsgesetze üblich, fehlt aber im aktuellen Vorschlag. Vielleicht ist das auch besser so, wenn man die Alternative bedenkt. Was wäre wenn ein deutsches Mitglied der Europäischen Sozialisten und Demokraten (S&D) ein Mitglied der MSZP, der ungarischen Schwesterpartei der S&D,
anruft und fragt, ob es finanzielle Unterstützung wünscht?

Der Ball liegt bei der EU

Im Zusammenhang mit den EU-Wahlen steht fest: Wenn die ungarische Regierung die Parteien daran hindert, in vollem Umfang mit ihren EU-Partnern zusammenzuarbeiten, wird dies wahrscheinlich einen Verstoß gegen das EU-Recht darstellen. Daher wird die Europäische Kommission ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn einleiten
müssen. Während der Fall bei den Wahlen zum Europäischen Parlament eindeutig ist, könnte die EU auch verpflichtet sein, bei nationalen Wahlen gegen das Gesetz vorzugehen. Laut Lattmann verstößt der Vorschlag unter anderem gegen die EU-Werte der Meinungsfreiheit und der Demokratie.

Wenn die ungarische Regierung nur wegen ausländischer Manipulationen der Wahlen
besorgt ist, gibt es die Möglichkeit, sich dagegen zu schützen, auch ohne neue Gesetzgebung. Die EU hat gemeinsame Instrumente gegen ausländische Einmischung. Das neue ungarische Gesetz ist überflüssig. 

Alles was das Gesetz zum Schutz der Souveränität zusätzlich zum Status quo bewirken würde, ist die Einschüchterung und Einschränkung der Opposition, der Zivilgesellschaft und der Medien.

Die Autor*innen sind Journalist*innen, die das Portal Eurologus.eu betreiben. Der Text erschien zuerst unter: 

https://cz.boell.org/en/2023/12/18/hungarys-sovereignty-protection-act-… (CC-BY-NC-ND 4.0)