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Schweden: Zehn Jahre "Kämpa Malmö"

Einleitung

Am 8. März 2014 wurde im südschwedischen Malmö eine Gruppe Antifaschist_innen von Neonazis überfallen. Die Genoss_innen wurden durch Messerstiche schwer verletzt und der Antifaschist Showan ins Koma geprügelt.1 Nur durch Zufall überlebten alle diesen Überfall. Wir haben zum zehnten Jahrestag mit Genoss_innen aus Malmö gesprochen.
 

kampa malmö
(Foto: Victor Pressfeldt; victorpressfeldt.com)

AIB: Hallo Charlotte. Du warst ja von dem Angriff direkt betroffen und wurdest durch Messerstiche verletzt. Kannst du beschreiben, wie die unmittelbare Zeit nach dem Angriff für dich war?

Charlotte: Ich erinnere es so, als wäre auf eine gewisse Art und Weise die Zeit stehen geblieben. Um den 8. März herrschte das schönste Frühlingswetter. Ich war im Krankenhaus bei Showan, der im Koma lag und ich selbst wurde durch Messerstiche unter der linken Achselhöhle verletzt. Die Intensivstation, auf der Showan lag, befand sich im zehnten Stock. Und ich erinnere mich an die schöne Aussicht und das wunderbare Wetter, das ja im absurdesten Kontrast zu der schrecklichen Lebenssituation stand, in der wir uns gerade befanden.

Es waren sehr viele Menschen von dem Überfall berührt und es wirkte wie ein kollektives Trauma. Wir waren körperlich betroffen, aber sehr viele andere fühlten sich in ihren Herzen berührt. Die Anteilnahme war riesig. Die ganze Szenerie war sehr bewegend und überwältigend. Gleichzeitig war es sehr schwer für uns, uns dazu zu verhalten, da wir uns ja inmitten einer schweren Krise befanden.

Die enorme Solidarität und die praktische Hilfe sind die ersten Dinge, welche mir einfallen, wenn ich an die ersten Tage nach dem Angriff zurückdenke. Den ersten Monat war ich konstant von Genoss_innen umgeben. Es wurde für alles gesorgt. Auf eine groteske Art und Weise erinnere ich diese Zeit als schrecklich und gleichzeitig als eine der schönsten Erfahrungen, die ich je erlebt habe. Die internationale Aufmerksamket spielte von Anfang an auch eine wichtige Rolle. Die vielen Solidaritätsbekundungen, die aufgehängten Solitranspis und der Hashtag. Auch Showan sah das, als er aus dem Koma aufgewacht ist und all das bedeutete uns wahnsinnig viel.
 

Es war eine spezielle Situation. Kurze Zeit vorher wurde der griechische Rapper und Antifaschist Pavlos Fyssas ermordet. Ich war bei verschiedenen Soliaktionen dabei. Und plötzlich waren wir, die anderen Betroffenen und ich, in so einer Situation, in der Menschen aus aller Welt uns ihre Solidarität zukommen ließen. Das war auf viele Weisen sehr surreal. Und schon eine Woche später kamen sehr viele Genoss_innen aus dem Ausland auf die Großdemonstration in Malmö. Auch das bedeutete natürlich wahnsinnig viel.

AIB: Hallo Anna. Du warst ja nicht direkt vom Angriff betroffen, aber stark in der Solidaritätskampagne „Kämpa Malmö”  (Kämpfe Malmö) involviert. Wie stellen sich aus deiner Sicht die ersten Tage nach dem Angriff dar?

Anna: In einer Zeitleiste von einer Woche: Schon am Morgen nach dem Angriff gab es eine große Solidaritätsversammlung auf dem Möllevangstorget, und nur sieben Tage später fand die  Großdemonstration statt, an der sich 10.000 Menschen beteiligten. Dass so viele Menschen innerhalb von einer Woche mobilisiert werden konnten, war politisch ein großer Erfolg. Auch weil, diesem Angriff zum Trotz, der Alltag in einer gewissen Form weitergehen musste. Und wenn du nicht weißt, ob die Betroffenen überleben und was deren Zugang zum Passierten ist, musst du in der politischen Organisation sehr vorsichtig sein, welche Schritte du gehst. Du machst eine Kampagne für Leute, die in diesem Moment kein Teil davon sein können, weil sie zu stark verletzt sind. Es ist eine schwierige Sache, etwas für sie zu machen, ohne es mit ihnen abstimmen zu können.

Ich z.B. musste arbeiten, und das tat ich dann auch. Aber natürlich hatte ich auch das Bedürfnis mit Leuten zusammen zu sein und über meine Gefühle und Gedanken zu sprechen. Zur gleichen Zeit war ich dabei, den politischen Aspekt von dem, was passierte, zu organisieren. Das bedeutete, sich einer großen und wichtigen Sache anzunehmen. Wir hatten große Ressourcen, die persönlichen Aspekte durften nicht vergessen werden. Du musst dich damit auseinandersetzen, dass der Angriff ein großes Trauma ist. Ich empfinde die unmittelbare Zeit nach dem Angriff als ein riesiges Erinnerungschaos. Und ich glaube es geht vielen Leuten so.

AIB: Wie hat sich „Kämpa Malmö” dann entwickelt?

