Antifaschistischer Werkzeugkasten
Auszug aus „13/12 Dinge – Antifaschistischer Werkzeugkasten“ (Gastbeitrag)„Wir, eine bundesweite Vernetzung von Antifaschist*innen, haben einen Werkzeugkasten zusammengestellt, der denen, die aktiv werden wollen und bisher nicht wussten wie, dabei helfen könnte, loszulegen“ schreiben die Autor_innen der bundesweiten DIY-Kampagne „13/12 Dinge“ und stellen klar: „Man kann vieles tun und alles ist wichtig.“ Wir haben einige hilfreiche allgemeine Überlegungen von dem dazugehörigen Blog zusammengefasst.
„13/12 Dinge – Antifaschistischer Werkzeugkasten“ (Auszug)
Wir sind ein bundesweiter Kreis aus antifaschistisch aktiven Gruppen und Einzelpersonen. Natürlich haben wir uns sehr gefreut, dass dieses Jahr schon so viele Menschen gegen die AfD, Faschismus und Rassismus auf der Straße waren. Aber wir wissen auch, dass es mit Demonstrationen, Menschenketten und Konzerten nicht getan ist. Gerade im Osten Deutschlands, wo in diesem Jahr drei Landtagswahlen stattfinden, ist die AfD in Teilen die stärkste politische Kraft und die (radikale) Rechte hat seit Jahrzehnten vielerorts das Sagen. Menschen, die nicht in deren Weltbild passen, sind an solchen Orten nicht sicher. Die dafür verantwortlichen Neonazis stoppt man nicht mit bunten Schildern und Gesängen. Auch auf die Parteien von CDU bis Ampel wollen wir uns nicht verlassen. Während sie gegen die AfD protestieren, machen sie im Parlament rassistische und menschenfeindliche Politik.
Wir glauben, dass es eine starke, organisierte und breit aufgestellte antifaschistische Bewegung brauchen wird, um der AfD die Stirn zu bieten. Wir denken da an eine große Spannweite an verschiedenen Aktionsformen – und einen gut sortierten antifaschistischen Werkzeugkasten.
Du musst nicht schon lange in einer Antifa-Gruppe organisiert sein, um etwas gegen die AfD zu tun. Neben großen Gruppen braucht es viele kleine Bezugsgruppen, die jetzt schon überall loslegen können. Warte nicht darauf, dass andere etwas tun – wir alle müssen jetzt in Bewegung kommen und die Bewegung sein.
Wir haben deswegen auf dieser Webseite 13 sehr unterschiedliche Dinge gesammelt, die du gegen die AfD tun kannst, und 12 Dinge, die du unbedingt vorher dabei beachten solltest. Wir haben versucht, so detailliert wie nötig und so allgemein wie möglich zu bleiben, damit die Ideen auf viele Situationen anwendbar sind. Zu jedem Text gibt es weiterführende Links, um sich noch genauer mit dem Thema zu beschäftigen. Unser Ziel ist, der AfD kräftig in die Suppe zu spucken und ihren Aufstieg wo es nur geht zu sabotieren. Dabei dürfen wir natürlich auch andere rechte Parteien und anders organisierte Neonazis nicht vergessen – auch denen müssen wir das Handwerk legen. Wir hoffen, dass für alle Menschen etwas dabei ist, um dieses Ziel zu erreichen.
Auseinandersetzung mit Repression
Politische Arbeit kann Strafverfolgung nach sich ziehen. Überwachung, Gewalt, Gerichtsprozesse und Knast kann von politischem Widerstand abschrecken und ein Gefühl von Ohnmacht gegenüber dem Staat erzeugen. Wenn sie keine Unterstützung erfahren, ziehen sich Betroffene häufig aus der Bewegung zurück. Es muss klar sein: Auch, wenn sich die staatliche Repression an der Stelle meist gegen eine einzelne Person richtet, sind wir alle damit gemeint. „Solidarität statt Vereinzelung“ ist gelebte Praxis. Es ist essentiell, dass ihr euch bestmöglich gegen Repression schützt und dass ihr euch auf den Fall vorbereitet. Verschlüsselt eure technischen Geräte und kommuniziert möglichst sicher. Bereitet euch auf mögliche Hausdurchsuchungen und auf Haft vor, z.B. indem ihr ein Haftdokument erstellt.1
Sinnvoll ist auch, euch regelmäßig zu informieren, welche Repressionsmaßnahmen und Verfahren es gerade in eurer Stadt und darüber hinaus gibt. Solidarisiert euch mit anderen, auch wenn ihr nicht selbst betroffen seid.
