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Die „knallharte Asylwende“ der CDU

Christian Jakob
Einleitung

Dass es nach der Wahl für viele Geflüchtete in Deutschland gefährlich werden könnte, das hat sich mittlerweile bis in viele Asyl-Unterkünfte herumgesprochen. Die schon länger, unter anderem von CDU-Chef Friedrich Merz bekräftigte Versicherung, es dürfe „keine Tabus“ im Kampf gegen die Migration geben, hat Geflüchtete im Land in Angst versetzt.

Merz
(Bild: Screenshot WELT)

Doch was genau droht, bleibt auch nach der Bundestagswahl am 23. Februar 2025 schwierig vorherzusagen. Zu unklar ist, wie viele der im Wahlkampf angekündigten Maßnahmen konkret umsetzbar sind, worauf sich die wahrscheinlichen Koalitionspartner der Union – SPD und/oder Grüne1 – letztlich einlassen und was auf EU-Ebene und gegenüber Drittstaaten durchsetzbar ist.

Für die Union war klar, dass die „Asylwende“ kommen müsse. Ohne diese gebe es keine Koalition mit der SPD. Man werde diese „nur machen können, wenn wir die Migrationsfrage grundlegend angehen und einen knallharten Kurs fahren an der Stelle,“ sagte CSU-Chef Markus Söder. Es sind die gleichen markigen Worte, mit denen die Konservativen nun schon seit geraumer Zeit versuchen, der ultra rechten Konkurrenz von der AfD das Wasser abzugraben. Wie sehr sie sich dabei verändert haben, brachte niemand besser auf den Punkt als die AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel. Am Wahlabend sagte sie, für eine Koalition mit ihrer Partei müsste die CDU – anders als bei einem Bündnis mit den Sozialdemokraten – „gar keine Kompromisse eingehen, weil sie genau das versprochen hat“, was die AfD wolle. Die Union habe das Wahlprogramm
„zu fast 100 Prozent von uns abgeschrieben.“ Und so bleibe Weidels Hand „ausgestreckt“, um den „Willen des Volkes umzusetzen“.

Dazu wird es für’s Erste nicht kommen, die Union will das AfD-Programm zur Migrationsbekämpfung lieber mit der SPD umsetzen. Die offene Frage ist, wie weit ihr das gelingt.

Die Anschläge von Magdeburg und Aschaffenburg hatten dem Wahlkampf im Januar 2025 eine neue Dynamik gegeben. Drei Vorstöße der Union zur Abstimmung im Bundestag ließen die Debatte regelrecht eskalieren. Formal handelte es sich um drei separate Entschließungsanträge. Zwei der Anträge forderten lediglich die amtierende Bundesregierung, also die Reste der Ampel, symbolisch zum Handeln auf.

Ein 37-Punkte-Plan verlangte im Wesentlichen, das Wahlprogramm der Union zur Inneren Sicherheit zu übernehmen. Dafür stimmte nur die Union selbst, der Antrag wurde also abgelehnt. Ein auf fünf Punkte abgespeckter Plan fokussierte sich auf die Unions-Kernforderungen zur Migration. Dieser Antrag wurde mit den Stimmen der AfD angenommen. Danach kam noch der Entwurf der Union für das „Zustrombegrenzungsgesetz“ zur Abstimmung. Der wurde wiederum abgelehnt. Neben diversen Verschärfungen wie der Möglichkeit, Doppelstaatler:innen die deutsche Staatsbürgerschaft in gewissen Fällen wieder entziehen zu dürfen und der Einschränkung des Familiennachzugs für bestimmte Gruppen von Asylbewerber:innen wollte bzw. will die Union vor allem neu ankommende Asylsuchende an den deutschen Grenzen zurückweisen. 

Die schon heute durchgeführten Kontrollen sollen nicht mehr befristete Ausnahme sein, sondern zur Regel werden. Die Bundespolizei soll dabei künftig auch jene, die einen Asylantrag stellen wollen, direkt zurückweisen oder in Haft nehmen und abschieben dürfen – ohne vorher das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zur Asylprüfung einschalten zu müssen. Viele rechnen für einen solchen Fall mit einem Domino-Effekt: Führt Deutschland die regulären Grenzkontrollen wieder ein, ziehen andere nach. Zudem wäre eine solche Regelung nach dominierender juristischer Auffassung rechtswidrig.

Im SPD-Wahlprogramm hieß es, Grenzschließungen und Pauschalzurückweisungen an den Binnengrenzen „widersprechen dem Geist eines gemeinsamen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts.“ Die befristete Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen müsse „deshalb die absolute Ausnahme bleiben.“ Allerdings hatte die (damalige) SPD-Innenministerin Nancy Faeser in der zweiten Jahreshälfte 2024 mehrfach durchblicken lassen, dass sie weitergehende Zurückweisungen dann für möglich hält, wenn dies „europarechtskonform“ geschehe – etwa dann also, wenn das EU-Recht entsprechend angepasst würde. Inwieweit die übrigen EU-Mitgliedsstaaten dabei mitziehen, ist allerdings offen.

Ebenfalls offen ist, wie sich das Ende 2023 von der EU beschlossene "Gemeinsame Asylsystem" (GEAS) konkret auswirkt. Das sieht vor allem vor, ankommende Geflüchtete zunächst in Lagern an den Außengrenzen zu internieren und dort Schnellverfahren zu unterwerfen. Das war eine Unions-Idee – nämlich von Horst Seehofer. Sie soll Anfang 2026 in Kraft treten. Das von der Ampel im Februar 2025 zur Abstimmung vorgelegte GEAS-Anpassungsgesetz lehnte die Union indes ab. Allerdings dürfte eine Regierung Merz bald ein eigenes GEAS-Anpassungsgesetz vorlegen.