Anna: Die politische Bewegung hatte schon im Vorfeld eine breite Basis an politischen Themen, wie z.B. das „Recht auf Stadt”, und die Organisationen und Gruppen setzten ihre politische Arbeit fort. Was der Angriff ausmachte und veränderte war, dass sich die verschiedenen Gruppen auf den Angriff fokussierten. Aber die politischen Rahmen, wie z.B. bei „Skåne Gegen Rassismus”, waren schon im Vorfeld vorhanden und darauf konnte zurückgegriffen werden. Es ist also nicht so sehr die Frage, wie der Angriff die politische Bewegung beeinflusst hat, sondern mehr, wie die Szene darauf reagierte. Es war enorm wichtig, dass es uns als Bewegung tatsächlich gelungen ist, so zu reagieren, wie „Kämpa Malmö” es tat. Ein wichtiger Arbeitspunkt für uns war, dass dieser Angriff nicht als ein individuelles Ereignis gesehen werden durfte, sondern in einen politischen Kontext gestellt werden musste.

AIB: War „Kämpa Malmö” in deinen Augen ein Erfolg und wie sieht es heute aus?

Anna: Ich würde „Kämpa Malmö” nicht als Erfolg bezeichnen, sondern als Notwendigkeit. Die Solidarität war notwendig und aus diesem Grund machten die Menschen es. 10.000 Leute waren auf der großen „Kämpa Malmö” Demonstration, es gab die ganze Woche hindurch eine riesige Aufmerksamkeit und physische Präsenz in der Stadt, z.B. in Form von Transparenten und Graffitis.

Die politische Repression verschärft sich auch in Schweden (z.B. im Bezug auf den NATO Beitritt). Trotz alledem gelang es, die Bewegung so offen und inklusiv zu gestalten. Und das war wichtig für deren Entwicklung und Verlauf. Eine der wichtigsten Errungenschaften, die „Kämpa Malmö” den Leuten gab, war das Gefühl der Gemeinschaft und der Zusammengehörigkeit, um die Zeit und die Probleme gemeinsam zu meistern.

2014 gab es „Kämpa Malmö”. 2015 kamen viele Flüchtlinge nach Schweden. Auch hier hatte der Staat versagt und es nicht geschafft, die Refugees zu schützen und in ihren Bedürfnissen zu helfen. Wieder waren es die politische Bewegung und die Zivilgesellschaft, die in die Bresche gesprungen sind und die Situation so gut es ging gemeistert haben.

Wenn du jetzt zehn Jahre nach dem Überfall und der Solikampagne „Kämpa Malmo” auf die Bewegung schaust, so ist die Bewegung immer noch vorhanden. Sie hat sich aber verändert, mit anderen politischen Gruppen und Agendas. Und diese Gruppen arbeiten mit den Themen, die heute wichtig für sie sind.

AIB: Charlotte, wie ging es für dich weiter?

Charlotte: In den Jahren nach dem Angriff spielte natürlich das Gerichtsverfahren gegen die Neonazis eine große Rolle. Einer der Hauptbeschuldigten, Andreas Carlsson, hatte sich in die Ukraine abgesetzt und konnte erst 1,5 Jahren später festgenommen werden.1 Das hinterließ uns natürlich in einer Art unangenehmen Warteposition, welche auch die eigentliche Aufarbeitung des Überfalls erschwerte. Ob man nun an juristische Gerechtigkeit glaubt oder nicht, war es wichtig, dass das Gerichtsverfahren abgeschlossen wurde. An den Gerichtsterminen kam wieder eine große Solidarität zu tragen. Obwohl wir nicht die Gerechtigkeit erfahren haben, die wir uns erhofft hatten, und so wieder einmal mehr deutlich wurde, dass der Staat uns nicht beschützen kann, war es wichtig, dass der Angreifer Showans verurteilt wurde, weil Showan am allerschwersten verletzt war. 

Für mich war es in den Jahren danach wichtig, weiterhin politisch aktiv zu sein, und damit auch dem Geschehenen eine Art Sinn zu geben. Viele, die in solche Situationen geraten, haben danach das Bedürfnis, sich zurückzuziehen, und das sagt auch was über unsere politische Szene aus. Aber für mich war es wichtig weiterzumachen.

AIB: Wie geht es dir jetzt, zehn Jahre nach dem Überfall?

Charlotte: Mir geht es gut, ich bin gesund. Aber soweit zu kommen, hat mich auch zehn Jahre gekostet. Es war eine lange Reise und es gab viele verschiedene Stadien. Ich habe den Wunsch, dass unsere Bewegung besser darin wird, über die psychischen Konsenquenzen, die diese Form von Aktivismus und Lebensgestaltung mit sich bringen kann, zu sprechen. Ich denke, dass wir gut darin sind, unsere eigenen Bedürfnisse hintenanzustellen. Ich hoffe, dass wir besser werden, das zu thematisieren, weil ich es wichtig finde, dass die Bedingungen dafür geschaffen werden, dass man so ein politisches Leben über viele Jahre führen kann. 

Und genauso wichtig wie die unmittelbare Solidarität nach einem Überfall von Neonazis oder der Repression des Staates, ist die kontinuierliche Solidarität darüberhinaus über einen längeren Zeitraum. Wir brauchen hier eine nachhaltigere Strategie. Es sind auch die vielen Gespräche mit meinen Genoss_innen in den letzten zehn Jahren, die bewirkt haben, dass es mir so gut geht wie jetzt.

AIB: Vielen Dank für das Gespräch!

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    AIB Nr. 112 (3.2016): antifainfoblatt.de/aib112/fall-showan-neonazis-malmoe-vor-gericht