Konsequente Aussageverweigerung ist der einzige Weg, um Ermittlungsverfahren ins Leere laufen zu lassen. Weitere Informationen zum Thema Repression, wie sie wirkt, wie ihr euch schützen könnt und wie ihr euch in bestimmten Situationen verhalten solltet, erfahrt ihr auch bei den Ortsgruppen der "Roten Hilfe" oder des "Ermittlungsausschusses" (EA) in eurer Stadt. Für den Fall, dass doch mal was schiefläuft, gilt es rechtlich vorbereitet zu sein.2
Bezugsgruppe und Organisierung
Eine Bezugsgruppe ist ein Kreis von circa drei bis acht Personen, der sich als Kollektiv versteht, politisch aufeinander bezieht und zusammenhält. Das kann innerhalb einer Aktion sinnvoll sein, aber auch als Teil einer noch größeren Gruppe oder beim Umgang mit Folgen von Aktivismus wie Repression und emotionalen Krisen. Eine Bezugsgruppe kann man mit unterschiedlichen Motivationen gründen.
Ihr bildet eine Bezugsgruppe, um an einer konkreten Aktion teilzunehmen oder ihr bildet eine Bezugsgruppe, um euch längerfristig als stabiles Kollektiv auch außerhalb von konkreten Aktionen zu verstehen. Das Bilden von langfristigen und handlungsfähigen Bezugsgruppen ist einer der wichtigsten Schritte zur Organisierung der antifaschistischen Bewegung. Wenn ihr sowieso immer wieder mit den selben Leuten auf Demos und Veranstaltungen geht, das aber eher so nebenher passiert, könntet ihr eure Gefährt*innen fragen, ob ihr euch auch längerfristig als feste Bezugsgruppe verstehen wollt. Das bedeutet in erster Linie, sich öfter zu treffen als vorher bzw. überhaupt anzufangen, sich gezielt miteinander zu treffen.
Unabhängig von eurer politischen Praxis ist eine gewisse Regelmäßigkeit solcher Treffen super. Wenn ihr euch in eurer Bezugsgruppe gut aufgestellt fühlt, kann es als nächstes sinnvoll sein, sich mit anderen Bezugsgruppen zu connecten, z.B. um Erfahrungen auszutauschen, gemeinsam Aktionen zu machen oder eine Antifa-Gruppe zu gründen. Eine Bezugsgruppe zu haben, die langfristig zusammenarbeitet, gibt Ruhe in chaotischen politischen Zeiten, macht Spaß, ihr könnt Vertrauen zueinander aufbauen und wisst, auf wen ihr zählen könnt und wen ihr fragt, wenn ihr auf aktuelle Ereignisse reagieren wollt.
Soziale Sicherheit: Vertrauensvolle Beziehungen
Antifaschistische Praxis bedarf nicht nur einer Auseinandersetzung über eure eigene Sicherheit – ihr tragt auch Verantwortung für die Sicherheit eurer Gefährt*innen. Es ist daher wichtig, sich Gedanken darüber zu machen, welche Dinge wem erzählt werden können und welche nicht erzählt werden sollten. Auch ist es wichtig darauf zu achten, in welchen Kontexten über Dinge gesprochen werden kann und in welchen nicht.
Warum ist das so? Sollte eine Aktion oder eine Organisationsform für Ermittlungsbehörden interessant werden, werden diese Personen ggf. zu „Mitwissenden“. Das bedeutet, du verwickelst Personen in Verfahren, von denen diese eigentlich nicht betroffen wären. Wenn du eine Person deines Ver-trauens in Dinge einweihst, die du tust, denke daran: Diese Dinge machst du nicht allein und du kannst auch deine Genoss*innen belasten. Du kannst Personen erklären, warum du nicht ausführlicher über Dinge sprechen kannst und dass das nicht daran liegt, dass du ihnen nicht vertraust.
Geht es mir gerade darum, mich bei Leuten zu profilieren oder ist die Weitergabe einer Information gerade sinnvoll? Es gibt viele Informationen, die zu Unrecht nicht geteilt werden. Dadurch entstehen Wissenshierarchien. Dabei werden Infos nicht aus Schutz ausgelassen, sondern um einen sozialen Status und Anerkennung zu erlangen. Überlegt euch, ob es uns oder andere schützt, Informationen nicht zu teilen, oder ob ihr euch mit der Information profiliert. Ein Kriterium, nach dem Informationen geteilt oder nicht geteilt werden, ist die Vertrauenswürdigkeit einer Person. Aber wie bewerte ich diese? Es kann helfen, mit den Menschen, mit denen ihr Politik macht oder machen wollt, darüber zu sprechen, was diese bisher in ihrem Leben gemacht haben oder in welchen Kontexten sie sich bewegt haben. Ver-sucht es zu normalisieren, euch gegenseitig Fragen zu stellen – auch wenn es erst befremdlich erscheint.