In ihrem neuen Grundsatzprogramm hatte sich die CDU vorgenommen, dass alle in der gesamten EU ankommenden Asylsuchenden „in einen sicheren Drittstaat überführt werden und dort ein Verfahren durchlaufen“ sollen. Gelänge dies, wäre das GEAS faktisch obsolet. Dieser Vorschlag ist eine exakte Kopie des gescheiterten britischen Ruanda-Modells – nur für eine ungleich größere Personenzahl von mehreren Hunderttausend pro Jahr. Angesichts des kläglichen Scheiterns aller früheren Vorstöße in dieser Richtung und der aktuellen Abkehr vieler afrikanischer Regierungen vom Westen und ihrer Hinwendung zu Russland ist das ein vollkommen illusorischer Plan.

Gleiches gilt für den auf Druck der Unions-Innenminister 2024 ergangenen „Prüfauftrag“ an die Ampel-Bundesregierung, nach möglichen Partnern für ein deutsches "Italien-Albanien-Modell" – also Asylverfahren in exterritorialen Lagern in Drittstaaten und anschließend Aufnahme Anerkannter in Deutschland – zu suchen. Kein Drittstaat will bisher dabei mitmachen. Das wird auch ein CDU-Kanzler kaum ändern können. Und das italienische Modell in Albanien ist wegen juristischer Hürden wohl bis auf Weiteres ausgesetzt.

Ähnliche Probleme dürfte es bei den immer lauter geforderten Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan geben. Nach dem Terroranschlag von München auf die Ver.di-Demo mit zwei Toten und 15 Schwerverletzten am 13. Februar 2025 forderte Bayerns CSU-Ministerpräsident Markus Söder „wöchentliche Abschiebeflüge nach Afghanistan“. Kanzlerkandidat Friedrich Merz sagte, man sei „in der Union ja schon seit längerer Zeit der Auffassung, dass man nach Afghanistan und nach Syrien grundsätzlich abschieben kann und sollte. Das würden wir machen.“ Doch die Zustimmung dazu würden sich die Taliban zweifellos teuer von Merz bezahlen lassen – ebenso wie die  neuen Herrscher in Damaskus.

Die Schwierigkeiten zeigten sich auch daran, dass die alte Bundesregierung seit Ende Januar 2025 eine Abschiebung nach Afghanistan noch vor der Wahl Ende Februar 2025 plante, diese aber nicht durchführen konnte. Im Abschiebegefängnis in Pforzheim in Baden-Württemberg saßen da seit Monaten sieben Männer, die nach Kabul abgeschoben werden sollten. Mit einem Hungerstreik protestierten sie dagegen.

Während über immer neue Wege der Abschottung diskutiert wird, mehren sich die Meldungen über fallende Asylzahlen. Anfang März 2025 meldete die EU-Asylagentur EUAA, dass die Zahl der EU-weiten Asyl-Erstanträge 2024 um rund 100.000 oder
etwa elf Prozent auf rund eine Million fiel. Das Gros dieses Rückgangs geht auf besonders stark sinkende Asylzahlen in Deutschland zurück: Hier stellten 229.000 Menschen einen Asyl-Erstantrag, das war ein Minus von über 30 Prozent. Die Zahlen in anderen großen EU-Staaten wie Spanien (169.000) sowie Frankreich und Italien (jeweils 159.000) blieben 2024 nahezu gleich. Zwar wurden damit in Deutschland weiterhin die meisten Anträge in der EU gestellt. Auf die Einwohnerzahl umgerechnet machte das indes mit einem Antrag je 352 Einwohner:innen im EU-Vergleich nur Platz 8 aus.

Auffällig ist, dass Menschen aus vielen Regionen, die von Hilfsorganisationen als derzeit schwerste humanitäre Krisen weltweit eingestuft werden, unter den Schutzsuchenden in der EU heute praktisch keine Rolle mehr spielen. So sind Menschen aus Sudan/Süd-Sudan, Gaza/Palästina, Äthiopien, Niger oder Burkina Faso – wo Millionen Menschen auf der Flucht und von Gewalt betroffen sind – in der EUAA-Liste der Herkunftsländer für 2024 gar nicht mehr ausgewiesen. Die Zahlen liegen damit allenfalls im Bereich einiger Tausend Anträge pro Jahr EU-weit.

Zu den Gründen dafür zählt vor allem, dass für Menschen aus diesen Konfliktregionen Fluchtwege weitgehend versperrt sind. Die mit Milliardensummen aus der EU vorangetriebene Migrationskontrolle in Ländern wie Ägypten, Tunesien, Libyen, Marokko, Senegal oder Mauretanien hat die Möglichkeiten, aus den Konfliktgebieten in Ost- oder Westafrika zu flüchten, zuletzt stark eingeschränkt. „Migranten, Asylsuchende und Flüchtlinge sind Gewalt, illegalen Zurückweisungen und sogar dem Tod ausgesetzt, weil die EU auf Abschreckung und Externalisierungspolitik setzt“, sagte Benjamin Ward von Human Rights Watch.

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    Das Kabinett Merz bildet seit dem 6. Mai 2025 die neue Bundesregierung. Es besteht aus Vertretern der CDU, der SPD und der CSU.