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„Rückführungsverbesserungsgesetz“

Christian Jakob (Gastbeitrag)
GEAS Protest
(Foto: Christian Ditsch)

Eine „Rückführungsoffensive“ hatte die Ampel schon in ihrem Koalitionsvertrag vom November 2021 versprochen. Im vergangenen Herbst dann ging sie die Sache an. Woche um Woche hatten sich in jener Zeit sozialdemokratische, liberale, grüne, konservative und rechtsextreme Politiker:innen gegenseitig aufgeschaukelt: Mit den Asylzahlen könne es so nicht weitergehen, „flatten the curve“ sei alternativlos, hieß es überall. 

Die Ampel wollte sich keine Halbherzigkeit vorwerfen lassen und stellte – nur kurz nach ihrer Zustimmung zum neuen Gemeinsamen EU-Asylsystem GEAS – im Oktober 2023 das „Rückführungsverbesserungsgesetz“ vor: Ein Konglomerat dutzender neuer Bestimmungen, die dazu dienen sollen, Unerwünschte künftig leichter aus Deutschland entfernen zu können. Ende Februar 2024 traten sie in Kraft. Es war die achte Asylrechtsverschärfung in Deutschland seit Oktober 2015.

Notwendig sei das Ganze um „Menschen, die bei uns Schutz vor Krieg und Terror gefunden haben, weiter gut versorgen können“, hatte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) behauptet. Dabei hatte die Zahl der Abschiebungen von Januar bis Oktober 2023 schon um 27 Prozent höher gelegen als im Vorjahreszeitraum. Der Ampel reichte das nicht: Es müsse „endlich im großen Stil“ abgeschoben werden, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in einem Spiegel-Interview. Das Magazin "Der Spiegel" druckte den Satz begeistert auf die Titelseite.

Unter anderem verlängerte die Ampel die Dauer des Ausreisegewahrsams von 10 auf 28 Tage. Ausreisegewahrsam kann – anders als Abschiebungshaft – auch ohne Fluchtgefahr angeordnet werden, etwa bei einer geringfügigen Überschreitung der Ausreisefrist. Als der Ausreisegewahrsam 2015 eingeführt wurde, durfte er maximal vier Tage dauern.

Abschiebehaft soll nun auch während eines Asylverfahrens möglich sein. Die Höchstdauer wurde dabei von drei auf sechs Monate verlängert. Ein Asyl-Erstantrag steht, anders als bisher, Abschiebungshaft nicht mehr entgegen. So könne letztlich jede*r unter dem Vorwurf einer „missbräuchlichen Asylantragstellung“ inhaftiert werden, kritisiert Pro Asyl: „Denn Schutzsuchende können – mangels legaler Fluchtwege – regelmäßig nicht erlaubt in das Bundesgebiet einreisen und sind infolge der unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig. Damit erfüllen sie aber bereits den Haftgrund.“

Bei Menschen ohne Ausweispapieren wurde das Auslesen von Handydaten erleichtert, um dadurch Identität und Herkunftsland zu klären. Zimmer von Mitbewohner*innen von Abzuschiebenden dürfen von der Polizei nun durchsucht werden, nächtliche Abschiebungen wurden erleichtert. Bislang durfte die Polizei Wohnungen zwischen 21 und 6 Uhr nur dann für eine Abschiebung betreten, wenn es die begründete Annahme gab, dass die Person andernfalls nicht vorgefunden wird.

Dabei hatte etwa die "Nationale Stelle zur Verhütung von Folter" erst im Juli 2023 festgestellt, dass „trotz eindringlicher Empfehlungen (...) die Achtung des Kindeswohl bei Abschiebungsmaßnahmen regelmäßig nicht ausreichend berücksichtigt wird“. Die Stelle kritisierte unter anderem, dass Betroffenen meist zu Nachtzeiten abgeholt werden, auch wenn Kinder oder andere vulnerable Personen darunter seien. Insbesondere bei kleinen Kindern aber könne eine Abholung zur Nachtzeit zu Traumata führen.

Die Kinderrechtsorganisation „Terre des Hommes“ nannte die Neuregelungen eine „massive Gefährdung des Wohls von Kindern“. Dass Familien künftig „nachts von der Polizei aus den Betten gerissen und abgeschoben werden“ könne „zutiefst traumatisieren“, so Sophia Eckert von „Terre des Hommes“. In Ausnahmefällen könnten Minderjährige sogar in Abschiebehaft genommen werden. Das sei „unerträglich“.

Kaum weniger belastend ist die Ausweitung einer Praxis, die Pro Asyl „überfallartig“ nennt: Abschiebungen ohne Ankündigung. Wer in Haft ist, dem wird die Abschiebungen nun gar nicht mehr angekündigt. Bislang sollte eine Ankündigung mindestens eine Woche vorher erfolgen. Wer über ein Jahr geduldet war, dem musste die Abschiebung bisher mindestens einen Monat früher angekündigt werden. Dies entfällt nun, außer bei Familien mit Kindern unter zwölf Jahren.