Physische und digitale Sicherheit
Um praktisch handeln zu können, sind oft sichere Absprachen nötig. Egal, wie gut es um die eigene digitale Sicherheit bestellt ist, sind Face-to-Face Absprachen immer noch am sichersten. Informiert euch, wo ihr euch dazu am besten treffen könnt und wie ihr diese Treffen sicher gestaltet. Sichere Kommunikation - pgp-key, Tails, Tor und Geräteverschlüsselung - wer kommt da noch hinterher? Informiert euch, was das alles ist, warum digitale Selbstverteidigung wichtig ist und wie ihr sie nutzen könnt.3
Emotionen und Fürsorge
Die Auseinandersetzung mit politischen Zuständen, Konfrontationen mit Rechten, die Angst vor Repression oder erlebte Polizeigewalt sind einige Dinge, die nicht spurlos an Antifaschist*innen vorbeigehen. Zu Sicherheit im Aktivismus gehört auch, auf emotionaler Ebene aufeinander aufzupassen. Die negativen Folgen von Konfrontationen mit Neonazis, von Repression oder Erlebnissen während einer Aktion sind vielfältig. Deshalb ist es wichtig, dass ihr euch kontinuierlich mit euren Emotionen auseinandersetzt, euch gegenseitig unterstützt und füreinander da seid.
Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten, angefangen bei Check In- und Abschluss-Runden bei den regelmäßigen Treffen deiner (Bezugs-)Gruppe bis hin zum Wahrnehmen von Angeboten der ‚Out of Action‘ – Gruppe in eurer Stadt. Reflektiert eure Ängste und Grenzen und nehmt euch beim Vorbesprechen von Aktionen ausreichend Zeit, um euch darüber auszutauschen. Das sollte ein wichtiger Teil der Vorbereitung sein und ist grundlegend,
um eine Aktion möglichst sicher durchführen zu können. Es sollte jederzeit möglich sein, sich vor und während der Aktion für einen Abbruch zu entscheiden. Überlegt ausführlich einen Umgang für den Fall, dass (Sicherheits-)Bedürfnisse von Personen übergangen werden.
Genauso wichtig ist die Nachbereitung. Sprecht darüber, wie ihr euch in welcher Situation gefühlt habt und leitet gemeinsam Schlussfolgerungen ab. Sammelt, was noch nicht funktioniert hat und wo es Verbesserungsbedarf gibt. Feiert euch für eure Erfolge.
Überlegt euch ein Verfahren für den Fall, dass eine Person in eurer (Bezugs-)Gruppe oder eurem Umfeld (patriarchale) Gewalt ausübt. Dabei kommt es natürlich konkret darauf an, um welches Verhalten oder welche Handlungen es geht. Es ist nicht damit getan, die gewaltausübende Person aus eurem Zusammenhang auszuschließen. Ziel sollte einerseits sein, dass die gewaltausübende Person Verantwortung für ihr Verhalten übernimmt, zum Beispiel durch Einsicht, Reflexion und dem Verlernen patriarchaler Muster. Andererseits geht es um den Schutz, um emotionale Fürsorge und die Stärkung der Person, die die Gewalt erlebt hat. Konzepte der Transformativen Gerechtigkeit können bei der Entwicklung eines solchen Verfahrens hilfreich sein. Informiert euch auch bei Gruppen in eurer Stadt, die zu diesem Thema arbeiten. Das „Antifa Ost-Verfahren“ hat gezeigt, wozu ein schlechter oder sogar fehlender Umgang mit einer gewaltausübenden Person beitragen kann: zur Zusammenarbeit des Täters mit den Repressionsbehörden gegen die ehemaligen Genoss*innen. Seht patriarchales Verhalten also immer auch als eine mögliche Sicherheitslücke, wenn sich dem zu spät, oberflächlich oder gar nicht zugewandt wird. Macht euch daher nicht erst nach Gewaltvorfällen darüber Gedanken, sondern etabliert eine proaktive feministische Praxis miteinander. Herauszufinden, was das konkret bedeutet, braucht Zeit und ehrliche Auseinandersetzung mit erlerntem patriarchalen Verhalten und Rollenbildern in Gruppen. Daraus Schritt für Schritt auszubrechen ist nicht nur bitter notwendig, sondern auch befreiend und lässt eure Strukturen widerstandfähiger werden.4
Better safe then sorry
Aktionen sollten gut durchdacht und geplant sein. Zur Planung gehört, sich über mögliche Abbruchsszenarien Gedanken zu machen und diese zu besprechen. Wenn es unklare Variablen gibt, Unvorhersehbares passiert oder andere Unsicherheiten im Raum stehen: Better safe then sorry.