Pro Asyl verweist darauf, dass die Ankündigung dazu dienen sollte, dass Ausreisepflichtige etwa Abschied vom familiären und sozialen Umfeld, von Arbeitskolleg*innen und Mitschüler*innen nehmen oder Wohnung, Arbeit und Versicherungen zu kündigen und Konten auflösen können. Auch Vorbereitungen für die Ankunft im Zielstaat der Abschiebung seien nur mit einer Fristsetzung möglich.

Eine Gruppe von Grünen-Mitgliedern mit eigenen Fluchterfahrungen trat wegen des Pakets aus der Partei aus: Die Zustimung zum GEAS und zum Rückführungsverbesserungsgesetz, das „zu massiven Grundrechtsverletzungen für viele Geflüchtete führen wird, ist ein historischer Verrat grüner Politik an geflüchteten Menschen“, heißt es in einer Erklärung, die unter anderem der aus Syrien geflüchtete Pro Asyl-Sprecher Tareq Aalows unterzeichnete.

Auch die Kommunen sind von den Neuregelungen nicht angetan. Denn das „Rückführungsverbesserungsgesetz“ sieht unter anderem auch vor, dass Asylbewer­ber:innen künftig drei Jahre statt 18 Monate lang die niedrigeren Asylbewerberleistungen erhalten, und erst dann in den regulären Sozialleistungsbezug wechseln. Das schließt in der Regel auch die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften ein. Der Präsident des Berliner Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten, Mark Seibert, sieht darin vor allem eine enorme Zusatzbelastung für seine Behörde: „Für uns heißt das, die Menschen müssen bis zu 18 Monate länger von uns untergebracht werden. Die Unterkünfte fehlen uns dann.“ Das werde den Druck weiter erhöhen, so Seibert. Sachbearbeiter:innen, die in Berlin Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bewilligen, bearbeiteten Anfang Mai 2024 im Schnitt je 320 Fälle. Durch die Gesetzänderung werde die Zahl auf bis zu 500 Fälle pro Sachbearbeiter:in ansteigen.

Einer der wenigen, die dem Gesetz zumindest etwas positives abgewinnen können, ist der Hannoveraner Anwalt Peter Fahlbusch: Wer in Abschiebehaft sitzt, dem muss das Gericht zukünftig eine:n Pflichtanwalt oder Pflichtanwältin beiordnen. Der Gesetzgeber, sagt Fahlbusch, habe erkannt, dass Abschiebungshaftverfahren „doch einigermaßen schwierig“ seien und Betroffene „nicht in der Lage, sich hier hinreichend zu verteidigen“.

Seit 2001 hat er nach eigener Zählung bundesweit 2.507 Menschen in Abschiebungshaftverfahren vertreten. 1.301 von ihnen – rund 52 Prozent – seien nach rechtskräftigen Gerichtsentscheidungen zu Unrecht in Haft gewesen. Im Schnitt sei jede:r seiner Mandant:innen 25,7 Tage unrechtmäßig eingesperrt gewesen. Die Anwaltschaft sei „aufgerufen, sich um diese skandalöse Haftpraxis zu kümmern“, meint Fahlbusch – und die Neuregelung gebe ihr „jetzt alle Möglichkeiten.“

Das Problem: Nur wenige Jurist:innen kennen sich mit der Materie aus. Besonders attraktiv sind die Fälle nicht, nur rund 211 Euro Honorar sind für einen Widerspruch vorgesehen. Fahlbusch und sein Kollege Rolf Stahmann waren im Früjahr wochenlang bundesweit auf „Fortbildungstour“, um Kolleg:innen zu motivieren, sich dennoch in dem Bereich zu engagieren.
Auf Drängen der Grünen war die Klausel mit den Pflichtanwält:innen eingeführt worden. Einige Länder hatten diese heftig kritisiert – sie fürchten, Abschiebungen könnten sich verzögern, weil es den Behörden nicht gelingt, den nun nötigen Pflichtanwalt zu stellen. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries beklagte, das ohnehin schon schwache Gesetz werde so völlig wirkungslos.

2023 wurden 16.430 Menschen aus Deutschland abgeschoben, etwa die Hälfte per Sammelcharter. Bei knapp einem Drittel handelte es sich um sogenannte Dublin-Fälle, die nicht in ihr Herkunftsland, sondern in einen anderen EU-Staat abgeschoben wurden. 2022 kamen knapp 5.000 Menschen in Abschiebehaft, im Schnitt für vier Wochen. Rund 800 Plätze dafür gibt es in bundesweit 14 Einrichtungen. Bislang hätten maximal zehn Prozent aller Abschiebehäftlinge einen Anwalt gehabt. „Bald braucht jeder einen“, sagt Fahlbusch. Es sei eine „Frage der globalen Gerechtigkeit“, Abschiebehäftlingen beizustehen.“